Donnerstag, 28. März 2019

Logik ade beim Generalmajor a. D.: Gerd Schultze-Rhonhofs fragwürdiger Feldzug für Adolf Lämmleins Ehrenrettung


Wann immer ich auf Facebook in eine Debatte um die Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg verwickelt bin (die selbstverständlich einzig und allein Adolf Hitler trägt - vom Pazifik natürlich abgesehen), kommt früher oder später von Geschichtsrevisionisten der Hinweis: "Lies mal '1939 – Der Krieg, der viele Väter hatte: Der lange Anlauf zum Zweiten Weltkrieg' von Gerd Schultze-Rhonhof!"


DAS BUCH, DAS VIELE KÄUFER HATTE

Auch Björn Höcke hatte sich, in einem Interview mit dem Wall Street Journal vom 17.01.2017, auf dieses Buch bezogen, um zu begründen, dass Adolf Hitler nicht allein am 2. Weltkrieg Schuld sei:
"WSJ: Es gibt zum Beispiel den Historiker [Stefan] Scheil, ich habe gelesen, Sie haben zusammen mal mit ihm ein Interview gemacht in der Sezession. Was halten Sie von seinen Thesen? Da geht es ja auch darum die unmittelbare Schuld, oder wie auch immer, für den Anfang des Zweiten Weltkriegs etwas anders zu sehen.

Höcke: Also, Stefan Scheil hat sicherlich zu dem Thema profund geforscht. Es gibt andere Bücher ..... . Zum Beispiel, Gerd Schultze-Rhonhof, der kein Historiker von Hause aus ist, der aber ein sehr guter [hm: Was ist für den studierten Historiker Höcke dann ein SCHLECHTER???] Autodidakt ist, der aber ein Buch geschrieben hat, das heißt, “1939: Der Krieg, der viele Väter hatte.” Das ist über 50.000 Mal ..... verkauft worden und da geht’s eben darum. ..... Und es gibt viele Quellen, die darauf schließen lassen, ..... dass dieser 2. Weltkrieg nicht unbedingt zum 2. Weltkrieg — Betonung auf Weltkrieg — hätte werden müssen, wenn nicht auch interessierte Mächte am Werke gewesen wären, die diesen Krieg eskaliert haben."

Höckes Hinweis auf die Verkaufsziffern für dieses Buch ist offenkundig als Autoritätsargument gedacht, i. S. v. '50.000 Käufer können nicht irren'. Nun gehöre ich altersmäßig der 68er-Generation an, und da kommt mir sowas verdammt bekannt vor. Zu "meiner Zeit" ging es freilich um die Mao-Bibel, und die kam auf ganz andere Auflagenziffern. Entsprechend skandierte man damals: "Millionen Chinesen können nicht irren". Das kommt mir denn doch ziemlich irrational vor.

Sehr oberflächlich hatte ich mich schon bei Bekanntwerden des Höcke-Interviews (das vom WSJ selber nicht veröffentlicht worden war, jedoch später vom Interviewer ins Internet eingestellt wurde, um Falschbehauptungen vorzubeugen) mit dem Schultze-Rhonhof-Werk beschäftigt, bzw. Rezensionen usw. darüber gesucht und gelesen. Die Ergebnisse hatte ich in einem Facebook-Beitrag vom 04.03.2017 veröffentlicht.

Als ich aber kürzlich in irgend einem Zusammenhang wieder auf dieses Buch verwiesen wurde, stieß ich (über verschlungene Recherchepfade) auf eine im Internet frei zugängliche Version (die auch auf anderen Webseiten verlinkt ist; hier in anderem Format). 
Es handelt sich um die 2. ("durchgesehene") Auflage des Buches, die im Jahr 2003 (im gleichen Jahr wie die Erstauflage!) erschienen war und hat 566 paginierte Seiten (bzw. 565 S. ohne die Widmung an seinen Vater).

Am 13.09.2018 ist es bereits in der "10. überarbeitete(n) und erweiterte(n) Auflage" herausgekommen und hat jetzt 720 Seiten. (Amazon; die lediglich zwei Kundenrezensionen beziehen sich nur auf diese Auflage; vorher gab es schon 146 Rezensionen, die mir, nach flüchtiger Einsichtnahme, aber nicht sonderlich informativ erscheinen.) Zumindest ein Teil der Seitendifferenz dürfte aus dem Kapitel "Wirtschaftliche Kriegsgründe 1918 bis 1939" resultieren, das bereits in der vorangegangenen Auflage von 2015 (vielleicht auch schon in früheren) enthalten war.

Nachtrag 08.06.2020: Am 20.11.2019 ist die 11. erweiterte Auflage (736 S.) erschienen. 


DAS MACHWERK, DAS WENIGE KRITIKER HATTE

Ich habe nicht die Absicht, die Beschäftigung mit diesem Buch als Lebensaufgabe zu betreiben. Und ebenso wenig werde ich 48,- € in das Machwerk eines dilettantischen Geschichtsklitterers investieren. Dass Schultze-Rhonhof ein solcher ist, lässt sich einigen Buchbesprechungen usw. entnehmen:

  • "Im Generalsblick" des Historikers Christian Hartmann (FAZ vom 26.11.2003)
  • "Angriff auf Polen. Allein Hitler war am Zweiten Weltkrieg schuld" von Sven Felix Kellerhof (WELT 01.09.2009)
  • Aus diesem WELT-Artikel vom 20.11.2003 ist lediglich eine relativ kurze Passage von Interesse (meine Hervorhebung): "Der ehemalige Bundeswehrgeneral Gerd Schultze-Rhonhof zum Beispiel macht in seinem jetzt in zweiter Auflage erschienenen Band "1939 - Der Krieg, der viele Väter hatte" gleich sechs Staaten für den deutschen Angriff auf Polen verantwortlich. Zentral ist auch hier wieder die "Widerlegung" der (echten) Hoßbach-Niederschrift von November 1937, einem wichtigen Beweisstück im Nürnberger Hauptkriegsverbrecher-Prozess. Auch diesen Geschichtsmythos entzaubert das neue Buch von Benz. "Ohnehin konnte die gängige Strategie rechtsextremer Autoren, mit der vorgeblichen Entlarvung eines einzelnen Dokuments die ganze Beweisführung ins Leere laufen zu lassen, nur die überzeugen, denen jede Vorstellung von der Quellenlage fehlt", schreibt der Historiker Peter Widmann. Denn: "Für jeden Gedanken aus der Hoßbach-Niederschrift lassen sich vor und nach der Besprechung, die sie zum Gegenstand hat, viele entsprechende Zeugnisse finden." Widmann führt unabhängig voneinander an vier Bereichen des NS-Systems vor, dass der Krieg sowohl bewusstes wie unausweichliches Ziel der Regierung Hitler war: an der Ideologie, der Außenpolitik, der Rüstungswirtschaft und der Propaganda. Stets ergibt die seriöse Analyse dasselbe Resultat: "Ohne das Regime Hitlers hätte der Zweite Weltkrieg nicht begonnen."
  • Der unbedingt empfehlenswerten Analyse eines gewissen Jürgen Langowski, der Schultze-Rhonhof eine Reihe von vorsätzlichen Auslassungen aus Quellentexten, Weglassungen von wesentlichen Quellen und Verfälschungen nachweist.
  • Auf "Politikforen.net" gibt es einen Thread mit 250 Seiten, zeitlich von 2007 bis 2013 reichend, u. d. T. "Die Lügen des Gerd Schultze-Rhonhof". Dessen Lektüre habe ich mir erspart; erfahrungsgemäß findet man in solchen Forendebatten viel Blabla und nur vereinzelt wirklich substantielle Beiträge.
Im Grunde gibt es erstaunlich wenig Besprechungen bzw. Widerlegungen, und wenn, dann haben die meist einen sehr allgemeinen Charakter, sozusagen "global" aus der Vogelperspektive. (Wenn man bedenkt, dass das Schurkel-Regime mittlerweile jährlich 100 Millionen Euro Steuergelder für den "Kampf gegen Rechts" raushaut, dann fragt man sich, in welchen Löchern die verschwinden?)

Die m. W. einzige Ausnahme, die (anhand eines konkreten Fallbeispiels) wirklich in die Tiefe geht, stammt von einem gewissen Michael Quelle und trägt als eine Art Überschrift den Text "Es bleibt dann am Ende eine Naziquelle! -Überprüfung einer Behauptung von Generalmajor a. D. Schultze-Rhonhof" (wohl 2007 verfasst).

