Freitag, 8. August 2008

Energie-BDSM: Fritz Vorholz für Breathcontrol-Play mit der Stromleitung?

 
Den Zeit-Autor Fritz Vorholz habe ich als kundigen Energie-Experten schätzen gelernt und verschiedentlich aus seinen informativen Beiträgen zitiert bzw. zu diesen verlinkt (hier, da, dort und nochmal). So sagt er z. B. in seinem Beitrag "Vierter Ölschock" vom 29.05.2008: "Es ist paradox: Einerseits muss der Westen Öl sparen, um sich unabhängiger von dem Stoff zu machen und um den Klimawandel zu begrenzen. Andererseits hoffen alle, dass schnell neue Förderkapazitäten entstehen, damit der Preis sinkt" und vermutet dann sehr richtig: "Fraglich, ob das eine oder das andere gelingt." (Hervorhebung von mir) In seinem Artikel "Atomkraft, nein danke" (10.07.2008) reiht er sich mit seinen Forderungen allerdings in die Reihen jener Wunderheiler ein, die uns kurieren wollen, indem sie uns den Saft abdrehen. Man könnte das "Cellini-Therapie" nennen, nach dem Bildhauer Benvenuto Cellini. Der berichtet in seiner Autobiographie (die einst kein Geringerer als Johann Wolfgang von Goethe übersetzt hat) von der mittelalterlichen Standard-Therapie gegen Fieber: dem Kranken nichts zu trinken geben. Cellini hat diese Behandlung überlebt, weil er vorschriftswidrig doch einen großen Krug voll Wasser getrunken hat; in Deutschland bzw. der Menschheit werden es viele nicht überleben, wenn uns erst eigene Unvernunft und später (das ist allerdings irgendwann wohl unvermeidlich) die Natur den Saft abdrehen.
Die Verurteilung von Vorholz als energetischem Wunderheiler rechtfertigt sich nicht unmittelbar daraus, dass er den Betrieb deutscher Kernkraftwerke über die in der Ausstiegsvereinbarung hinaus festgelegten Zeiträume ablehnt. Es lässt sich schließlich gar nicht bestreiten, dass die Stromerzeugung durch Atomkraftwerke gefährlicher ist und größere Probleme mit sich bringt als andere Methoden der Stromgewinnung. Wer sie (wie ich) dennoch befürwortet, nimmt eine Abwägung vor zwischen der mutmaßlichen Situation mit und ohne Nuklearreaktoren.
Das tut auch Vorholz, und in Sachen Klimaschutz nicht völlig abwegig. Selbst wenn man neue Kernkraftwerke baut, werden diese nicht ausreichen, um die Emission klimaschädlicher Gase in dem erforderlichen Ausmaß zu reduzieren. Allerdings können sie einen Beitrag zur CO²-Reduktion leisten.
Wer davon ausgeht, dass die Menschheit insgesamt in der Lage und auch bereit ist, ihren Energiebedarf zu reduzieren; müsste bestrebt sein, den restlichen Bedarf so klimaschonend wie möglich zu produzieren. Wenn der Betrieb von (abgeschriebenen) Kernkraftwerken kostengünstiger ist als z. B. von Kohlekraftwerken, werden die Energieerzeuger schon aus eigenem Interesse mehr von dem klimagünstigen Atomstrom produzieren und weniger Kohlestrom. CO²-Reduktions-Optimisten können ihre Hoffnungen allenfalls auf einen Mix von Energiesparen und saubererer Stromproduktion richten; insoweit allein auf Energiesparen zu setzen, sollte eigentlich selbst den Träumern zu träumerisch sein.
Nur Wolkenkuckucksheimer können indes glauben, dass die Menschheit insgesamt bereit oder auch nur in der Lage ist, ihren Energiebedarf zu reduzieren; der wird im Gegenteil weiterhin steigen (mehr dazu unten). Selbst in Deutschland werden wir keine massiven Einsparungen erzielen (und wenn solche in der Statistik erscheinen wäre zu prüfen, ob wir da etwa unseren Energieverbrauch in andere Länder ausgelagert haben: Energieintensive Industrien, Urlaubsreisen ... .). Bei einem steigenden Energiebedarf wäre es sogar noch wichtiger, den Strom möglichst sauber zu produzieren. (Ich selbst gehe davon allerdings aus, dass uns das Rohöl rasch ausgehen wird und dass wir deshalb jede Form von Energie - sauber oder unsauber - nutzen müssen und nutzen werden, um uns für einige Jahrzehnte noch halbwegs über Wasser zu halten. Das Klima wird mit ziemlicher Sicherheit ohnehin baden gehen – meint auch die Energie-Expertin Claudia Kemfert: "Der Klimawandel ist höchstens noch abzumildern".)

