Dienstag, 1. November 2011

Papandreous Griechen-Referendum: Deutsche Regierung und Systemmedien sprachlos

 
"Der griechische Ministerpräsident Georgios Papandreou hat ein Referendum über das europäische Hilfspaket von 130 Milliarden Euro sowie den in Aussicht gestellten Teilerlass griechischer Staatsschulden und damit über den unpopulären Sanierungskurs seiner Regierung angekündigt"

meldet aus Athen FAZ-Mitarbeiter Rainer Hermann (eigentlich  "Korrespondent für Wirtschaft und Politik in der arabischen Welt mit Sitz in Abu Dhabi") in dem Artikel "Griechenland. Papandreou kündigt Referendum über Hilfspaket an" vom 31.10.2011.
Und natürlich berichten auch sämtliche anderen Medien breit über diese neueste Wendung in der griechischen Schuldenkrise. So z. B. die Neue Zürcher Zeitung unter "Griechischer Paukenschlag stellt EU-Rettungsplan in Frage. Ankündigung einer Volksabstimmung verunsichert Märkte und Politik" vom 31.10.2011. (Nicht direkt das Referendum behandelt der gleichzeitige Bericht "In Griechenland wächst die Angst" über Details bzw. Auswirkungen des mit den Banken vereinbarten "freiwilligen" Schuldenschnitts und Meinungsumfragen über die Stimmung in Griechenland:
"Nur 16,9% erhoffen sich vom Schuldenschnitt eine Überwindung der Krise, die Mehrheit der Befragten spüren Resignation (21%), Angst (20%) und Wut (19%). Ausserdem lehnen 48,8% der Griechen die Entscheidung des Gipfels, «für die Dauer des Programms eine Überwachungskapazität vor Ort aufzubauen», als Einschränkung der Souveränität ab. Dennoch wollen 72% der Griechen den Euro behalten." [Also wie üblich: unsere Kohle wollen die, im Übrigen aber weiter wirtschaften wie bisher! Obwohl es durchaus auch einsichtige Einzelpersonen gibt; einige Beispiele in dem taz-Bericht "Die Wut-Griechen über ihre Krise. Ein Land hat sich ruiniert" vom 20.10.2011]
(Einen interessanten Aspekt der Umschuldung behandelt auch die FAZ v. 28.10.2011 "Markt spekuliert über Behandlung privat gehaltener Griechen-Anleihen".)

Sehr ausführlich über das Referendum und dessen Hintergründe auch das Handelsblatt vom 01.11.2011 unter "Referendumsplan: Papandreou erwischt die EU eiskalt" (darin ein hübscher Begriff: "Leih-Wohlstand").

Auch über Reaktionen auf die überraschende griechische Ankündigung eines Referendums wird in  unserer Presse breit referiert, z. B. im Manager Magazin vom 01.11.2011 unter "Reaktionen zu Griechen-Referendum. 'Eine Ablehnung wäre Selbstmord' ". Ebenso in der WELT vom  01.11.2011 u. d. T. "Griechisches Referendum . 'Im Prinzip wird über Euro-Mitgliedschaft'  abgestimmt".
Das österreichische Wirtschaftsblatt meldet: "Griechenland-Schock: Sarkozy und Merkel telefonieren"; eine Stellungnahme der Bundesregierung zur beabsichtigten Volksabstimmung in Griechenland gibt es nicht.
Sehr ausführlich zitiert heute das österreichische Wirtschaftsblatt Stellungnahmen von (insbesondere) Bank-Analysten: "Es war ein Riesenfehler, Griechenland nicht gleich aus der Eurozone zu werfen" (hier besonders hervorzuheben die Meinung von JANWILLEM ACKET, CHEFVOLKSWIRT JULIUS BÄR).
 Informativ wie immer berichtet auch die FAZ insbesondere über die europäischen Reaktionen: "Griechenland. Bestürzung über Referendum".

Besonders aber wird überall über die Reaktion der Finanzmärkte informiert, z. B. im Handelsblatt vom 01.11.2011 unter "Börsen auf Talfahrt: Papandreou bringt die Märkte ins Wanken" und "Turbulente Finanzmärkte: Euro-Angst erschüttert Börsen" vom gleichen Tag (Autor Jörg Hackhausen). Ebenso in der WELT unter "Dax fällt um 5,6 Prozent. Griechenland-Referendum schockiert die Märkte".
 

