Montag, 1. Februar 2016

Wessen "Schuldschein" ist das Geld?


Das Geldwesen ist ein schwieriges Feld. Zur Veranschaulichung wird Geld häufig als Schuldschein gedacht.
So beispielsweise auch in dem "Quarterly Bulletin" der Bank of England (BoE) 01/2014, das dem Leser eine Einführung in die Geldfrage verspricht: "Money in the modern economy: an introduction".

Das hatte ich, auf Englisch, bereits in meinem Blott "Banks do not lend reserves (or deposits). But banks need reserves (and deposits) to lend. Remarks on the BoE-paper 'Money creation in the modern economy' " behandelt, und dort bestritten, dass Geld ein Schuldschein ist.
Wieder aufgegriffen hatte ich diese Fragestellung in meinem letzten Blott "Der 'Quellcode' des 'Betriebssystems' Geld und die Schnittstellen zwischen Geldsystem und Realwirtschaft".
Inzwischen habe ich noch einmal etwas gründlicher über die ganze Problemstellung nachgedacht, und will sie hier isoliert behandeln.

Zunächst einmal ist die Bezeichnung "Schuldschein" für Geld schon deshalb im rein technischen Sinne falsch, weil gilt: "Schuldschein ist kein Wertpapier; Besitz der Urkunde ist zur Geltendmachung des Rechts nicht erforderlich." (Gabler Wirtschaftslexikon)
Das ist, wie wir wissen, beim Geld anders: Nur wer den Geldschein vorlegen (bzw. das Geld von seinem Konto überweisen) kann, verfügt über die Kaufkraft, die dem Schein (Buchgeld ist hier und an anderen Stellen des Textes bei Begriffen wie Geldschein, Banknote usw. stillschweigend mitgedacht) innewohnt.

Korrekt müsste man also Geld wohl eher als ein Schuldversprechen bezeichnen, bei welchem der Schein-Besitz den jeweiligen Inhaber zur Geltendmachung der Forderung legitimiert.
So spitzfindig will ich hier aber nicht sein. Für meine Überlegungen ist das bedeutungslos. Und weil der Wortbestandteil "Schein" in "Schuldschein" unmittelbar an den Begriff Geldschein erinnert, behalte ich hier den Begriff Schuldschein bei.

In der Darstellung der Bank of England, wie vermutlich auch aller anderen Texte, die Geld als IOU oder als Schuldschein charakterisieren, wird Geld völlig selbstverständlich als ein Schuldschein der emittierenden Bank bezeichnet. Also Basisgeld (Zentralbankgeld; engl. base money, high powered money) als Schuldschein der Notenbank (Zentralbank), und Bankengeld als Schuldschein der - hm: jeweils emittierenden Geschäftsbank oder des Geschäftsbankensystems insgesamt?
Das wird i. d. R. nicht weiter thematisiert (im BoE-Papier heißt es: "bank deposits — an IOU from commercial banks to consumers"), aber man kann wohl annehmen, dass an einen Schuldschein jeweils derjenigen (Geschäfts)bank gedacht ist, bei der das Geld als Guthaben verbucht ist. Denn wenn die pleite geht, ist das Geld, das auf deren Konten liegt, ja weg.

Nun steht die Rede vom Geld als Schuldschein nicht im luftleeren Raum.
Vielmehr soll die (angebliche oder tatsächliche, das lasse ich hier noch offen) Schuldscheineigenschaft des Geldes dessen Akzeptanz in der Realwirtschaft begründen.
Nach dieser Vorstellung nehmen die Wirtschaftssubjekte das Geld deshalb an, weil sie der Bonität des Emittenten vertrauen.
Das ist insofern eine gefährliche Einschätzung, als damit letztlich reale ökonomische Mechanismen durch einen bloßen Glauben der Marktteilnehmer ersetzt werden. Was eine Emission von Geld möglicher Weise real in der Wirtschaft bewirkt, wird unwichtig; diese Betrachtungsweise (und damit potentiell auch die Geldpolitik) stellt nur auf die ERWARTUNGEN der Marktteilnehmer ab.