Wer die ökonomische Perspektive in der Debatte über eine Laufzeitverlängerung der KKWs auf die Frage verengt, wie viel jeder einzelne Stromkunde dabei spart, und ob überhaupt, will entweder den Leuten Sand in die Augen streuen (Kernkraftgegner) oder Honig ums Maul schmieren (Politiker). Die von Vorholz zitierte Meldung "Minimale Ersparnis durch längere AKW-Laufzeiten" (dieser Bericht stammt übrigens von ihm selbst) aus der Zeit Online vom 10.07.2008 enthält keinerlei Angaben zur Methodik der Studie. (Das wäre vielleicht von einem Zeitungsartikel auch etwas viel verlangt; andererseits ist die Zeit keine Zeitung, sondern eine Wochenzeitschrift mit mehr Seiten und mit dem Anspruch, vertiefende und Hintergrundinformationen zu liefern, die bei Tageszeitungen untergehen.) Immerhin wird aber in dem Artikel die Höhe der Gesamtersparnis genannt, welche durch längere Laufzeiten der Atommeiler in Deutschland anfallen würde: "E.on könnte laut Matthes mit 27,5 Milliarden Euro rechnen, RWE mit 17, EnBW mit 14 und Vattenfall Europe mit knapp 4,5 Milliarden Euro": in der Summe sind das 65 Mrd. Euro! Es müssten uns eigentlich eiskalte Schauer über den Rücken laufen wenn "Umweltschützer" solche Summen kurzerhand als "minimale Ersparnis" abtun und auf Centbeträge herunter rechnen. Denn schließlich zieht man uns mit der gleichen Argumentation "das macht ja nur ... Cent / Euro aus" ja auch auf anderen Gebieten zig Milliarden aus den Taschen. Selbst im Worst-Case-Szenario, bei dem die Stromkonzerne den ganzen Gewinn einsacken und keinen Cent an ihre Stromkunden weitergeben, würde der Staat - und würden damit im Ergebnis wir Bürger - via Gewinnsteuern mit zig Milliarden von dieser Ersparnis profitieren.
Im übrigen wäre es natürlich blauäugig anzunehmen, dass die Stromkonzerne ihre Preise nach der Formen "Gestehungskosten plus xxx % Aufschlag" kalkulieren und sofort ihre Preise senken, wenn sie drüber liegen. Es wäre aber schlicht ignorant wenn jemand behaupten wollte, dass die Strompreise völlig losgelöst vom Gestehungspreis sind. Und ebenso naiv wäre der Glaube, dass Öffentlichkeit und Politik die Stromerzeuger mit riesigen "Windfall Profits" ungeschoren davonkommen lassen würden.
Die Kernkraftgegner beschummeln uns also wenn sie vortäuschen, es wäre für die Bürger finanziell unwichtig, ob die Laufzeiten der AKWs verlängert werden oder nicht. Politiker dagegen vereinfachen die Sachverhalte, wenn sie ausschließlich auf mögliche Strompreissenkungen abstellen. Differenziertere Überlegungen, wie ich sie hier angestellt habe, sind auf dem politisch relevanten Teil des Meinungsmarktes nun einmal nicht zu verkaufen. Die Botschaft, dass (auch) der Bürger von einer längeren Laufzeit der Kernkraftwerke massiv profitieren würde, entspricht jedenfalls der Wahrheit.
Wer Haushaltspolitik nach dem Motto betreiben wollte "Wenn die Energiefrage zur Überlebensfrage geworden ist, dann müssen in einem 280 Milliarden Euro schweren Bundeshaushalt ausreichend Forschungsmittel lockergemacht werden können", wie Vorholz meint, wäre als Finanzpolitiker ein Super-Gau für Deutschland. Ohnehin wäre es fragwürdig, die eingesparten Milliarden in die Erforschung regenerativer Energien zu stecken: Masse gebiert nicht zwangsläufig Klasse.
Im übrigen: Wenn die Energiefrage wirklich zur Überlebensfrage geworden ist, was die Meinung von Vorholz ebenso sein dürfte wie es definitiv die meine ist, dann können wir es uns auf gar keinen Fall leisten, nicht alles zum Einsatz zu bringen, was physisch und technologisch derzeit für die Energieerzeugung verfügbar ist: auch Uran, so lange die Vorräte noch reichen.