Auffällig ist aber, dass die Journalisten in den Medien (mit den u. a. Ausnahmen) den Sachverhalt noch nicht mit Meinungskommentaren begleitet haben (bzw., während ich diesen Blog-Eintrag schreibend weiter recherchiere: dass sie sich allenfalls langsam eine Meinung bilden).  Ist ja auch verständlich, wenn jene, die bei uns auf dem Willen des Volkes herumtrampeln, Probleme damit haben, das Griechenland darüber abstimmt, ob es fremde Gelder annehmen will, während in den Geberländern die Politiker dem Volk das Geld just für diesen Zweck abnehmen, ohne es zu fragen - und das großenteils ohne von den Medien dafür kritisiert zu werden.

Der Athener Handelsblatt-Korrespondent Gert Höhler kommentierte am 31.10.2011 u. d. T. "Stunde Null in Athen". Aber dieser Kommentar enthält weniger eine eigene Bewertung der Ankündigung, als vielmehr weitere (und sehr interessante) Informationen: Dass die griechische Verfassung eine Abstimmung über Finanzfragen eigentlich verbietet, dass Papandreou im Parlament die Vertrauensfrage stellen will (und im Falle seines Unterliegens Neuwahlen anstehen, das Referendum also hinfällig wäre). Weiter informiert Höhler über die Stimmungslage in der griechischen Bevölkerung: gegen weitere Sparmaßnahmen (was eine Ablehnung des Hilfspaketes wegen der damit verbundenen weiteren Sparauflagen wahrscheinlich macht) und gegen die etablierten Parteien (was im Falle von Neuwahlen die Regierungsbildung schwer machen würde).