Einschub: Warum diese Denke gefährlich ist

In diesem Sinne schreiben z. B. Michiel Bijlsma und Jasper Lukkezen in ihrem Aufsatz (seinerzeit im Rahmen der großen "Target-Debatte") "Should we worry about Target2 imbalances? Why Central Bank negative equity does and doesn’t matter" vom 04.09.2012:
"..... central bank policy can in principle be perfectly credible with negative equity. Incurring a loss of 50 DM of negative equity is the equivalent of creating 50 DM of central bank money. Both have no backing whatsoever: whether the central bank has 50 DM of liabilities or pushes the button and creates 50 DM of assets and annihilates the negative equity is immaterial, as Karl Whelan argues here.
Sie berufen sich dabei auf einen Artikel von Karl Whelan im Forbes Magazine vom 06.08.2012; Whelan hatte allerdings eingeräumt
"By these comments, I’m not suggesting that bond purchase programs have no cost. To the extent that they involve increasing the money supply, they can contribute to inflation so there is an implicit cost for all citizens. But this is the reason central banks need to be careful with their purchases; concerns about central bank solvency are beside the point."
Whelan seinerseits beruft sich auf eine EZB-Studie der Autoren aus dem Jahr 2004 u. d. T. "THE ROLE OF CENTRAL BANK CAPITAL REVISITED" von Ulrich Bindseil, Andres Manzanares und Benedict Weller. Die habe ich nicht durchgelesen; der Zwischentitel auf S. 24 "Why central bank capital matters - liquidity constraints, central bank credibility and independence" zeigt aber schon die Tendenz: Das Geldwesen wird als ein beinahe hermetisches System verstanden, das hauptsächlich von den Erwartungen der Marktteilnehmer einerseits und den Beziehungen zwischen Zentralbank und Regierung andererseits determiniert ist; die Realwirtschaft kommt darin wohl kaum vor. Die Autoren behaupten sogar, den Nachweis erbracht zu haben, "that a perfect dichotomy exists between the central bank's balance sheet and its monetary performance".
"Dichotomy" ist hier wohl nicht als Gegensätzlichkeit zu verstehen, sondern als Unabhängigkeit, d. h. dass es keinerlei Zusammenhang zwischen Inflation und negativem Eigenkapital einer Zentralbank geben könne.
Richtig ist, dass Zentralbanken nicht pleite gehen können; schließlich können sie sich rein technisch Geld nach Belieben selber "drucken" (der Anschaulichkeit halber setze ich diesen Ausdruck, der konkret ja nur für Bargeld - Geldscheine - zutrifft, hier auch für reines Buchgeld, das lediglich durch einen Knopfdruck geschaffen wird.)
Falsch ist, dass sie ihre Geldpolitik völlig unabhängig davon gestalten könnten, ob ihr Eigenkapital negativ ist (bzw. durch das "Drucken" neuen Geldes negativ wird).
Im heutigen Fiatgeld-System schöpfen auch Zentralbanken Geld im Wege der Kreditvergabe. Wenn sie negatives Eigenkapital haben, dann bedeutet das, dass sie für diesen Betrag Geld WILLKÜRLICH Geld "gedruckt" haben, also nicht im Wege der Kreditvergabe. Oder dass vergebene Kredite nicht getilgt werden.
Praktisch kann das z. B. dadurch geschehen, dass sie dem Staat oder Geschäftsbanken Geld geliehen haben, und es nicht zurückbekommen, weil der Staat (Deutschland 1923!) oder die Bank überschuldet ist.
Faktisch hätten sie dieses Geld dann verschenkt.
Die oben zitierten Finanzkünstler Bijlsma und Jasper Lukkezen glauben, weil das Zentralbankgeld keine Deckung im Sinne von Gold usw. (mehr) habe, könne man es doch beliebig drucken; es sei ja sowieso nicht gedeckt.
Das ist krass falsch, und es ist ziemlich erschütternd, dass solche Koryphäen nicht einmal die einfachsten Zusammenhänge zwischen Geldwirtschaft und Realwirtschaft verstehen.