Vorholz fürchtet, dass sich die derzeit weltweit 439 Atomkraftwerke für den Menschen und die Umwelt noch als Albtraum erweisen könnten. Er wird freilich kaum friedlicher schlummern, wenn nur noch 422 Kernkraftwerke Strom produzieren. Ganz allgemein scheinen mir die Kernkraftgegner die Folgen von Energiemangel (wie sie z. B. der US-Admiral Hyman Rickover schon 1957 in einer glänzenden Rede eindrucksvoll ausgemalt hatte - vgl. meinen Blott "Salut für den Atom-Admiral! Hyman Rickovers visionäre Energie-Rede aus dem Jahre 1957 hier in deutscher Übersetzung" - sträflich zu unterschätzen. Die ruhen mir etwas zu bequem auf ihren Kissen-Gewissen, von denen aus sie ihre Götter der Solarenergie und der Energiesparschweine anflehen, dass diese ihre Mitmenschen endlich auf den Pfad der Erleuchtung schicken mögen. Beide Herrschaften sind zwar ehrenwert, aber leider nicht omnipotent, sondern im Gegenteil sehr begrenzt in ihren Wirkungsmöglichkeiten.
Vorholz will uns voll auf Energiespar-Diät setzen, denn Kohlekraftwerke lehnt er ebenfalls ab, jedenfalls den Bau neuer Anlagen. Begründung: "... in 40 Jahren, Mitte des Jahrhunderts, müssen Länder wie Deutschland ihren CO²-Ausstoß um 80, womöglich um 90 Prozent gesenkt haben, soll die Erderwärmung in Grenzen gehalten werden". In der Tat ist das mit Kohle-Kraftwerken nicht zu schaffen: solche Werte sind mit Sicherheit überhaupt nicht zu schaffen. Wer außerdem noch glaubt, allein durch Energiesparen dahin zu kommen, hat eine absolut unrealistische Perspektive.
Im Prinzip hat Vorholz natürlich Recht: Politiker, Manager und Verbraucher bewegen sich in der Tat nur unter dem Druck der Verhältnisse. [Wohl deshalb bewegen sich derzeit ja auch schon die ersten Atomgegner - aber für Vorholz sicher in die falsche Richtung]. Nur: ‚Druck machen damit sich etwas bewegt' ist leicht gesagt: was bedeutet das in der Realität für uns?

Konkret können wir einen solchen "Druck" auch als einen Zug an der Stromleitung visualisieren. Es ergäben sich dann folgende Szenarien:

In unserer Gesellschaft, d. h. in den entwickelten Ländern, gibt es viele Leute, denen die Stromleitung recht locker um die Schultern hängt. Bei einigen ist sie so weit weg, dass die sich gar nicht vorstellen können, so ein Ding könnte am Hals mal unbequem werden. Andere (sehr viel mehr Menschen) schnürt sie schon eng genug ein, um ihnen das Atmen zu erschweren. Jegliche Verknappung von Energie wirkt zunächst einmal wie ein Zug an einem einheitlichen Seil um aller Menschen Hälse, d. h. in meinem eben entwickelten Bild merken einige noch lange nichts davon, während andere nur mit Mühe atmen könnten und manchen der Atem dauerhaft abgeschnitten würde.
In Kriegszeiten, jedenfalls in den insoweit gewissermaßen ‚zivilisierten' beiden Weltkriegen, wo die erforderliche Bürokratie verfügbar war, hat man den Kabelzug im Prinzip individuell feinjustiert, nämlich durch die Zuteilung von Lebensmitteln und anderen Gütern, also durch Rationierung. Auch in jenen Zeiten schwamm zwar das Fett (bzw. die Cleverness) oben, aber immerhin hielt die Gesellschaft auch ihren anderen Bürger das Stromkabel soweit von der Luftröhre weg, dass sie (gerade noch so) atmen konnten.