Ausgerechnet in Hamburg, der medialen Lobbyzentrale der Anleihebesitzer,  hat sich die Rettungsjournaille als erstes gefangen. Während die ZEIT-Kommentatoren noch schweigen, titelt Sven Clausen in der Financial Times Deutschland den wohl allerersten echten Meinungs-Kommentar der deutschen Presse zu diesem Thema mit "Volksabstimmung zum Sparpaket: Starkes Signal aus Athen" (01.11.11, 7:12 h). Er begrüßt die Abstimmung in der Hoffnung auf einen positiven Ausgang: "An das Gegenteil mag man deswegen lieber nicht glauben". Naiv ist freilich seine Einschätzung "Stimmen die Griechen zu und geben Papandreou damit das Mandat zur schmerzhaften Sanierung des Landes, haben die Investoren keinen wirklichen Grund mehr zum Zweifel" (und noch mehr: "dass sich auch die Gegner an das Votum halten würden"). Wenn die Griechen (wofür trotz der aktuell scheinbar entgegen stehenden Meinungsumfragen ihr objektives Interesse spricht) im Referendum mit "ja" stimmen würden, würden sie aus ihrer Sicht wohl weniger die Sparauflagen legitimieren, als vielmehr sich eine Fortsetzung der Hilfszahlungen der bekloppten Nordeuropäer sichern. (Das wäre für uns ärgerlich, objektiv aber durchaus clever.)
Erg.: Meine Einschätzung erhärtet sich bei der Lektüre des SPON-Berichts "Irritation um Votum. Griechenlands Bürger und die Qual der Wahl".  Die griechischen Bürger würden sich offenbar gern vor der Entscheidung - und damit vor der Verantwortung - drücken. Am Ende werden sie opportunistisch für das Rettungspaket stimmen. Das jedoch mit der reservatio mentalis, dass sie ja "erpresst" wurden - und folglich noch lange nicht irgendwelche Sparmaßnahmen akzeptieren müssen. Ein Mentalitätswandel ist also keineswegs zu erwarten.
(Vgl. auch Olaf Preuß in der WELT: "Stimmung in Athen. 'Viele wollen, dass alles so bleibt wie es ist' ")
Erg. 3.11.2011: Meine Einschätzung, dass Griechenland die Auflagen der EU pro forma akzeptieren wird, um hinterher zu sagen "wir sind ja dazu erpresst worden" (und sich dem entsprechend nicht an die Bedingungen zu halten) wird bestärkt, wenn ich in dem FAZ-Artikel "Griechenland Opposition für EU-Beschlüsse" vom 03.11.11 (über Papandreous Kehrtwende und Ankündigung, dass nun doch kein Referendum stattfinden soll) die folgende Passage lese:
"Anders als noch vor wenigen Tagen, als er ankündigte, seine Partei lehne das neue Rettungspaket für Griechenland ab und werde im Parlament dagegen stimmen, sagte [der griechische Oppositionsführer Antonis] Samaras am Donnerstag, dass die Maßnahmen unbedingt vom Parlament ratifiziert werden müssten. Es sei wichtig, dass Griechenland die sechste, acht Milliarden Euro umfassende Tranche der Hilfszahlungen erhalte. Danach seien „unverzüglich“ vorgezogene Parlamentswahlen abzuhalten, möglichst noch im Dezember. Die Übergangsregierung soll aus vom Staatspräsidenten eingesetzten Fachleuten bestehen."
Nur Idioten schließen mit solchen Polit-Kaspern Verträge ab, bzw. trauen deren Wort auch nur einen Moment lang!
(Die Ansicht, dass Samaras' Zustimmung nicht ernst zu nehmen ist, lässt auch Clemens Wergin in seinem WELT-Kommentar  (03.11.2011) "Wende in Athen. Griechen zurück vom Abgrund – für einen Moment" erkennen:
"..... sollte die Nea Dimokratia die Wahl gewinnen, wird Samaras wie angekündigt das Paket neu verhandeln wollen. Es ist also eine Krise auf Wiedervorlage."
Erg. 05.11.11: Vgl. jetzt auch den FTD-Bericht "Zornige Hellenen: 'Koalitionsregierung soll nur Pfründe sichern' " vom  05.11.2011:
"Oppositionsführer Antonis Samaras stemmt sich gegen das jüngste Griechenland-Paket und riskiert dafür sogar den Austritt des Landes aus der Euro-Zone: Dem Spardruck aus Brüssel zu widerstehen war bislang seine Devise. "Samaras will keine Verantwortung für die unpopulären Maßnahmen übernehmen, er spekuliert lieber auf frühzeitige Neuwahlen und hofft, sie zu gewinnen", sagt Nikos Xydakis, Chefredakteur der konservativen Zeitung Kathimerini."
Erg. 09.11.11: Zitat aus dem Bericht "Was will die Nea Dimokratia?" des Athener FAZ-Korrespondenten Michael Martens vom 08.11.2011: "Sein Ziel, bereits verhandelte Hilfspakete aufzuschnüren, verfolgt Samaras offenbar weiterhin. Aus einem von Athener Medien veröffentlichten internen Positionspapier der ND geht hervor, dass die Partei zwar den Ende Oktober in Brüssel vereinbarten Schuldenschnitt von 50 Prozent akzeptiert, die daran geknüpften Bedingungen aber neu verhandeln will. Bei dem Eintritt in die Übergangsregierung gehe es daher darum, die Konsequenzen der internationalen Vorgaben zu bewältigen, „um sich irgendwann von den Memoranden abzukoppeln“, heißt es: 'Wir unterstützen die 100-Tage-Übergangsregierung, damit wir später ändern können, was geändert werden muss, die Dinge, mit denen wir von Beginn an nicht einverstanden waren'."

Nicht ganz so zuversichtlich über den Ausgang, aber sehr positiv eingestellt zum Referendum, ist Sven Böll in seinem Spiegel-Online-Kommentar "Volksabstimmung über Euro. Bravo, Herr Papandreou!" von heute. Zwar glaubt auch er: "Würde sich die Mehrheit der Bevölkerung zum eingeschlagenen Weg aus der Krise bekennen, könnte dieser Gruselmodus noch am ehesten beendet werden. Streiks wären dann wohl delegitimiert." Aber: "Zumindest hat es jeder Grieche selbst in der Hand und kann nicht mehr auf die Regierung schimpfen, die sich dem internationalen Diktat beugt. Und selbst wenn die Griechen am Ende nein sagen und das Land im Extremfall die Euro-Zone verlässt, scheinen die Konsequenzen weniger brenzlig als noch vor einem Jahr."
Dass Böll für Deutschland keine Volksabstimmung fordert, versteht sich von selbst.
(Überhaupt scheint der einzige Rufer von Gewicht nach einem deutschen Referendum der FDP-Abgeordnete Frank Schäffler zu sein, über den wir lesen: F. S. "begrüßte die Volksabstimmung. Man könne nicht andauernd Politik gegen die eigene Bevölkerung machen, sagte der erklärte Gegner des Euro-Kurses der Bundesregierung. 'In Deutschland und in Griechenland macht man den großen Fehler, dass man die Bevölkerung nicht ausreichend mitnimmt'."