Dort erfährt man u. a.: 
Die "von Schultze-Rhonhof verbreitete Zahl von 557 000 Juden, die angeblich im benachbarten Deutschland Zuflucht gesucht hätten, ist nicht nur auf dem ersten Blick schon aufgrund der totalen Abschottung Nazi-Deutschlands gegenüber Zuwanderungen nicht nachvollziehbar, sie ist auch durch keine einzige ernstzunehmende Quelle belegt. Im Gegenteil, die Anzahl der in Deutschland lebenden Juden mit polnischen Pass nahm von 1933 – 1938 kontinuierlich ab."
Und
"Generalmajor a. D. Schultze-Rhonhof bezieht sich bei seiner Behauptung, dass 1933 bis 1938 557 000 Juden Polen verlassen und im benachbarten Deutschland Zuflucht suchen, letztendlich auf einem Nazi [Erich Kern], der wiederum keine Quellenangabe macht. ..... Schultze-Rhonhof ist inzwischen dazu übergegangen, seine Behauptung leicht abzuwandeln. Während er weiterhin schreibt „strömen 557.00 polnische Juden von Ost nach West, um in Deutschland den Verfolgungen in Polen zu entkommen.“ verändert er an anderer Stelle seine Behauptung. Er verbreitet jetzt: „daß in den Jahren von 1933 bis 1938 557.000 Juden ihr polnisches Heimatland verlassen und Zuflucht im benachbarten Deutschland oder auf dem Weg über Deutschland im westlichen Ausland suchen.
Und
"Schultze-Rhonhof offenbart bei dem hier aufgezeigten Umgang mit historischen Quellen und der Literatur eine Herangehensweise, die sich auch bei vielen anderen revisionistischen Buchautoren findet: Man bezieht sich bei Behauptungen auf einen anderen Autor, der wiederum einen anderen Autor als Quelle nennt. Es bleibt dann am Ende eine Naziquelle übrig, der eine nicht belegbare Behauptung zugrunde liegt."
(Die Zahl von 557 357 Juden erscheint in diesem Dokument, und zwar als Anzahl der aus dem Altreich, Ostmark und Böhmen und Mähren in der Nazizeit ausgewanderten Juden. Von daher mag Kern sie übernommen, gerundet und für seine Zwecke missbraucht haben.)

So tief wie dieser Michael Quelle (der ebenfalls kein Historiker ist) werde ich hier nicht einsteigen. Bzw. genauer gesagt: Etwas genauer schaue ich mir den Buchtext (wie gesagt, in der alten Version von 2003) schon an. Aber da ich weder Zeit noch Lust habe, einen intensiven Abgleich der S.-R.-Aussagen mit den Originalquellen bzw. mit den Feststellungen von Fachhistorikern zur Entstehung des 2. WK durchzuführen, konzentriere ich mich weitgehend auf eine INTRINSISCHE Analyse des Buches.

Das bedeutet, dass ich hauptsächlich einzelne Aussagen auf ihre logische Tragfähigkeit überprüfe bzw. auf ihre logische Vereinbarkeit mit Behauptungen, die der Autor an anderer Stelle des Buches aufgestellt hat.


DIE KRIEGSSCHULD, DIE IN DER KAUSALKETTE VERDAMPFT WURDE


Ohnehin habe ich nicht das ganze Buch gelesen; die ganze Vorgeschichte seit dem Versailler Vertrag erklärt zwar die URSACHEN des Krieges. Nicht aber die SCHULD am Kriegs'ausbruch'. 

Diese wichtige Unterscheidung ist mir durch die Debatte mit Facebook-Freunden klargeworden, die sich an das Posten der ursprünglichen Version meiner Textanalyse auf meiner Facebook-Seite anschloss.

Ein Kernproblem der Debatten um die - neutral gesprochen - "Entstehung" des 2. WK (bzw. überhaupt von Kriegen) ist nämlich, dass nicht sauber zwischen zwei ganz unterschiedlichen Fragestellungen getrennt wird:

  • KAUSALE URSACHEN des Krieges. Diese könnte, wer Gott wäre und alles wüsste, bis zu Adam und Eva zurückverfolgen.
  • SCHULD am Ausbruch des Krieges. Die hat immer derjenige, der einen Krieg DIREKT auslöst. (Ausgenommen "gerechte Kriege" entsprechend der einschlägigen philosophisch-juristischen Tradition).

Unter dem Begriff "Väter" eines Krieges lässt sich das eine wie das andere verstehen, die Kausalursache ebenso wie die Schuld. Und nach meinem Eindruck arbeitet Schultze-Rhonhof sehr bewusst mit dieser Doppeldeutigkeit: Die ellenlange Beschreibung der (vermeintlichen oder tatsächlichen) KAUSALursachen für den 2. WK (Versailler Vertrag usw.) soll die SCHULDursache - Adolf Hitler - in den Hintergrund drängen und dadurch den Täter (und mittelbar natürlich auch unser Deutschland) entlasten. (Von daher könnte man das Schultze-Rhonhof-Buch mit einem anwaltlichen Plädoyer eines Strafverteidigers vergleichen, der vermutlich ebenso vorgehen würde.)

Außerdem kommt nach meinem Eindruck bei S.-R. unterschwellig noch eine weitere Dimension hinzu, die er ebenfalls mit den beiden anderen verquirlt: Die Frage, wer (Volk, Generalität) was wann wusste. Anscheinend (ich habe nur einige Passagen in seinem Buch gelesen) geht es ihm ganz wesentlich auch darum, seine Offiziers"kollegen", d. h. die damalige Generalität, von dem offenbar bei den Nürnberger Prozessen erhobenen Vorwurf zu befreien, sich mit Hitler zu einem Angriffskrieg verschworen zu haben (vgl. z. B. S. 332). 

Diese Frage interessiert mich hier jedoch nicht.

Im vorliegenden Falle kann es bezüglich der Schuldfrage allenfalls eine Rolle spielen, ob die Westmächte Hitler mit List und Tücke in den Überfall auf Polen gelockt haben, bzw. ob er gar nicht anders konnte, als Polen anzugreifen. Oder beides NICHT der Fall war.

Die ganze Vorgeschichte könnte man, wenn man die Debatte als eine Art Strafverfahren verstehen will, allenfalls unter "mildernde Umstände" subsumieren.
Jedenfalls sehe ich keinerlei Anhaltspunkte für die eine oder die andere Variante einer Mitschuld anderer Staaten am 2. WK (wie gesagt: Bezogen auf Europa; Japan und der Pazifik interessieren vorliegend nicht).

Einen Präventivangriff Hitlers auf Polen behauptet wohl nicht einmal S.-R. Außerdem verurteilt er die Vereinnahmung der Rest-Tschechei ganz klar, obwohl er auch dafür militärische Gründe benennt. (Die gab es ja auch wirklich; nur waren das keine SCHULDBEFREIENDEN Gründe!). Heißt: Wenn man die Besetzung der Tschechei NICHT als (legitime) Präventivmaßnahme ansehen will, dann kann man für den Angriff auf Polen erst recht keine Präventivgründe unterstellen.

Und dass die Westmächte den Polen den Rücken gestärkt haben, rechtfertigt in keinster Weise den Überfall durch Hitler. Das waren keine aggressiven oder feindseligen Akte; dafür hatten sie, nach allem, was sie bisher mit Hitlers Politik erlebt hatten, nur allzu valide Gründe.



DAS WERK, DAS ADOLF ALS DEN 'FRAGENLÖSER' VERHARMLOSTE
 

Insgesamt habe ich bei meiner flüchtigen Durchsicht den Eindruck gewonnen, dass Hitler nach der Darstellung von S.-R. immer nur 'offene Fragen zu lösen versucht'. Die auch nach der Meinung des Autors unbedingt gelöst werden mussten (natürlich i. S. Deutschlands).
Wobei für S.-R. jegliche Rückgängigmachung von Bestimmungen des Versailler Vertrages ein legitimes Anliegen Deutschlands zu sein scheint. (Während für ihn französische Forderungen nach Rückgabe von Elsass-Lothringen - vor dem 1. WK - selbstverständlich unberechtigt waren 😁 )

Ausgenommen ist der Einmarsch in die Rest-Tschechei; den verurteilt S.-R. zwar einerseits ganz entschieden. Andererseits lässt er ihn aber gleichzeitig als irgendwie militärisch gerechtfertigte Vorsichtsmaßnahme erscheinen, weil damit ein möglicher 'feindlicher Flugzeugträger' quasi mitten im Reichsgebiet prophylaktisch ausgeschaltet worden sei.


DER TEXT, DER DIE STAATLICHE STEUERUNG DES NOVEMBERPOGROMS VERSCHLEIERTE
(09.11.1938)

Charakteristisch für die Geisteshaltung dieses Autors (der wohl auch vielfältig durch rechtsradikale Veranstaltungen getingelt ist - ausführlicher hier - um seinen Revisionismus zu verbreiten) erscheint mir u. a. seine Darstellung der "Reichskristallnacht", die dieses Ereignis als Ergebnis des spontanen Volkszorns erscheinen lässt ("Der Mord an Ernst vom Rath entfesselt im Deutschen Reich ein Feuer der Entrüstung"). Schließlich war der Mord, was S.-R. nicht zu erwähnen vergisst, schon der 2. Vorfall dieser Art. Da werden einschlägig vorprogrammierte Leser zweifellos denken: Da musste man doch mal was dagegen tun?

