Samstag, 24. Januar 2009

Helmut vor, noch ein Tor!

Bislang ist die Missionierung fast immer eine One-Way-Street. Amerika exportiert nicht nur seine religiösen Ideologien; unser MonkeyseeMonkeydo Dummland Deutschland hat auch brav die trojanischen Pferde des US-Finanzkapitalismus importiert: ideologische wie auch ganz reale ("special purpose vehicles" oder "~ entities", bei uns lange nur wenigen bekannt, aber dann, zu spät unter dem immerhin enthüllenderen Namen "außerbilanzielle Zweckgesellschaft" berüchtigt geworden).
Von Fernsehserien, zu welchen sich unsere öffentlich-rechtlichen Gebührenschinder von amerikanischen Vorbildern 'inspirieren' lassen [Euphemismus für: die sie abkupfern] über Filme über Musik über Mode: die Sonne, welche unsere halb erloschenen Geister erwärmt, geht im Westen auf.

Wenige versuchen gegen zu halten. Asterix und Obelix tun das eher defensiv.

Offensiver ist da schon unser Helmut. Nicht der von 1954, der Rahn, sondern unser Weltökonom Helmut Schmidt. Der gibt, in der ZEIT vom 15.01.2009, den amerikanischen und angelsächsischen Bankern, die sich sehr geschickt unser Geld geangelt haben, bzw. den dortigen Politikern, die das organisierte Finanzverbrechen gesponsort (wenn nicht gar, im Hypothekenbereich, aus der Taufe gehoben) haben, mal eben Nachhilfe: "Wie entkommen wir der Depressionsfalle?"

In vielem bin ich durchaus einer Meinung mit Schmidt, etwa wenn er sagt:
"Vielleicht wäre der Weltwirtschaft heute großes Unglück erspart geblieben, wenn man schon 1998 ein Exempel statuiert und den hochspekulativen Hedgefonds LTCM hätte pleitegehen lassen, statt ihn mithilfe der amerikanischen Notenbank zu retten," wenn er (implizit) den unsäglichen Populismus der bayerischen Seehofer-Truppe CSU bzw. den üblichen Klientelismus der blauen und gelben FDP kritisiert:
"... überall werden steuerpolitische, sozialpolitische, gesundheitspolitische und parteipolitische Interessen einen erheblichen Einfluss auf die Ausgestaltung [der Konjunkturpakete] nehmen. Dabei gilt in der Regel, dass steuerpolitische und sozialpolitische Wohltaten sich später kaum revidieren lassen, sie tragen dauerhaft zu künftigen Defiziten der Staatshaushalte bei,"
oder wenn er uns erklärt, dass die Wölfe von gestern sich nicht schon deswegen in Lämmer verwandelt haben, weil sie ihre Beute zuletzt allzu gierig verschlungen und deswegen einen Großteil wieder ausgekotzt haben:
"Die USA [ergänze: und Großbritannien!] werden zu einer wirksamen Regulierung der Finanzmärkte weit weniger geneigt sein als die europäischen Staaten [ergänze: außer Großbritannien!]."
Dass freilich "Die weltweite Absatzkrise der Automobilindustrie ... gegenwärtig das sichtbarste Zeichen des weltweiten Nachfragerückgangs" sei, glaube ich eher weniger (wenn man diesen Rückgang -und anders ist die Passage im Schmidtschen Textzusammenhang nicht sinnvoll zu lesen- als Resultat der Finanzkrise verstehen will).
Auch moralischen und psychologischen Bewertungen stehe ich (sofern sie erklärend gemeint gewesen sein sollten) eher skeptisch gegenüber:
"Vor allem in New York und in London haben wir es zu tun mit einer Kombination von hoher Intelligenz samt mathematischer Begabung, extremer Selbstsucht und Selbstbereicherung bei Abwesenheit von ausreichender Urteilskraft und von Verantwortungsbewusstsein. Man kann dieser Krankheit einen Namen geben: hemmungslose Habgier" (während auch ich die Intelligenz der Finanzhaie -neidvoll- anerkennen muss).
Aber dann kommt es faustdick (meine Hervorhebungen):
"Zugleich ist aber eine nonchalante Ignoranz der Regierungen und Behörden in Erscheinung getreten, eine unerhörte Fahrlässigkeit der politischen Klasse insgesamt, die sich leichtfertig auf die Illusion einer selbsttätigen Heilungskraft der Finanzmärkte verlassen hat, statt rechtzeitig einzugreifen. Das gilt vornehmlich für die USA und für Großbritannien. Die Regierungen und die Aufsichtsbehörden – und die Parlamente! – haben eine ausreichende Prophylaxe versäumt."
Auch das ist keineswegs falsch, aber einige Randbemerkungen kann ich mir dazu doch nicht verkneifen:

1) Die lateinische Intelligenz hat sich von der germanischen Torheit ferngehalten. Sowohl Italien (vgl. im Handelsblatt-Artikel vom 10.01.09 "Italiens Banken retten sich selbst" von Katharina Kort den 2. Absatz: "Anders als im Ausland hat die Regierung in Rom keine einzige Bank vor dem Aus retten müssen. Das liegt vor allem daran, dass in Italien das sogenannte 'Off Balance Sheet Accounting' nicht erlaubt war. Das heißt, die Banken südlich der Alpen mussten die heute 'toxischen' Risikopapiere von vornherein bilanzieren. Sie gerieten dadurch nicht so stark in Bedrängnis wie amerikanische, britische oder deutsche Banken.") als auch Spanien [hier würde jetzt in der Wikipedia eine Anmerkung folgen: "quotation needed" oder so] haben nicht zugelassen, dass ihre Banken den Weg aller Lemminge beschreiten.

2) Warum hat Deutschland bzw. haben die deutschen Aufsichtsbehörden nicht in gleicher Weise reagiert? Hier ist Aufklärung zu fordern, wie das mit aller wünschenswerten Klarheit Thomas A. Spörer in seinem Aufsatz "Quo vadis, Konjunktur und Märkte im Dezember 2008?" tut (insbesondere im Abschnitt "Betrogene oder Betrüger? Denn 'Subprime' war weder Naturereignis noch 'Anonymer Systemfehler'"). Leider scheint indes in Deutschland die Koalition der Unterteppichkehrer noch umfassender zu sein als die Große Koalition. Auch von der Opposition hört man nicht, dass sie konkrete Untersuchungen fordere. Und irgend etwas, was dem amerikanischen "investigative journalism" auch nur entfernt nahe käme, existiert hier ohnehin nicht. Jedenfalls: so schlau, wie wir glauben, sind wir wohl doch nicht. (Und nicht mal schlau genug, um unsere Unschläue zu erkennen.)

3) Das amerikanische Parlament hat, soweit ich das aufgrund meiner kursorischen Lektüre beurteilen kann, weniger eine ausreichende Prophylaxe versäumt, als vielmehr möglichst viele Sicherungen rausgeschraubt. Und das waren anscheinend nicht nur die Republikaner, sondern ebenso die Demokraten (wenn auch wohl unterschiedlicher Natur und mit unterschiedlichen Zielrichtungen: die Republikaner eher zu Gunsten der Finanzindustrie, die Demokraten eher im - vermeintlichen - Interesse der Hypothekenkunden).

Von Schmidts konkreten Forderungen hat [wie könnte es auch anders sein - gg] für mich insbesondere die Nr. 6 großen Charme:
"Finanzeinlagen und Finanzkredite zugunsten solcher Unternehmen und Personen werden bei Strafe verboten, die rechtlich in Steuer- und Aufsichtsoasen registriert sind."
Während ich mir bei den Forderungen Nr. 4:
"Allen Finanzinstituten wird bei Strafe der Handel mit solchen Finanzderivaten und -zertifikaten verboten, die nicht an einer anerkannten Wertpapierbörse zugelassen und notiert sind" und Nr. 5:
"Es wird allen Finanzinstituten bei Strafe verboten, per zukünftigen Termin Wertpapiere und Finanzinstrumente zu verkaufen, die sie zur Zeit des Verkaufes nicht zu eigen besitzen. Damit wird die Spekulation auf fallende Kurse (»Shortselling«) erschwert"
hinsichtlich Wirksamkeit und Notwendigkeit nicht so sicher bin. Wahrscheinlich wäre die Handelbarkeit an einer Börse, d. h. die Standardisierung des jeweiligen Wertpapiers, die Voraussetzung für die Einschaltung einer zentral Abwicklungsstelle, welche die Risiken übernehmen bzw. abfedern könnte. Andererseits hätte ich eine gewisse Scheu davor, die Kreativität der Finanzmarktakteure allzu sehr einzuengen. Mir ist einfach nicht ganz klar, welche (zweifellos vielfältigen) Funktionen die sog. "Finanzprodukte" in unserem ökonomischen System haben. Letztlich ist es die Beobachtung, dass die "unvernünftige", weil auf Egoismus aufgebaute, Marktwirtschaft dem "vernünftigen", System des Marxismus überlegen war, welche mich zu dieser Zurückhaltung bewegt.


Textstand vom 24.01.2009. Auf meiner Webseite
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