Erwähnt sei auch noch der heutige WELT-Kommentar des Rettungsschirm-Gegners Jan Dams "Europa braucht für Griechenland einen Plan B": "Europa braucht einen Plan B. Der Rest der Euro-Zone muss am Tag der Abstimmung in der Lage sein, das Land vom Rest der Währungsunion zu isolieren. Athen muss dann raus aus dem Euro – nicht, weil das die ökonomischste Lösung ist, sondern weil es dem Wähler in den Geberländer kaum zu vermitteln wäre, dass ein Land Reformen ablehnt und trotzdem EU-Hilfen will."


Für mich selbst beweist der Plan des griechischen Ministerpräsidenten Georgios Papandreou wieder einmal, was ich schon zuvor positiv bewertet hatte: dass es in Griechenland trotz aller gesellschaftlichen Probleme doch wenigstens noch eine Demokratie gibt. Die ist bei uns - unter teils aktiver, teils passiver Mithilfe zahlreicher Meinungsmacher in der Systempresse - weitgehend den Parteien-Bach runtergegangen.


Was auf uns zukommt in Sachen Eurozonen-Bailout, sagt uns wieder einmal in einer völlig ungeschminckten Form nur ein Wirtschaftswissenschaftler: "Die Euro-Krise beginnt jetzt von vorne" - Interview von Dorothea Siems mit Prof. Dr. Hans-Werner Sinn in der WELT vom 29.10.2011 (vor Bekanntwerden der Referendumspläne).


Nachdem unsere Politik zu feige ist, weitere Hilfsmaßnahmen (sprich: Veruntreuungen deutscher Steuergelder zu Gunsten der Kapitalbesitzer und der Bürger fremder Länder!) zu stoppen, können wir nur hoffen und beten, dass sich die Griechen selbst aus der Eurozone, oder zumindest den Rettungsmechanismen, herauskatapultieren.
Ausgemacht ist das freilich ganz und gar nicht. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle jedenfalls bewertet das Referendum als einen Versuch, Druck auf die Europäer für laxere Sparvorgaben zu machen. Vgl. dazu in dem Artikel "Athen überrascht mit Referendum über Hilfspaket" der WELT von heute:
"Brüderle bemängelte das griechische Vorgehen: „Das klingt danach, dass man irgendwie sich raus da rauswinden will aus dem, was man jetzt verhandelt hat“.
Selbstverständlich bedient Brüderle seine FDP-Wählerschaft auch mit jenen starken Sprüchen, die von ihm erwartet werden :
"Lehne das griechische Volk die erzielten Vereinbarungen ab, sei der Punkt erreicht, „wo es dann kein Geld mehr gibt (für Griechenland) aus meinem Verständnis hinaus“. Dann müsse es darum gehen, die Ansteckungsgefahren eines griechischen Staatsbankrotts zu bannen."

Das Wallstreet Journal ist da in seinem Bericht "Greek Vote Threatens Bailout. Premier Calls for Surprise Referendum Days After European Leaders OK Aid Deal", ebenfalls von heute, vorsichtiger:
"A binding voter rejection of Europe's terms for a bailout would leave euro-zone leaders such as German Chancellor Angela Merkel and French President Nicolas Sarkozy with a bitter choice. Either they let Greece default on its €355 billion of public debt, risking panic throughout Europe's government-bond markets and banking sectors; or they cave in and offer Greece more generous bailout terms."
Trotz aller Schwierigkeiten (WSJ: "Relaxing Greece's bailout terms would anger voters in Germany and other countries who are already resentful of having to subsidize Greece ..... . It could also prompt other recipients of rescue loans—Ireland and Portugal—to demand similarly generous treatment") stehen die Chancen leider gar nicht so schlecht, dass unsere Politik wieder einmal nachgeben wird ("cave in"). Markige Sprüche von FDP-Politikern werden sich dabei auch in Zukunft - wie schon bisher - als heiße Luft erweisen. (Und ebenso die Parolen von CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt.)

