Sonntag, 13. April 2008

I'm dreaming of a white - Ostern. Ein Urlaub der kleinen Katastrophen in Bad Reichenhall


Überraschend kam er, zum ersten Male bereits am Karfreitag im Spessart hinter Aschaffenburg: der Schnee. Und blieb über Ostern hinaus in Bad Reichenhall bei uns.

Unser Urlaub war kurz aber stilvoll. Wenn ich schon 24,- € für 2 Personen in einer Ferienwohnung hinblättere :-),
will ich zumindest in einer pompösen Gründerzeitvilla residieren.

Die Eckwohnung im Erdgeschoss haben wir übrigens für Sie übrig gelassen: die können Sie kaufen. Wir haben uns für ein Appartement auf der Rückseite entschieden. Dort haben die Entkerner und Sanierer zwar ein Stockwerk mehr reingequetscht, aber das spart schließlich auch Heizkosten: wer kann es sich denn heute noch leisten, die Raumhöhen der Gründerzeithäuser zu beheizen?

Riesig war die Einraum-Wohnung (wie man in den Neuen Bundesländern sagen würde) und insbesondere die Küche nicht, aber doch geräumig genug (insbesondere auch das Bad).
In diesem Alkoven lässt sichs jedenfalls wunderbar pofen, und für einen Urlaubsaufenthalt reichte auch die 'Kombüse' aus.

So quälte mich mein Gewissen: 24,- € waren mir einfach zu billig und ich überlegte, auf welche Weise ich (außer der Kurtaxe, die sich derzeit auf 3,- € pro Person beläuft) noch deutlich mehr bezahlen könnte, ohne die Besitzer zu beleidigen.

Eigenlob stinkt, ich weiß, doch kann ich es nicht lassen, die Genialität meines Einfalls für eine diskrete Mieterhöhung zu rühmen:
Man muss lediglich den Schlüssel von innen stecken lassen, und ruck-zuck legt man 78,- € für einen Schlosser hin. Der zerstört zwar mit hallenden Schlägen die Sonntagsruhe, verschafft uns aber wieder einen Zugang zur Wohnung (Glück im Unglück: ohne das Schloss zu beschädigen). Acht Nächte waren wir geblieben, von Karfreitag bis zum Samstag nach Ostern. Umgelegt haben wir also etwa 34,- € pro Nacht gelöhnt. Und das alles nur um des guten Gewissens willen!
Sie wollen gerne selig werden? Dafür braucht es nicht viel: Sie müssen nur meiner Darstellung Glauben schenken!

Auch sonst war es ein Urlaub der kleinen Katastrophen:
Die Zahnprothese fiel vom Sockel des Badezimmers; ist zwar noch verwendbar, doch war ein kleines Stück Kunststoff ausgebrochen.

Die Prothesenbürste hatte ich daheim vergessen; aber auch hier galt: nicht jedes Übel kommt um zu schaden!
Denn um eine Bürste zu kaufen, betrat ich die Kronen-Apotheke am Kurpark (Westseite), deren herrlich antike Inneneinrichtung aus dem Jahre 1902 mir sonst entgangen wäre (es hat mich auch kein Reisebuch und keine Broschüre auf dieses Kleinod aufmerksam gemacht). Schade, dass die Abbildung auf der Homepage der Firma nicht größer ist; jedoch informiert dort ein längerer Zeitungsartikel über die Geschichte der Apotheke. Zitat daraus:
"Der Boden ist glatt und staubfrei, welches Bestreben auch in der gesammten Einrichtung zum Ausdruck kommt. So sind die Schränke zwar einfach glatt, aber doch hochelegant ausgestattet. ... Die Beleuchtung erfolgt durch Gasglühlicht und die Beheizung beruht auf dem Prinzip der Bodenwärme und erfolgt mittelst eines irischen Doppelkammerofens, den man eher für einen Schmuckkasten, denn für einen Ofen halten könnte. ...“ "
Eine solche Firmengeschichte ist natürlich untrennbar mit der Ortsgeschichte, genauer: mit der lokalen Tourismusgeschichte, verknüpft. Darüber erfahren wir u. a.:
"1911 kamen 55 % der Gäste aus dem Ausland, aus Russland und vor allem aus Österreich-Ungarn. Über dem Eingang stand damals auf russisch ..., viele Etiketten waren mehrsprachig." (Diese Information macht auf der Mikro-Ebene anschaulich, was in aktuellen Untersuchungen über die derzeitge sogenannten "Globalisierung" oft abstrakt behauptet wird: dass diese nämlich bereits vor dem Ersten Weltkrieg in mancher Hinsicht bereits weit fortgeschritten gewesen sei und heute teilweise lediglich die Rückschläge und Rückschritte der beiden Weltkriege usw. aufhole.)