"Die Reichsregierung versucht, Tausende der armen [jüdischen] Flüchtlinge zurück nach Polen abzuschieben, doch dort sind sie inzwischen ausgebürgert und werden nicht mehr in ihr Land gelassen. Ein 18 Jahre alter Jude namens Grynszpan will die Aufmerksamkeit der Welt durch eine spektakuläre Tat auf das schlimme Schicksal seiner Glaubensbrüder lenken. Er erschießt, um dies zu tun, in der deutschen Botschaft in Paris einen ebenfalls noch jungen deutschen Diplomaten, den Legationssekretär vom Rath, und läßt sich dann verhaften. Das ist nach der Ermordung des Deutschen Wilhelm Gustloff, des Führers der Auslandsdeutschen in der Schweiz, durch einen Juden das zweite Attentat in dieser Art. Der Mord an Ernst vom Rath entfesselt im Deutschen Reich ein Feuer der Entrüstung. Am Tag nach der Tat Grynszpans brennen in Deutschland Hunderte von Synagogen. Jüdische Geschäfte werden zerstört, selbst Wohnungen geplündert. Die Nacht dieses schändlichen Pogroms vom 9. auf 10. November 1938 erhält die makabere Bezeichnung „Reichskristallnacht“. Kurz nach dem furchtbaren Ereignis werden weitere antijüdische Gesetze im Deutschen Reich erlassen. Die Wirkung auf das Ausland ist verheerend." (S. 173)
Bei dieser Darstellung verschweigt S.-R., dass die Aktionen dieser Nacht von Staat und NSDAP gelenkt waren.
Dass er von einem "Pogrom" spricht und dieses als "schändlich" klar verurteilt ist kein Ausgleich für sein Vertuschen der Hintergründe, die das PLANMÄSSIGE Vorgehen der Nazis gegen die Juden verschweigen und ihre Handlungsweise weniger verbrecherisch (und nicht nur "schändlich"!) erscheinen lassen soll, als sie es in Wirklichkeit war.


DIE BOMBE, DIE HITLER IN DER TASCHE HATTE - ODER DOCH NICHT?
(03.02.1933)

Schultze-Rhonhof widerspricht sich selber, wenn er einerseits zu einer Rede Hitlers vom 3. Februar 1933 meint (S. 298): "Der heutige Leser muß sich fragen, warum die Generale hier nicht die Bombe ticken hören, die Hitler offensichtlich [!!!] in der Tasche trägt", dann aber seine eigene Beurteilung von Hitlers Absichten sofort wieder negiert, indem er sie durch den Vergleich mit einer (völlig anders gearteten und außerdem öffentlichen) Rede Roosevelts aus der damaligen Zeit verharmlost.

Mit der Formulierung (S. 299) "Zur Zeit der Rede – das darf nicht übersehen werden – gibt es manche Interpretation, die Hitlers Andeutungen in offensichtlich gutem Glauben als überspitzte Formulierung einer an sich verständlichen Idee entschärft" will er wohl die Generale entlasten.
 
DAS mag er gerne tun; aber Hitlers Stoßrichtung ist zumindest ex post absolut eindeutig und wird an dieser Stelle sogar von S.-R. selber korrekt dargestellt:
"Aus diesem Siedlungsraum-Gedanken entwickelt Hitler vor den Generalen sein Programm: Konsolidierung der Wirtschaft zur Lösung des von ihm so gesehenen Lebensraum-Problems notfalls unter Einsatz von Streitkräften."
(Im Gegensatz zum Hoßbach-Protokoll kann er die Authentizität der vorliegenden Hitler-Äußerungen nicht grundsätzlich madig machen, weil die Texte in 3 verschiedenen Niederschriften vorliegen).


DIE GEHEIMBESPRECHUNG, DIE SCHULTZE-RHONHOF ZUR DROHKULISSE DEGRADIEREN WILL

(22.08.1939)

Über Hitlers Rede vor Generälen auf dem Obersalzberg vom 22.08.1939 (deren Kern er ebenfalls nicht als Fälschung verdächtigen kann, weil der Inhalt in mehreren Aufzeichnungen verschiedener Teilnehmer überliefert ist) schreibt er (S. 321):
"Hitler beginnt die Rede mit der Erklärung, daß er sich nun entschlossen habe, gegen Polen Krieg zu führen. Doch da die Gespräche zwischen der Reichsregierung und Polen weiterlaufen, ist es durchaus möglich, daß auch diese Worte nur zu Hitlers Drohszenario gehören. Im Falle der Tschechei, ein halbes Jahr zuvor, hatte Hitler allein mit der Ankündigung einzumarschieren, sein Ziel erreicht. Damals war kein Schuß gefallen. So bleibt trotz der eindeutigen Erklärung Hitlers für die Generale offen, was passiert."

Das ist Mumpitz in Potenz: Ein Drohszenario kann schließlich nur dann wirken, wenn es dem Gegner bekannt ist. Was diese Rede - und überhaupt die gesamte Besprechung - gerade NICHT werden sollte. Schon im vorangegangen Satz hatte S.-R. einen wesentlichen Umstand weggelassen:

"Die Rede, die Hitler in dieser angespannten Lage hält, könnte Aufschluß geben, ob er zu der Zeit wirklich Krieg um jeden Preis will, oder ob er mit dem massiven Druck der Drohung mit dem Krieg versucht, Polen die deutsche Stadt Danzig abzuringen. Selbst dieses große Aufgebot an Generalen auf dem Obersalzberg, das dem Ausland nicht verborgen bleibt, könnte dazu dienen, den Druck auf Polen zu erhöhen."
Gegenüber den Fakten (vgl. diesen WELT-Artikel) verschweigt S.-R., dass die Militärs IN ZIVIL antreten mussten (vgl. auch hier). Was ein klares Indiz dafür ist, dass Hitler eben NICHT wollte, dass etwas über das Treffen bekannt wurde. Auch deshalb kann die Kriegsankündigung vor den Generalen nicht als Drohkulisse gegenüber Polen gemeint gewesen sein kann. (Vgl. auch diese völlig eindeutige Erinnerung des Generaladmiral a.D. Hermann Boehm - von 1971 - auf dessen Protokoll S.-R. ja aufbaut.) 


Dass die Rede dennoch im Ausland (nämlich den Briten) bekannt wurde heißt nicht, dass Hitler das gewollt oder gewünscht hätte. Im einschlägigen Wikipedia-Artikel erfahren wir über das Bekanntwerden:
"Beim Nürnberger Prozess tauchte eine weitere, offenkundig gefälschte Version der Rede, die sogenannte Dschingis-Khan-Rede (IMT-Dokument L-003) auf. Sie enthält unglaubwürdige, besonders brutale und blutrünstige Redewendungen. Sie wurde in deutschen Widerstandskreisen erstellt, um die britische Regierung vor Hitler zu warnen. Diese Fälschung wurde auf Veranlassung von Generalstabschef Generaloberst Ludwig Beck an den britischen Journalisten Louis Lochner übergeben, der sie spätestens am 25. August 1939 an die Britische Botschaft in Berlin weiterleitete. Der Militärgerichtshof lehnte diese Version als Beweisstück ab."

Beck war zu diesem Zeitpunkt bereits ein entschiedener Gegner Hitlers, hat also ganz sicher nicht in dessen Auftrag oder Interesse die Briten informiert.
Dieses Bekanntwerden verschweigt S.-R. wiederum. Schließlich würde es seine These erschüttern, dass es die Briten (und Franzosen und Amerikaner) waren, die auf den Krieg hingearbeitet hätten. Und die Bündnistreue der Briten usw. gegenüber Polen als das ausweisen, was sie real war: Eine (absolut legitime) Verteidigung eigener Interessen und Vertragstreue gegenüber Polen.

(Dass es sich bei der den Briten zugespielten Fassung um eine Fälschung handelt, ist in dieser Hinsicht unerheblich. Weil der Inhalt sogar verschärft worden war, hätten die Briten umso mehr Grund gehabt, gegen Hitler standhaft zu bleiben oder sogar präventiv gegen ihn vorzugehen.)
 

Weiterhin: Nachdem S.-R. ausgiebig die Verlässlichkeit der verschiedenen Notizen über diese Hitler-Rede diskutiert hat, bespricht er die Niederschrift des Generaladmirals Hermann Boehm. Auf S. 327 zitiert er aus dem Boehm-Text (den er selber für zuverlässig hält):
"Absicht [Hitlers] noch im Frühjahr war, die Lösung der polnischen Frage hinauszuschieben, sozusagen auf Eis zu legen, um erst die nach seiner Ansicht unvermeidbare Auseinandersetzung im Westen auszutragen. Jedoch darf man sich als Politiker hinsichtlich einer Zeitfolge nicht festlegen, müsse elastisch sein." (S. 327)

Auf S. 328 deduziert S.-R. daraus die Behauptung
"Von Plänen Hitlers, selber später Frankreich oder England anzugreifen, von der 'restlosen Zertrümmerung Polens' oder gar von einer 'deutschen Erdherrschaft' [in einer anderen Niederschrift] ist bei Boehm nicht ein einziges Wort zu lesen."

