Das sind aber beinahe noch Peanuts im Vergleich zu jenen Kosten, welche für den Wiederaufbau des Stadtarchivs in Köln (die Wikipedia bietet einen sehr informativen und umfangreichen Artikel über das "Historische Archiv der Stadt Köln") und für die Restaurierung der dort gelagerten (zum allergrößten Teil geborgenen oder in Kürze noch zu bergenden Dokumente) auf den Steuerzahler zukommen.
In der Financial Times Deutschland (FTD) vom 31.05.2009 berichtet Christoph Driessen u. d. T. "Einsturz des Stadtarchivs. 'Sensationell' viel in Köln geborgen" (meine Hervorhebungen):
"Durchnässt, zerquetscht, zerschnipselt: In diesem Zustand sind viele Stücke aus dem Kölner Stadtarchiv. Wirklich verloren ist allerdings kaum etwas, sagt die Leiterin. Eine bestmögliche Rettung koste allerdings 'einen hohen dreistelligen Millionenbetrag'. .....
85 Prozent des Gesamtbestandes sind mittlerweile geborgen. Die restlichen 15 Prozent liegen in einer Baugrube der U-Bahn im Grundwasser. Die Feuerwehr prüft zurzeit, wie dieses Material am Besten hochgeholt werden kann. "Wir werden das nicht aufgeben", sagte Schmidt-Czaia. "Wir brauchen alles, wir fordern alles." Im übrigen benötige das Archiv vor allem eines: "Geld, Geld, Geld." Es gehe um "einen hohen dreistelligen Millionenbetrag". Der Bund, das Land und die Stadt seien in der Pflicht, vielleicht könne man auch bei der EU Mittel loseisen."
Persönlich interessiere ich mich sehr für Geschichte. Aber irgendwann hört der Spaß auf. Bei Arcandor (Karstadt) ging es ebenfalls um einen hohen dreistelligen Millionenbetrag, doch dort zunächst lediglich um eine Bürgschaft des Staates in dieser Höhe. Die hätte natürlich verloren gewesen sein können. (Nach meiner Einschätzung wäre sie tatsächlich verloren gewesen; deshalb habe ich mich in verschiedenen Blotts (vgl. meinen Täg "Arcandor") vehement gegen eine solche Staatsbürgschaft ausgesprochen. (Inzwischen hat die Bundesregierung die Bürgschaftsgewährung ja abgelehnt; abzuwarten bleibt aber, ob da nicht doch noch Mittel über andere Titel abfließen.)
Viele andere bzw., soweit ich es überschauen kann, sogar eine große Mehrheit der Kommentatoren in den Medien, hatten ebenfalls gegen Staatshilfe für Karstadt gewettert.
Doch was nützt das alles, wenn uns anderswo das Geld wie Dreck aus der Tasche gezogen wird? Lesen die Wirtschafts-Kommentatoren keine eher feuilletonistischen Artikel, oder haben sie Angst, sich als Kulturbanausen zu diskreditieren, wenn sie sich kritisch zu den Restaurierungskosten für die Kölner Archivalien äußern?
Meine diversen Blog-Einträge haben hoffentlich meinen Ruf schon soweit ruiniert, dass ich mittlerweile ganz ungeniert leben bzw. meine Meinung äußern kann. Welche da lautet: was auch immer im Kölner Stadtarchiv aufbewahrt wurde und nun vom Zerfall bedroht ist, wenn es nicht aufwändig konserviert wird: nichts von dem Plunder rechtfertigt es, uns Steuerzahlern das Hemd auszuziehen. (Der übliche Trick des Anzapfens verschiedener Töpfe erinnert mich an ein italienische Sprichwort, demzufolge die Schurken die Elster zu rupfen verstehen, ohne dass sie schreit).
Es klingt nicht sonderlich gut, wenn jemand beispielsweise auch den (ebenfalls im Kölner Stadtarchiv aubewahrten) Nachlass des Literatur-Nobelpreisträgers Heinrich Böll unter die Kategorie "Plunder" subsumiert und ist natürlich provokativ gemeint.
Trotzdem wird es Zeit dass wir uns Gedanken darüber machen, wieviel an "historischem Gedächtnis" wir uns leisten können - und vor allem, in welcher Form wir solche Informationsspeicher betreiben.
Und speziell im Falle des zusammengekrachten Kölner Archivs müssten wir überlegen, auf welche Weise man freiwillige Gelder zusammenbekommen könnte. Nicht das Kleingeld, wie man es durch Benefizkonzerte (die natürlich eine verdienstvolle Bemühung sind) zusammenkratzen kann. Das große Geld ließe sich zweifellos durch den Verkauf von Dokumenten machen. Preis: Restaurierung plus Digitalisierung plus (oder minus - je nach Wert der Stücke) X. Das Archiv bekommt die digitalisierte Version; die glücklichen Privatbesitzer dürfen sich über Kalbslederurkunden aus dem 12. Jahrhundert freuen. Oder einen Original-Brief vom Literatur-Nobelpreisträger. Aber das wird nicht passieren; die Sammelwut der Archivare ist längst jenseits der bloßen Informationsspeicherung bei eine Vergötzung des Altpapiers angelangt.