Weniger fruchtbar für mich war das Vergessen der Unterhosen beim Kofferpacken (trotz systematischen Vorgehens anhand einer Packliste). Immerhin hatte ich einige Slips für die Nacht dabei und weitere gab es, wieder ein glücklicher Zufall, günstig im Lebensmittelsupermarkt "Plus" (das letzte Päckchen meiner Größe übrigens).

Dass ich am Ostermontag beim Versuch, den Wecker auszuschalten, aus dem Bett gefallen bin, wird meine Leser nicht weiter überraschen. Auch hier aber muss der Heilige Rupert (der von der Rupertus-Therme, welcher schon früher meinen Besitz beschützt hatte - vgl. Reisebericht "REICH DURCH HALL?" aus dem Jahre 2005) wieder seine schützende Hand im Spiel gehabt haben, denn mein Leib blieb unversehrt.
Und das, obwohl ich doch ein Heide bin (philosophisch präziser: ein Agnostiker). Dennoch kommt mir die indigene Grußformel "Grüß Gott" ganz ungehemmt über die Lippen.

Andere (hier eine Aufnahme aus Berchtesgaden, am Berghang oberhalb des Bahnhofs) freilich haben damit anscheinend Probleme.


Lediglich im Sinne der Vollständigkeit erwähnt der Chronist noch, dass die Glühbirne der Deckenlampe in der Schlafnische den Geist aufgab (was nicht weiter schlimm war, denn auf jeder Seite des Bettes sind ebenfalls Lampen angebracht).

Eine leichte Panik befiel mich indes gleich am Abend unserer Ankunft bei dem Versuch, den Lattenrost des Doppelbettes (1,60 m breit) wieder abzusenken, nachdem wir die Tagesdecken im Bettkasten verstaut hatten: es funktionierte nicht. Ich war schon drauf und dran, den Wohnungsverwalter (einen Alpen-Emigranten aus dem Münsterland, also einen Mit-Westfalen) anzurufen, als mein Blick auf den Hinweis fiel, dass man das Gestell durch Druck genau auf die Mitte der Schmalseite niederzwingen könne.

Nun will ich freilich meinen Leserinnen und Lesern nicht weis machen, dass dies ein verkorkster Urlaub gewesen sei. Ganz im Gegenteil war unser Osterurlaub wunderschön! Alles verzuckerte der Schnee zu diesem 'White Eggmas':
Den Blick von unserer Wohnung auf die Berge (Zoom und Schnitt haben auf diesem Foto natürlich einiges vom Vordergrund ausgeblendet ;-) ) ...

... und, nach neuerlichem starken Schneefall, auch der Blick in den Garten.


Diesen gepuderten Zuckerguss zeigt zwar nicht der Blick aus dem Fenster unserer Ferienwohnung, aber ganz in der Nähe ein Zoom-Schuss mit einem Gründerzeit-Villentürmchen im Vordergrund.

Hübsch erscheinen uns (nachdem sie eine Zeit lang wegen ihres unbestreitbaren Stilmischmasch geschmäht worden waren) die Gründerzeitvillen ...

... von denen freilich manche verfallen. Ob das am Geldmangel der Besitzer liegt? "Nein", meinte ein anderes Ehepaar dass gerade vorbei ging (übrigens gleichfalls Flachland-Flüchtlinge aus dem Norden Deutschlands): "wer so etwas verfallen lässt, hat zu viel Geld". Kann sein: Spekulationsobjekt?

Auf Fluchtlinien der Moderne wie diese hier könnten wir ohne ästhetische Entreicherung verzichten, ...

... und dieses Gebäude (ein Hotel in der gleichen Straße wie unsere FeWo) gehört gleichfalls zum Typus der 'Zellenbauten'; immerhin verbirgt es aber sein Defizit an strukturellem Reichtum unter einem freundlichen farbigen Anstrich.

Da war sogar der soziale Wohnungsbau der Fünfziger Jahre noch Gold dagegen, ...

... trotz des gelegentlich etwas anachronistischen agrarischen Bauschmucks.


