Aber das Thema der gesellschaftlichen Widerstände gegen ökonomische Erkenntnis trieb mich schon länger um, und daher ist der Text ein veritabler "Rundschlag" geworden.
"Fachlich
fundiert": Danke, Hr. Gunczy!
Aber, um Missverständnisse zu vermeiden, möchte ich hier
klarstellen, dass ich wirtschaftswissenschaftlicher Laie bin.
Das hat Nachteile, weil ich mit Mathematik überhaupt nicht
und mit Fachbegriffen nur mühsam klarkomme.
Der Vorteil ist, dass ich alles "zu Fuß"
durchdenken muss, Schritt für Schritt, und somit nicht, wie das in den (mehr
oder weniger) Geisteswissenschaften gelegentlich zu beobachten ist, verführt
bin, abgelöst von der Realität mit Begriffen zu jonglieren um meine eigenen
Kaninchen aus den Zylinder zu ziehen.
(Ein krasses Beispiel von realitätskonträrer Begriffsspielerei
ist etwa bei dem MMT-Theoretiker Wrandall L. Wray die Verwendung des Begriffs
"IOU" - Schuldschein - für
Geld . Der leitet eine angebliche Gleichwertigkeit von 3 sehr verschiedenen
Sachverhalten kurzerhand daraus ab, dass er sie alle mit demselben Begriff -
eben IOU - belegt. Näher s.
http://beltwild.blogspot.de/2014/03/time-to-say-goodbye-to-slipshod.html)
"Dabei wird allzu
gerne vergessen, dass diese Gelder vorher als Einnahmen deutscher Exporteure in
die deutsche Wirtschaft flossen."
Das ist ein zwar richtiger Satz, Michael Gunczy, aber der
ist wiederum seinerseits ergänzungsbedürftig durch die Feststellung:
"Dabei wird allzu
gerne vergessen, dass diese Gelder vorher als Einnahmen deutscher
Kapitalbesitzer in deren Taschen flossen."
Und das mögen typischer Weise die Großkonzerne sein,
Kommentator "MM", aber das
ist weder zwingend, noch ausschließlich: Auch so mancher Mittelständler
exportiert ja ganz gut.
Was ich denen an sich gern gönne, und worüber wir, rebus sic
stantibus (d. h. unter den gegebenen Systemparametern) auch froh sein können.
Allerdings stellt eine neue Studie des Instituts für
Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung m. E.
zutreffend fest
(http://www.boeckler.de/cps/rde/xchg/hbs/hs.xsl/45167_51581.htm ):
"Große
Ungleichheit ist nicht nur aus sozialer Sicht problematisch, sondern auch keine
gute Voraussetzung für eine solide Wirtschaftsentwicklung: Einkommensschwache
Haushalte und eine Mittelschicht mit stagnierenden Einkommen können nicht so
viele Güter kaufen, wie für Vollbeschäftigung nötig wäre. Investitionen in neue
Maschinen und Gebäude erscheinen deshalb nicht rentabel. So legen die Reichen
ihr Geld eher an den Finanzmärkten an. Dieser „Überersparnis“ steht eine
zunehmende Verschuldung unterer und mittlerer Einkommensklassen oder des
Auslands gegenüber, erklären die IMK-Forscher Jan Behringer, Thomas Theobald
und ihr Ko-Autor Prof. Dr. Till van Treeck, Wirtschaftswissenschaftler an der
Universität Duisburg-Essen. In beiden Fällen handele es sich nicht um
nachhaltige Wirtschaftsmodelle, betonen die Forscher."
Das ist natürlich die "Unterkonsumtionstheorie" (ich selber bevorzuge die Bezeichnung
"Überakkumulationstheorie", weil es für die
Kapazitätsauslastung im Prinzip egal ist, ob die Nachfrage von der Konsum- oder
der Investitionsseite ausgeht).
Und dass diese Sicht der Dinge von der Hans
Böckler-Stiftung, also von den Gewerkschafen, vertreten wird, kann auch nicht
überraschen; da steht natürlich auch die Interessenposition der
Arbeitnehmerseite dahinter.Aber ganz allgemein (und das wird leider sehr häufig übersehen, bzw. unter den Tisch gekehrt) ist eine Meinung nicht schon deshalb falsch, weil sie dem Partikularinteresse einer bestimmten Gruppe entspricht. Das ist zwar ein Grund zur Vorsicht, aber für sich genommen noch lange kein Ablehnungsgrund.
Und die 'Überakkumulationstheorie' (Unterkonsumtionstheorie) ist per se (mindestens) ebenso legitim wie das neoliberale Angebotsmantra, das eben auch keine göttlichen Wahrheiten verkündet, sondern (auch) eine wissenschaftlich verbrämte Interessenvertretung der Kapitalbesitzer ist. (Wobei ich, ganz allgemein, nicht verkenne, dass die Wirtschaftssubjekte nur das konsumieren können, was sie vorher produziert haben; von Nichts kommt Nichts.)