Langsam findet auch unsere Politik findet die Sprache wieder: siehe z. B. Artikel "Referendum in Griechenland. Grüne finden Griechen mutig" in der Berliner Morgenpost vom h. Nicht verwunderlich (da man ohnehin keinen Einfluss nehmen kann), begrüßt man das Referendum (oder kritisiert es zumindest nicht), obwohl unsere Kartellparteien den eigenen Volkswillen weiterhin missachten.
Was man aber wirklich von der Einschaltung des Volkes hält, bringt, in der ihm eigenen Naivität, der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel zum Ausdruck: "SPD-Chef Sigmar Gabriel forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, die konservative Opposition in Griechenland zu einer Aufgabe ihres Blockadekurses zu bewegen. „Jetzt ist auch Frau Merkel gefragt“, erklärte Gabriel in Berlin. 'Wenn sie ihre Parteifreunde in Griechenland von der Notwendigkeit der eingeleiteten Reformschritte überzeugt, braucht Europa weder eine Volksabstimmung noch die Vertrauensfrage von Herrn Papandreou zu fürchten'."


Nachträge:
Die Deutschen Mittelstands Nachrichten weisen in ihrem Artikel "Deutsche Reaktion auf Griechenland: 'Wir sind baff'!" darauf hin, dass bereits früher (unter anderem in den DMN) über griechische Pläne für eine Volksabstimmung berichtet worden sei.
Erg.: Dazu detaillierter der FAZ-Bericht "Referendum in Griechenland. Ein Plan mit wechselnden Begründungen" von Michael Martens vom 1.11.11.

Solange es nicht darum geht, dass die Deutschen darüber abstimmen dürfen, ob die Politiker ihre Steuergelder versüden, hat selbstverständlich auch die Frankfurter Rundschau ein Herz für die Demokratie: "Ohne Volk keine Demokratie" von Holger Schmale.

Auch die (rettungskritische) FAZ hat mittlerweile (am späten Nachmittag oder am Abend?) ihre Position gefunden: Frank Schirrmacher begrüßt, nicht überraschend, die Volksentscheidung. Der 2. Satz des Titels "Der griechische Weg. Demokratie ist Ramsch" ist also ironisch gemeint. [Mit ähnlicher Tendenz kommentiert Lutz Herden im FREITAG unter "Volkssouveränität gleich Börsensturz"]
Besser auf den Punkt bringt es, ebenfalls in der FAZ aber Berthold Kohler in seinem Kommentar "Referendum in Griechenland. Alles oder nichts" (meine Hervorhebungen):
"Die Volksabstimmung kostet Zeit, die Griechenland nicht mehr hat, und stellt den ganzen Reformprozess unter Vorbehalt. Doch sollten Kritiker dieses letzten Mittels auch bedenken, dass man in Deutschland schon zu einer Volksabstimmung meint greifen zu müssen, nur um den Streit über einen Bahnhofsneubau zu „befrieden“. Das könnte den einen oder anderen Bürger, der sich von der Einheitsfront der deutschen Parteien in der Euro-Politik nicht mehr vertreten sieht, zu der Frage verleiten, warum eigentlich die Griechen darüber abstimmen dürfen, ob sie gerettet werden wollen, nicht aber die Deutschen, ob sie und ihre Kinder für solche Zwecke Bürgschaften in Milliardenhöhe schultern möchten. Auch das könnte erklären, warum das Entsetzen über die Nachricht aus Athen in Berlin besonders groß war."

Was die deutschen Provinzmedien von echter Demokratie halten,  kann man in der n-tv-Presseschau "Papandreou bittet zur Abstimmung. Ein 'Treppenwitz der Geschichte' " nachlesen, besonders krass bei der Stuttgarter (ausgerechnet dort!) Zeitung: "Die griechische Regierung geht ein hohes Risiko ein, weil sie nicht versteht, dass Regieren eine Führungsaufgabe ist", schreiben die Stuttgarter Nachrichten." Mit anderen Worten: Dem Volk darf man solche Entscheidungen nicht anvertrauen (was wir dann mutatis mutandis erst Recht auf uns beziehen dürfen!)


