Montag, 28. Juli 2008

Energiedebatte: Wie wär's mal mit Realismus – nur so zur Abwechslung?

 
Nachfolgend mein (leicht korrigierter bzw. verbesserter) Beitrag von heute zur Debatte "Brauchen wir Atomkraft" in der "ZEIT":


Der Kernkraftgegner "debrasseur" hat in seinem Beitrag Nr. 16 den wertvollsten Satz im ganzen Forum formuliert:
"Wer Schäden durch nukleare Lagerung immer noch klein redet, obwohl darauf hingewiesen wurde, handelt mit sträflichem Leichtsinn und setzt mit seiner Handlungsweise Generationen aufs Spiel."
Um daraus freilich energetische Vollwertkost zu machen, müssen wir eine kurze Chromosomensequenz dieses Mentalitäts-Mems reparieren:
"Wer Schäden durch Energiemangel immer noch klein redet (oder gar nicht erst bedenkt), obwohl darauf hingewiesen wurde, handelt mit sträflichem Leichtsinn und setzt mit seiner Handlungsweise Generationen aufs Spiel."

Die Energie- und Klimadebatte ist (keineswegs nur in Deutschland, aber möglicherweise hier noch ein wenig mehr als anderswo)
  • die Ballettbühne der Traumtänzer ("Wir müssten ja nur etwas weniger / mehr …"),
  • das Varieté der Zauberkünstler ("Regenerative Energien haben ein riesiges Potential", "Hätte man nur mehr Geld in die Erforschung von xxx gesteckt, wären unsere Energieprobleme längst gelöst", "Wir stehen kurz vor dem Durchbruch zu …", "Energiesparen ist überhaupt kein Problem, wir müssen nur wollen" usw.) und

  • die Suppenküche der Arkan-Adepten aller möglichen Politikbereiche (Bevölkerungspolitik –Kindergeld-, Entwicklungspolitik –Hungerhilfe oder der Glaube, eine "gerechtere" Verteilung würde der Umwelt helfen, Sozialpolitik, Wirtschaftspolitik –Milliardenersparnisse durch Verlängerung der KKW-Laufzeiten sind bloß Peanuts- usw.)
Wozu sich vor "Peak Oil" fürchten? Der ist doch sowieso schon seit ca. 30 Jahren überschritten - pro Kopf der Weltbevölkerung (Grafik hier bei Al Bartlett am Schluss: http://fire.pppl.gov/energy_population_pt_0704.pdf). Wir sind noch lange nicht verelendet, aber vielleicht geht es uns (der Masse) ja deswegen schon seit einigen Jahren wirtschaftlich schlechter? Im übrigen halluzinieren wir kurzerhand eine abiotische Erdölentstehung - und schon haben wir die Kavernen wieder voll. Im Gehirn.
Oder lassen uns von der Politik zwingen, die Vergasung von Nahrungsmitteln zwecks Stromgewinnung zu subventionieren (Biogas).
Oder verspritten die Maiskörner: Hungertote statt Tortillas.
 
 Die Grünen sind äußerst lecksch, wenn es um die Stromgewinnung geht; aber nach Elektroautos lecken sie sich die Finger ("Neuer Liebling Elektroauto" von Marlies Uken, ZEIT online 25.6.2008). (Vgl. auch meinen Blott "Sensationelle Exklusivmeldung: Endlich ein sicheres Endlager für radioaktives Material identifiziert!").
Oder bauen Windräder - aber wehe, wehe es will jemand diese Dinger vor Ihre Haustür stellen - oder ins Watt.

Sonnenenergie, jawoll, das isses: eben mal die Sahara abdecken, und schon fließt der Strom - in Meerentsalzungsanlagen vielleicht, mit welchen dann der Homo Sahariensis seine Wüsten begärtnert und sich dabei prächtig vermehrt (wie übrigens auch die Saudis, die immer mehr von ihrem Stöffche selbst verbrauchen).

CO²? Ist doch gar kein Problem: wir sparen einfach weltweit eben mal eine Menge an Strom bzw. an Energie ein, die der Produktion von Tausenden von Kraftwerken entspricht (http://beltwild.blogspot.com/2008/07/ber-die-multistabile-wahrnehmung.html).

Und während Dummland, Dummland über alles wie bekloppt Ökostrom kauft ("Illusion Ökostrom"), "fördert" die Organisation terreur des hommes - oder heißen die terre des hommes? - die Entwicklungsländer, indem sie gegen Staudämme kämpft (http://beltwild.blogspot.com/2007/06/terreur-des-sommes.html). 
Intelligenz ist halt die allerknappste Ressource auf Erden überhaupt.

Falls jemand aus dieser Generation Schlaraffien sich überhaupt noch dafür interessiert, was Energie ist, woher sie kommen kann und wozu wir sie brauchen: lesen Sie die Rede "Energy Resources and Our Future" des US-Admirals Hyman Rickover ("Vater der amerikanischen Nuklearmarine"). Die hat er gerade gestern gehalten. Oder ist, historisch betrachtet, das Jahr 1957 etwa nicht "gestern"? Auf Englisch erstmals im Energy Bulletin(http://www.energybulletin.net/node/23151) veröffentlicht; bei dem Oil Drum ausführlich kommentiert (http://www.theoildrum.com/node/2724) und sogar auf der Webseite des US-Kongressabgeordneten Roscoe Bartlett (Republikaner übrigens!) eingestellt (http://bartlett.house.gov/UploadedFiles/DoDRickover1957SpeechAcknowledgement.pdf).
Deutsche Übersetzung? Doch, gibt es mittlerweile auch: bei mir!