Eigentlich muss man nicht einmal ein Fachmann sein, um zu
begreifen, dass eine Wirtschaft nicht funktionieren kann, wenn eingenommene
Gelder nicht wieder (in der Realwirtschaft) ausgegeben werden: Man muss
lediglich im Monopoly-Spiel mal verloren haben. ;-)
Die modernen Hortungsformen - Kopfkissen ist ja megaout -
hat, für mich ebenso eindrucksvoll wie überzeugend, ein gewisser Christopher
Mensching fachwissenschaftlich so beschrieben: "Geldhortung als Nachfrageausfall in der Stromgrößensphäre" -
http://userpage.fu-berlin.de/~roehrigw/mensching/zfs-142-22-29.pdf .
Schädlich ist insoweit freilich JEDE Überakkumulation. Nicht
nur diejenige der Reichen, sondern ebenso beispielsweise die der chinesischen
Wanderarbeiter (denen Ben Bernanke den Schwarzen Peter zuschiebt in: "The Global Saving Glut and the U.S. Current
Account Deficit" -
http://www.federalreserve.gov/boarddocs/speeches/2005/200503102/default.htm und
auch in späteren Reden).
Und, last not least, die Kapitalakkumulation zur
Rentenfinanzierung im "Kapitaldeckungsverfahren".
(D. h. aus Zinsen und Kapitalverzehr; dem gegenüber funktioniert unsere
gesetzliche RV nach dem "Umlageverfahren":
Die Beiträge der Jungen finanzieren die Renten der Alten.)
Zu diesem ganzen Komplex hatte ich, bereits im Jahr 2004,
eine veritable "Doktorarbeit" (100 S. oder so) unter dem Titel
"Rentenreich" verfasst (http://www.beltwild.de/rentenreich.htm), die
mein erster entscheidender Einstieg in die Gedankenwelt der
Volkswirtschaftslehre war.
Die Ratio der Umstellung vom Umlageverfahren auf das
Kapitaldeckungsverfahren haben Prof. Hans-Werner Sinn u. a. in einem Gutachten
von 1998 darin gesehen, fehlendes Humankapital durch die Bildung von mehr
Sachkapital (also durch eine Steigerung der Investitionen) zu kompensieren.
Das ist schon intrinsisch eine fragwürdige Position für
Marktwirtschaftler. Denn als solcher müsste man ja davon ausgehen, dass der
Markt selber sein Investitionsoptimum findet (bzw. zum jeweiligen
Betrachtungszeitpunkt gefunden hat. Dem gegenüber läuft die schlaue Idee einer
'Humankapitalsubstitution' auf eine investive Zwangsstopfmast hinaus.
Darüber hinaus rentieren sich Investitionen nur dann, wenn
später jemand die Produkte kauft. Das ist etwas schwierig, wenn ich den
Menschen noch mehr Geld (zwecks Rentenvorsorge) wegnehme.
(Folgerichtig hatte Ben Bernanke China zur Einrichtung einer
Altersvorsorge aufgefordert, damit die Wanderarbeiter mehr Zukunftssicherheit
haben und mehr konsumieren, anstatt zu sparen. Was er - logisch als Vertreter
der Kapitalinteressen - dabei unterschlagen hat: Dass das UMLAGEverfahren noch
besser als ein Kapitaldeckungsverfahren fürs Entsparen sorgen kann.)
Das aber nur als Einschub um aufzuzeigen, dass sich die
Überakkumulationstheorie nicht zwangsläufig immer nur gegen "die
Reichen" richtet, sondern dass man da auch auf anderen Feldern nicht blind
sein darf. (Konkret ist das einfach eine Frage der quantitativen Proportionen;
dazu fehlt mir, wiederum ein Nachteil meines Laienstatus, die Qualifikation zum
"data mining" :-) ).
Kehren wir also zurück zu unserem eigentlichen Anliegen, bei
der Welt- Wirtschafts- und Finanzkrise zu verstehen (frei nach Niklas Luhmann):
- - Was ist der Fall?
- - Und was steckt dahinter?
Über diese beiden Fragen habe ich in meinem Blott "Es ist nicht gut, dass der Mensch allein
denke!" meditiert
(http://beltwild.blogspot.de/2010/02/es-ist-nicht-gut-dass-der-mensch-allein.html ).
Für zentral halte ich insoweit das Sinken der Geldumlaufgeschwindigkeit.