Nachtrag 02.11.2011

Die Edeldemokraten der Süddeutschen Zeitung haben sich erst heute zu einem Kommentar durchgerungen, und der spricht Bände: "Referendum in Griechenland. Gute Idee - zum falschen Zeitpunkt" schreibt Nico Fried heute. Was er nicht sagt ist, wann denn nach seiner Meinung der richtige Zeitpunkt für ein Referendum gewesen wäre. Stattdessen lesen wir:
"So hart es klingt: Die griechische Politik ist nicht mehr Sache der Griechen allein. Das ist der entscheidende Unterschied. Von Griechenlands Schicksal hängen die 16 anderen Staaten der Euro-Zone ab. Und wenn es stimmt, dass am Euro auch die Zukunft der Europäischen Union hängt, steht mithin das Projekt als Ganzes auf dem Spiel. Der zweigeteilte Gipfel von Brüssel in der vergangenen Woche war Ausdruck der Verantwortung, die Europa nun für Griechenland zu übernehmen bereit ist. Aber was ist umgekehrt mit der Verantwortung Griechenlands für Europa?"
Nun, in der Imagination der Panik-Fraktion hingen die 16 anderen Staaten der Euro-Zone ja schon seit Beginn der Staatsschuldenkrise von Griechenland ab. Also hätten die Griechen zu keinem Zeitpunkt über ihr eigenes Schicksal abstimmen dürfen. Damit der Titel von Fried nichts als ein verlogenes Lippenbekenntnis zur Demokratie.
Wie ich es von der SZ auch nicht anders erwartet habe.
 (Immerhin veröffentlicht die Zeitung auch einen pro und kontra Artikel von Catherine Hoffmann und Markus Zydra zum Verbleib Griechenlands in der Eurozone u. d. T. "Griechenlands Zukunft in der Euro-Zone Schleppt sie durch! - Nein, lasst sie gehen!", wobei mich (nicht überraschend) die Gegenargumente mehr überzeugen. Insbesondere gegen einen befürchteten Nachahmereffekt (meine Hervorhebung):
"Wenn Griechenland ohne Schulden und mit neuer Währung an der Start geht - warum sollten nicht Portugal und Italien diesem Beispiel folgen? Womöglich läutet Athen das Ende der Euro-Zone ein.  Diese Argumentation unterschätzt jedoch den Abschreckungsfaktor, der vom Beispiel Athens ausgehen würde. Die Rückkehr zur Drachme ist verglichen mit dem EU-Rettungspaket der ungleich härtere Weg, weil das Land quasi über Nacht - ohne die internationalen Kreditpuffer - nur noch auf sich allein gestellt wäre. Der Wohlstandsverlust wäre sofort massiv spürbar, die Bürger würden womöglich noch radikaler demonstrieren. Kaum vorstellbar, dass Portugal dann noch den Euro aufgeben möchte."


Nachtrag 04.11.2011
In ähnlicher Weise wie oben Nico Fried in der SZ argumentiert Marc Schieritz im ZEIT-Blog "Herdentrieb" u. d. T. "Was darf das Volk?" gegen das Recht einzelner Völker, innerhalb einer Währungsgemeinschaft Entscheidungen über sein eigenes (wirtschaftliches) Schicksal treffen zu dürfen:
"Wer ist die verfassungsgebende Gewalt – die pouvoir constituant –  in Griechenland? Das griechische Volk? So würde es die herrschende, im Nationalstaat verankerte Lehre wohl darstellen. Aber was ist sie noch wert, angesichts der enormen Konsequenzen, die die Entscheidung für ganz Europa hat? Wenn die Griechen demnächst abstimmen, dann stimmen sie auch über unsere Währung ab. Dürfen die das? Und wenn der Deutsche Bundestag Finanzhilfen verweigert, dann entzieht er möglicherweise den Italienern die Lebensgrundlage. Dürfen wir das? Man kann es auch so sagen: Jede nationale Entscheidung verletzt das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Die Einheit von Zeit, Handlung und Raum, die für das klassische Drama ebenso Voraussetzung ist wie  für die klassische Demokratie, sind nicht mehr gegeben. Deshalb sollten wir die Völker besser ganz weg lassen."
Bisher war meine Einstellung:
  • Europa ja, Albtraum nein!
  • Euro ja, Fremdschulden nein!
  • Freunde ja, Kostgänger nein!
Aber wenn ich mir sagen lassen muss, dass ich als deutscher Staatsbürger verpflichtet bin, u. U. (im Ergebnis) sogar die italienische Mafia zu subventionieren, dann gibt es eigentlich nur noch eins:
Raus aus dem Scheiß-Euro, und zwar schnellstens!