Mit zunehmendem Wirtschaftswachstum wurde das Leben der Menschen angenehmer; die Bauten aber nicht immer. Dieser Blick (vom Hang bei der Burg Gruttenstein nach Osten) lässt mich jedenfalls unwillkürlich "So grün war mein Tal" assoziieren ("How Green Was My Valley").


Gekauft haben wir nichts an jenem Ostersonntag auf dem Ostermarkt im Hof der Burg Gruttenstein, doch halfen uns der Anblick des Marktes und der Menschen unsere Gedanken ein wenig von der zugeschlagenen Wohnungstür abzulenken (wir hatten zu dieser Zeit den Verwalter noch nicht erreicht).
Sogar eine Weinstube (deren Einrichtung ich in meinem früheren Urlaubsbericht angeregt hatte) war dort (allerdings nur zur temporären Benutzung) geöffnet.

Zurück zum Thema alte Häuser: das vielleicht schönste alte Wohnhaus in Bad Reichenhall liegt auf einem Damm in der Nähe der neuen Saline, außerhalb der Altstadt in Richtung Karlstein-Thumsee. Über dem Eingang verkündet eine Tafel (mit römischen Ziffern) das (Bau-?)Jahr 1791 - 2 Jahre nach dem Sturm auf die Bastille:

"Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus ..." gebietet die Bibel den Frommen, und den Unfrommen das staatliche Gesetz. Sollte ich aber irgendwann im Lotto den Jackpot knacken, würde ich gleichwohl an der Haustür dieses Gründerzeit-Refugiums unterhalb der Burg Karlstein (von dort habe ich es hier geknipst, nachdem ich vorher auf dem Weg vom Seemösl schon dran vorbeigekommen war) anklopfen um zu eruieren, bei welchem Preis die Besitzer wohl schwach werden:

Karlstein (heute im gleichnamigen Ortsteil westlich von Bad Reichenhall gelegen): das ist eine romantische Burgruine comme il faut oder as we like it:

Und ich war sogar ihr Erstbezwinger - jedenfalls an diesem Ostermontagmorgen im tiefen Schnee:

Steigeisen braucht man hier zwar nicht, aber trittsicher sollte schon sein, wer dieses Adlernest über Steige ...

... und Stiegen stürmen will. Ich jedenfalls war heilfroh, meine Wanderstöcke dabei zu haben:

Bergfried von außen ...

... und Bergfrit von innen wollen der Wagenden Herzen gewinnen:

In der äußeren Mauer eröffnet eine Lücke
Auf St. Pankraz dem Wallenden wundervolle Blicke:

Unvergesslich bleibt auch ein solcher Blick (Richtung Süden) vom Wanderweg zur Burg (von der Bushaltestelle beim Seemösl am Thumsee kommend) auf Berge mit wolkenumschleierten Graten und Spitzen:


Überhaupt schwelgten wir, wo immer wir auf dieser Osterreise gingen und schauten, in Bergblicken wie diesen:
- vom Bahnhof in Bad Reichenhall nach Westen;

- wohl von der Neuen Saline nach Osten auf den Predigtstuhl, das dortige Hotel und die Seilbahnkabel,

- vom (preiswerten und unbedingt empfehlenswerten) Restaurant im 3. Stock des Kaufhaus Juhasz (man bemerkt es kaum, weil das Erdgeschoss, wie auch der Keller, ganz von der Drogeriekette Müller in Beschlag genommen ist: jene Drogerie, wo mir in meinem "Steinbruch der Unsterblichkeit" das Fehlen von Prothesenbürsten im Sortiment aufgefallen war),


- und hier schließlich eine Abendstimmung vom Kurpark an der Rupertustherme gen Osten.


Unser Lieblingsschwimmbad habe ich bei dieser Gelegenheit natürlich ebenfalls fotografiert:


Es müssen aber nicht immer Berge sein; auch Blicke auf das eine oder andere Bauwerk in Bad Reichenhall (wäre nicht die Altstadt durch einen Luftangriff kurz vor Kriegsende großenteils zerstört worden, wäre zweifellos noch mehr an alter Bausubstanz erhalten) machen Freude:

- das "Curhaus Achselmannstein" (über unseren abendlichen Besuch im Park des Grandhotels Axelmannstein im Urlaub vor 3 Jahren hatte ich bereits damals berichtet; mittlerweile hat das Hotel allerdings auch den Aldi-Reisekatalog als Vertriebsweg entdeckt),

- und das alte Kurhaus im Stil des Neobarock. Um 1900 gebaut, war es seinerzeit stilistisch nicht gerade progressiv (es war die Zeit des Jugendstils). Mir hat es aber immer gut gefallen; wohl weil mich seine Dachlandschaft entfernt an das Obere Belvedere Schloss des Prinzen Eugen in Wien erinnert (mein ultimativer Lieblingspalast).


