Aus meiner Heimatstadt Bielefeld kamen Weihnachtsgrüße. Einer darunter, von Udo Twesmann, meinem Jugendfreund, enthielt ein 32-seitiges Geburtstagsmagazin, eine Beilage der Bielefelder Zeitung "Neue Westfälische" (NW). Nicht über einen alten Mann wie mich, sondern über eine Dame im besten Alter: "40 Jahre Universität Bielefeld".
Meine Stammleser wissen, dass ich für die Ehre meiner Geburtsstadt sogar schon mein Leben auf's Spiel gesetzt habe. Ich nehme also immer noch interessiert an den Geschehnissen in meiner Vaterstadt Anteil. Aber nicht davon soll hier die Rede sein, sondern von zwei kurzen Passagen, die für die Thematik des Magazins wie für die Stadt an sich absolut irrelevant sind, bei mir aber als Blog-Katalysatoren wirksam wurden.
Unter der Schlagzeile "Es gratulieren: Studierende der Uni" [Untertitel: " 'Menschen in den Mittelpunkt stellen': Jan Rick, Vorsitzender des Allgemeinen Studierenden-Ausschusses (AStA)" [erschreckend, dass ein junger Mensch schon solche abgelutschten Sprüche drauf hat. Aber wie hieß es irgendwo in der Beilage sinngemäß? 'Die Reformuniversität ist in der Normalität angekommen': wohl wahr!)] schreibt der AStA-Vorsitzende (meine Hervorhebung): "Die Uni Bielefeld ... ist für deutliche niedrigere Studierendenzahlen gebaut worden, sie hat eine Asbestbelastung und es gibt sogar ein Copyright auf sie, so dass kein überdachter Fahrradständer angebaut werden darf - es könnte ja die Schönheit des Baus beeinträchtigen."
Und auf S. 27 berichtet Bernhard Hänel unter der Überschrift "Rechteckig, praktisch, gut" (UT: "Die Architektur der Uni: Form folgt Funktion") u. a. (meine Hervorhebung):
"Größe und äußere Anmutung des Gebäudes mögen gewöhnungsbedürftig sein, doch praktisch und darum nur gut ist seine Funktionalität. Ein gutes Stück davon droht verloren zu gehen, wenn der in Aussicht gestellte Ersatzneubau realisiert ist. ... Auf immer ausgelagert wären dann wohl auch die Fakultäten für Geschichte und Soziologie. 'Damit wird das Kaptital des Bielefelder Universitätskonzepts aufgelöst', beklagt Uni-Architekt Klaus Köpke. Gemeinsam mit seinen früheren Partnern beobachtet er mit Argusaugen die laufenden Planungen - immer auf dem Sprung, notfalls über das bestehende Urheberrecht, grobe 'Verunstaltungen' zu verhindern. 'Gegen Wärmeschutz, also gegebenenfalls eine andere Fassade werden wir uns nicht wehren, gegen Zerstörungen des Gesamtkonzepts schon' sagt Köpke."
Diese Äußerungen treffen mich zu einem Zeitpunkt, wo ich ohnehin wieder einmal zu einer tieferen Reflexion über das Recht des Geistigen Eigentums angesetzt hatte (konkret freilich bislang nur durch den Ausdruck einiger einschlägiger Internet-Artikel, die bislang nur meine Lektüre-Rückstands-Berge wachsen lassen).
Grundsätzlich kann ich natürlich die Logik und die Funktion dieses Rechtsinstituts nachvollziehen. Gerecht finde ich es trotzdem nicht, wenn die Gesellschaft den Patentschutz für nützliche Erfindungen auf 20 Jahre begrenzt (bzw. in bestimmten Fällen im Ergebnis auf 25 Jahre), die Regelschutzfrist im Urheberrecht aber auf 7o Jahre ausdehnt, und die sogar erst mit dem Todestag des Autors beginnen lässt.
Natürlich weiß ich, dass sich diese Schutzfristen (wie das Urheberrecht überhaupt) erst im Laufe der Zeit herausgebildet haben. Die Begründungen, die für derartig lange Fristen gegeben wurden, kenne ich nicht, ebenso wenig Argumente, mit denen die krass unterschiedliche Behandlung von Erfindungen und Urheberrechten begründet werden. (Eben in der Hoffnung, mich insoweit hinsichtlich der einschlägigen Debatte schlauer zu machen, hatte ich meinen Drucker angeworfen; das nützt freilich wenig, wenn man nicht zum Lesen kommt.)