Massives Energiesparen, das durch eine natürliche oder mehr oder weniger "künstliche" (darunter verstehe ich hier auch den Verzicht auf Atomkraftwerke) Energieverknappung (die Vorholz ja will) erzwungen wird, führt in einer Marktwirtschaft zu Preiserhöhungen. Freiwillige Verzichte auf Energieverbrauch wird es im erforderlichen Umfang nicht geben. Niemand wird freiwillig von seinem Porsche auf einen Polo umsteigen, schon gar nicht vom Polo aufs Fahrrad. Eine freiwillige "Feinsteuerung" ist also unmöglich; eine marktwirtschaftliche "Globalsteuerung" schnürt jedoch ihrer Natur nach (da sie Knappheitssignale nur über die Preise setzen kann) einigen oder vielen oder allen von denen die Kehle ab, denen das Kabel schon jetzt eng ansitzt (und irgendwann sogar noch vielen anderen, die seine Existenz bislang gar nicht wahrnehmen). Auch ich gehe davon aus, dass es eines Tages aufgrund der Ressourcenverknappung zu einer massiven und sich rasch verschärfenden Energieverknappung kommen wird, nur möchte ich diese im Unterschied zu Hr. Vorholz möglichst lange hinauszögern und würde dafür sogar die Nutzung der Kernkraft in Kauf nehmen. Wenn es dann doch so weit kommt, werden zumindest die entwickelten Gesellschaften aller Wahrscheinlichkeit nach wieder mit einer Art Kriegswirtschaft mit Zuteilungen reagieren. Man könnte das natürlich schon mal freiwillig üben und müsste das wohl auch, wenn man die Energie schon vorher "künstlich" verknappt, indem man mögliche Energieressourcen ungenutzt lässt.
Kriegswirtschaft ist allerdings kein Vergnügen, denn abgesehen davon, dass sie nur den Mangel verwalten kann, generiert sie noch ihre eigenen Ineffizienzen und möglicher Weise auch Fehlallokationen der knappen Ressourcen. (Von der "Weisheit" der Politik – aber auch eines Großteils der Experten - liefert uns ja schon jetzt die Bioenergie erschreckende Exempel, und während unsere "Grünen" zwar bei der Stromerzeugung ausgesprochen leksch sind, sich aber schon die Finger nach Strom verbrauchenden Elektroautos lecken. Die müssten sie dann allerdings mit ihrem sauberen Gewissen antreiben, denn saubere Energie in den nötigen Mengen wird es nicht einmal dann geben, wenn wir die Atomkraftwerke weiter betreiben.)

Nun muss Energiesparen ja nicht unbedingt durch Umstieg vom Porsche auf den Polo erfolgen; man könnte sich ja auch vorstellen, dass z. B. Porsche einen Sportwagen mit gleichem Leistungsvermögen, aber deutlich geringerem Energieverbrauch konstruiert. Selbst unterstellt, dass das möglich wäre, bleibt es dennoch beinahe unmöglich, durch solche wissenschaftlich-technischen Großtaten freiwillig Energie zu sparen.
Warum ist der Menschheit das Energiesparen unmöglich, obwohl der Einzelne oder auch einzelne Organisationen oder Gruppen durchaus Energie einsparen können? Es gibt zwei Alternativen, wie sich Energiesparen auf unser Portemonnaie auswirkt, bzw. zwei Dimensionen der Wirklichkeit, in denen sich dieses "Sparen" abspielt:   
 

- Entweder wir stecken z. B. in Wärmedämmung oder energiesparende Produktionsverfahren mehr Geld rein, als wir rausholen (Stichwort: "1-Liter-Auto"?). Dann wird im Großen und Ganzen dafür auch viel Energie aufgewendet worden sein; unter dem Strich haben wir also Null Energie gespart.
Das ist die physikalisch-technische Dimension, die entsprechend und vielleicht noch mehr für die Energieerzeugung gilt. Denn gerade im letzteren Bereich verkauft man uns gern alternative Energien in Form von Mogelpackungen mit der Begründung, dass sie ja "nur" mehr Geld kosten, und da wir doch so reich sind, müsste uns die Energiesicherheit doch ein paar Euro extra wert sein. Es liegt mir fern, diese Argumentation in Grund und Boden verdammen zu wollen, denn gerade wenn man davon ausgeht, dass uns die fossilen Brennstoffe schon in Kürze ausgehen, muss man es begrüßen, dass die Menschheit alles Mögliche ausprobiert, um diese zu ersetzen. Nur darf man sich (und seine Mitmenschen) nicht grundsätzlich darüber täuschen, dass "hohe Kosten" in der Regel bedeuten, dass ein hoher Energieaufwand in die jeweilige Art von Energiegewinnung gesteckt wurde; im ungünstigsten Falle (so anscheinend großenteils bei der "Bioenergie)", steckt man sogar mehr Energie rein als man rausholt. Man muss die Möglichkeiten ausloten, darf aber nicht in Überschwang verfallen und vor allem nicht glauben oder so tun, als ob es keinerlei Zusammenhang zwischen Kosten und Energieeinsatz gebe. Jegliche Art von Energiegewinnung frisst selbst Energie, sie frisst sich also zum Teil (bzw. ganz; im allerschlimmsten Falle frisst sie sogar noch zusätzlich reingesteckte Energie) selbst auf. Wir müssen darauf schauen, dass unter dem Strich möglichst viel für uns übrigbleibt; vom Drauflegen kann weder der Kaufmann leben, noch der Energienutzer.   
 