Das ist insofern freilich ein intellektuell gefährlicher
(und die sozioökonomische Realität potentiell verharmlosender) Begriff, als er
auf den 1. Blick suggeriert, Sie und ich würden jetzt den Euro zweimal
umdrehen, bevor wir ihn ausgeben.
Aber so ist es ja nicht. In Deutschland sind die Verbraucher
heute sogar ausgabenfreudiger als früher. Jedoch werden offenbar riesige Summen
jenseits der "Stromgrößensphäre" gebunkert.
Dadurch ergibt sich, jenes Phänomen, das man STATISTISCH als
sinkende Umlaufgeschwindigkeit des Geldes bezeichnen kann - solange man nicht
vergisst, welche REALITÄT dahinter steckt.
Das Problem mit Perspektiven wie der obigen sind massive
gesellschaftliche Widerstände, die sich aus zwei Quellen speisen.
Zum einen sind sie aus wirtschaftlichen Interessen geboren.
"Jeder" (außer mir ;-) ) hat ein paar Euronen auf dem Konto, und
fühlt sich deshalb angegriffen und bedroht, wenn jemand aufzeigt, dass ein
Über-Sparen volkswirtschaftliche Probleme auslösen kann.
Freilich muss den Sprechern selber die Interessenperspektive
keineswegs immer bewusst sein. Der Handelsblatt-Redakteur Norbert Häring
schreibt, für mich überzeugend, über die Wirtschaftswissenschaft
(http://www.gazette.de/Archiv2/Gazette39/Haering.pdf ):"Fratzscher drückt damit [mit seiner Forderung "dass die Forschungsergebnisse des Instituts [DIW] politisch neutral" sein sollen] die Lebenslüge der heutigen Ökonomen aus. Ihre Vorgänger haben zu Anfang des 20. Jahrhunderts scheinbar das Politische aus dieser Sozialwissenschaft verbannt, wie es im ursprünglichen englischen Namen „Political Economy“ zum Ausdruck kommt. In Wahrheit habe sie das Politische ihres Fachs aber nur so tief im Fundament der grundlegenden Annahmen vergraben, dass heutige Ökonomen nicht einmal mehr erkennen, dass sie die Interessen der Bezieher von Kapitaleinkommen zu Lasten der Interessen der Arbeitnehmer vertreten. Sie bilden sich tatsächlich ein, sie betrieben werturteilsfreie Wissenschaft."
Weitere Widerstandsnester verorte ich in einem anderen
intellektuellen Bereich.
Wir alle stehen unter dem kulturellen Druck, zu allem eine
Meinung zu haben.
(Ein hübsches Beispiel dafür lieferte einst eine US-Umfrage
zu einem angeblichen Gesetz über die metallischen Metalle:
http://en.wikipedia.org/wiki/Metallic_Metals_Act. Die Umfrage ist zwar
methodisch nicht unumstritten; aber, wie Giorgio Vasari sagen würde: Se non è
vero, è ben trovato: Selbst wenn sie nicht wahr sein sollte, wäre sie
anekdotisch treffend.)Wohl deshalb gibt es auch so viele Laien, die "ganz genau wissen", dass "das Geldsystem" an der Finanzkrise Schuld ist, oder "die Bankengier" oder "die Fed" (womöglich noch mit den Rockefellers und Rothschilds als Strippenziehern).
Dasselbe Problem hat natürlich auch die Wissenschaft. Ich
denke mal, dass auch schon die Pestärzte der frühen Neuzeit (Bild:
http://cid.oxfordjournals.org/content/34/8.cover-expansion ;-) ) "alles über die Pest wussten". Auf
diese Weise kommt man wissenschaftlich natürlich nicht weiter.
Nur wenn man (was Fachleuten noch schwerer fallen dürfte als
Laien) anzuerkennen bereit ist, dass man eben vieles, und vielleicht sogar das
Wesentliche - noch - nicht weiß, ist man motiviert, die Erkenntnissuche
vehement voranzutreiben.
Ich selber habe zwar keinerlei Überblick über die
wirtschaftswissenschaftliche Literatur. Aber wenn in der Meldung des
Böckler-Instituts behauptet wird, dass
"... viele
international führende Ökonomen die wachsende Ungleichheit als eine wesentliche
Ursache für die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 und 2009"
ansehen, dann habe ich so meine Zweifel. Zwar sind mir
einige derartige Stimmen untergekommen (etwa aus dem amerikanischen, wohl
marxistisch ausgerichteten, aber nach meinem Eindruck recht unideologischen
Magazin "Monthley Review"
http://monthlyreview.org/ , und schon lange VOR der Krise). Doch insgesamt scheint
es mir, dass jedenfalls im wirtschaftswissenschaftlichen Mainstream die Unterkonsumtionstheorie zwar als Erklärungsansatz
für die WWK 1 (1929 ff.) durchaus verbreitet war (vgl. mein "Yes, we know! Zumindest könnten wir die
eigentlichen Gründe für die neue Weltwirtschaftskrise kennen" -
http://beltwild.blogspot.de/2008/11/yes-we-know-zumindest-knnten-wir-die.html ),
aber heute ziemlich unter die Räder gekommen ist. (Oder unter die Räder
befördert wurde?)
Mit Patentrezepten habe ich meine Probleme, und ebenso mit
Rezepten, die explizit oder implizit auf der Annahme aufbauen, dass wir es mit
einer temporären technischen Störung zu tun hätten, die wir durch temporär
wirksame Maßnahmen (etwa: jedem Bürger ein paar Tausend Euro in die Hand
drücken:
http://www.faz.net/aktuell/finanzen/geldpolitik-der-geldregen-aus-dem-ezb-hubschrauber-13217990.html )
beseitigen könnten.
Als typisch für diese verfehlte Sichtweise kann man etwa
Daniel Stelter heranziehen, wenn er in seinem Blogposting "Warum investieren wir nicht"
(http://think-beyondtheobvious.com/warum-investieren-wir-nicht/ ) schreibt:
“Letztlich spielt es
keine Rolle, weshalb Unternehmen unzureichend investieren.”Dazu hatte ich dort kommentiert:
"Doch, gerade DAS ist entscheidend, wenn man das Gesamtsystem “Wirtschaft” und die längere Frist in den Blick, und vielleicht sogar in den Griff, bekommen will. Was nützt es denn, Investitionen steuerlich zu fördern, wenn die Produkte vielleicht nicht nachgefragt werden? Und es wäre ja immerhin möglich, dass sie (auch) deshalb nicht nachgefragt werden, weil die Steuereinnahmen nicht an die Kleinen verteilt werden (wo sie nachfragewirksam würden), sondern an die Unternehmen. Oder was hilft es, staatliche Investitionsaufgaben zu privatisieren, wenn hinterher der von den Benutzern zu entrichtende “Tribut” an die Vermögensbesitzer die Kaufkraft weiter schmälert."
Weil ich weiß, dass ich wenig weiß, verhökere ich meine
Meinungen auch nicht als Wunderheilmittel (amerikanisch: "snake oil" ;-) ) gegen die Krise.
Sondern ich betrachte das als Versuch einer Bildung von
Hypothesen, die dann in einer gigantischen und massiven Forschungsanstrengung verifiziert
werden müssten - aber eben auch falsifiziert werden können.
Von daher fordere ich ein "'Manhattan Project' für die Wirtschaftswissenschaften"
(http://beltwild.blogspot.de/2013/03/manhattan-project-fur-die_1.html .
Dass das eine gewaltige, und breit gefächerte
Forschungsanstrengung werden muss wird klar, wenn wir realisieren, dass wir
damit
a) die Dominanz der angelsächsischen Wirtschaftswissenschaft
infrage stellen würden
b) bereit sein müssten, das wirtschaftswissenschaftliche
Denken auch hinsichtlich einer potentiellen Interesseninfiziertheit selbstreflexiv
zu hinterfragen
c) Sachgebiete einbeziehen müssten, deren Zusammenhang mit
der Finanzkrise nicht unmittelbar an der Oberfläche liegt. (Beispielsweise habe
ich die angelsächsische Mark-to-market Bilanzierungsmethode im Verdacht, dass
sie die Generierung von Buchgewinnen ohne realwirtschaftliche Deckung
ermöglicht; vgl. meine Blotts "Kipper,
Wipper, Notenbanken"
(http://beltwild.blogspot.de/2009/01/die-credit-default-swaps-als.html und
"Neuartige Buchgeldschöpfung im
Finanzsystem als Ursache der Finanzmarktkrise: Heureka oder Denkfehler?"
(http://beltwild.blogspot.de/2009/02/neuartige-buchgeldschopfung-im.html .
Es gibt also viel zu tun: Packen wir es an!
Anpacken können wir das freilich nur dann, wenn wir uns
keine Illusionen darüber machen, DASS es viel zu tun gibt und dass unsere nationalökonomischen
Kenntnisse derzeit sehr dezidiert "room
for improvement" lassen! ;-)Nur so kommen wir weiter: Indem wir VERNETZT (ein Begriff des Umweltforschers Frederic Vester) denken: Alles infrage stellen, und alles, was in diesem Kontext in Betracht kommt, gedanklich kombinieren: Um endlich das Puzzle passend zu machen!
ceterum censeo
Zerschlagt den €-Gulag und den
offensichtlich rechtswidrigen Sch(l)undfunk der GEZ-Gebühren-Gier-Ganoven!
Textstand
vom 14.03.2024
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