Was Frankreich und England angeht, ist die Interpretation von S.-R. schlicht falsch. Selbstverständlich ist Hitlers Hinweis, dass er eigentlich ZUNÄCHST gegen die Westmächte und erst DANACH gegen Polen vorgehen wollte ("... die Lösung der polnischen Frage hinauszuschieben, sozusagen auf Eis zu legen, um erst die nach seiner Ansicht UNVERMEIDBARE Auseinandersetzung im Westen auszutragen") ein klarer Hinweis darauf, dass Hitler den Krieg (auch) im Westen WOLLTE!

In der Version von Halder, die S.-R. offenbar ebenfalls für verlässlich hält (vgl. S. 330) heißt es in dieser Hinsicht:

"Militärischer Waffeneinsatz [gegen Polen] nötig, bevor letzte große Auseinandersetzung mit dem Westen kommt; Erprobung des Instruments."
Auch das ein klarer Hinweis darauf, dass Hitler zu einem Krieg gegen die Westmächte entschlossen war.
Und wenn man dann z. B. bei Halder noch die umfangreichen strategischen Überlegungen Hitlers zum Krieg gegen Polen liest, dann kann nur ein Dummkopf oder ein vorsätzlicher Geschichtsklitterer auf die Idee kommen, er habe mit dieser Generalsbesprechung lediglich eine Drohkulisse aufbauen wollen.

Doch S.-R. führt den Leser an der Nase herum auf eine völlig irrelevante Fährte: "Die Brisanz der Rede liegt in etwas anderem. ...." (S. 322).
Es muss das Geheimnis des Generals bleiben, wie er derartige dreiste Geschichtsklitterungen mit seiner Offiziersehre vereinbaren kann.


DER FÜHRER, DER STETS NUR "OFFENE FRAGEN" LÖST. 

UND DIE SELBSTBESTIMMUNG, DIE NUR FÜR WEISSE VÖLKER GILT

Auch das Kapitel "Die offene [!] koloniale Frage" (S. 211 ff.) zeigt, dass es der Autor
a) mit der Selbstbestimmung der Völker nicht gar so ernst nimmt - sobald es um Nichtweiße geht und
b) eine Totalrevision des Versailler Vertrages, einschl. Rückgabe der verlorenen Kolonien, für ein legitimes Ziel des damaligen Deutschland hält.


DIE ANGRIFFSPLANUNG, DIE EIN VERTEIDIGUNGSPLAN GEWESEN SEIN SOLL
(03.04.1939)

Auf S. 414 berichtet S.-R., dass Hitler mit der Weisung vom 3. April 1939 für den „Fall Weiß“ den Auftrag gegeben habe, "die Bearbeitung eines Angriffsplans gegen Polen so vorzunehmen, daß der Angriff ab dem 1. September 1939 möglich" sei (meine Hervorhebung). 

Die Weisung ist hier separat sowie in dieser Sammlung online. Ursprünglich war sie, von Walter Hubatsch, in Buchform herausgegeben worden. Dieses Werk hat S.-R. in sein Literaturverzeichnis aufgenommen und kennt somit den vollen Text. (Er hat also nicht etwa lediglich die bei ihm wiedergegebenen Auszüge von einem anderen revisionistischen Autor übernommen.)

Er zitiert daraus wie folgt:
"I. Die gegenwärtige Haltung Polens erfordert es, über die bearbeitete Grenzsicherung Ost hinaus die militärischen Vorbereitungen zu treffen, um notfalls jede Bedrohung von dieser Seite für alle Zukunft auszuschließen.
1. Politische Voraussetzungen und Zielsetzung:
Das deutsche Verhältnis zu Polen bleibt weiterhin von dem Grundsatz bestimmt, Störungen zu vermeiden. Sollte Polen seine bisher auf dem gleichen Grundsatz beruhende Politik gegenüber Deutschland umstellen und eine das Reich bedrohende Haltung einnehmen, so kann eine endgültige Abrechnung erforderlich werden. ... Die politische Führung sieht es als ihre Aufgabe an, Polen in diesem Fall womöglich zu isolieren, d. h., den Krieg auf Polen zu beschränken. ...
2. Militärische Forderungen:
Die großen Ziele im Aufbau der deutschen Wehrmacht bleiben weiterhin durch die Gegnerschaft der westlichen Demokratien bestimmt.
[Die folglich allen Grund hatten, nicht noch weiter nachzugeben!] Der „Fall Weiß“ bildet lediglich eine vorsorgliche Ergänzung der Vorbereitungen, ist aber keineswegs als die Vorbedingung einer militärischen Auseinandersetzung mit den Westgegnern [die Hitler also offenbar auf jeden Fall will!] anzusehen.
3. Aufgabe der Wehrmacht:
Die Aufgabe der Wehrmacht ist es, die polnische Wehrmacht zu vernichten...


Die Schlussfolgerung, die der Militärexpert Schultze-Rhonhof aus diesem Text zieht, ist abenteuerlich und spricht jedweder Logik Hohn (S. 414/415):

"Die Formulierungen zeigen, daß dies eine 'Vorratsweisung“ für den Fall ist, daß Polen auf eine Heimkehr Danzigs gegen seinen Willen mit einer Kriegserklärung reagiert. Die Drohung dazu hat der polnische Botschafter Lipski ja gut eine Woche vorher vor dem deutschen Außenminister von Ribbentrop 'von Amts wegen' ausgesprochen.
Was S.-R. hier von einer "Heimkehr" Danzigs" spricht, dann erkennt er diese Forderung Deutschlands implizit als berechtigt an. Und delegitimiert die polnische Ablehnung dieser Forderungen. Das kann man aus national-deutscher Perspektive (die offenkundig diejenige von S.-R. ist) so sehen; Fakt ist allerdings, dass dieser Status der internationalen Rechtslage entsprach. Wenn es Hitler tatsächlich darum gegangen wäre, "Störungen im Verhältnis zu Polen zu vermeiden", dann hätte er die polnische Position in dieser Frage als berechtigt (i. S. v. juristisch legal) akzeptieren müssen.

Auf S. 413 hatte S.-R. bezweifelt, daß Polens spätere Eroberung zu der Zeit schon das unbedingte Ziel Hitlers sei und dieser sie lediglich "als Möglichkeit für den Fall einer auch damals nicht auszuschließenden massiven Provokation durch Polen" in Betracht gezogen habe. 
Außerdem heißt es dort: "Vorläufig beabsichtigt Führer nicht, die polnische Frage zu lösen. Sie soll nun aber bearbeitet werden." Zum einen fehlt hier jegliche Einschränkung auf Danzig (sonst müsste es "Danziger Frage" heißen!). Zum anderen kann "VORLÄUFIG ... nicht ... lösen" nur heißen, dass er sie zu einem späteren Zeitpunkt sehr wohl "lösen" will. Und dass diese "Lösung" eine gewaltsame sein soll ist schon deshalb anzunehmen, weil die Weisung, auf die S.-R. sich an dieser Stelle bezieht, an den Oberbefehlshaber der Wehrmacht erging.
Und schließlich berichtet S.-R. sogar selber über den Inhalt der Weisung:
"Im weiteren wird ausgeführt, daß ein späterer Angriff gegen Polen günstige politische Voraussetzungen haben müßte."

Schon auf der Folgeseite soll jedoch eine Provokation Deutschlands gegen Polen (die völkerrechtswidrige Einverleibung Danzigs) der potentielle Kriegsauslöser sein.
Überzeugend ist diese argumentative Achterbahnfahrt nicht.
Aus Nazi-Sicht allerdings war eine 'Heimholung' Danzigs zweifellos Deutschlands gutes (moralisches) Recht. Und wenn sich Polen (wohlgemerkt: In Übereinstimmung mit der seinerzeitigen Rechtslage!) dagegen gewehrt hätte, dann wäre das aus deren Sicht wohl tatsächlich eine Provokation Polens gegen Deutchland gewesen. Möglich ist, dass sich S.-R. diese Sicht der Nazis (die für ihn ja immer nur "offene Fragen lösen" wollten) innerlich zu eigen gemacht hat

Von Danzig ist auch gar nicht die Rede in der Weisung, sondern von einem Szenario, bei dem Polen "eine das Reich bedrohende Haltung" einnimmt. In diesem Falle wäre es jedoch Polen, das den Konfliktzeitpunkt bestimmen würde - und könnte das jederzeit tun. Mithin müsste die Wehrmacht AB SOFORT bereit sein, den angeblich von Hitler befürchteten polnischen Angriff abzuwehren. Wer die Vorbereitung eines ANGRIFFS ab einem bestimmten Zeitpunkt befiehlt, der will sich ganz gewiss NICHT auf die Abwehr eines zu einem unbestimmten Zeitpunkt erwarteten Angriffs vorbereiten.