Neun Tage verfliegen wie im Fluge, und ohne An- und Abreisetag sind es ja auch bloß sieben wahre Urlaubstage. Dennoch reichte diesmal die Zeit für einen Abstecher nach
Berchtesgaden (hier die alte Abtei und ein älteres Wohnhaus rechts nebenbei; hinter diesem der Turm der Pfarrkirche).


Bootchen fahren ist am Königssee de rigeur. Blicke auf schroffe Felsen



lohnen den Reisenden ihre Auslagen für die Fährmänner.


Doch alle Touris wollen hier nur das Eine:
St. Bartolomä sehen (hier von der Halbinsel etwa aus Richtung Nordwesten) - und dann endlich mit diesem verdammten Blott fertig werden, denn wieder einmal ist mir die Zeit davon gelaufen!

Einen späten Blick zurück vom Schiffchen lassen wir uns dennoch nicht nehmen.
Mir ist übrigens absolut unverständlich, warum hier die Boote nicht nach Art der "Bateaux Mouches" in Paris auf der Seine, entsprechend aber z. B. auch die Sightseeing-Boote auf den Kanälen in Amsterdam) Glasdächer haben; wer auf dem Königssee nicht am Fenster sitzt, oder immer hin und her rennt (was zum Glück niemand tat), hat relativ wenig von der Fahrt - und sieht von der anderen Seite sowieso kaum etwas. Vielleicht sollte das Land Bayern zunächst hier investieren, ehe man Millionen in die Therme in Reichenhall versenkt. Doch leider kann es sich der Freistaat als Monopolist leisten, den Gästen, die so oder so zum Königssee strömen, einen suboptimalen Sightseeing-Service zu bieten.


Und diese Aufnahme nehmen wir als geistige Nahrung für den Heimweg ins Urlaubsquartier mit: sehen doch irgendwie stark nach Peter Paul Rubens aus, diese Schwellungen der Dachlandschaft auf der Wallfahrtskapelle?

Psychologisch tiefer blickende Menschen würden hier vielleicht sogar eine sublimierte Form des Kultes der Diana von Ephesus wittern.


Ob Siegmund Freud auch am Königssee war, weiß ich nicht.
Am Thumsee, in der Nähe der Burg Karlstein, hat er im Hotel des Seewirts einen Urlaub verbracht (mehr darüber in meinem bereits mehrfach erwähnten früheren Reisebericht "Reich durch Hall?").
Eines aber weiß ich gewiss:
In diese Toilette in der gehobenen Restauration "Seewirt" hat Freud noch nicht gepinkelt!


Nachträge 18.04.08

Nicht allen hat der Schnee gefallen: es sind wohl mehr Touristen ausgeblieben, als andererseits (vermutlich) durch den Schnee angelockt wurden. Jedenfalls vermittelt der Artikel "Berchtesgadener Land: Aus Mangel an 'Sonnengästen' " auf der Seite Chiemgau Online diesen Eindruck.

Hier eine "Broschüre" (eigentlich eher schon ein richtiges Buch) über den "Klimawandel in den Alpen", herausgegeben vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU), Referat Öffentlichkeitsarbeit, im Jahre 2007.


Nachtrag 11.05.08
Bei der Aufarbeitung meiner Notizzettel stoße ich noch auf einen Vermerk über ein (längeres) Gespräch, das zwischen mir und einem ebenfalls
älteren Ehepaar aus Deutschlands Norden zufällig auf der Straße zu Stande kam. Unter anderem erwähnte ich, dass auch wir im Ruhestand gern nach Bad Reichenhall ziehen würden, jedoch die Mieten hier für uns zu teuer seien (und an den Kauf einer Wohnung oder gar eines Hauses ohnehin nicht zu denken). Deshalb würden wir erwägen, vielleicht ins Allgäu zu ziehen. Interessant waren die unterschiedlichen Begründungen, mit denen beide dem Allgäu eine Absage erteilten.
Er: "Ist mir nicht schön genug".
Sie: "Das Allgäu ist evangelisch".
Ein Ketzer wie ich weiß offene Meinungsäußerungen immer zu schätzen.

Textstand vom 11.05.2008

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