Ohne dass derartige Zielsetzungen im Bewusstsein der Akteure eine Rolle gespielt haben mögen scheint mir doch die Überlegung legitim, dass die Institution des Urheberrechts die Intellektuellen und deren Erben in eine gewisse objektive Interessenindentität mit den Eigentumsbesitzern bringt. Radikale Marxisten würden vielleicht von einer Korruption der Geistesarbeiter durch die Kapitalisten sprechen (ich würde das gelegentlich vielleicht auch tun, allerdings nur agitativ, nicht deskriptiv, weil ich, wie gesagt, nicht glaube, dass insoweit eine bewusste Strategie der Besitzenden vorliegt).
Immerhin erfahre ich im Wikipedia-Artikel "Geistiges Eigentum", dass es durchaus eine breite Kritik am Geistigen Eigentum, bzw. an dessen konkreter rechtlichen Ausprägung, gibt. Da brauche ich mich mit der Gesamtdebatte, über die ich mich erst einmal sachkundig machen müsste, nicht mehr abzumühen. Mein Erschrecken über die Auswirkungen des Urheberrechts, wie sie die o. a. konkreten Aussagen über das Gebäude der Universität Bielefeld (hier in einem Zeitungsbericht der NW vom November 2009 ein wunderschönes Luftbild, das auch in der Beilage - S. 31 - abgedruckt ist; zum Vergrößern anklicken!) zeigen, möchte ich festhalten.
Zweifellos hat der Gesamtkomplex eine angenehme ästhetische Qualität. Aber wenn ich die o. a. Sätze lese, fühle ich mich (obwohl im konkreten Falle gar nicht betroffen) an die Gurgel gegriffen. Ein Haus, auch wenn es nicht mir gehört, ist so etwas wie meine Hülle. Dass der Gebäudeeigentümer darüber verfügen kann - okay; für ihn ist das ja schließlich ein Investitionsobjekt (z. B. ein Wohnhaus). Dass aber auch noch die Architekten (und gar noch deren Erben) für lange Jahre (wie viele? 70 Jahre nachdem der letzte von denen gestorben ist?) Einspruch gegen Veränderungen erheben können vermittelt mir beinahe ein Gefühl, als würde mir mein Hemdenhersteller verbieten, den Kragenknopf offen zu tragen, weil dadurch das ästhetische Gesamtbild, so wie er oder sie es sich vorgestellt hat, gestört wird.
Wir würden ein solches Ansinnen als absurd empfinden, aber warum eigentlich? Wenn es ein Unikat von einem berühmten Modeschöpfer wäre?
Oder warum sollte nicht der Designer eines Luxusautomobils, z. B. eines Einzelexemplars (und warum nicht ebenso bei einer Kleinserie?) wie des Maybach Exelero (hier ein Großbild, hier bei Fulda Reifen eine Galerie mit allerdings kleineren Abbildungen) in gleicher Weise wie die Stararchitekten den Eigentümern Veränderungen mittels Urheberrecht verwehren dürfen? Nehmen wir an, ich würde das Ding kaufen und einen wilden, knallbunten, hippiemäßigen, psychedelischen Anstrich in allen Farben des Regenbogens verpassen lassen: da könnte man schon drüber streiten, ob nicht die Formgebung des Automobils speziell auf die Wirkung mit schwarzer Lackierung konzipiert war. Warum sollte nicht auch die Farbe ein wesentlicher Bestandteil des Designs sein, oder zumindest: warum sollte man nicht die Meinung vertreten können, dass bestimmte farbliche Gestaltungen einfach nicht zum Charakter eines solchen Automobils passen und deshalb von Gestalter untersagt werden dürfen?
Dann müsste also ich als Autoeigentümer mich ggf. der Geschmacksdiktatur des Designers (Fredrik Burchhardt) unterwerfen?
Und wie wäre die Rechtslage, wenn ich die Umlackierung (bzw. den Entwurf dazu) von einem berühmten Künstler erstellen lasse? Wenn also gewissermaßen zwei gesellschaftlich anerkannte Kunstverständnisse in Konflikt geraten? Dürfte ich auch dann keine Auswahl treffen? Wäre nicht der 'Umlackierer' seiner künstlerischen Freiheit beraubt, an seiner freien Kunstausübung gehindert?
Ich verkenne keineswegs, dass ein Architekturentwurf eine geistige Leistung hohen Ranges darstellen kann. Indes kann man die Intentionen der Entwerfer ohnehin aus den Plänen, ggf. Fotos und Modellen, entnehmen. Überhaupt ist es ja das Schicksal der Architekturkünstler, dass ihre Entwürfe häufig durch Sachzwänge geändert oder durch Sparzwänge beschnitten werden, so dass ihre geistige Leistung häufig nur anhand der Pläne gerecht beurteilt werden kann.
