Sonntag, 8. März 2009

Mehr Milch für die Mütter! Die Grünen als Seelsorger in der Opel-Krise

"Der Konsul von Florenz" heißt das Buch, aus welchem ich hier die Milch für meinen Titel sauge, und wurde verfasst von David Tutaev. Es beschreibt die (großenteils erfolgreichen) Bemühungen von Gerhard Wolf, damaliger deutscher Konsul in Florenz, die Stadt in der Endphase des 2. Weltkrieges (1944) vor Kriegszerstörungen zu bewahren.
Der Inhalt steht mir nur noch in sehr grober Form vor Augen, aber eine Passage, die Tutaev nur nebenbei erwähnt, ist haften geblieben. Die Lebensmittel wurden knapp, und insbesondere auch die Milch. Die Milchrationen für werdende Mütter waren absolut unzureichend, woraufhin der Erzbischof von Florenz den deutschen Stadtkommandanten aufforderte, die Rationen zu erhöhen.
Nun war zweifellos die Milchknappheit kein von den Nazis bzw. der deutschen Wehrmacht künstlich erzeugter Mangel, etwa zur Ausrottung von italienischem Nachwuchs im Rahmen der nationalsozialistischen Rassepolitik. Vielmehr war, wie es im Krieg halt manchmal so geht, das Zeug einfach nicht in ausreichender Menge vorhanden.
In einer solchen Situation nützt es naturgemäß wenig, plakative Forderungen an den Stadtkommandanten zur Aufstockung der Rationen zu richten. Dennoch kommt so etwas beim Publikum immer gut an.

Von ähnlicher Prediger-Qualität sind die Reaktionen der Grünen in der Opel-Krise.
Aus meiner Sicht ist das Unternehmen in einem marktwirtschaftlichen Rahmen nicht zu retten (vgl. auch meinen Blott "Opel: Rettung für lebendige Tote? ... " vom 16.11.2008 ff.), und schon gar nicht im bestehenden Umfang. Der Staat kann, mit Steuermitteln, den Opel-Karren natürlich aus dem Dreck ziehen: doch würde er damit zugleich die Konkurrenten in den Morast schicken.

Warum kann der Markt Opel nicht retten? Es sind nicht nur und nicht in erster Linie Opel-spezifische Defizite - Design, Technik, Patente im Eigentum von GM oder was auch immer. Der Automobilmarkt weist schlicht und einfach allzu große Überkapazitäten auf. Opel ist sicherlich keine schlechte Firma, aber doch ein klein wenig schlechter positioniert als andere und daher das (in Deutschland) schwächste Glied im System. Wer Opel subventioniert, schädigt deshalb zwangsläufig die Wettbewerber, d. h. hier bei uns insbesondere die im gleichen Marktsegment positionierten Anbieter Ford und Volkswagen.

Die Politik wird möglicherweise dennoch Milliarden reinbuttern. Jedoch ist ihre Zielsetzung schon vom Ausgangspunkt her verfehlt: nicht einfach Opel als Unternehmen will man retten, sondern Arbeitsplätze in möglichst großer Zahl und möglichst alle über Europa verstreuten Fertigungssätten und Werke. Damit sind politische Rettungsbemühungen von vornherein zur Untauglichkeit verdammt, denn wenn Opel überhaupt eine Chance haben soll, müsste die Fa. so rationell wie möglich aufgestellt sein: Beschäftigtenzahl drastisch reduzieren, Produktion in wenigen Werken konzentrieren.
Aber auch das würde allenfalls vorübergehend helfen. Das zentrale Problem, das Opel in wenigen Jahren genau das Genick brechen wird wie vielen anderen Automobilherstellern, ist der Rückgang der Erdölförderung (Peak Oil, Ölfördermaximum). Mittlerweile prognostiziert sogar die Internationale Energieagentur eine "Krise ... deren Ausmaß die gegenwärtige übertreffen könnte", und zwar bereits für das Jahr 2013 (vgl. auch meinen Blott "Konjunkturpolitik in 2. Weltwirtschaftskrise (WWK II): Ohne Konjunkturprogramme steuern wir in den Abgrund. Mit Ankurbeln steuern wir gegen die Wand."). Es ist allerdings eine Verschleierung der Fakten wenn dort als Grund angegeben wird, "dass große Ölkonzerne derzeit ihre Investitionen in neue Förderprojekte stoppten" . Es ist schlicht nicht mehr genug Rohöl im Boden, um große Investitionsprojekte lohnend erscheinen zu lassen. (Wäre es anders, müssten wir die Ölgesellschaften verstaatlichen und die Mittel aus den Konjunkturprogrammen dort investieren!)

