Dienstag, 10. Juli 2012

Bankenunion: Was wollen die Wall Street in New York und die City in London wirklich? Zum Manifest der Professoren Hans-Werner Sinn und Walter Krämer und zum Ökonomenstreit


In Deutschland tobt ein heftiger "Ökonomenstreit", der auch in der breiten Öffentlichkeit geführt wird.
Ich selbst habe die Vorgänge bislang bebloggt unter
  1. "Bankenunion wäre eine neue Steuer für uns Deutsche. ...."
  2. "15 Voodoo-Ökonomen umtanzen die 'Schuldenkrise' der Eurozone .....", (dort auch zahlreiche Links zu dieser Debatte) und
  3. "Italiens Ministerpräsident Mario Monti hat auf dem Gipfel in Brüssel wohl einen katastrophalen Pyrrhussieg errungen. ....."
Auslöser war ein am 05.07.2012 in der FAZ veröffentlichter "Protestaufruf. Der offene Brief der Ökonomen im Wortlaut". In dieser von den Professoren Walter Krämer (Dortmund) und Hans-Werner Sinn (München) initiierten Erklärung sprachen sich 172 (sämtlich oder weitestgehend deutsche) Wirtschaftswissenschaftler gegen eine Vergemeinschaftung der Haftung für die Banken in Europa aus. (Einzelheiten dazu in ersten beiden - insbes. Nr. 1 - meiner oben verlinkten 3 Blotts.)

Fast am Schluss des Dokuments findet sich die folgende Passage, die von den Gegnern der (wie ich sie nenne:) "Mehrheitsökonomen" teilweise scharf kritisiert wurde (meine Hervorhebung):
"Weder der Euro noch der europäische Gedanke als solcher werden durch die Erweiterung der Haftung auf die Banken gerettet; geholfen wird statt dessen der Wall Street, der City of London – auch einigen Investoren in Deutschland - und einer Reihe maroder in- und ausländischer Banken, die nun weiter zu Lasten der Bürger anderer Länder, die mit all dem wenig zu tun haben, ihre Geschäfte betreiben dürfen."

Ganz grundsätzlich ist bei einer Analyse der 'Bankenrettungsdebatte' festzustellen, dass an einer Bankenrettung alle jene ein Interesse haben, die davon profitieren, bzw. umgekehrt: die bei einer Nicht-Rettung der Banken verlieren würden. Das sind:
  1. Die maroden Banken selbst
  2. Die Eigentümer der Banken und
  3. Die Gläubiger dieser Banken, also alle jene, welche diesen Banken Geld "geliehen" haben (andere Banken oder Privatpersonen - als Geldeinleger, oder als Käufer von Anleihen der Bank).
  4. Ggf. 'Wettenteilnehmer', also speziell Käufer und Verkäufer von eventuellen Credit Default Swaps zur Absicherung gegen oder in der Hoffnung auf eine Insolvenz der jeweiligen Bank. (Wobei zu beachten ist, dass hier - wie aber auch allgemein - die Interessen "der Spekulanten" naturgemäß gegenläufig sind: "Wat den Eenen sin Uhl', ist den Annern sin Nachtigall.") Diese Interessendimension lasse ich mal außen vor, weil ich nicht glaube, dass im großen Umfang CDS' auf Bankinsolvenzen laufen.
Daneben sind natürlich auch die bei diesen Banken beschäftigten Arbeitnehmer an einer Rettung interessiert, und nicht zuletzt auch "der Staat" (aus mehreren Gründen: Steuereinnahmen, sozialer Friede, Kreditversorgung der Wirtschaft) - auf welcher Ebene (Nationalstaat, Land, Kommune) auch immer. Die lasse ich hier mal außen vorm weil ich hier ja in der Hauptsache die Interessenlage von "Wall Street" und "City", also der US-amerikanischen und britischen 'Hochfinanz'.

Die unmittelbaren Interessen von "Wall Street" und  "City" in Sachen Bankenrettung sind also insoweit tangiert, als die dortigen Finanzinstitute (Banken, Hedgefonds usw.) entweder Eigentümer der (ich sage mal salopp:) "Pleitebanken" sind, oder denen Geld geliehen haben. (Eine dritte, oben nicht erwähnte, Möglichkeit wäre, dass die 'Hochfinanzinstitute' mit den 'Pleitebanken' Geschäfte abgeschlossen haben, z. B. über Credit Default Swaps, die im Insolvenzfall nicht ausgeführt werden könnten. Das dürfte aber ein kleinerer Bereich sein und kann hier außen vor bleiben.)