Geld, das im Kreditwege geschaffen wird (egal, ob von Notenbanken oder Geschäftsbanken) ist nämlich sehr wohl (realwirtschaftlich) gedeckt. Otto Veit schreibt darüber in seinem Buch "Reale Theorie des Geldes" (1966, S. 29; meine Hervorhebung): "Solches Kreditgeld ist volkswirtschaftlich nicht 'ungedeckt', wie manchmal gesagt wird. Bankmäßig liegt die Deckung in dem Anspruch gegen den Schuldner; volkswirtschaftlich liegt sie in der antizipierten Güterleistung, die der Schuldner erbringen muss, um den Kredit einzulösen".
"Antizipierte Güterleistung" ist ein Begriff, dessen genauer Inhalt vermutlich nicht jedem (wohl nicht einmal jedem Wirtschaftswissenschaftler) auf Anhieb verständlich ist.
Was Veit sicherlich gemeint hat, ist folgender Mechanismus:
    1. Schuldner nimmt einen Kredit von z. B. 1.000,- € auf (finanzwirtschaftliche Dimension) und geht damit einkaufen (er "überquert" sozusagen die Grenze von der finanzwirtschaftlichen zur realwirtschaftlichen Dimension). Heißt: Er nimmt sich Güter im entsprechenden Wert (Preis) aus dem gemeinsamen "Topf" (namens "Markt") heraus, und legt dafür nur einen eigentlich wertlosen Papierschein ein. Wie ich hier ausführlicher beschrieben habe, herrscht nunmehr im Markt (also in der Realwirtschaft) ein Ungleichgewicht: Es sind Geldscheine im Wert von (beispielsweise) 11.000,- € "in der Wirtschaft", aber am Markt werden (entsprechend dem vorherigen Geldumlauf von nur 10.000,- €) lediglich Güter im Wert von 10.000,- € angeboten.
    2. Das Gleichgewicht wird (zunächst durch Sparer, die ihr Geld nicht sofort ausgeben, und letztlich) dadurch hergestellt, dass der Kreditnehmer irgendwann Güter im Wert von 1.000,- in den Topf zurückspeist, indem er sie an andere Marktteilnehmer verkauft. Aber mit dem dafür erhalten Schein i. H. v. 1.000,- € geht er nicht erneut einkaufen, sondern legt sozusagen diese Kaufkraft still, indem er seinen Kredit tilgt (der Bank den Schein zurückgibt. Ökonomisch gesehen, "vernichtet" die Bank den Tilgungsbetrag. Was bedeutet, dass kein Wirtschaftssubjekt mehr Zugriff auf dieses Geld hat. Neues Geld für den Umlauf muss (und kann) die Bank nur durch eine neue Kreditvergabe produzieren. (In begrenzterem Umfang auch durch Devisenankäufe und eigene Marktoperationen - etwa Anleihekäufe; aber gerade Letzterem dürften Bilanzrecht und Regulierung deutlich engere Grenzen setzen, als der Kreditvergabe.)
Es liegt auf der Hand, dass dieses Gleichgewicht zwischen Wert der umlaufenden Geldscheine (reines Buchgeld ist, wie gesagt hier immer mitgedacht!) dann gestört ist, wenn die Bank das Geld nicht kreditär vergibt, sondern "verschenkt".
Dann kann der Schuldner einkaufen gehen, ohne dass er selber (später) eine reale Leistung für die Realwirtschaft erbringen muss: Das Geld-Güter-Gleichgewicht bleibt also dauerhaft gestört.
Die zwangsläufige Folge ist Inflation; Deutschland 1923 lässt grüßen.
Das wesentliche Merkmal einer Marktwirtschaft ist ihre teilweise enorme Elastizität. Es gibt dort jede Menge "Puffer", und zu denen gehören zweifellos auch die Erwartungen der Marktteilnehmer. Deswegen darf man sich die Dinge nicht so vorstellen, dass etwa ein Abrutschen des Eigenkapitals einer Notenbank ins Minus zwingend und zeitnah eine Inflation auslösen müsste. Hier z. B. erfahren wir "dass alle Hyperinflationen „überraschend“ gekommen sind. Zu viel Geld gab es lange davor, aber erst der Vertrauensverlust hat zu einer Flucht aus Geld und zur völligen Entwertung geführt." (Die Befürchtung einer solchen "Ketchup-Inflation" wird auch gegenüber der Geldpolitik der EZB geäußert.)
Letztlich ist es aber nicht der Mangel an Vertrauen, der zu Hyperinflationen führt. Sondern ein sehr realer Mangel an Gütern im Verhältnis zur umlaufenden Geldmenge. Die Psychologie spielt schon eine enorme Rolle; auf Dauer schlagen aber die realwirtschaftlichen Zusammenhänge durch. (Veranschaulichen kann man sich das mit jener bekannten Trickfilmszene, wo eine Figur zunächst, ohne es zu bemerken, über den Schluchtrand hinaus in der Luft weiter läuft. Aber dann doch abstürzt. 😀)

