Donnerstag, 3. April 2008

Just like a rubber ball … pralle ich von der Mauer der Mathematik zurück


Also schleiche ich mich mal von hinten an: über die Geschichte. Die Geschichte der Null. Auch zu der kam ich über Umwege: Überlegungen und Lektüre von Internet-Texten (Wikipedia, auch mal ein paar Blicke in die Scholarpedia riskiert, usw.), zunächst zum Thema "Bewusstsein" (dieses Mal ausgehend von Thomas Nagels "What is it like to be a bat", der mir freilich zu sehr aus der Homunkulus-Perspektive gedacht ist; sehr viel interessanter und informativer ist da z. B. das Scholarpedia-Stichwort "Neural correlates of consciousness"), dann zum Themenkomplex "Emergenz" (eng. "emergence"), "Paradigmenwechsel" (eng. "paradigm shift"), "Komplexität" (hier zum englischsprachigen Wikipedia-Eintrag; der deutschsprachige ist derzeit -3.4.08- allzu dünn) (immerhin teilweise verständlich sind auch für einen Laien wie mich die einschlägigen Scholarpedia-Artikel "Complexity" und "Complex systems").
Irgendwie kam ich auf diesem Wege zur "Null", die ja für uns als selbstverständliches Element unserer täglichen Berechnungen eigentlich nichts Besonderes ist. Und doch musste ich bald feststellen, dass ihre Erfindung und Durchsetzung einen riesigen Schritt in der Menschheitsgeschichte darstellte: als geistige (Abstraktions-)Leistung ebenso wie in den Auswirkungen auf die Erleichterung und Beschleunigung des Rechnens, nämlich indem für die Darstellung von Zahlen die Null "erfunden" und das Dezimalsystem eingeführt wurde.

Die Frage ist hier allerdings, wann man diesen Sprung zeitlich ansetzt. Denn wenn man das erste historischen Auftauchen (d. h. Auftauchen in den uns überkommenen geschichtlichen Belegen) von etwas Ähnlichem wie unser heutigen "Null" um das Jahr 700 vor Chr. annimmt, vergingen über 1.000 Jahre bis zur "Erfindung" des Dezimalsystems (wenn man dieses Ereignis in Indien im 5. Jh. ansetzt). Danach kamen die Mathematiker allerdings etwas schneller vom Fleck: der persische Mathematiker Abu Abdallah Muhammad ibn Musa al-Chwarizmi "führte die Ziffer Null aus dem indischen in das arabische Zahlensystem ein" (im 9. Jahrhundert in Bagdad); Leonardo Fibonacci verwendete um das Jahr 1200, also gut 300 Jahre später, die Null (als Erster?) im christlichen Abendland, wo sie jedoch erst weitere 400 Jahre später, im 17. Jh., auf breiter Basis verwendet wurde. Mindestens etwa zweieinhalbtausend Jahre also hat es gedauert, bis sich die Null wirklich durchgesetzt hatte. (Es mag sogar weitaus länger gedauert haben: falls es nämlich so etwas wie eine Null oder deren Vorläufer schon früher gab als 700 v. Chr.)
"Solche Paradigmenwechsel vollziehen sich langsam" heißt es (zwar in einem etwas anderen Zusammenhang, aber vorzüglich auch auf meine Darstellung der Entwicklung passend) im Wikipedia-Artikel (Stand 31.03.08) über die "Null".

Unterstellt man eine Verbreitung der verschiedenen Ideen der "Null" von Babylonien (Irak) nach Griechenland, von dort nach Indien und zurück über das islamische Bagdad (Irak) und von da ins Abendland, hat man irgendwie das Gefühl, einem langen historischen Ping-Pong-Spiel beizuwohnen. Es ist aber anscheinend umstritten, ob die Inder die Null selbst entwickelt haben oder unter griechischem oder babylonischen Einfluss.
Auf jeden Fall hat es außerordentlich lange gedauert, bis die Menschheit die "Null" bzw. das Dezimalsystem ausgebrütet und ausgereift hatte, während man von den technischen Hilfsmitteln Rechenbrett und Rechnen auf Linien wohl annehmen darf, dass sie sich relativ schnell (d. h. längstens in einigen hundert Jahren) verbreitet haben.
Für eine derartig schleichende Entwicklung mögen die Begriffe "Sprung" oder "Paradigmenwechsel" als nicht sinnvoll erscheinen. Auf jeden Fall wird hier ein Problem deutlich, das sich Historikern (speziell in der Technik- und Wissenschaftsgeschichte) auch sonst stellt, nämlich die genaue Datierung einer (ich formuliere mal bewusst vage:) ‚Änderung'.
Andererseits kann man auf der Ebene der gesellschaftlichen Relevanz einen großen Sprung nach vorn vielleicht doch konstatieren, nämlich zu dem Zeitpunkt (bzw. für den relativ kurzen Zeitraum), in welchem eine solche Änderung allgemein akzeptiert wird. Dies war in Europa um 1600 der Fall und es war (anders als die Verwendung der Null durch die Maya) zugleich ein Ereignis von weltgeschichtlicher Dimension, da sich die westliche Zivilisation und Mathematik weltweit durchgesetzt haben.

 

Falls es wen interessiert, hier einige Links zu Informationen über die "Geschichte der Null" (Vorsicht: Wenn man die "Geschichte der 0" sucht, bekommt man einige Links, die nichts mit der 0, sondern mit der "Geschichte der O" (Ohhhh…) zu tun haben; da haben anscheinend einige die Tastatursymbole verwechselt).
Auf Englisch heißt es natürlich "history of zero".
Neben den Wikipedia-Einträgen zum Stichwort "Null" (hier zur englischen Ausgabe) fand ich noch folgende Texte:
"A Brief History of Zero" von Kristen McQuillin, "History of Zero" im "Online etymology dictionary" (auch schon für sich ein interessanter Linkfund!), hier etwas über die "Properties of Zero" und die "History of Zero" zusammen auf einer Seite. Mehr vom Standpunkt der indischen Wissenschaftsgeschichte ist "A History of Zero" von J J O'Connor and E F Robertson geschrieben (dazu ist auch eine Bibliographie online).
Auch auf Deutsch gibt es einen relativ langen Aufsatz (3 S.) über "Die Geschichte der Null" von Hasso B. Manthey. Etwas kürzer: "Die Geschichte der Null".
 

Die bauen wohl alle mehr oder weniger auf Büchern von Robert Kaplan und Charles Seife auf; zu diesen vielleicht später mehr.

Nachtrag vom 11.04.08:
Schon älter (von 1919 nämlich), aber immer noch interessant (inwieweit noch aktuell, kann ich nicht beurteilen; allerdings habe ich den Eindruck, dass die Kontroversen um die Frage, ob die "Null" als Positionsmarker im Dezimalsystem in Indien erfunden wurde, auch heute noch nicht beendet sind und keine letzte Klarheit gewonnen werden konnte) ist der Aufsatz "The Controversy on the Origin of Our Numerals" des Mathematikhistorikers Florian Cajori, den "webworker" dankenswerter Weise auf dem Portal "Scribd" online gestellt hat.


  

Textstand vom 12.05.2010. Auf meiner Webseite
http://www.beltwild.de/drusenreich_eins.htm
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Soweit die Blotts Bilder enthalten, können diese durch Anklicken vergrößert werden.

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