Fazit: Die Epoche der Energie-Kulinarier ist abgelaufen Freunde; jetzt müssen wir sehen, wo wir überhaupt noch was zu fressen finden. Und das müssen wir schon heute auf den Herd setzen: sonst ist morgen ganz was anderes am Dampfen!

Ich meinerseits verabschiede mich dennoch vorübergehend aus der Energiedebatte. Muss mal die zahlreichen Zeit-Artikel über Alzheimer und Demenz lesen ("Wenn das Hirn aussetzt" - http://www.zeit.de/online/2008/29/alzheimer usw.). Oder meinen Sie es reicht, wenn ich die Energiedebatte analysiere?

CANABBAIA.    Motto: Interessen erhellen - sich Widersprüchen stellen


Nachtrag 16.08.08:
Zum Realismus ermahnt auf eindrucksvolle Weise der amerikanische Energieforscher VACLAV SMIL in einem Vortrag "ENERGY AT THE CROSSROADS" ("Background notes for a presentation at the Global Science Forum Conference on Scientific Challenges for Energy Research, Paris, May 17-18, 2006"). Smil ist skeptisch gegenüber den Zukunftsverheißungen der Propagandisten erneuerbarer Energien. Der Übergang von den fossilen Brennstoffen wird nach seiner Meinung lange dauern und nicht einfach sein. Allerdings hält er auch nichts von der Kernkraftnutzung. Vorsichtigen Optimismus äußert er allein über die Nutzung von Sonnenenergie. Insgesamt aber meint er, dass wir Energie einsparen sollen:
 "… Innovations and technical fixes cannot provide a lasting resolution. History shows that energy demand keeps growing even in the most energy-saturated affluent societies: encouraging worldwide diffusion of this trend (new China, and then India, aspiring to replicate the US) and trying to fill the supply through scientific and engineering ingenuity is not a formula compatible with maintaining a viable biosphere. Obviously, poor countries need more energy; but the rich ones should, sooner, rather than later, think about engineering rational reductions in energy use. All economies are just subsystems of the biosphere and the first law of ecology is that no trees grow to heaven. If we are not going to engineer thoughtful, gradual reductions, we run a considerable risk that the biosphere may do the scaling-down for us in a much less desirable (if not catastrophic) manner.
Der von mir hervorgehobene Satz überrascht mich allerdings bei einem Smil: hier präsentiert jemand eine Papierlösung, der sich äußerst skeptisch über Papierlösungen äußert. "Papierlösung" aus mehreren Gründen. Zum einen bin ich skeptisch, ob wir überhaupt zu einem freiwilligen Energiesparen in der Lage sind (vgl. die Überlegungen am Ende meines Blotts "Energie-BDSM: Fritz Vorholz für Breathcontrol-Play mit der Stromleitung?"). Sodann nützt es in der Gesamtbilanz überhaupt nichts, wenn die Menschen-Minderheit in den "reichen" Ländern z. B. die für sie gewaltige Menge von 50% an Energie spart, während die große Menschen-Mehrheit in den armen Ländern ihren Energieverbrauch um z. B. 100% (und das ist angesichts der Differenz im Energieverbrauch wenig!) steigern "darf" oder "muss": unter dem Strich käme eine gewaltige Steigerung heraus. Und schließlich hätte eine solche gegenläufige Entwicklung auch für uns fatale psychologisch-politische Folgen. Selbst wenn wir immer noch weitaus mehr Energie verbrauchen sollten als die "Armen", stünden wir in der Sicht der Welt und unserer eigenen Sicht auf einem absteigenden Ast, während die anderen sich selbst als die Aufsteiger betrachten würden. Von diesen Überlegungen ganz abgesehen, würde eine solche Entwicklung einen "Masterplan" für die ganze Welt erfordern – und darüber würde, wenn es konkretisiert würde, gerade Vaclav Smil nur Hohn und Spott ausgießen.
Überhaupt kann er ganz schön heftig werden, wenn es nämlich um die Energiegewinnung aus Pflanzen (Bioenergie) geht. Beinahe so drastisch wie ich (in meinem Blott "Werden wir in Deutschland nur von Idioten regiert - oder von Verbrechern?") schimpft er:
"Claims that … biomass could provide 50% of the world's TPES by 2050 or that 1-2 Gt of crop residues can be burned every year … would put the human appropriation of phytomass close to or above 50% of terrestrial photosynthesis. This would further reduce phytomass available for microbes and wild heterotrophs, eliminate or irreparably weaken many ecosystemic services and reduce the recycling of organic matter in agriculture: only an utterly biologically illiterate mind could recommend such an action." (Hervorhebung von mir).
 
Ein Optimist bezüglich der Sonnenenergie ist Prof. Dr. Volker Quaschning. Selbst wenn ich auch ihm gegenüber skeptisch bleibe, betreibt er jedenfalls eine sympathische und sehr informative Webseite, wo Interessierte zahlreiche Daten zur Energiefrage (bzw. Links zu Datenquellen), insbesondere für regenerative Energien und speziell natürlich zur Solar-Energien finden können.
 
 
Nachtrag 31.01.09:
Realist - in meinem Sinne - ist (inzwischen) auch James Lovelock. Der empfiehlt in einem Interview des "Guardian" vom 1.3.08: "Enjoy life while you can" - genießt das Leben; einige Jahre wird es noch ganz anständig sein, danach kommt, ohne dass wir daran etwas ändern könnten, die Katastrophe.
  
Textstand vom 03.10.2022

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