Die einführende Bemerkung von S.-R., betr. Angriffsbereitschaft zum 01.09.1939, findet sich nicht in der Weisung selber, sondern in einem Anhang, der unterzeichnet ist mit "Der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Raeder" (in der Weisungssammlung mit abgedruckt):
"Termin für die Vorarbeiten:
Nach der Weisung des Führers hat die Bearbeitung des Falles „Weiß“ so zu erfolgen, daß die Durchführung ab 1. 9. 1939 jederzeit möglich ist. Da auf Grund der jüngsten politischen Entwicklung jedoch nicht mit Sicherheit zu übersehen ist, ob die politische Führung nicht gezwungen sein wird, die Durchführung bereits zu einem früheren Zeitpunkt zu fordern, ist größte Beschleunigung der Vorarbeiten notwendig. Die Weisungen und Befehle des Befehlshabers der Gruppe Ost sind mir daher bis zum 15.6. vorzulegen.
"

Auch diese Formulierungen zeigen klar, dass Hitler keineswegs einen polnischen Angriff befürchtet, sondern selber - falls sich eine günstige Gelegenheit ergibt - einen Angriff auf Polen plant.
 

Außerdem hat S.-R. an dieser Stelle bereits wieder vergessen, was er gerade erst (auf S. 413) über eine Weisung Hitlers (die ich im Internet leider nicht finde*) vom 25.03.1939 an den Oberbefehlshaber des Heeres, Generaloberst von Brauchitsch, mitgeteilt hatte:
Danziger Frage: Lipski kommt am Sonntag, dem 26. März, aus Warschau zurück. (Er) Hatte den Auftrag, dort anzufragen, ob Polen zu einem Arrangement bzgl. Danzig bereit sei. ... Führer will die Danziger Frage jedoch nicht gewaltsam lösen. (Er) Möchte Polen nicht dadurch in die Arme Englands treiben. ...
Polnische Frage: Vorläufig beabsichtigt Führer nicht, die polnische Frage zu lösen. Sie soll nun aber bearbeitet werden. ...“

Im weiteren wird ausgeführt, daß ein späterer Angriff gegen Polen günstige politische Voraussetzungen haben müßte."
Der Ausdruck "polnische Frage" und der Hinweis auf einen "späteren Angriff" widerlegen jegliches Gefasel, dass die Weisung zur Angriffsbereitschaft ab dem 01.09.1939 in irgend einer Weise defensiv gemeint sein könnte.
* Nachtrag 03.08.2021: Die fragliche Weisung ist abgedruckt (und online verfügbar)
in den "AKTEN ZUR DEUTSCHEN AUSWÄRTIGEN POLITIK 1918-1945", Reihe D, Bd. 6, Nr. 99 (S. 98/99).
Nachtrag 21.08.23: Verräterisch (für seine Angriffsabsichten) ist die hier von Hitler selber vorgenommene Unterscheidung zwischen "Danziger Frage" und der "polnischen Frage"!!!
 

Nicht zuletzt verheimlicht der ehrenwerte Herr Generalmajor seinen Lesern jene Passage in der Weisung zum "Fall Weiß", die auf den ersten Satz nach "Aufgabe der Wehrmacht" (oben Ziff. 3) folgt (meine Hervorhebung:

"Hierzu ist ein überraschender Angriffsbeginn anzustreben und vorzubereiten. Die getarnte oder offene allgemeine Mobilmachung wird erst am Angriffsvortage zu dem spätest möglichen Termin befohlen werden."
 

Weiterhin unterschlägt er, dass das Dokument ein Kapitel "Aufträge der Wehrmachtteile" enthält. Wo es z. B. heißt (meine Hervorhebung):
"Die Luftwaffe ist, unter Belassung der notwendigen Kräfte im Westen, überfallartig gegen Polen einzusetzen".

Wie überhaupt diese militärischen Weisungen eindeutig einen Angriffscharakter haben - was einem gestandenen Generalmajor nicht entgehen kann. Es ist somit völliger Schwachsinn zu behaupten, dass diese Weisung (militärische) Reaktionen für den Fall einer polnischen Kriegserklärung beinhalte.
 

Den aggressiven Charakter des Dokuments (bzw. von Hitlers Plan) enthüllt auch ein (von S.-R. ebenfalls weggelassener) Satz unter Ziffer 1, der Hitler offenbar "durchgerutscht" ist und der seine wahren Pläne völlig eindeutig verrät: 
"Eine zunehmend krisenhafte innere Entwicklung Frankreichs und eine daraus folgende Zurückhaltung Englands könnten eine derartige Lage in nicht zu ferner Zeit entstehen lassen."
Indem Hitler sich mit dieser Weisung auf ein Szenario vorbereitet, bei dem England sich raushält und Frankreich mit sich selber beschäftigt ist, kann sie nur als Plan für einen Überfall auf Polen bei einer evtl. eintretenden günstigen Gelegenheit gedeutet werden. Und genau diese Formulierung hatte Hitler kurz zuvor gegenüber Generaloberst von Brauchitsch verwendet.

Tatsächlich beweist also dieses Dokument, was sich auch aus anderen Unterlagen ergibt (sowie aus dem späteren tatsächlichen Ablauf der Geschehnisse): Dass Hitler den Krieg nach BEIDEN SEITEN wollte, gegen die Westmächte wie im Osten gegen Polen. (Und ebenso gegen Russland; aber das ist hier nicht erkennbar und war zweifellos für einen späteren Zeitpunkt geplant.) Nur wollte er den Krieg nicht gleichzeitig in beide Richtungen führen, sondern, abhängig von den politischen Rahmenbedingungen, erst die eine und dann die andere Seite besiegen und erobern.

Ob das für die Zeitgenossen ebenso eindeutig erkennbar war wie heute für uns, ist eine Frage, die man selbstverständlich aufwerfen darf (S. 330 ff.). Nur darf man sie nicht mit der ganz anderen Frage verquirlen, ob Hitler die Alleinschuld am 2. WK trägt oder nicht.


DER RÜSTUNGSPLAN, DEN ADOLF LAMM AUS NACKTER ANGST VOR ONKEL JOSEF* MACHTE
(August 1936) *Stalin

In der mir vorliegenden überholten Auflage behandelt S.-R. ein wichtiges Dokument noch nicht, dass ebenfalls den Kriegswillen Hitlers erkennen lässt: Hitlers Denkschrift zum Vierjahresplan, verfasst im August 1936.
Inzwischen dürfte S.-R. auch diese in seine Betrachtungen einbezogen haben; jedenfalls erscheint sie auf seiner Webseite "Vorkriegsgeschichte" im Kapitel "Wirtschaftliche Kriegsgründe 1918-1939" (meine Hervorhebung):
"Fußnote zu Vierjahresplan 1936: Hitlers schriftliche Aussagen in seinem Vierjahresplan beziehen sich auf einen von ihm als unausweichlich angesehenen Abwehrkampf Deutschlands gegen einen zukünftigen Angriff der bolschewistischen Sowjetunion."


Die Denkschrift wurde, zusammen mit einem umfangreichen Einführungstext, 1955 abgedruckt (ab S. 21 der pdf-Datei) in den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte.
Bereits der Anfang zeigt unmissverständlich, worum es Hitler WIRKLICH ging (Hervorhebungen in einzelnen Passagen von mir):
"Politik ist die Führung und der Ablauf des geschichtlichen Lebenskampfes der Völker. Das Ziel dieser Kämpfe ist die Behauptung des Daseins."
 

Nach weiteren allgemeinen Ausführungen, dass kein Staat den großen historischen Auseinandersetzungen ausweichen könne, geht es dann in der Tat um den Marxismus:
"Kein Staat wird sich dieser geschichtlichen Auseinandersetzung entziehen oder auch nur fernhalten können. Seit sich der Marxismus durch seinen Sieg in Rußland eines der größten Reiche der Welt als Ausgangsbasis für seine weiteren Operationen geschaffen hat, ist diese Frage zu einer bedrohlichen geworden. Einer in sich selbst weltanschaulich zerrissenen demokratischen Welt tritt ein geschlossener autoritärer weltanschaulich fundierter Angriffswille gegenüber. Die militärischen Machtmittel dieses Angriffswillens steigern sich dabei in rapider Schnelligkeit von Jahr zu Jahr."

"Deutschland wird wie immer als Brennpunkt der abendländischen Welt gegenüber den bolschewistischen Angriffen anzusehen sein. Ich fasse dies nicht als eine erfreuliche Mission auf, sondern als eine leider durch unsere unglückliche Lage in Europa bedingte Erschwerung und Belastung unseres völkischen Lebens. Wir können uns aber diesem Schicksal nicht entziehen."