Wir haben es derzeit eben nicht mit einer Weltwirtschaftskrise nach dem Muster der WWK I um 1930 zu tun oder, wenn es doch Parallelen gibt, werden die bei einem Anziehen der Konjunktur sehr schnell von Rohstoffknappheiten überlagert, die damals (soweit mir bekannt) keine Rolle gespielt haben. Was wir jetzt bräuchten, ist kein "Anschlussdenken", dass einfach vom Bestehenden und Gewohnten ausgeht, und das ein wenig modifizieren will (etwas weniger Spritverbrauch, etwas weniger CO2-Ausstoß). Wir brauchen einen intellektuellen, ökonomischen und politischen Paradigmenwechsel, einen Sprung - ins Ungewisse. Wie der aussehen könnte? Ich weiß es nicht, und ebenso wenig, ob er etwas nützt.

Von den anderen Parteien kann man nicht erwarten, dass sie solche Zusammenhänge thematisieren. Aber nicht einmal die Grünen sagen den Menschen die Wahrheit. Die träumen von verbrauchsarmen Autos, Bioenergie und Elektroautomobilen (denen sie als Gegner von Atomkraftwerken und Kohlekraftwerken im Ergebnis gleichzeitig den Saft abdrehen wollen).

So kommt denn auch von dort nur Blabla, nicht anders als von den anderen Parteien.

Der Handelsblatt-Artikel "Rettungs-Debatte. 'Schäuble spielt mit Opel Russisch Roulette' " vom 06.03.2009 referiert kritische Stimmen aus der Politik zu dem Handelsblatt-Interview mit Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble "Schäubles Rat vor Krisentreffen. 'Opel sollte über Insolvenz nachdenken' ", ebenfalls vom 6.3.09, darunter auch eine Stimme der Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
"Die Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion im Bundestag, Thea Dückert, warf Schäuble ... unverantwortliches Verhalten vor. ... „Die Beschäftigten haben einen Anspruch auf eine faire Prüfung von Lösungsvorschlägen“, betonte die Grünen-Politikerin und fügte kritisch hinzu: „Schäuble will sie ihnen verwehren“."
Der böse Schäuble ist also Schuld, wenn den Menschen das Milchgeld ausgeht; Peak Oil - was ist das?

Die Pressemitteilungen der Partei lassen gleichfalls erkennen, dass die Grünen vor der in naher Zukunft drohenden Ressourcenverknappung die Augen verschließen.

Unter der Überschrift "Opel retten? Ja, aber nachhaltig!" (18.02.09) wird die Meinung des Grünen-Chefs Cem Özdemir referiert:
"Wer jetzt auf alte Technologien setzt, steht morgen vor der nächsten Krise. ... Opel soll nur dann Staatshilfe erhalten, wenn der Automobilhersteller seine Produktpalette auf zukunftsfähige Fahrzeuge mit geringem CO2-Ausstoß umstellt. ...
Opel sei ein solide geführtes Unternehmen mit Zukunftsperspektive, das gerettet werden kann, wenn ihm die Unabhängigkeit vom untergehenden Konzern General Motors gelingt. Dies machten gestern in Berlin auch der gesamte Bundesvorstand und die Landesvorsitzenden von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN deutlich.
"
Und nach dem fröhlichen Zwischentitel "Opel kann gerettet werden - ökologisch und sozial verträglich" erfahren wir:
"Cem Özdemir sagte der dpa am Mittwoch, die Kriterien für eine Unternehmensrettung dürften nicht die Größe des Unternehmens oder die Stärke seiner Lobbyisten sein. Unternehmerische Unabhängigkeit sowie ein ökologisch und sozial tragfähiges Konzept seien dagegen der richtige Weg, um die 25.000 Arbeitsplätze auch langfristig zu sichern."
Glaubt der Mann allen Ernstes, dass die Automobilindustrie in ihrem derzeitigen Umfang und ihrer derzeitigen Bedeutung für unsere Wirtschaft mit einem etwas grüneren Anstrich ("ökologisch tragfähiges Konzept") zu retten ist?