Einschub Ende


Wir haben in dem o. a. Exkurs gesehen, welche Gefahren es für eine Volkswirtschaft birgt, wenn das Geldwesen als ein System sui generis betrachtet wird, und nicht als ein System, das in einem engen Zusammenhang mit der Realwirtschaft steht.
Letztlich leitet sich die Akzeptanz von Geld nicht aus der Bonität oder aus dem guten Ruf eines Geldemittenten her. Sondern daraus, ob ich mir mit dem Geld die entsprechende Gütermenge kaufen kann. Wenn die Geldemission keine Rücksicht auf diesen Zusammenhang zwischen Geldwirtschaft und Realwirtschaft nimmt, dann gerät das System tendenziell (ggf. nach Ausschöpfung großer Elastizitäts-Spielräume) aus den Fugen.

Immerhin verraten uns die o. a. (geistigen) Finanzjongleure eines: Dass die Verbindlichkeit, die eine Zentralbank mit der Ausgabe eines Geldscheins bilanziell eingeht, wertlos ist. Für einen alten Geldschein können wir bei der Bundesbank einen neuen bekommen; aber nichts anderes, insbesondere kein Gold.
Auch wenn ein ausgegebener Geldschein in der Zentralbank als Verbindlichkeit gegenüber dem Scheinbesitzer verbucht wird, ist es real komplett sinnlos, das (Basis-)Geld als einen "Schuldschein" der Zentralbank anzusehen.

Die Schuldschein-Denke und die Bilanzierung emittierter Banknoten durch die Zentralbank als Debet (das auf der Aktivseite natürlich durch die entsprechende Kreditforderung ausgeglichen wird) gehen wohl auf jene Tage zurück, als die umlaufenden Banknoten wenigstens teilweise durch Gold gedeckt, und ihrem Aufdruck nach ein Versprechen der Notenbank waren, dem Inhaber auf Verlangen die entsprechende Menge an Gold herauszugeben. Dennoch waren die Banknoten schon damals keine Schuldscheine.

Stellen wir uns vor, dass in einer Volkswirtschaft Geld ausschließlich in Form von Banknoten umläuft, und dass diese voll durch Goldvorräte der Notenbank gedeckt sind.
Dann wird im Grunde nicht mit Banknoten bezahlt, sondern mit Gold. Nur aus Gründen der leichteren Handhabbarkeit wird nicht der Goldklumpen selber bei Käufen weitergegeben, sondern ein Schein der Bank, wo diese bestätigt, dass der Goldklumpen in ihrem Tresor liegt, und dass sie ihn auf Anforderung an den jeweiligen Scheinbesitzer herausgeben wird.

Hier sind die Banknoten KEINE Schuldscheine, sondern reine Aufbewahrungsquittungen; drastisch veranschaulichend könnte man sagen: "Gepäckscheine für Goldklumpen".

Mit der Ausgabe eines Schuldscheins möchte der Schuldner an Geld oder (direkt; indirekt geht es sowieso immer nur darum) an Güter kommen:
  • Ich kann jemandem ("Sachkreditgeber") ein Auto abkaufen und ihm in einem Schuldschein versprechen, dass ich ihm nach 12 Monaten 20.000,- € an Geld geben werde.
  • Alternativ kann ich mir von jemandem Geld borgen, diesem "Geldkreditgeber" den gleichen Schuldschein geben und mir das Auto bei einem Dritten kaufen.
Wer einen Schuldschein ausstellt, möchte also Güter kaufen, für den Gebrauch oder für eine Weiterverarbeitung.
Das ist bei einer Depositenbank jedoch nicht der Fall; die legt die Goldbatzen in den Keller und gibt sie gegen Vorlage der Hinterlegungsquittung wieder heraus.

Indes ist dieses System kein Fiatgeld-System: Es ist ein reines und vollständiges Warengeld-System. Denn bezahlt wird ja tatsächlich mit dem Gold, welches lediglich wegen der Unhandlichkeit nicht in natura hin- und her geschoben wird, sondern in Form von Quittungen. Grundsätzlich aber könnte dieses System von jetzt auf gleich umgestellt werden auf eine Weitergabe realer Goldbarren bei jedem Kauf. (In der Theorie: praktisch gibt es gar nicht genügend Gold!) 

