In der Bahnhofsbuchhandlung im Nürnberger Hauptbahnhof war ein ganzes Schaufenster damit dekoriert: Mit Postern zum und Heften des aktuellen Greenpeace-Magazin(s). Titel: "Die Täuschung". Untertitel: "Ob Brot oder Milch - unsere Lebensmittel verkommen zur künstlichen Massenware."
Sicher hätte ich gern Näheres erfahren über "Der große Bluff mit unseren Grundnahrungsmitteln", aber 5,30 Euronen war es mir dann auch wieder nicht wert (und würde ich jetzt, nachdem ich das Inhaltsverzeichnis im Internet gesehen habe, erst Recht nicht bezahlen, weil die Verfälschung unserer Lebensmittel nur eines von vielen Themen ist. Was bei anderen Magazinen üblich ist, treibt man also auch bei Greenpeace: ein Thema mit einem Aufmacher groß herausstellen, aber letztlich dann doch nur unter anderen behandeln: mediale Häppchenpolitik!).
Aber nicht um den Inhalt oder meine Kaufentscheidung geht es mir hier, sondern um das Wort "Massenware" im Titel.
Auch ich bin nicht sonderlich glücklich mit vielem, was die Industrie uns als Futter oder oft als Fraß vorsetzt. Aber, verdammt noch mal, waren die Lebensmittel im vorindustriellen Zeitalter denn wirklich besser? Und wie will die Welt ihre aktuell ca. 7 Milliarden Bewohner ernähren, wenn nicht durch Massenproduktion?
Selbst ein Zeitkritiker wie George Monbiot räumt (in seinem Blog-Eintrag "Strange Fruit" vom September 2008; vgl. dazu auch diesen Blott von mir) ein:
"Though we still subsist largely on junk, even bilious old gits like me are forced to admit that the quality and variety of most types of food sold in Britain has improved."
Ich finde es äußerst gedankenlos, aber auch sehr arrogant, unterschwellig eine Herleitung von Problemen mit Produkten (Lebensmittel oder anderen) aus der Massenproduktion als solcher zu suggerieren.
"Unterschwellig herleitet" sage ich deshalb weil ich vermute, dass die Autoren keine Belege dafür erbringen, dass Massenproduktion zwangsläufig eine schlechtere (Lebensmittel-)Qualität ergeben muss als eine Herstellung im Haus, auf dem Bauernhof oder durch das Handwerk (dessen Produkte ohnehin von der Qualität der Vorlieferungen abhängen).
Mir schmeckt das versalzene Brot vom Bäcker jedenfalls nicht besser als das (meist zwar ebenso versalzene) Brot aus der Brotfabrik.
Und die Hühnereier aus der Massentierhaltung schmecken auch nicht zwangsläufig schlechter als solche von einem kleinen Nebenerwerbsbetrieb (wenn Fischmehl verfüttert wird, schmeckt das eine so schlecht wie das andere).
Vor allen Dingen könnte ich mir auf anderen Gebieten sehr viel weniger leisten, wenn nicht (auch) die Lebensmittel durch die Massenproduktion billiger wären, als sie es bei einer (nicht zwangsläufig liebevollen) Herstellung in einem handwerklichen Produktionsprozess sein könnten.
Nachtrag 28.10.2009
Im vorliegenden Zusammenhang ist auch ein auf den ersten Blick eher entfernter Text interessant, jedenfalls dessen Einleitung. In dem ZEIT-Essay "Schickes Ödland Großstadt" von Christian Staas vom 28.10.2009 lesen wir:
"In der Großstadtkritik des frühen 20. Jahrhunderts verbanden sich gleich mehrere Gedankenfiguren zu einem gefährlichen Amalgam. Die Grundierung war ein Gefühl allgemeinen Niedergangs, als dessen Sinnbild und zugleich ganz reales Zentrum man die moderne Großstadt ausmachte. Hier, so hieß es, verfielen Sitte und Anstand, breiteten sich Kriminalität und Alkoholismus aus. Gekreuzt mit der damals aufblühenden Vererbungslehre und den neuen Rassentheorien ergab sich daraus das Bild einer um sich greifenden Degeneration; das Soziale erschien nun in biologischen Begrifflichkeiten. Als dritter Diskurs schließlich koppelte sich an solche Denkfiguren die verächtliche Rede von der Masse, von der Massengesellschaft und der Vermassung an, sodass sich das Großstadtbild zu einer Schreckensvision verfestigte, in der sich die herrschenden bürgerlichen Klassen nun plötzlich als bedrohte Minderheit, als potenzielle Opfer des allgegenwärtigen Verfalls imaginierten."
Das ist doch wohl kaum der ideologische Rahmen, mit dem sich Greenpeace-Anhänger identifizieren können? (Oder etwa doch?)
Textstand vom 28.10.2009. Auf meiner Webseite
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