Mit "Brennpunkt" kann nicht Angriffsziel gemeint sein, sonst hätte Hitler das entsprechend formuliert. Es käme auch niemand auf die Idee, dass eine Opferstellung eine "Mission" sein könne, schon gar nicht eine "erfreuliche Mission". Solche Redensarten machen nur dann Sinn, wenn man den KAMPF gegen den Bolschewismus als (Deutschland 'auferlegte' und von D. - mit welchen Gefühlen auch immer - akzeptierte) "Mission" versteht.

Der Text steht also voll im Rahmen von Hitlers vulgärdarwinistischem Weltbild mit der in seiner Vorstellung unausweichlichen Alternative 'Fressen oder gefressen werden', Hammer oder Amboss der Weltgeschichte zu sein.

"Alle diese [westlichen, von Demokratie und Marxismus nach Hitlers Vorstellung innerlich zersetzten] Länder wären unfähig, jemals einen aussichtsvollen Krieg gegen Sowjetrußland zu führen. Wie denn überhaupt außer Deutschland und Italien nur noch Japan als eine der Weltgefahr gegenüber standhaltende Macht angesehen werden kann."

Man beachte, dass Hitler nicht von einem aussichtsvollen ABWEHRKAMPF spricht, sondern von Krieg; auch das ein Indiz für seine Angriffsabsichten.

"Es ist nicht der Zweck dieser Denkschrift, die Zeit zu prophezeien, in der die unhaltbare Lage in Europa zur offenen Krise werden wird."

Warum schreibt Hitler nicht einfach: 'Zu prophezeien, wann die Russen angreifen werden', sondern redet über eine "unhaltbare Lage", und zwar nicht speziell im Osten, sondern "in Europa"?
 

Gewiss: Gleich im Anschluss malt er die fürchterlichen Folgen eines Sieges des Bolschewismus über Deutschland an die Wand und untersucht "Deutschlands Abwehrfähigkeit":
"Das Ausmaß und das Tempo der militärischen Auswertung unserer Kräfte können nicht groß und nicht schnell genug gewählt werden! ..... Wenn es uns nicht gelingt, in kürzester Frist die deutsche Wehrmacht in der Ausbildung, in der Aufstellung der Formationen, in der Ausrüstung und vor allem auch in der geistigen Erziehung zur ersten Armee der Welt zu entwickeln, wird Deutschland verloren sein! ..... Die Nachwelt wird uns dereinst auch nicht die Frage vorlegen, nach welchen Methoden oder heute gültigen Auffassungen, Ansichten usw. wir die Rettung der Nation durchführten, sondern ob wir sie durchführten.

Dass Hitler seine Angriffspläne hier als defensive Maßnahmen hinstellt, kann jedoch nicht überraschen. Die Militärs waren durchaus skeptisch gegenüber Deutschlands militärischen Fähigkeiten, einen neuen großen Krieg zu führen: Die Lehren aus dem Zusammenbruch im Ersten Weltkrieg hatten sie keineswegs vergessen.

In dem Abschnitt "Die wirtschaftliche Lage Deutschlands" thematisiert S.-R. das, was sich für Hitler als Problem des "Lebensraums" darstellte:
"1) Wir sind übervölkert und können uns auf der eigenen Grundlage nicht ernähren. ............ 

5) Es ist aber gänzlich belanglos, diese Tatsachen immer wieder festzustellen, d. h. festzustellen, daß uns Lebensmittel oder Rohstoffe fehlen, sondern es ist entscheidend, jene Maßnahmen zu treffen, die für die Zukunft eine endgültige Lösung, für den Übergang eine vorübergehende Entlastung bringen können.
6) Die endgültige Lösung liegt in einer Erweiterung des Lebensraumes bzw. der Rohstoff- und Ernährungsbasis unseres Volkes. Es ist die Aufgabe der politischen Führung, diese Frage dereinst zu lösen."

Der Schluss des Dokuments lässt keine Zweifel an Hitlers unbedingtem Kriegswillen zu:
"Ich stelle damit folgende Aufgabe:

I. Die deutsche Armee muß in 4 Jahren einsatzfähig sein.
II. Die deutsche Wirtschaft muß in 4 Jahren kriegsfähig sein."

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Selbst bei meiner nur flüchtigen Einsicht in das Buch sind mir eine Fülle weiterer Ungereimtheiten aufgefallen. Doch diese hier darzustellen, oder gar den Versuch einer mehr systematischen Auseinandersetzung mit diesem revisionistischen Machwerk zu unternehmen, ist mir zu viel Arbeit. Zumal ich mir ohnehin kaum Erfolge davon verspreche: Die Dumpfbacken sind rationalitäts-resistent - und die meisten anderen Menschen verschwenden von vornherein keine Lebenszeit auf solche Geschichtsklitterung.


Aus eben diesem Grunde habe ich mir ja auch nicht die Kosten und Mühe gemacht, die aktuelle Auflage zu untersuchen. Aber hat es denn überhaupt einen Wert, den modus operandi des Generalmajors a. D. anhand einer überholten Auflage seines Buches zu studieren? Ich denke schon:
Zum Einen kann ich mir vorstellen, dass die oben behandelten Textstellen noch immer nicht (wesentlich) verändert sind.
Zum anderen und vor allem aber mag es den ein oder anderen, der vorurteilsfrei an das Buch herangeht, zur Anregung dienen, es wirklich kritisch zu lesen und seinerseits, umfassender als ich das hier tue, auf innere Widersprüche und (sofern man als Laie Fakten ohne unzumutbare Mühe anderweitig verifizieren kann) Falschbehauptungen abzuklopfen. 


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WEITERFÜHRENDE LITERUR ZUM THEMA 

(Zufallsfunde; unsystematische Aufstellung):

WIKIPEDIA-STICHWORTE:


Nachträge 26.03.2024

Auf der Webseite der Bundesanstalt für Politische Bildung (bpb) ist der Aufsatz "Zur Diskussion über die Schuld am Zweiten Weltkrieg" von Hermann Graml aus dem Jahr 1964 veröffentlicht. Der Text war in der Zeitschrift "Aus Politik und Zeitgeschichte" erschienen und muss aus dieser gedruckten Vorlage eingescannt worden sein. Offenbar wurde das Ergebnis nicht mit der Vorlage abgeglichen. Das erklärt einige Schreibfehler, hier und da auch unverständliche "Wörter". Insgesamt tauchen die aber nur gelegentlich auf und beeinträchtigen das Textverständnis nicht wirklich.
In seiner Auseinandersetzung mit zwei damals erschienenen Büchern, die den "Führer des nationalsozialistischen Deutschland von jeglicher Kriegsschuld" freisprachen:
  • Die Ursprünge des Zweiten Weltkriegs", verfasst vom Engländer A. J. P. (Alan John Percivale) Taylor und 
  •  „Der erzwungene Krieg" von dem Amerikaner David L. Hoggan.
weist Graml überzeugend nach, dass es sich bei beiden Werken um Geschichtsklitterung handelt. Die von ihm vorgebrachten Argumente lassen sich in weiten Teilen (z. B. die Kapitel "Hitlers Lebensraum-Programm", "Krieg im Zentrum von Hitlers Denken", "Innenpolitik dem außenpolitischen Programm untergeordnet") auch gegen Schultze-Rhonhof (und andere Kriegsschuldleugner) ins Feld führen. Zwar konstatiert Graml auch "Polnische und sowjetische Verantwortlichkeiten", die er so beschreibt:
"... während der polnischen Krise ... steuerte der polnische Außenminister Beck einen Kurs, der nicht nur in lebenswichtigen Fragen, sondern auch in taktischer Hinsicht jede Geschmeidigkeit vermissen ließ - Becks Starrheit lieferte nicht allein Hitler billige Argumente, sie nährte überdies den bis heute zumindest nicht widerlegten Verdacht, Beck habe damals bewußt auf Krieg spekuliert, weil er sich trotz der zunächst unvermeidlichen polnischen Niederlage nur von einer großen europäischen Auseinandersetzung, an deren Ende Deutschlands Niederlage stehen mußte, die Wiederherstellung und Rettung der staatlichen Existenz Polens versprach.
Auch Stalin wird mit einer gewissen Mitverantwortung zu belasten sein. Als er seine Verhandlungen mit den Westmächten scheitern ließ und sich statt dessen mit Hitler über eine neue Teilung Polens einigte, war ihm zweifellos klar, daß er damit nicht nur einen lokalisierten deutsch-polnischen Konflikt ermöglichte, sondern den Weg zu einem allgemeinen europäischen Krieg freigab."
Doch stellt er unmissverständlich klar:
"Dennoch kann weder die polnische noch die sowjetische Haltung mit der Hitlers auf eine Stufe gestellt werden. Bede [hier einer der o. a. Scan-Fehler; gemeint ist der polnische Außenminister "Beck"!] wollte schließlich nicht von Anfang an Krieg, er hat in der militärischen Auseinandersetzung lediglich den letzten Ausweg aus einen ansonsten für Polen hoffnungslosen und von Hitler so geschaffenen Situation gesehen. Stalin dagegen hoffte, die immer deutlicher nach Osten zielende Stoßkraft des nationalsozialistischen Deutschland werde sich im Kampf mit den Westmächten verbrauchen. In beiden Fällen handelte es sich mehr um Rettungsmanöver, und wenn diese Manöver auch dubios und anfechtbar waren, so wiegen sie doch sehr viel leichter als Hitlers unbedingter Wille zum Krieg."
Man kann diesen Sachverhalt m. E. auch so (um-)formulieren: Hätte Stalin NICHT den Pakt mit Hitler abgeschlossen, hätte Hitler VIELLEICHT den Angriff auf Polen am 01.09.1939 abgeblasen. Aber früher oder später hätte Hitler, ob nun (zunächst) gegen Polen oder (erst) gegen Frankreich/England, so oder so einen Krieg eröffnet.
Nach wie vor gilt, was Graml in seinem Schlusskapitel
"Keine Chance einer revisionistischen Geschichtsschreibung"
schreibt (Absätze und Hervorhebungen von mir):
"Wie Taylor und Hoggan angesichts dieses klaren Bildes, das alle Quellen bestätigen, von Hitlers Schuldlosigkeit oder gar von der britischen Kriegsschuld sprechen können, bleibt unerfindlich. 
Wiederholen wir die zweite Frage der beiden angelsächsischen Historiker: Stieß an jenem 1. September 1939 berechtigter und unvermeidlicher, jedenfalls grundsätzlich friedlicher deutscher Revisionismus mit dem starrsinnigen Willen Englands und Polen zur Erhaltung des Status qro [pro] und der Versailler Ordnung zusammen? 
Die Antwort ist wohl eindeutig ausgefallen. Weder war Hitler ein grundsätzlich friedlicher Politiker, noch führte er den von ihm entfesselten Krieg zur Rey sion [Revision] von Versailles. Und seine Gegner [also Frankreich und Großbritannien] sind nicht deshalb in den Krieg eingetreten, weil sie gerechtfertigten deutschen Forderungen die Anerkennung versagt hätten oder ein starkes Deutschland nicht dulden wollten. Sie griffen vielmehr zu den Waffen, weil ihnen ein Hitler, der nicht einmal das auch in der internationalen Politik notwendige Mindestmaß an Geschäftsmoral besaß und der offensichtlich nach der Herrschaft über den ganzen europäischen Kontinent strebte, keine andere Wahl ließ.
Dem deutschen Revisionismus hatten London und Paris eine Chance gegeben, doch der „Führer" hat dieser Chance den Kampf um die Chimäre „Lebensraum" vorgezogen, und als Hitler dabei scheiterte, ist zugleich auch der deutsche Revisionismus gescheitert.
Eine revisionistische Politik Deutschlands [i. e. die Revision des Friedensvertrages von Versailles] hatte damals Chancen. Eine revisionistische Geschichtsschreibung hat heute keine Chance. Und gerade auch deutsche Historiker dürfen Entlastungen der einstigen deutschen Machthaber nur dann akzeptieren, wenn sie es vor ihrem Gewissen verantworten können."


Als deutsches Standardwerk zum 2. Weltkrieg beschreibt das "Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr" (ZMSBw) die dreizehnbändige Reihe "Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg". Hier ist der erste Band "Ursachen und Voraussetzungen der deutschen Kriegspolitik" einschlägig [Rezension in der ZEIT von 1979]. Daraus einige Zitate aus der "Schlußbetrachtung" (S. 703 ff.):
"Die wissenschaftliche Kontroverse um die Ursachen des Zweiten Weltkrieges hat nie zu einer solchen prinzipiellen Gegensätzlichkeit der Standpunkte geführt wie die entsprechenden Forschungen über die Ursachen der Kriege von 1864/66, 1870 und 1914. Auch die provozierenden Thesen einiger weniger Außenseiter unter den Historikern konnten das stets erneut überprüfte Ergebnis der internationalen Forschung nicht erschüttern, wonach die Ursachen des Krieges in Europa auf die deutsche Politik der Jahre bis 1939 zurückzuführen sind. .....
So heterogen und miteinander unvereinbar die einzelnen Elemente seines [Hitlers] Weltbildes auch erscheinen mögen, so ist doch seine sozialdarwinistische Überzeugung, daß „der Kampf in allen seinen Formen“ nicht nur das Leben des einzelnen, sondern die Entwicklung der Völker bestimme, in Verbindung mit dem Rassegedanken als unveränderliche Größe und Grundlage seiner politischen Entscheidungen zu betrachten. Auf dieser ideologischen Basis - nach der Frieden nur als Zustand der Kriegsvorbereitung zu werten, Bündnisse nur im Gedanken an einen künftigen Krieg zu beurteilen waren - beruhten auch seine außenpolitischen Zielvorstellungen, deren Kern die Gewinnung neuen „Lebensraumes“ im Osten bildete. Diese ideologische Begründung so- “ wohl seiner politischen Visionen als auch seiner politischen Entscheidungen nach 1933 stellte die Kontinuität der bisher gültigen Ordnungs- und Zielvorstellungen deutscher Politik in Frage. Doch hat Hitler in den Jahren nach 1933 darauf geachtet, daß diese Wendung nicht voll in das Bewußtsein der Öffentlichkeit trat. Bei der weitgehenden Übereinstimmung mit den starken, im weitesten Sinne „revisionistischen“ Kräften über die zunächst anzusteuernden Ziele auf innen- und außenpolitischem, auf wirtschaftlichem und militärischem Gebiet gelang die Verwischung der vorhandenen Gegensätze ohne besondere Schwierigkeiten. So sprach in den ersten Jahren nach 1933 niemand mehr vom Frieden als Hitler selbst, da die umfassende „‚Wiederwehrhaftmachung“ der Nation dies erforderte. Im übrigen war nur unter diesen Voraussetzungen ein Arrangement mit Großbritannien zu erreichen, das seit den zwanziger Jahren zum außenpolitischen Programm Hitlers gehörte und das die Basis für den Ausgriff nach Osten bilden sollte. Mit der forcierten Rüstung stellte Hitler allerdings diesen Ausgangspunkt selbst in Frage und entzog damit der politischen und strategischen Vorbereitung seiner Kriegspolitik die Grundlage.
Es ist ein Ergebnis der in diesem Band gebotenen Darstellung, daß Umfang und Eigendynamik der Aufrüstung in einem sehr viel stärkeren Maße als bisher angenommen die außen- und innenpolitische Entwicklung Deutschlands in den Jahren 1933 bis 1939 geprägt und beeinflußt haben. Alle wichtigen Maßnahmen des Regimes standen direkt oder indirekt im Dienste der Aufrüstung; dies gilt insbesondere für die Wirtschafts- und in geringerem Maße auch für die Außenpolitik. ..... 
Auch die Sozialpolitik des Regimes ist von der allgemeinen Kriegsvorbereitungspolitik nicht unberührt geblieben. Auf diesem Gebiet ließ sich die NSDAP von den Erfahrungen des Weltkrieges leiten, in dessen Verlauf insbesondere die Arbeiterklasse immer nachdrücklicher gegen die Fortsetzung des Krieges und vor allem gegen die wirtschaftlichen Entbehrungen revoltiert und schließlich - nach der militärischen Niederlage - die Revolution herbeigeführt hatte. Angst vor Revolution war der Hintergrund der Hitlerschen Politik, es trotz der forcierten Aufrüstung nicht zu einer Einschränkung der Konsumgüterproduktion kommen zu lassen. Die Arbeiterschaft konnte jedoch durch propagandistische Manöver allein nicht bei der Stange gehalten werden. Dazu bedurfte es wirtschaftlicher Zugeständnisse. Wo aber die soziale „Bestechungsstrategie“ des Regimes nichts fruchtete, wurde die Gefolgschaft durch brutalen Terror erzwungen. .....
Kriegsvorbereitung ist der gemeinsame Nenner, auf den sich die grundlegenden Entscheidungen des NS-Regimes auf dem Gebiet der Innen-, Militär- und Wirtschaftspolitik zurückführen lassen. .....
Begleitet wurde diese Politik von einer außerordentlich wirksamen, von Goebbels gesteuerten Propaganda. Sie hatte die Aufgabe, vor dem Ausland und gegenüber der deutschen Bevölkerung die eingeleiteten personellen und materiellen Aufrüstungsmaßnahmen zu verschleiern beziehungsweise als Mittel der Selbstverteidigung zu verharmlosen. Sie bediente sich dabei jener Schlagworte, die seit den zwanziger Jahren im gesamten Lager der politischen Rechten populär waren, etwa der Parole „Revision von Versailles“, „Kampf dem Bolschewismus“, „Gleichberechtigung“ und „Wiederwehrhaftmachung“. Im übrigen betonte Hitler bei jeder Gelegenheit seine friedlichen Absichten öffentlich, und sein Propagandaminister sorgte für ein vielstimmiges Echo. Dieses großangelegte Täuschungsmanöver verfehlte seine Wirkung weder im Inland noch im Ausland.
[Anm. br.: Auch aktuell verfängt ja die Propaganda Putins in dem vom ihm begonnenen Ukrainekrieg bei vielen (einfältigen) Bürgern in Deutschland und in anderen Ländern!]
Die öffentliche Meinung des Auslandes stand weitgehend unter dem Eindruck, daß die nationalsozialistische Außenpolitik sich von der revisionistischen Politik der Weimarer Kabinette nur durch die hochgradige Entschlossenheit unterscheide, die altbekannten Forderungen auch durchzusetzen. Die Front der Versailler Siegermächte hatte sich bereits in den zwanziger Jahren gelockert, so daß die deutschen Revisionswünsche schon zu diesem Zeitpunkt ein sehr unterschiedliches, zum Teil durchaus positives Echo gefunden hatten. Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht des allgemeinen Schwächezustandes in Folge der Weltwirtschaftskrise mit zum Teil gravierenden innenpolitischen Konsequenzen waren gemeinsame, energische und kraftvolle Reaktionen auf deutsche Vertragsverletzungen kaum zu erwarten. Die Mächte schwankten zwischen dem Versuch einer konsequenten Isolierung, der partiellen Zusammenarbeit und dem Bemühen, das Reich trotz seiner Vertragsverletzungen an die internationale Friedensordnung zu binden. Hitler und das Auswärtige Amt haben diese sich aus der internationalen Konstellation ergebende Chance für eine aktive deutsche Außenpolitik erkannt und voll wahrgenommen. .....
Die schrittweise Durchführung von Hitlers „Kontinentalprogramm“, in historischer Perspektive der erneute Anlauf zur Gewinnung einer Groß- und Weltmachtstellung für das Reich, trat mit dem Angriff auf Polen am ı. September 1939 in eine neue Phase ein. Die illusionäre Erwartung, die gewaltsame Eroberung Polens werde nur auf papierene Proteste der Westmächte stoßen, zerstob mit den Kriegserklärungen Großbritanniens und Frankreichs am 3. September.. ..... Diese Katastrophe war das Ergebnis der seit 1933 verfolgten, auf eine kriegerische Auseinandersetzung zielenden deutschen Politik, der nicht nur Hitlers „Lebensraum“ -Ideologie zugrundelag, sondern in der auch der seit der Jahrhundertwende ungebrochene Macht- und Geltungsanspruch deutscher Eliten zum Ausdruck kam."