Im Fiatgeld-System liegt, wie wir gezeigt haben, die Deckung (von kreditär geschöpftem Geld) nicht in einem hinterlegten Goldbarren, sondern darin, dass der Kreditmechanismus dem "Erstgeldempfänger" zwar zunächst eine Warenentnahme aus dem gemeinsamen Topf gestattet, ohne dass er selber eine Ware einlegen müsste. (Spätestens) am Ende, wenn der Kredit fällig ist, muss er es aber doch: Er verkauft etwas, und bekommt (so können wir uns das vereinfacht vorstellen) den anfänglich eingelegten Schein wieder zurück.

Es handelt sich also bei dem Geld um einen (GÜTER-)Schuldschein, den nicht die Bank ausgestellt hat, sondern DER KREDITNEHMER.
Der hatte am Anfang des "Geld-Güter-Kreislaufs" dem Topf etwas entnommen (am Markt etwas gekauft) indem er dem Verkäufer einen Schuldschein gegeben hatte. Dieser Schein zirkulierte einige Zeit in der Wirtschaft und lief zuletzt zu ihm zurück, nachdem er ihn durch Hingabe (Verkauf) einer Ware "eingelöst" hatte. (Wobei die Ware etwas wertvoller war als die von ihm ursprünglich entnommene: Zinsen!)

Aber das stimmt doch alles gar nicht? Er hatte doch das Geld, mit dem er einkaufen ging, nicht selber ausgestellt, sondern von seiner Bank bekommen?

Wir müssen es uns abgewöhnen, hier allzu naiv zu denken. "Geld als Schuldschein der Bank" stimmt ja auch nicht. Die Zentralbank schuldet allenfalls anderes Geld; dass sie emittierte Scheine im Soll verbucht, ist völlig bedeutungslos. Dagegen müssen die Geschäftsbanken, die nur Bankengeld schöpfen, im Zweifel dafür eine Geldform liefern, die sie selber NICHT herstellen können: Zentralbankgeld. Aber in der Realität trifft das weitgehend gar nicht zu. Indem sie gegenseitige Forderungen saldieren und sich gegenseitig Kredit geben, reduzieren sie die für ihre Bankengeldschöpfung benötigte Menge an Zentralbankgeld enorm. Im Prinzip müssen sie also kaum Zentralbankgeld liefern. Aber selbst wenn, hätte der Geldbesitzer auch damit keinen Sachwert in der Hand, keinen Goldbarren usw., sondern lediglich einen Geldschein anstelle eines Kontoguthabens.

Die Vorstellung von Geld als Schuldschein ist also nur ein Bild, ein Modell, das (vergleichbar vielleicht den Modellen der Teilchenphysik) etwas veranschaulichen, für uns begreiflich machen soll, was real ganz anders aussieht (oder, wie in der Kernphysik, nur mathematisch korrekt fassbar ist).

Wir stehen nunmehr vor einem scheinbaren Widerspruch:
  • Das Geld soll, nach meiner Behauptung ein Schuldschein des Kreditnehmers selber sein.
  • Andererseits wurde es aber doch gar nicht von diesem ausgegeben, sondern er hat es von seiner Bank erhalten?

Diesen Widerspruch können wir auflösen wenn wir postulieren, dass der Geldschein vom Kreditnehmer ausgestellt wurde, dass sich aber die Bank für den Wert des Scheins verbürgt hat. Sie hätte ihn also, wenn man die Situation mit einem Wechsel vergleichen will, "indossiert". (Nur dass der Geldschein in der Folge nicht mehr weiter indossiert werden muss, also nicht jeder Vorbesitzer jedem Nachbesitzer haftet.)

Aber was bedeutet (wenn wir diese Deutung zunächst einmal als richtig unterstellen) die Haftungsmitübernahme durch die Bank (die gemeinschuldnerische Haftung von Kreditnehmer und Bank)? Für die Marktteilnehmer ist sie im konkreten Sinne wertlos, weil die Bank ihm für seinen Geldschein, bzw. für sein Guthaben, auch nur einen anderen Geldschein oder eine andere Gutschrift geben würde und könnte: Etwas anderes hat eine Bank (im Fiatgeldsystem) nicht anzubieten.