Die hier identifizierten Interessen der Hochfinanz sind natürlich keine anderen als diejenigen aller anderen Geschäftspartner der "Pleitebanken".
Insofern ist zwar einerseits  die Feststellung zutreffend, dass eine Bankenrettung ein Geschenk an die Wall Street und die City wäre. Andererseits sind die aber nur insoweit tangiert, als sie tatsächlich offene Positionen gegenüber den "Pleitebanken" haben. Und alle anderen Eigentümer, Kapitaleinleger (Sparer etc.) usw. haben eben auch ein Interesse daran, dass irgend jemand für die Schulden einer Pleitebank haftet.

Von daher kann man es schon nachvollziehen, wenn sich die Kritiker des Ökonomenaufrufs die Formulierung "geholfen wird statt dessen der Wall Street, der City of London" für populistisch halten.
Sie ist zwar, wie gesagt, sachlich nicht falsch. Aber natürlich erweckt sie bei unbefangenen Lesern den Eindruck, dass es bei der Bankenrettung hauptsächlich um eine unmittelbare Hilfe für die angelsächsische Hochfinanz gehe.

Wohl niemand hat einen Überblick darüber, welche Summen Wall Street und City hier "im Feuer" haben. Ich vermute allerdings, dass es deutliche geringere Beträge sind als jene der Eigentümer, Einleger usw. aus dem jeweils eigenen Land, und von anderen Banken aus dem eigenen Staat oder der Eurozone.

Allerdings kann es allen diesen 'Rettungsinteressenten' zunächst einmal gleichgültig sein, wer dafür sorgt, dass ihre Forderungen beglichen werden: Der jeweilige Nationalstaat und/oder der Europäische Stabilitäts Mechanismus (ESM) via Bankenrekapitalisierung (d. h. Zuführung von soviel Kapital an die Pleitebank, dass deren Verluste ausgeglichen werden und sie wieder arbeitsfähig ist), oder eine gemeinschaftlich von allen Banken getragene Einlagensicherung. Wobei auch diese wieder auf nationalstaatlicher oder eurozonärer (evtl. sogar EU-weiter) Ebene denkbar ist; aber auch das kann den Nutznießern solcher Maßnahmen zunächst gleichgültig sein - außer natürlich den jeweiligen Staaten.


Ganz allgemein ist es in der 'Eurettungsdebatte' allerdings schon auffällig, mit welcher Vehemenz sich angelsächsische Stimmen (aus der Finanzwelt - z. B. George Soros -, aus der Politik und insbesondere aber auch aus der Wirtschaftswissenschaft) einmischen. Wie die Missionare fallen sie über uns her, um uns zur Gemeinschaftsverschuldung zu bekehren: zunächst zur Übernahme fremder Staatsschulden durch (u. a.) Deutschland, jetzt auch noch zur Übernahme der Haftung für fauler Bankkredite in (grosso modo:) Südeuropa. Und in beiden Fällen wird ergänzend oder als Alternative zur Steuerzahlerhaftung immer wieder die Europäische Zentralbank (EZB) ins Spiel gebracht: Die solle doch bitteschön, bzw. müsse lediglich, kräftig frisches Notenbankgeld drucken, dann würde die Eurozone wie von selbst in Ordnung kommen.
Aber auch soweit die angelsächsischen Verschuldungsmissionare die Notenbank nicht unmittelbar ins Spiel bringen darf man sicherlich unterstellen, dass sie sehr wohl um die begrenzte Schuldentragfähigkeit der (deutschen u. a.) Steuerzahler wissen. Und dass auch sie letztlich darauf abzielen, dass die EZB gezwungen sein würde, schlussendlich die Überlastung der Staatshaushalte aus Bürgschaften usw. wegzuinflationieren.

DARIN liegt das tiefere, das sozusagen strukturelle Interesse der Angelsachsen - ihres Finanzsektors, aber auch ihrer Politik: eine inflationäre Geldpolitik der EZB zu erschleichen oder zu erzwingen!
Denn ein solider Euro (ggf. ein Nord-Euro) wäre tödlich für den Dollar wie für das Pfund. Das vagabundierende Großkapital würde sofort aus diesen durch Gelddruckerei längst verwässerten Währungen abgezogen werden, und unverzüglich in den (wenigstens scheinbar) sicheren Hafen eines (zumindest momentan) sicheren, vor allem aber solideren (Nord-)Euro abwandern.
Dann würde auch deren hypertrophierte Scheinfinanzwelt kollabieren, und ihnen eine Haupteinkommensquelle aus dem Zufluss von internationalem Fluchtkapital entzogen werden (Besteuerung der Bankgewinne, Beschäftigung von Bankangestellten und Einkommensteuer von diesen, Gewinn einer riesigen "Seignorage" aus der Geldherstellung und weitere Nebeneffekte).