Der Artikel "Weltkrieg einkalkuliert. Geschichte. Vor 70 Jahren fand eine der wichtigsten Beratungen zur Vorbereitung des Zweiten Weltkrieges statt. Es wurde der baldige Überfall auf Polen beschlossen" auf der Webseite der AG Friedensforschung wurde zwar aus der weit links stehenden Zeitschrift "junge Welt" übernommen (dort am 23. Mai 2009 erschienen). Aber wenn man das berücksichtigt und die ideologischen Passagen entsprechend kritisch sieht, ist er doch informativ. Insbesondere gehe ich davon aus, dass die folgende Informationen korrekt sind (weil das NS-Regime die Deutschen auch in anderen Ländern für seine Zwecke mobilisiert und instrumentalisiert hat):

"Ein wesentlicher Teil der Vorbereitung war die Mobilisierung der zahlenmäßig starken Bevölkerungsgruppe der »Auslandsdeutschen« in Polen. Durch die 1934 eingeleitete »Freundschaftspolitik« konnte die deutsche Minderheit erstarken. Mit Reichsmark finanziert und von Berliner Stellen angeleitet, entstanden ohne größere Interventionen polnischer Behörden zentrale politische Organisationen und ein dichtes Netz deutscher Schulen, landwirtschaftlicher Genossenschaften, Wohlfahrts-, Kultur- und Sportverbänden sowie eine große Anzahl deutscher Zeitungen und Zeitschriften. Die Angehörigen der deutschen Minderheit wurden systematisch mit faschistischem Gedankengut infiziert. Der Leiter der »Volksdeutschen Mittelstelle«, der zentralen Führungsinstanz des Naziregimes in Fragen des »Auslandsdeutschtums«, bestätigte, daß der so entstandene Staat im polnischen Staat eine Einrichtung des Nazireiches war. SS-Obergruppenführer Werner Lorenz schrieb am 19. September 1939, daß »die Organisationen der deutschen Volksgruppe in Polen (...) die sachliche und politische Arbeit im nationalsozialistischen Sinne in meinem Auftrag« durchgeführt hätten. Ein anderer führender Funktionär der »Deutschtumsarbeit«, Erich Krahmer-Möllenberg, ergänzte: »Diese Vereine sind durch uns aus Reichsmitteln finanziert, und zwar hinsichtlich der Verwaltungskosten (Besoldungen) wie hinsichtlich ihrer praktischen Arbeit.«
Ab Frühsommer 1939 gingen die »Volkstumsorganisationen« in die Offensive. Angeleitet von deutschen Geheimdiensten, betrieben Mitglieder der deutschen Minderheit großflächig Spionage gegen Polen. Eine wesentliche Aufgabe war, Konflikte mit polnischen Behörden zu organisieren. Die Nazipropaganda, die bis dahin auf der Linie der Abkommen von 1934 eher wohlwollend über Polen berichtet hatte, ging seit Mai ausführlich auf die »Zwischenfälle« ein und bauschte sie ungeheuer auf. Man bezichtigte den Nachbarstaat der systematischen, ja bestialischen Verfolgung der Deutschen in Polen. So titelte ein Provinzblatt wie die Neue Mannheimer Zeitung am 26. August: »Polen-Terror ins Unerträgliche gesteigert«. In Deutschland sollte damit die Kriegsstimmung geschürt, Polen im Ausland diskriminiert und politisch isoliert werden. Der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Ernst von Weizsäcker, drängte, in der »Brandmarkung der polnischen Politik« gegenüber dem »Deutschtum« in fremden Hauptstädten initiativ zu werden."
Derartige Sachverhalte hatte ich schon immer vermutet, aber bislang noch nichts darüber gefunden. Das rückt natürlich auch die Behauptungen von Schultze-Rhonhof über Schikanen Polens gegen die dortigen Volksdeutschen in ein völlig anderes (wahrscheinlich: ins richtige!) Licht.


Eine allgemeinverständliche Darstellung bringt die Konrad-Adenauer-Stiftung auf ihrer Webseite mit dem Artikel "Die Entfesselung des Zweiten Weltkriegs" von Matthias Oppermann (ohne Datumsangabe).


Nicht direkt zur Kriegsschuldfrage relevant ist der Artikel "Adolf der Vertragstreue" in der FAZ vom 06.05.2009. Es handelt sich um eine Rezension des 2008 erschienenen Buches "Das tschechisch-deutsche Drama 1918-1939. Errichtung und Zusammenbruch eines Vielvölkerstaates als Vorspiel zum Zweiten Weltkrieg" von Gerd Schultze-Rhonhof. Bedeutsam im vorliegenden Zusammenhang ist es deshalb, weil der Geschichts-General auch dort die Rolle Hitlers verfälscht darstellt.


Nachtrag 30.03.2024

2011 ist das Buch "Der Feind steht im Osten. Hitlers geheime Pläne für einen Krieg gegen die Sowjetunion" (Amazon) des Historikers Rolf-Dieter Müller erschienen. Der ist zum Forschungsergebnis gelangt, dass Hitler eigentlich nur die Sowjetunion angreifen wollte und NICHT Polen. DAFÜR brauchte er den Korridor nach Danzig. Der Angriff auf die SU wäre dann 'um Polen herum' im Norden entlang der Ostseeküste und im Süden aus dem tschechischen Raum heraus erfolgt. Erst nachdem sich die Polen stur stellten, war Hitler quasi gezwungen, Polen zu überfallen.
Ob Hitler im Erfolgsfalle aber Polen auf Dauer verschont hätte, ist wohl eher fraglich; schließlich hätte es ja doch irgendwie "im Wege gelegen". 
Überhaupt hätte ein solcher Angriff gegen die SU jedenfalls im Süden aus meiner Sicht enorme logistische Probleme aufgeworfen; auch wäre aus diesen Ausgangspositionen heraus wohl kaum ein Überraschungsangriff möglich gewesen. Ob das tatsächlich hätte klappen können bzw. ob sich die deutschen Militärs - einschl. Hitler selber - auf ein solch gewagtes Spiel eingelassen hätten?


Textstand 30.03.2024

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