Nachtrag 22.11.2011
Oppoisitionsführer Antonis Samaras will nicht unterschreiben, dass er zu den Reformplänen steht - vgl. Bericht "EU Warns Greece on Bailout" im Wall Street Journal von heute:
"The euro zone wants the leaders to commit that whoever wins power in scheduled elections in February will carry on with the reforms. "There is a major issue of mistrust towards Greece," said the EU diplomat. "So the usual promises from Athens that have been repeatedly broken won't suffice".
Angeblich verweigert die EU die Auszahlung der nächsten Hilfstranche, wenn nicht neben der Regierung auch der Oppositionsführer unterschreibt. Aber irgendwie wird der sich schon rauswinden; selbst wenn er unterschreibt, wird er hinterher einen Grund finden, die Einhaltung der Abmachungen zu verweigern (er sei erpresst worden, oder "so" habe er das ja nicht gemeint, oder die Lage habe sich geändert: Politikern fällt immer was ein, und wer dem Samaras selbst bei schriftlichen Erklärungen traut, dem ist nicht mehr zu helfen - wobei ja auch die Sozialisten unter Papandreou vieles versprochen und wenig eingehalten haben).
Jeder Cent für das Griechenvolk ist rausgeworfenes Geld - und eine kriminelle Unterschlagung deutscher Steuergelder durch unsere eigenen Politiker!

Andererseits ist es ziemlich gleichgültig, ob und was Samaras unterschreibt. Denn selbst wenn er sich dran halten würde, bilden sich die Griechen immer noch ein, dass andere Völker sie finanzieren werden, wenn sie mit dem Kopf durch die Wand wollen: vgl. aktuell den Artikel "Griechenland: Arbeiter in Stromwerken verweigern Regierung Gehorsam" von heute in den Deutschen Mittelstands Nachrichten.
Vgl. auch den heutigen Handelsblatt-Bericht des Athener Korrespondenten Gerhard Höhler "Absurde Frühverrentung: Warum griechische Friseure gefährlich leben". Und obwohl bei denen finanziell die Hütte brennt, wollen sie nicht etwa die automatische Frühverrentung (50 J. bei Frauen, 55 bei Männern) für "besonders gefährdete" Arbeitnehmer abschaffen:
"Ziel ist es, die Zahl der Begünstigten von 530.000 auf 350.000 zu stutzen. ..... Für alle, die bis 2015 ihren Rentenanspruch erwerben, gilt die alte Regelung."
Na klar, da irgendwo im nebeligen Kimmerien sitzen ja genügend steuerzahlende Barbaren-Idioten, die die griechische Fettlebe freudig finanzieren!



ceterum censeo

Der Wundbrand zerfrisst das alte Europa,
weil es zu feige ist ein krankes Glied zu amputieren!

POPULISTISCHES MANIFEST
(für die Rettung von ? Billionen Steuereuronen!):
Ein Gespenst geht um in Deutschland - das Gespenst einer europäischen Transferunion und Haftungsunion.
Im Herzland des alten Europa haben sich die Finanzinteressen mit sämtlichen Parteien des Bundestages zu einer unheiligen Hatz auf die Geldbörsen des Volkes verbündet:
·        Die Schwarzen Wendehälse (die unserem Bundesadler den Hals zum Pleitegeier wenden werden),
·        Die Roten Schafsnasen (vertrauensvoll-gutgläubig, wie wir Proletarier halt sind),
·        Die Grünen Postmaterialisten (Entmaterialisierer unserer Steuergelder wie unserer Wirtschaftskraft),
·        Die machtbesoffenen Blauen (gelb vor Feigheit und griechisch vor Klientelismus), und selbstverständlich auch
·        Die Blutroten (welch letztere die Steuergroschen unserer Witwen, Waisen und Arbeiter gerne auflagenlos, also in noch größerer Menge, gen Süden senden möchten).
Wo ist die Opposition im Volke, die nicht von unseren Regierenden wie von deren scheinoppositionellen Komplizen als Stammtischschwätzer verschrien worden wäre, wo die Oppositionspartei, welche sich der Verschleuderung der dem Volke abgepressten Tribute an die europäischen Verschwendungsbrüder wie an die unersättlichen Finanzmärkte widersetzt hätte?
Zweierlei geht aus dieser Tatsache hervor:
Das Volk wird von fast keinem einzigen Politiker als Macht anerkannt.
Es ist hohe Zeit, dass wir, das Volk, unsere Anschauungsweise, den Zweck unserer Besteuerung und unsere Tendenzen gegen die fortgesetzte Ausplünderung durch das Finanzkapital bzw. durch die Bewohner anderer Länder und durch seine/deren politische Helfershelfer vor der ganzen Welt offen darlegen und dem Märchen von dem grenzenlosen Langmut der Deutschen den Zorn des Volkes selbst entgegenstellen.
Textstand vom 10.09.2022

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