- Oder die Sache ist für uns finanziell ein lohnendes Geschäft (Stichworte "Energiesparlampen", "Standby abschalten"): dann haben wir bei dieser konkreten Maßnahme auch einiges an Energie eingespart. Nur: was machen wir dann mit dem Geld, das wir durch diese Energiesparmaßnahme in Zukunft übrig haben? Soweit wir es nicht in die Derivatewirtschaft versenken, kaufen wir uns halt etwas anderes dafür, machen eine Urlaubsreise oder, wenn wir edel (aber nicht besonders weitsichtig) sind, füttern unsere Futterkonkurrenz in den armen Ländern durch (nein, meine Zeit als Edel-Mann ist vorbei: in unserer Epoche des greifbar nahen Energiemangels bevorzuge ich eine realistische Perspektive). Egal wie: wir kaufen bzw. bezahlen andere Güter oder Dienstleistungen, zu deren Produktion Energie benötigt wird; gespart ist damit gar nichts.
Das ist die volkswirtschaftliche Dimension: technisch und ökonomisch wirksame Energiesparmaßnahmen (betriebswirtschaftliche Rationalisierungen) führen noch lange nicht zu einer gesamtwirtschaftlichen Minderung des Energieverbrauchs. Dieses Problem (bzw. einen Sonderfall davon) hat schon vor beinahe 150 Jahren der britische Ökonom William Stanley Jevons erkannt; nach ihm sprechen wir vom "Jevons' Paradoxon" bzw. auf Englisch "Jevons Paradox". Dieses geht allerdings sogar noch über die Frage der Einsparmöglichkeiten hinaus, denn danach führt "technologischer Fortschritt, der die effizientere Nutzung eines Rohstoffes erlaubt, letztlich zu einer erhöhten Nutzung dieses Rohstoffes …, anstatt sie zu senken" (Zitat Wikipedia). Aber darauf, ob bzw. unter welchen Bedingungen und in welchem Umfang das zutrifft (Industrielle Revolution?!) oder nicht, kommt es hier nicht an; an dieser Stelle reicht die Feststellung, dass wir den Energieverbrauch nicht einfach dadurch senken können, dass wir die Energieeffizienz von Produktionsprozessen usw. steigern.   
 