Ebenfalls vom 18.02.2009 datiert die Mitteilung "Staatseinstieg bei Opel bleibt Ultima Ratio", und auch dort wird die bittere Realität mit hübschen Begrifflichkeiten verkleistert:
"Zunächst muss Opel ein zukunftsfähiges Unternehmenskonzept vorlegen. Dies ist die Grundvoraussetzung für eine staatliche Beteiligung. Die Automobilbranche ist hart umkämpft. Trotz staatlicher Subventionen wie der Abwrackprämie, ist der Autoabsatz stark rückläufig. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Markt für herkömmliche Automobile in Europa und Nordamerika gesättigt ist. Der Markt der Zukunft liegt in verbrauchsarmen Modellen und alternativen, CO2-armen Antriebstechnologien. Wenn Opel diese ökologische Neuausrichtung in ein tragfähiges Unternehmenskonzept bettet, kann eine staatliche Unternehmensbeteiligung sinnvoll sein, um die Neuorientierung zu stützen. ... In der Bundesrepublik dürfen staatliche Gelder nur dann fließen, wenn ... Opel ein zukunftsfähiges Unternehmenskonzept vorlegt, das seinen Schwerpunkt auf die ökologische Neuausrichtung des Unternehmens legt und Wettbewerbsverzerrungen in der Automobilbranche vermieden werden. [Letztere Bedingung würde eine Staatshilfe von vorherein ausschließen, aber offenbar ist sie nur als Placebo gedacht und nicht ernst gemeint.] Die Krise der Automobilbranche hat ihre Ursache nicht allein in der Finanzkrise. Vielmehr hat die Bundesregierung durch falsche Anreize und unsinnige Subventionen eine falsche Produktpolitik der Autohersteller gefördert. Besonders das Dienstwagenprivileg hat diese Fehlentwicklung vorangetrieben. Bei der Reform der KFZ-Steuer hat die große Koalition die Chance versäumt, eine ökologische Lenkung hin zu verbrauchs- und CO2-armen Modellen zu erzeugen. Damit werden die Fehler der Vergangenheit fortgeführt." Hauptsache, man wischt der Bundesregierung, also dem politischen Gegner, eins aus. Damit führen zwar auch die Grünen nur "die Fehler der Vergangenheit" fort, aber offenbar merkt das kaum jemand von deren Wählerklientel oder stört sich nicht daran. Im Zeitalter der Energieverknappung gibt es kein krisenfähiges Rezept für die Automobilindustrie in ihrer gegenwärtigen Größe.