Real haftet die Bank nicht gegenüber irgend einem Inhaber des Geldscheins ("Schuldscheins"), sondern gegenüber "dem Markt". Ihre Haftung besteht darin, dass sie bei Kreditfälligkeit dafür sorgen muss, dass dem Markt Kaufkraft in dieser Höhe entzogen wird.
Wenn der Schuldner nicht selber ein Äquivalent für das entnommene Gut (plus Zinsen) in den Markt "zurückspeist", besteht dort ein Kaufkraftüberhang; es ist mehr Geld "in der Wirtschaft", als Güter (zum bisherigen Preis). Also muss die Bank diesen Kaufkraftüberhang irgendwie abschöpfen.
Das tut sie (vom Grundsatz her) bei ihren Eigentümern (Aktionären usw.): Ihr Gewinn, und damit die Gewinnausschüttung (Dividende) vermindert sich (im Prinzip; real gibt es auch da natürlich Elastizitäten) um genau diesen Betrag; damit können die Aktionäre genau jenen Betrag weniger ausgeben, den der "Erstgeldempfänger" ausgegeben, aber nicht (als Ware oder Dienstleistung) "in den Topf zurückgelegt" hatte.
Auf diese Weise wird das Gleichgewicht zwischen nominaler Geldmenge und Gütermenge (bei gleich bleibenden Preisen) wiederhergestellt.

Wie man sieht: Man KANN Geld als einen Schuldschein verstehen, aber das wird ein sehr kompliziertes Modell.
Der Sachverhalt ist abstrakt vielleicht demjenigen in der Astronomie vergleichbar. Auch dort kann man durchaus mit einem geozentrischen System ("Sonne dreht sich um die Erde") arbeiten. Nur macht das alle Berechnungen sehr viel komplizierter.
Während das heliozentrische System die Zusammenhänge sehr viel anschaulicher, und die Berechnung der Planetenbahnen sehr viel einfacher macht.


Mein "heliozentrisches" Angebot für das Verständnis von Geld ist der Vorschlag (das Denkmodell), Geld als einen Gutschein auf Waren anzusehen. Diesen Gutschein stellen die Banken (faktisch, nicht irgendwie rechtlich) "im Auftrag" des Marktes bzw. der Volkswirtschaft aus. Und indem sie eine Tilgung einfordern und notfalls die Tilgung beitreiben, oder, wenn das nicht möglich ist, den Kredit als Verlust aus ihrem Gewinnpuffer (Ausfallrücklage) selber "bezahlen", sorgen sie für das Gleichgewicht zwischen emittierter Geldmenge und der am Markt angebotenen Gütermenge.
Nachtrag 15.04.2018: Der schottische Ökonom Henry Dunning  Macleod hatte bereits 1882 in seinem Buch "Lectures on credit and banking" geschrieben (S. 46) "Henry Thornton, the eminent banker, says: "Money of every kind is an Order for goods". Zusammen mit einer Reihe ähnlicher Aussagen folgerte er daraus: "I have thus shown you that writers of all classes, philosophers, Economists, practical men of business, and Jurists, are perfectly well agreed upon the fundamental nature of money. It represents Indebtedness; or services due to its owner which he can command at any time he pleases."
Nun: Eine formale Verschuldung ("indebtedness") des Marktes (und nur die kann gemeint sein, weil man das Geld ja nur am Markt gegen Güter einlösen kann) ist dieser Gutschein natürlich nicht. Wohl aber eine Art faktischer "Schuld" des Marktes gegenüber dem Geldbesitzer: Jeder Geldhalter kann damit rechnen, für sein Geld Güter kaufen zu können, denn im Regelfall wird jeder Marktanbieter dieses Geld annehmen.

Geld ist also KEIN Schuldschein des Bankensystems, oder, richtiger gesagt: Es ist zwar nicht unmöglich, aber höchst unpraktisch und irreführend (wie beispielsweise die allgemein verbreitete Vorstellung zeigt, dass man Geld als Schuldschein der Bank betrachten könne), Geld als einen solchen anzusehen.

Betrachtet man dagegen Geld als WARENgutschein, wird die ganze Geschichte saueinfach: Es erklärt, warum der Kreditnehmer als "Erstgeldempfänger" damit einkaufen gehen kann, warum alle Geldempfänger in der Folge das tun können und warum sie die Geldscheine akzeptieren: Die wurden ja in ihrem eigenen Auftrag (als Kollektiv) erstellt!
Und wenn die Bank bei Kreditfälligkeit den Gutschein wieder einkassiert und "zerreißt", dann ist klar, dass sich der Kreislauf geschlossen hat, und dass der Kreditnehmer, um "seinen" "Gutschein" zurück zu bekommen, eine entsprechende reale Gegenleistung für den Markt erbringen musste. Ohne dass er dann noch einmal mit dem Gutschein auf Shoppingtour gehen dürfte.