Diese Interessenperspektive ist sehr viel abstrakter als ein unmittelbares Abgreifen von Eurettungsgeldern. Aber ich bin sicher, dass es weitaus stärker DIESE Interessenlage ist, welche die allermeisten unserer angelsächsischen "Freunde" im Hinterkopf haben, wenn sie uns mit ihren 'guten' Ratschlägen überziehen, als die (natürlich auch vorhandenen) Interessen an unmittelbarer Nutznießerschaft.
Nur ist diese Perspektive den breiten Massen schwerer zu vermitteln. Insofern ist es schon korrekt zu sagen, dass die Einführung einer Bankenhaftungsunion in der Eurozone (via direkter Rekapitalisierungsmöglichkeit über den ESM und/oder eine gemeinschaftliche, von den Banken selbst zu finanzierende Einlagensicherung) in erster Linie den Banken in New York und London, also "der Wall Street" und "der City" hilft.


Nachtrag: Vereinzelt kommen aber auch ehrliche Stimmen 'von drüben'.
Dem FTD-Blog “Wirtschaftswunder” (Martin Kaelble, Ökonomenstreit – Reaktionen aus dem Ausland ) ist eine durchgerutscht (wenn man davon ausgeht, dass der Zweck dieser Stimmensammlung ist, zu "beweisen", dass Sinn und die Seinen Unrecht haben) (meine Hervorhebung):
"Edmund Phelps, Nobelpreisträger der Columbia University:
„Interesting letter. I didn’t see how a bank union would keep a lid on the banks’ leverage. My larger theme is that the government and the banks are in an alliance: the government wants the banks to avert defaults so they can go on lending to the governments; and the banks want the government to avert default on their sovereign debt so it can go on paying interest and borrowing from the banks. The idea of a bank union aims to mutualize bank indebtedness so as to remove the specter of some bank defaults“.
"
"Mutualize bank indebtedness" - darum geht es in der Tat: um eine Vergemeinschaftung der Haftung für Bankschulden. Damit die Banken den Staaten (bzw. auch den Bürgern) wieder munter Geld leihen können. Auch wenn wenn eigentlich keine Kreditwürdigkeit vorliegt ("I didn’t see how a bank union would keep a lid on the banks’ leverage" - Ich kann nicht erkennen, dass eine Bankenunion die Banken davon abhalten würde, ihre Ausleihungen weiterhin munter zu hebeln).


Nachtrag 11.07.2012
Ich sollte vielleicht noch erwähnen, dass nicht jeder angelsächsische Wirtschaftswissenschaftler usw., der (direkt oder über den Umweg einer vorhersehbaren Überlastung der Steuerzahler der 'Solidländer') die EZB zum Gelddrucken (in noch größerem Umfang als sie das ohnehin schon tut) bringen will, damit bewusst und willentlich ein Agent des konkurrierenden Währungsinteresses der USA bzw. Großbritannien sein muss (und sicherlich auch nicht ist). Die Interessen dieser Länder haben sich mit der Hochfinanz, und diese sich mit der Wirtschaftswissenschaft, so eng verzahnt, dass man (in Analogie zum "politisch-militärischen Komplex") von einem "Wissenschafts-finanzpolitischen Komplex" sprechen kann. D. h. in der Wirtschaftswissenschaft wird man immer eine (schein-)wissenschaftliche Begründung für derartige Maßnahmen finden. Dass die dann objektiv den Kapitalinteressen (bzw. den volkswirtschaftlichen Interessen insbesondere der USA und sekundär auch Großbritanniens) dienen, muss den Akteuren bzw. Propagandisten keineswegs bewusst sein.
Allerdings bin ich auch sicher, dass eine ganze Reihe von denen sehr wohl um diese tieferen Zusammenhänge wissen.


Nachtrag 17.07.2012
Konkrete Angaben über die Lage der Banken in Spanien enthält der FAZ-Artikel "Standpunkt. Warum auch Spanien auf einen Euro-Austritt zusteuert" von Harald Hau ist Professor am Swiss Finance Institute und an der Universität Genf vom 30.06.2012. Diesen Artikel kann man sozusagen als sachliche Hintergrundinformation zu dem Manifest der (wie ich sie nenne:) "Aufklärungsökonomen" um die Professoren Sinn und Krämer verstehen. Vor diesem Hintergrund kann ich deren Opponenten nur als "Beschwichtigungsökonomen" begreifen, die uns einlullen und über die wahre Problemdimension täuschen wollen.