Sinngemäß trifft hier, mutatis mutandis, die in meiner Majolika-Linkseite geäußerte Kritik zu:
"Wenn den Museumsleuten wirklich nur die Kultur als solche am Herzen läge, würden sie der Mensch-heit ein "Museo Virtuale Mondiale" einrichten, z. B. auch ein virtuelles Majolika-Museum mit den weltweit schönsten Stücken.
Doch leider hat das Sammeln von Kunst (nicht anders wie sonstiges Sammlertum) auch sehr viel mit dem Besitzinstinkt zu tun. Deshalb sind die Kunst-Fafnire nur dann richtig glücklich, wenn sie einen Tafelaltar in seine einzelnen Tafeln zerlegt auf mehrere Museen verteilt wissen. (Die Kleinen kriegen dann die Predellatäfelchen ab, für die ganz kleinen bleiben vielleicht ein paar Stücke vom Gesprenge übrig.) Und von Zeit zu Zeit führt man das Ganze in einer Ausstellung zusammen, um es dem gaffen-den Volke wie ein Heiltum zu präsentieren."
Über denjenigen, der die Hauptschuld am gigantischen Umfang der Archive und Bibliotheken unserer Zeit trägt, einen gewissen "Johannes Gensfleisch, genannt Gutenberg" nämlich, weiß man verdammt wenig, beinahe Nichts.
Das ist ausgesprochen schade; sehr viel bedauerlicher, als der Verlust irgendwelcher Daten aus der Kölner Stadtgeschichte (so interessant sie im einzelnen, z. B. als kultur- oder sozialgeschichtliche Mosaiksteine, auch sein mögen).
Einen Schaden haben wir an unserer Unkenntnis über Gutenberg und die näheren Umstände seiner Erfindung der Druckkunst dennoch nicht genommen. Und würden auch keinen Schaden nehmen, wenn das gesamte Kölner Stadtarchiv von den Rheinfluten ins Meer geschwemmt worden wäre.
Ganz so radikal bin ich nun freilich nicht, dass ich etwa eine Vernichtung der Archivalien fordern würde. Dennoch habe ich den Eindruck, dass in unserer Zeit mitnichten nur die Banker vom Geldwahnsinn befallen sind. Mit dieser Bemerkung will ich aber nicht die Leiterin des Archivs, Frau Bettina Schmidt-Czaia, für ihre Forderungen kritisieren: bei ihr gehört das zum Beruf und ist ein Zeichen für ihr hohes Engagement.
Kritisieren will ich alle jene (also ggf. auch Sie, liebe/r Leser/in), welche als Bürgerinnen und Bürger, als Steuerzahlerinnen und Steuerzahler derartige Forderungen achselzuckend stillschweigend akzeptieren: da kann man eh' nichts tun, hat man keinen Einfluss drauf, das entscheiden die Politiker. Das müsste nicht sein: wenn wir erstens erkennen würden, an welchen Stellen unsere Gelder überall versickern (nämlich nicht, wie die Meisten glauben, bei den Politikern, die sich vermeintlich "die Taschen vollmachen").
Und wenn wir zweitens uns wehren würden gegen Lobbyisten aller Sparten und gegen Hybris aus allen Richtungen, hätten wir sogar eine reelle Chance.
Unser Wohlstand wird von mindestens drei Seiten in die Zange genommen:
1) Ressourcenverknappung (Ölfördermaximum usw.); das wird wahrscheinlich das größte der Probleme werden.
2) Die Alterung unserer Gesellschaft. Immer weniger Tätige müssen nicht nur für immer mehr Alte sorgen, sondern auch für immer mehr Altes. Das Problem habe ich bereits vor einigen Jahren in meiner Studie "Rentenreich", im Kapitel "Die Alten und das Alte", näher beleuchtet. (Vgl. auch meinen Blott "Renten sichern - Wehrfriedhofsmauer zerfallen lassen!".)
3) Der Klimawandel.
In dieser Situation können wir es uns nicht mehr leisten, unsere knappen ökonomischen Ressourcen nach dem Motto "Wir haben's ja" zu verschwenden.
Aber natürlich haben Sie Recht mit dem, was Sie jetzt denken: 'der verschwendet hier seine Worte', denn:
Die Hunde bellen, die Eselskarawane zieht weiter.
Nachtrag 13.06.09
Manchmal, in seltenen Augenblicken, reflektieren auch die Kulturmenschen die Kosten - die ökonomischen und die sozialen. So zum Beispiel Hanno Rauterberg in einer Passage seines ZEIT-Artikels "Moderne Kunst. Und wir staunen heiter" vom 10.06.2009 über die aktuelle Kunstausstellung "Biennale" in Venedig:
"Ohne das imperialistische Machtstreben Venedigs gäbe es nicht das, was wir heute als Schönheit bewundern, nicht die Architektur, nicht die Gemälde. Und heute? Welchen Preis zahlt unsere Gegenwart für die Kunst? Welchen ausbeuterischen Verhältnissen verdanken wir den Luxus einer Biennale?"
Textstand vom 13.06.2009
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