"Grüne Zukunft für Opel" berichtet am 02.03.09 über die Forderungen von Renate Künast, Spitzenkandidatin der Grünen:
"Opel könne ... in Zukunft als Modell für eine ökologische Neuausrichtung der Autoindustrie dienen. "Zu einer umfassenden Prüfung gehört aus grüner Perspektive, dass man checkt, ob Opel angesichts der Überkapazitäten überlebensfähig ist", so Künast. Man müsse darüber hinaus das Angebot zu einer ökologischen Modernisierung der Produktpalette prüfen. "Wir wissen, dass die Forschungsabteilung von Opel Modelle vorliegen hat, die mit einem sehr niedrigen CO2-Ausstoß auf den Markt gebracht werden könnten", erklärte die Spitzenkandidatin. Zunächst ginge es um den kurzfristigen Erhalt von Arbeitsplätzen. Langfristig müsse man sich aber auf zwei Beine stellen: "Sinnhaftigkeit ist erst dann da, wenn man öffentliche Gelder nicht nur für das heute ausgibt, sondern sich auch überlegt, welche Jobs morgen noch existieren werden", betonte Künast." Auch ihre Worte darf man nicht auf die Goldwaage legen und vor allem nicht die inneren Widersprüche in ihrer Argumentation allzu scharf ausleuchten: sonst wird man zu dem Schluss kommen, dass auch sie nur redet, um nirgends anzuecken und um, egal wie die Sache ausgeht, hinterher immer sagen zu können: "Hättet ihr nur auf mich gehört. Ich habe schon damals gesagt ..." . Jeder kann sich aus ihrem Polit-Geplauder rauspicken, was ihm am meisten zusagt. Der eine mag sich freuen, dass sie bereit ist, kurzfristig Arbeitsplätze zu retten, ein anderer ihren Realismus begrüßen ('Überlebensfähigkeit checken') und eine Dritte sich darüber freuen, dass Opel-Autos zukünftig nur noch mit einem niedrigen CO2-Ausstoß auf den Markt kommen sollen. Mir indes versiegen angesichts des laufenden Versiegens von Rohölquellen die Worte vor solchen Pseudo-Lösungen, zumal die Grünen genau wissen: "...Verbrennungsmotoren werden noch über Jahre die dominierende Antriebsform bleiben" (Zitat aus der Pressemeldung der Bundestagsfraktion der Grünen vom 16.02.09 "Elektromobilität umfassend fördern", S. 2). Es muss auch ein kleines grünes Geheimnis bleiben, wie man "Auto- und Lkw-Verkehr auf umweltfreundliche Verkehrsmittel ... verlagern" kann (S. 3 a.a.O.), ohne dass die Automobilproduktion sinkt.

Dass die hessischen Grünen eine noch kurzsichtigere Perspektive haben, kann nicht verwundern. Auf der Webseite der Fraktion der Grünen im hessischen Landtag wurde am 16.02.09 u. d. T. "Ernsthafte Prüfung der Herauslösung von Opel. GRÜNE-Forderung bereits im November" gemeldet:
"Die Existenzbedrohung von GM in den USA macht es jetzt dringend, eine Lösung für Opel zu finden. Die Geschäftsstrategien von GM in den USA haben zur jetzigen Krise geführt, da GM vor allem auf große, Sprit fressende Geländewagen gesetzt hat, die heute zu Recht niemand mehr haben will. Opel dagegen ist jetzt endlich mit seiner Modellentwicklung nach langen Jahren der Fehlentwicklung auf dem richtigen Weg, umweltverträglichere Autos zu bauen. Dies zeigt auch, dass die seit Jahren von den GRÜNEN vorgetragene Forderung nach Sprit sparenden und ökologischeren Autos auch ökonomisch völlig richtig und gerade nicht wirtschaftsfeindlich war. Wir haben der Erhöhung des Bürgschaftsrahmens des Landes unter der Bedingung zugestimmt, dass hessisches Steuergeld nicht in den schwarzen Löchern von General Motors in Detroit verschwinden darf. Deshalb begrüßen wir es, wenn diese Herauslösung jetzt ernsthaft geprüft wird", unterstreicht Tarek Al-Wazir."
Mit anderen Worten: für eine kurzfristige Arbeitsplatzsicherung bei Opel tun die hessischen Grünen alles. Hauptsache, man kann im Komparativ die (erhofften) umweltverträglicheren Opel-Automobile gegenüber den Spritschluckern der Amis loben und die Rüsselsheimer Firma von ihrer amerikanischen Mutter lösen. Alles andere geht dann wie weiland beim HB-Männchen: von selbst!


Das deutsche Problem mit dem Automobilunternehmen Opel ist nur eine Facette der Schwierigkeiten der gesamten Welt mit dem automobilen Zeitalter.
Dessen Auslaufen kündigt sich an und General Motors und Opel werden nicht die letzten Dominosteine sein, die dabei umfallen.
Textstand vom 10.09.2022

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