Die linke Schweizer Wochenzeitschrift "WOZ Die Wochenzeitung" hat in ihrer Ausgabe vom 13.11.2008 -4- Referate einer Veranstaltung «Globale Finanzkrise: Welche linken Antworten?» der linken Schweizer Organisation "Denknetz" vom 4.11.2008 veröffentlicht.
"Dabei wurde die Frage diskutiert, ob die aktuelle Finanzmarktkrise bloss eine Art Marktbereinigung darstellt oder Ausdruck einer tiefer liegenden Systemkrise ist, die sich etwa mit der Weltwirtschaftkrise vergleichen lässt, die 1928 ausbrach. Ausserdem wurden Vorschläge für eine Reform des Schweizer Finanzplatzes wie auch für einen grundsätzlicheren Umbau der Schweizer Wirtschaft vorgestellt."
Es ging um eine "Analyse: Wenn die Blasen platzen. Die Finanzmarktkrise droht sich zur globalen Rezession auszuweiten. Können die staatlichen Massnahmen die Situation beruhigen? Oder steckt der Kapitalismus in einer Sackgasse?"
Zwei der Teilnehmer bezogen auch die Umweltfrage ein. Thomas Heilmann setzte sich u. d. T. "Vom Mythos des Wachstums" (grundsätzlich zu Recht) kritisch mit der "Weiter-So-Orientierung der Konjunkturprogramme auseinander und forderte, "ein gesellschaftliches Produktions- und Reproduktionsmodell zu entwickeln, welches nicht für unsere sieben Millionen, sondern für Milliarden ein anständiges Leben und ein langfristiges Überleben des Planeten bietet."
Mir erscheint die Erwartung grotesk absurd, dass eine Milliardenbevölkerung überhaupt ein ressourcenschonendes Dasein führen könne. Wer meint, die Menschheit könne "ein gesellschaftliches Produktions- und Reproduktionsmodell ... entwickeln, welches... für Milliarden ein anständiges Leben" bietet und zugleich "ein langfristiges Überleben des Planeten" ermöglicht, gehört in meinen Augen von vornherein zur Truppe der Traumtänzer.
Das ist aber hier nur als Randbemerkung gedacht. Mein Blott-Titel bezieht sich auf einen Text in dem Beitrag "Wenn fünf Krisen zusammenkommen" von Winfried Wolf. Dieser meint, dass auch die Rohölverknappung (bzw. die exorbitanten Preissteigerungen als Vorboten einer echten physischen Verknappung - Peak Oil) zur gegenwärtigen 2. Weltwirtschaftskrise beigetragen habe. Das meine ich freilich auch und hätte daher kein Problem mit einer Behauptung, wonach unsere Wirtschaft "ölbasiert" ist. Wolf beschränkt sich aber nicht auf eine solche Feststellung. Vielmehr konstruiert er begrifflich einen Kausalzusammenhang zwischen dieser ölbasierten Wirtschaft und dem Kapitalismus wenn er formuliert (meine Hervorhebungen):
"Es gibt auch eine Krise der stofflichen Basis des Kapitalismus - der ölbasierten Wirtschaft. Die kapitalistische Produktion der letzten achtzig Jahre ist in einem Mass auf einen Rohstoff konzentriert, wie es nie zuvor in der Geschichte der Menschheit der Fall war. ..... Die enge Anbindung des Kapitalismus an die Ölwirtschaft hat mit deren Struktur zu tun. Grob gesagt entfallen zwei Drittel des Umsatzes der hundert grössten Konzerne der Erde auf Ölförderung und Ölverkauf sowie auf den Auto- und Flugzeugbau."
In der Natur gespeicherte (Sonnen-)Energie, insbesondere in der Form von Rohöl (bzw. ursprünglich zunächst von Kohle), ist die Basis der Industriegesellschaft. Man kann sich wünschen oder glauben, dass die Menschheit dieses Stadium überwinden und zugleich mit dem Verschwinden der Rohölvorräte erneuerbare Energien in ausreichender Menge und zu tragbaren Preisen (Kosten) in ihren Dienst stellen kann. Nur war das bislang noch nicht in großem Umfang möglich (und die Erreichung dieses Zieles zeichnet sich, trotz kleiner Fortschritte, auch keineswegs ab). Jede Gesellschaft mit hoch entwickelter Produktivität (Industriegesellschaft) war und ist in diesem Sinne noch immer "ölbasiert". Daher waren bzw. wären auch jene Gesellschaften auf das Öl angewiesen, die ihre Produktionsweise "sozialistisch", d. h. in Zentralverwaltungswirtschaften, organisiert hatten bzw. organisieren würden. Soweit historische Erfahrungen vorliegen, haben sich diese Organisationsformen der Industriegesellschaft eher als noch größere Ressourcenverschwender erwiesen als die Marktwirtschaften. (Kuba ist kein Gegenbeispiel, denn selbst wenn man dort - zwangsläufig - mit Energie wohl eher sparsam umgeht, verschwendet der dortige Sozialismus die "ultimate ressource", indem er die bestmögliche Entfaltung des ökonomischen Potentials der Menschen behindert.