Ob und ggf. auf welche Weise man dieses Problem aushebeln kann, ist zumindest im englischen Sprachraum Gegenstand einer intensiven Debatte. Mehr darüber hoffe ich demnächst in einem eigenständigen Blott zum Thema "Energiesparen" einzutragen. An dieser Stelle muss es genügen, einen Link zu dem Stichwort "Rebound effect" in der "Encyclopaedia of Earth" zu setzen. Es handelt sich dabei um einen sehr ausführlichen und anspruchsvollen Eintrag des britischen Wirtschaftswissenschaftlers Horace Herring, der sowohl über die Problematik als solche wie auch über die wirtschaftswissenschaftliche Diskussion (und deren Geschichte) informiert.
Ergänzend möchte ich hier jedoch noch die Begriffe aufführen (falls Leser danach googeln wollen), die in diesem Artikel genannt werden (auch deren "Erfinder" sind dort aufgeführt) und unter denen die Debatte auf Englisch geführt wird (in Klammern die Google-Treffer, zunächst allgemein, dann für "Seiten auf Deutsch", wobei sich allerdings auch dort einige englischsprachige Webseiten einschleichen):
"Conservation paradox" (1.080 // 1.080 - die Suchmaschine unterscheidet hier nicht; wahrscheinlich findet sie den Begriff auf deutschsprachigen Webseiten überhaupt nicht)
"Jevons paradox" - 10.500 // ganze 67!
"Khazzoom-Brookes postulate" - 538 // 2 (!)
"Rebound effect" - 158.000 // 1.130 (Dieser Begriff ist allerdings sehr unspezifisch und wird keineswegs nur in der Energiespardebatte verwendet; die Zahlen sind also nicht aussagekräftig)
Merkwürdiger Weise scheint man in Deutschland diese Problematik so gut wie gar nicht zu diskutieren. (Eine rühmliche Ausnahme ist der allerdings kurze Artikel "Steigerung der Energieeffizienz: Problem oder Lösung?" von Reinhard Madlener und Blake Alcott aus der Zeitschrift "ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN", 57. Jg. -2007-, Heft 10; online auf der Webseite des Co-Autors Alcott.) Um unser (der Menschheit insgesamt) Dilemma wenigstens mal auf den Begriff zu bringen (d. h auf einen deutschsprachigen Begriff) schlage ich (in Anlehnung an die o. a. Bezeichnung "Conservation paradox") vor, diesem Kind, welches uns unser wohliges Energie-Spar-Bad auszuschütten droht, den Namen "ENERGIESPAR-PARADOX" (bzw. "Energiespar-Paradoxon") zu geben. Der Ausdruck kommt einem dermaßen leicht über die Lippen dass man sich wundert, bei Google nur 2 Treffer zu erhalten. Armes Deutschland! Kein Wunder, dass deine Vorholzens gedeihen.
Der eine Fritz ist natürlich nicht das Problem, das liegt darin, dass recht viele Menschen der Komplexität des Themas ausweichen: unser Drang nach umfassender Welterkenntnis wird leider übertroffen von unserem Bedürfnis, mit unseren kleinen Patscherchen recht unbekümmert in diesen Zusammenhängen herumzufummeln. Andererseits ist einzuräumen, dass viele Menschen, die nicht groß über die Zusammenhänge nachdenken, sie dennoch richtig erfassen. Man braucht sich ja auch lediglich immer wieder klar machen, dass nichts von nichts kommt.   
 

Eine ähnliche Position wie Vorholz vertritt wohl auch der sehr bekannte amerikanische Energieexperte und Kernkraft-Gegner Amory Lovins. Auf den ersten Blick klingt es gar nicht schlecht, was er z. B. in dem Gespräch "Energy Tribune Speaks with Amory Lovins" in der Energy Tribune vom 09.11.2007 sagt. Beim Überdenken seines sonnigen Optimismus wird man aber doch skeptisch: z. B. ist eine unbegrenzte Effizienzsteigerung bei der Energieverwendung unmöglich. Sein Interviewpartner Robert Bryce gibt ihm denn auch in seinem Artikel "Green Energy Advocate Amory Lovins: Guru or Fakir?" vom 12.11.07 im gleichen Magazin heftig kontra. Und Lovins' Argumente gegen die Kernenergie (die im ersten Anhören ebenfalls nicht schlecht klingen) schmelzen wie Schnee in der Sonne unter dem Angriff einer Artikelserie ("Amory Lovins and His Nuclear Illusion - Final Thoughts" ist davon der letzte) in dem Blog "NEI Nuclear Notes. News and commentary on the commercial nuclear energy industry".   
 

Dies mag in Sachen "Energie-BDSM" und "Breathcontrol-Play mit der Stromleitung" zunächst genügen; im Übrigen hoffe ich sehr, dass ich Sie demnächst auch in meinem geplanten Energiespar-Blott als Leser / Leserin begrüßen darf!
   
 