Dass muss aus meiner Sicht auch genügen, denn dass ein Bauwerk für die Bewohner (selbst wenn sie dessen Eigentümer sind) zum Prokrustesbett werden kann, nur weil ein Baumeister Änderungen untersagt, ist für mich völlig inakzeptabel. Ein solches Schicksal könnte schließlich auch mein / Ihr Wohnhaus treffen, wenn es von einem berühmten Architekten gebaut worden wäre! Der ästhetische Diskurs ist auf der gesellschaftlichen Ebene zu führen; ggf. muss die Politik über gravierende Änderungen debattieren, wenn diese das Bild beeinträchtigen könnten; entsprechende Normen - Eintragung in Denkmalliste, Ortssatzungen usw. - gibt es ja in Menge . Aber dass Architekten das Recht haben sollen, Menschen in eine ästhetische Zwangsjacke zu stecken, empört mich gewaltig.
Derartige Erscheinungen gehören aus meiner Sicht zur Ästhetisierung, Musealisierung und Verdenkmalung unserer Zivilisation. Diesem Paradigma bin zwar auch ich in vielfältiger Hinsicht verfallen, z. B. als Museums- und Denkmalbesucher (Baudenkmäler usw.), und z. B. kaufe ich auch als Konsument lieber "schöne" als "hässliche" Objekte. Ich will diese Entwicklung nicht durchweg verteufeln, aber vieles daran darf man mit Sicherheit als Dekadenzsymptome ansehen, auch eine kulturelle Versteinerung (im übertragenen, aber sogar auch im wörtlichen Sinne), eine Petrifizierung, Fossilisierung.
Mit anderen Worten: ich fühle mich unbehaglich, eingezwängt, wenn nicht gar eingesperrt in den juristischen Folterbetten moderner Rechtskodifizierungen für geistiges Eigentum. Die sind für mich eine Form von Freiheitsberaubung (wie übrigens auch die Rechte des Fotografen an einem - ggf. meinem - Bild).
Die ganze Entwicklung gehört in meinen Augen auch in eine säkulare Tendenz zur kultischen Überhöhung von Kunst, der unsere Gesellschaft zunehmend den Rang einer Religion zubilligt, und damit den Künstlern priesterliche Würden verleiht. Dies habe ich bereits früher in dem Blott "Künstler rächen Kaiser an der Kirche" kritisch thematisiert.
Von allen diesen Überlegungen abgesehen, wirkt sich das Urheberrecht an herausragenden architektonischen Leistungen nicht zuletzt auch in einem gesteigerten Komplexitätsgrad, hier von (Um-)Bauplanungen, aus: die Planer von Umbauten, Anbauten (wie ist die Situation bei nahen Neubauten, welche die Ästhetik des bereits vorhandenen Baubestandes ja ebenfalls beeinträchtigen können, z. B. indem sie Sichtachsen versperren?) müssen sich in solchen Fällen zunächst mit den Entwerfern der bereits bestehenden Gebäude abstimmen. Das kostet auch Geld, Steuergelder, also: MEIN Geld!
Nachtrag 25.01.2010
Durch Zufall kam ich heute wieder in den Blog (An)sichten des Wieners Alexander Schatten. Der schreibt sehr häufig, was auch ich denke (und manchmal ähnlich geschrieben habe).
In seinem Blott "Ausgesorgt oder Die Tantiemen des Vaters" setzt er sich ebenfalls kritisch mit der Hypertrophie der aus geistigem Eigentum abgeleiteten positiven Rechte (hier in finanzieller Hinsicht: Tantiemenansprüche der Erben) auseinander.
Nachtrag 30.01.2010
Die Fragwürdigkeit des Begriffs "Geistiges Eigentum" verdeutlicht, jedenfalls für eine ganz spezielle Fallkonstellation, der Bericht "Skandal im Kunstbezirk"
von Christine Eichel im Magazin Cicero (12/2009):
"Ein Werk des Künstlers Martin Kippenberger wurde jüngst für eine Rekordsumme versteigert. Kurz darauf kam heraus, dass ein anderer [nämlich der Berliner Götz Valien] das Bild gemalt hatte – im Auftrag Kippenbergers."
Textstand vom 29.04.2012. Auf meiner Webseite
http://www.beltwild.de/drusenreich_eins.htm
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