Das Bedürfnis (oder der Wunsch) der Menschen nach (möglichst schneller) und zielgenauer Fortbewegung auf der Erde - Auto fahren, fliegen - ist auch kein spezifisches Bedürfnis des Kapitalismus. Freilich befriedigt dieser derartige Bedürfnisse (und viele andere, welche direkt oder indirekt ebenfalls einen hohen Energie- und Ölverbrauch induzieren) besser als "der Sozialismus".
Andererseits gibt es auch keine Anhaltspunkte dafür, dass "der Sozialismus" eine nachhaltigere Wirtschaftsform wäre. Im Gegenteil lassen die im Sozialismus nur mangelhaft ausgeprägten Anreize für Verbesserungen vermuten (bzw. hat sich in der Vergangenheit tatsächlich gezeigt), dass sozialistische Organisationsformen des Wirtschaftens die Umwelt (beim Rohstoffeinsatz wie bei der Abfallbeseitigung) sogar noch mehr schädigen (oder sie allenfalls durch ihre ökonomische Rückständigkeit nicht noch mehr schädigen), als eine kapitalistisch organisierte Wirtschaft.
Es ist also eine Täuschung wenn man sagt "der Kapitalismus" sei ölbasiert. Ebenso ist natürlich auch meine in der Überschrift provokant aufgestellte Behauptung falsch, dass "der Kapitalismus KEINE ölbasierte Wirtschaft ist". Formallogisch ist sie dann richtig, wenn ich "Wirtschaft" im materiellen Sinne von Produktionsprozessen verstehe und also zum Ausdruck bringen will, dass der Kapitalismus keine "Wirtschaft" in diesem Sinne ist, sondern lediglich die Organisationsform der Produktionsprozesse. Zweifellos würde jedoch jeder Hörer / Leser eine solche Aussage als Behauptung auffassen, dass unsere Wirtschaft nicht vom Öl abhängt, und in dieser gängigen Bedeutung ist sie natürlich unzutreffend.
Man kann sich derartigen Einsichten allerdings auch gänzlich verschließen, indem man einfach behauptet, dass eine neue (oder die "wahre") Form des Sozialismus etwas völlig anderes sei als das, was sich historisch unter dieser Bezeichnung diskreditiert hat. Zukünftiger Sozialismus würde - werden Sozialisten aller Spielarten behaupten - selbstverständlich nicht nur die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen beenden, sondern auch die Ausbeutung der Natur durch den Menschen.
Eine solche Argumentation treibt zum einen Schindluder mit dem Begriff "Ausbeutung", indem sie unterschwellig eine gleiche Bedeutung dieses Begriffs in allen Zusammenhängen unterstellt. Das tut ja bereits die politische Propaganda von Marxisten, indem sie das volkstümliche Verständnis von Ausbeutung (ungerechter Profit, insbesondere dann, wenn er in den Konsum fließt, statt re-investiert wird) mit dem Marx'schen Verständnis von Ausbeutung (jeder Profit) gleichsetzt.
Im Zusammenhang etwa mit der Rohstoffgewinnung ist eine "Ausbeutung von Lagerstätten" die Entnahme von Material, unabhängig davon, wie viel oder wenig entnommen wird. In diesem Sinne ist jede Nutzung natürlicher Ressourcen eine Ausbeutung. Aber wer hier behauptet, dass nur der Kapitalismus die Natur ausbeute und der (richtige) Sozialismus nicht, legt (umgekehrt zum weiten gesellschaftlichen Ausbeutungsbegriff bei Marx) das volkstümliche enge Begriffsverständnis von Über-Nutzung zu Grunde.
Das andere Problem liegt darin, dass die gesellschaftlich-organisatorische und die technische Ebene des Wirtschaftens nicht unterschieden werden. Zwar hat z. B. gerade am Rückstand der historisch implementierten Erscheinungsformen des Marxismus gezeigt, das beide keineswegs von einander unabhängig sind: Die Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln hat sich demotivierend ausgewirkt anstatt, wie erhofft, die Arbeiter durch das Bewusstsein zu beflügeln, nunmehr "für sich" und nicht mehr "für die Ausbeuter" zu arbeiteten.
Sozialismus im marxistischen Sinne ist aber eine Organisationsform der industriellen Gesellschaft. Und es sind die Bedürfnisse einer hochtechnisierten Zivilisation, welche den Bedarf an natürlichen Ressourcen im Verhältnis zu früheren Kulturstufen (bei denen Umweltbelastungen bzw. Umweltschäden noch lokal begrenzt waren) ins Unermessliche gesteigert haben. Nicht zuletzt im Hinblick auf die geschichtlichen Erfahrungen mit realisierten "sozialistischen" Gesellschaften muss, wer anderes behauptet, dies konkret begründen.
Da das nicht möglich ist, werden Sozialisten wie Winfried Wolf weiterhin Worte an die Stelle von Gedanken setzen. Ich unterstelle Wolf und ähnlich argumentierenden Autoren nämlich keineswegs, dass sie ihr Publikum zynisch belügen wollen. Vielmehr sind sie insoweit selbst einem magischen Denken verhaftet, bei dem Worte und Dinge nicht mehr getrennt werden und wo man sich von der Invokation eines Wortes eine Änderung der Sache erhofft: Wortzauber; leider fauler Zauber.
Man könnte meine Kritik aber auch marxistisch formulieren: Der Ausbeutungsbegriff hat bei Wolf einen Fetischcharakter.
Textstand vom 01.06.2024
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen