Dienstag, 30. Oktober 2012

Target2, Thilo Sarrazin, Israel Lobby: Gemeinsamkeiten und Unterschiede dreier breiter, personenzentrierter Debatten


Manche breiten gesellschaftlichen Debatten haben einen engen Zusammenhang mit bestimmten Personen. Natürlich gibt es auch heftige Debatten über Personen (wenn wir etwa an den von der öffentlichen Meinung erzwungenen Rücktritt von Ex-Bundespräsident Christian Wulff denken).

Hier geht es mir aber um Sachdebatten. Alle Debatten werden naturgemäß von Menschen geführt, aber in manchen Fällen werden sie besonders von einzelnen Personen vorangetrieben oder sind in der öffentlichen Wahrnehmung mit bestimmten Personen verknüpft.

In der mittlerweile verstummten, aber in den 90er Jahren und noch Anfang dieses Jahrtausends geführte Debatte um die zweckmäßigste Art der Rentenfinanzierung (technisch: Umlageverfahren oder Kapitaldeckungsverfahren; politisch-schlagwortartig: gesetzliche Rentenversicherung oder Riester-Rente) gab es keine personalen "Leuchttürme". Einer der prominenteren Akteure im (wirtschafts-)wissenschaftlichen Bereich war Prof. Dr. Hans-Werner Sinn, der jetzt die Target-Debatte entfacht hat. Ich selbst hatte damals das (partielle) Kapitaldeckungsverfahren auf meiner Webseite "Rentenreich" kritisiert, und dabei über den Titel "Sinn substituiert die Konjunktion: rettet er die Renten durch ökonomische Akzeleration" auch auf Prof. Sinn persönlich zugespitzt, und auch sonst haben natürlich die Teilnehmer dieser gesellschaftlichen Debatte teilweise positiv oder negativ auf Beiträge anderer Teilnehmer bezogen. Aber es war nicht so, dass man das Thema an einer Person hätte festmachen können.
Das gilt auch für beispielsweise die Diskussionen um das Urheberrecht, Leistungsschutzrecht und viele andere Bereiche.
Anders bei den im Titel genannten drei Themen.

Die Target2-Debatte wurde durch den Münchener Wirtschaftswissenschaftler Prof. Hans-Werner Sinn eröffnet (und zwar in der Wirtschaftswoche vom 18.02.2011 mit einem Artikel über seine These und auf der gleichen Webseite am 21.02.2011 einem Artikel von ihm) und dann in der Folge auch wesentlich von ihm weitergetrieben. (Im Unterschied zu den beiden anderen hier untersuchten Diskursen dauerte dieser über eine längere Zeit an; es war hier also nicht so, dass die Kontroversen in etwa auf den Erscheinungszeitpunkt des ersten Beitrags (und bei Sarrazin zusätzlich des letzten) beschränkt blieb.

Bei Thilo Sarrazin (Wikipedia-Eintrag) geht es mir um die Einwanderungsdebatte, die in seinem Buch "Deutschland schafft sich ab" kulminierte, das ein Sachbuch-Bestseller ohnegleichen war und es sogar zur Ehre eines eigenen (und sehr materialreichen) Wikipedia-Stichworts gebracht hat. (Hier geht es also nicht um sein jüngstes, Werk "Europa braucht den Euro nicht. Wie uns politisches Wunschdenken in die Krise geführt hat", das aber natürlich ebenfalls wichtig ist.)

Der Einfluss der jüdischen Lobby in den USA auf die Regierungspolitik war schon früher vereinzelt thematisiert und kritisiert worden. Eine breite Debatte (vorwiegend naturgemäß in den USA) darüber entfachte aber erst der Aufsatz "The Israel Lobby" der amerikanischen Politologen John Mearsheimer and Stephen Walt vom 23.03.2006 (und bemerkenswerter Weise nicht in einer US-Zeitschrift erschienen - denen war das Thema wohl zu heikel - sondern in der London Review of Books!). Bereits am 15.03.2006 war ein wissenschaftliches Papier diesem für breitere Leserkreise bestimmten Zeitschriftenartikel vorausgegangen.