Nachtrag 09.08.08
So, nun weiß ich wenigstens auch, mit welchen Rezepten Fritz Vorholz die Welt retten will. Jedenfalls glaubt er "Die Welt ist noch zu retten" (DIE ZEIT, 08.03.2007). Ich will dieses Florilegium aus dem Reich der Pläneschmiede und Projektemacher nicht im Detail kommentieren. Unvoreingenommene Leser mögen sich ihr eigenes Urteil bilden; Traumtänzern würde selbst eine eingehende Widerlegung nicht die Binden von den Augen reißen.
Allerdings kommen Vorholz' gute journalistischen Manieren seinem Idealismus gelegentlich in die Quere. So wenn er darlegt, dass sich die (unpolitisch gesprochen) "Grünen" gegenseitig selbst nicht grün sind, wenn es um den richtigen Menschheits-Rettungs-Pfad geht: Die einen wollen uns Windenergie und Sonnenstrom aus riesigen Entfernungen andienen [da würden dann freilich die Wüstenbewohner zunächst einmal ihre heißen Hütten kostengünstig kühlen]; die andere Schule setzt auf dezentrale Energieerzeugung mit Blockheizkraftwerken [ganz abgesehen von den in der Wikipedia beschriebenen Nachteilen müssen die ja wohl auch irgendwie gefüttert werden: Bauen wir dann riesige Gasleitungsnetze, oder transportieren wir die Kohlen mit LKWs dorthin? Und um die alle im Verbund zu betreiben, würden wir wohl auch ein superkomplexes Reglernetz benötigen].
Unkommentiert stellt Vorholz seinen Lesern auch vor, was der Energieexperte Ottmar Edenhofer zur zukünftigen Rolle der Kernenergie im Hinblick auf das Ziel des Klimaschutzes meint: "Die Atomkraft spielt keine große Rolle …". Richtig: wenn man den gesamten Energieverbrauch nimmt, spielt sie in der Tat weder gegenwärtig noch zukünftig eine übermäßig große Rolle. Aber wer ausschließt, dass sie eine "große" Rolle spielt, impliziert zugleich, dass wir auch in Zukunft nicht ohne sie auskommen werden.
Selbstwidersprüchlich wird, was der Autor uns im Untertitel verheißt [Hervorhebungen von mir]: "Klimaschutz, Wirtschaftswachstum, Bevölkerungsexplosion: Die Menschheit kann sich alles leisten – wenn sie sofort umdenkt" und am Schluss noch einmal bekräftigt: "Die Menschheit kann die Kurve bekommen, ohne ihr Wohlstandsstreben aufzugeben" – wenn der Verfasser uns in Absatz 5 verkündet: "Die Zukunft zu retten ist anspruchsvoll und anstrengend und nicht zuletzt auch eine Sache des Verzichts". Also, Frittken, ich sach's mal so: Wer uns den Weg des Heils weisen will, sollte sich doch wenigstens für eine der beiden Abzweigungen entscheiden: Verzicht oder Sonntagsspaziergang (wo wir auf der Wiese auch an der Fortsetzung der Bevölkerungsexplosion arbeiten könnten).
Nachtrag 26.08.08
"Efficiency Policy, Jevon’s Paradox, and the 'Shadow' Rebound Effect" lautet der Titel eines "guest post" von Jeff Vail (hier seine Nachbetrachtung auf seiner eigenen Webseite "Rhizome") in "The Oil Drum". Vail macht darauf aufmerksam, dass wir Geld, welches wir durch Energiesparen übrig haben, höchstwahrscheinlich anderweitig ausgeben - und damit gewissermaßen die Energiebilanz der Gesellschaft an anderer Stelle belasten.
Außerordentlich interessant (und größtenteils recht niveauvoll) ist die (jetzt geschlossene) Debatte (ich hatte sie zum Lesen ausgedruckt: 89 S.!). Da dürften so ziemlich alle Meinungspositionen vertreten sein (wenn auch nicht proportional zu ihrer gesellschaftlichen Häufigkeitsverteilung: die "Cornucopians" sind naturgemäß auf einer solchen Webseite, bei der es um die drohende Gefahr eines Ölfördermaximums geht, unterrepräsentiert). Und es werden eine Reihe sehr einsichtsvoller Gedanken geäußert. Eine wirklich empfehlenswerte Lektüre wenn man wissen will, was die anderen über die Risiken von "Peak Oil" denken und wie sie die (Un)Möglichkeit einschätzen, einen Crash unserer Zivilisation abzuwenden.


Nachtrag 02.09.2008
Wer sich dafür interessiert, wie die Menschen - nicht Goethe & Co., sondern die Masse - in der energiearmen Vorölzeit wirklich lebten, oder wer einfach der literarischen Horrorstories überdrüssig geworden ist und sich mal wieder richtig gruseln möchte: solchen Suchenden empfehle ich einen Aufsatz des verstorbenen Hamburger Hygieneprofessors Stefan Winkle über die sanitären Verhältnisse im Paris des "Ancien Régime": "Paris am Vorabend der Französischen Revolution. Städtehygienisches und Sozialmedizinisches aus Merciers 'Tableau de Paris'
." (Auch hier zu finden.)
 
Textstand vom 03.10.2022

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