Nachtrag 18.07.2012
Kritische bzw. erläuternde Artikel zur Bankenunion haben verfasst z. B.:
  • Hans-Peter Burghof, Professor an der Universität Hohenheim im Fachgebiet Bankwirtschaft und Finanzdienstleistungen, u. d. T. "Euro-Krise. Bankenunion heißt, dass Deutschland zahlt" (ZEIT 11.06.2012): "Die europäischen Partnerländer und die Vertreter der EU wollen aber das Geld jetzt und die Kontrolle, vielleicht, später. Dazu wird eine Notsituation geschaffen, und jeder, der sich den Ad-hoc-Maßnahmen zur Bankenrettung widersetzt ist ein schlechter Mensch. Das kann aber nicht funktionieren, auch über die Begleichung des aktuellen Schadens hinaus. Es besteht die Gefahr, dass wir neben der EZB eine weitere Institution schaffen, die für einen massiven Finanztransfer zwischen den europäischen Staaten missbraucht wird. Aber vielleicht ist ja genau das die Motivation der Fürsprecher des Vorhabens."
  • Hans-Werner Sinn, , in der Wirtschaftswoche vom 25.06.2012 u. d. T. "Denkfabrik. Bankenunion hätte fatale Folgen": "In ihrer Abschlusserklärung haben die Teilnehmerstaaten des G20-Gipfels in Los Gabos (Mexiko) faktisch eine europäische Bankenunion gefordert, die eine gemeinsame Regulierung, den Aufbau einer Einlagenversicherung und die Rekapitalisierung des europäischen Bankensystems impliziert. Im Grundsatz muss Bundeskanzlerin Angela Merkel all dem zugestimmt haben, sonst wären diese Postulate nicht explizit in die Erklärung aufgenommen worden. Bei ihrem Bestreben, die Abschreibungsverluste auf toxische Immobilien- und Staatskredite der Südländer auf andere abzuwälzen, haben die Krisenbanken und ihre internationalen Gläubiger, nicht zuletzt amerikanische Pensionsfonds und französische Banken, somit einen weiteren Sieg errungen. ..... Während die Staatsschulden von Griechenland, Irland, Italien Portugal und Spanien Ende 2011 bei 3,3 Billionen Euro lagen, betrugen die Bankschulden 9,2 Billionen Euro, waren also bald drei Mal so groß. ..... Kaum auszudenken, was mit Deutschland passieren würde, wenn auch nur ein moderater Prozentanteil hiervon auf die noch gesunden Länder des Euro-Raums übertragen werden müsste. Mit seinem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von etwa 2,5 Billionen Euro würde sich Deutschland mit Garantieerklärungen gewaltig überheben. ..... Natürlich steht eine vollkommene Haftung für die Schulden der Krisenländer noch nicht auf der Agenda. Wie immer wird man anfangs nur eine begrenzte Haftung vereinbaren. Aber nach dem kleinen Finger werden die Finanzmärkte die ganze Hand ergreifen. Die Investoren werden mit Rückdeckung ihrer Regierungen immer unerbittlicher Nachschub bei der Haftung verlangen und erst Ruhe geben, wenn in Deutschland nichts mehr zu holen ist."
Der Internationale Währungsfonds als verlängerter Arm der französischen und US-amerikanischen Finanzinteressen versucht dagegen mit aller Gewalt, Deutschland in die Haftungsfalle zu hetzen. Unter "Jahresbericht. IWF rügt Euro-Krisenmanagement" erfahren wir in der ZEIT von heute, 18.07.12: "Der IWF kritisiert die Euro-Länder und ihre Krisenpolitik. Reformen wie die Bankenunion müssten schnell kommen." Das ist nicht Wirtschaftswissenschaft, die solche Vorschläge inspiriert, das ist der nackte Lobbyismus für Finanzinteressen - zur Ausplünderung der deutschen Steuerzahler!
Bazooka? Wäre schon okay: aber dann bitte eine richtige!



ceterum censeo
Lagerinsassen der Euro-Zone: Befreit euch aus dem EZ des Kapitalsozialismus! Verjagt die Berliner Politwärter des Euronen-EntZiehungslagers (und ihre medialen Schläferhunde)!

Textstand vom 18.07.2012

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