Die drei Debatten haben nicht viel gemeinsam. Zum einen natürlich, dass ich sie intensiv beobachtet und somit bebloggt habe.
Bei Thilo Sarrazin und der Israel Lobby war das etwa zeitgleich; vgl. dazu den Täg "Sarrazin" bzw. meine Webseite mit dem Titel "IN THE MACCHIA OF SPECIAL INTERESTS – A WELL OF CLEAR-CUT ANALYSIS?" (zur Israel Lobby).
Die Target2-Debatte analysiere ich momentan in mehreren Blotts im Nachhinein (s. Täg "Target"). (Allerdings hatte ich schon seinerzeit eine Reihe von Beiträgen verfolgt und teilweise auch als Leser kommentiert.)

Der wesentliche gemeinsame Nenner, der mich zu dieser sozusagen übergeordneten Debattenstrukturanalyse bewogen hat ist die Tatsache, dass in allen drei Fällen die Diskussion zunächst mit einem Magazintext eröffnet wurde (bzw. bei Thilo Sarrazin mit dem Interview "Klasse statt Masse. Von der Hauptstadt der Transferleistungen zur Metropole der Eliten. Thilo Sarrazin im Gespräch" in der Zeitschrift Lettre International vom Oktober 2009; online z. B. hier). Und dass die Autoren ihr Thema später zu einem Buch ausgeweitet haben:
Das Interessante ist nun, dass nur bei Thilo Sarrazin die Debatte ihren Höhepunkt erst nach und aufgrund des Erscheinens seines Buches erreicht hat. Das mag natürlich auch daran gelegen haben, dass die deutsche Regierung dafür gesorgt hat, dass Sarrazin wegen seiner Meinungsäußerung in diesem Buch als Bundesbank-Vorstand (de facto:) rausgeschmissen wurde.

Bei John Mearsheimer und Stephen Walt dagegen hat das Erscheinen ihres Buches keine größere Kontroverse mehr ausgelöst. Offenbar hatten die Debattenteilnehmer das Gefühl, es sei alles gesagt, oder sie waren erschöpft und hatten einfach kein Interesse mehr am Thema. Tatsächlich waren es ja auch gerade die wütenden Beschimpfungen aus Kreisen, die der jüdischen Lobby in den USA oder dem Zionismus allgemein nahestehen, die der ursprünglichen Arbeit von Mearsheimer/Walt zu breitester Aufmerksamkeit verholfen haben. Insoweit wäre es sehr unklug gewesen, wenn die Gegner der beiden Autoren eine neue Polemik begonnen hätten.

Auch über Sinns "Target-Falle" wird aktuell kaum diskutiert. Allerdings ist das ja auch nur ein Teilaspekt der Eurozonen-Krise (und sind die Target-Salden selbst nur das Resultat anderer Sachverhalte, nämlich auf der geldpolitischen Ebene insbesondere der Herabsetzung der Anforderungen an die Qualität der Sicherheiten, die Geschäftsbanken für EZB-Kredite stellen müssen). Insoweit kann man dann doch sagen, dass diese Debatte in anderer Weise fortgeführt wird. Aber eben nicht mehr, wie insbesondere im Laufe des Jahres 2011, so stark auf die Target-Salden fokussiert.

Eine weitere Gemeinsamkeit haben alle drei Debatten: Sie sind (bzw. bei der Target-Diskussion: werden) letztlich wirkungslos geblieben/bleiben.
Die pro-israelische Lobby ist in den USA mächtig wie zuvor.
Auf eine grundlegende Wende in der deutschen Einwanderung- und Integrationspolitik warten die Bürger noch heute.
Und auch an der Finanzierung der eurozonären Krisenländer auf dem Target2-Schleichweg wird sich nichts ändern.



ceterum censeo
Die Steuertöpfe quellen über -
Doch für Verkehr und Bildung ist kein Geld mehr über?
Kein deutsches Geld für Eurozone:
Wir leben besser "Eurotz-ohne"! 

Textstand vom 31.10.2012. Gesamtübersicht der Blog-Einträge (Blotts) auf meiner Webseite http://www.beltwild.de/drusenreich_eins.htm.
Eine vorzügliche, laufend aktualisierte Übersicht über die Internet-Debatte zur Eurozonenkrise bietet der Blog von Robert M. Wuner. Für diesen „Service“ ihm herzlichen Dank!
Für Paperblog-Leser: Die Original-Artikel in meinem Blog werden später z. T. aktualisiert bzw. geändert.

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