Nachtrag 04.05.2020

Klarstellung: "Geld" als Schuldschein für Geld bzw. Güter

Bei erneuter Lektüre meines o. a. Textes fällt mir auf, dass er für den Leser möglicher Weise verwirrend sein kann. Deshalb hier der Versuch, die Zusammenhänge noch einmal stringenter zu formulieren.

Unter "Schuldschein" stellen wir alle uns automatisch einen Anspruch auf Geld vor. 
Und tatsächlich ist BANKENgeld (nicht jedoch Basisgeld!) AUCH ein "richtiger" Schuldschein (also ein Anspruch auf Geld), den eine Geschäftsbank emittiert. 
Dies gilt insofern, als sie dem Anspruchsinhaber dafür auf Verlangen eine andere Geldform liefern muss, die sie nicht selber produzieren kann: Basisgeld (= Geld der Notenbanken).
Bankengeld ist also ein Rechtsanspruch auf Basisgeld.
(Hingegen ist die Notenbank ihrerseits nicht verpflichtet, einem Einreicher ihrer eigenen Geldform irgend etwas anderes zu liefern als eben ihr eigenes  Basisgeld. Sie muss defekte Geldscheine in neue umtauschen, aber beide hat sie selber hergestellt und beide sind in ihrer wirtschaftlichen Funktion völlig gleich.)

Die Pflicht der Geschäftsbanken, Basisgeld zu liefern (in Form von Bargeld an Nichtbanken bzw. in Form von Guthabenübertragung auf ihrem Notenbankkonto an andere Geschäftsbanken) limitiert deren Kreditvergabemöglichkeit und ermöglicht der Zentralbank eine gewisse Kontrolle über die Geldmenge und die Zinshöhe. Limitierend wirkt DIESE "Schuldscheindimension" für die einzelne Bank (und für das Bankensystem insgesamt) freilich nicht in Form eines absolut bezifferbaren Betrages. Vielmehr ist die Höhe abhängig von den Marktverhältnissen, insbesondere der Verfügbarkeit von Interbanken-Krediten. (Eben das wird in einer Finanzkrise zum Problem, wenn das Vertrauen unter den Banken weg ist; dann muss die Zentralbank mit massiver Schöpfung von Basisgeld einspringen.)

DIESE "Schuldscheinfunktion" von Geld (die aber, wie gesagt, auf BUCHgeld = Bankengeld beschränkt ist und NICHT für das Basisgeld gilt!) ist jedoch lediglich innerhalb der Finanzwirtschaft von Bedeutung. (Was selbstverständlich nicht heißt, dass sie sich MITTELBAR nicht auch auf die Realwirtschaft auswirken würde.) Sie hat nicht (direkt) etwas mit der Realwirtschaft zu tun.

Für die sozusagen "Schnittstelle" von Geld- und Güterwirtschaft (und DIE ist zentral für das Funktionieren eines Geldsystems!) gilt meine o. a. Beschreibung, wonach Geld ein GÜTERgutschein ist, mit dem sich der (Primär-)Kreditnehmer* verpflichtet, dem Markt ein Äquivalent für jenes Gut (+ Zinsen) zurückzugeben, dass er ihm "vorschussweise" entnehmen durfte. Und für den sich die kreditgebende Bank insoweit "verbürgt", als sie Forderungsausfälle (= dem Markt nicht entzogene Überschusskaufkraft) aus eigenen Mitteln ausgleichen muss und diese Überschusskaufkraft damit der Realwirtschaft entzieht. (Daher enthält der Kreditzins ja auch einen Risiko-Aufschlag, aus dem die Bank Ausfälle ausgleicht. Die Kaufkraft wird insoweit den anderen Kreditnehmern entzogen. Sofern es keine Ausfälle gibt, wird sie wieder an die Bankaktionäre verteilt.)

* Eine geldschöpfende Wirkung haben ausschließlich solche Kredite, die vom Bankensystem vergeben werden ("Primärkredite"). Alle anderen Kredite (z. B. unter Privaten, oder  Ankaufe von Staats- oder Unternehmensanleihen durch Nichtbanken) werden aus bereits im Markt vorhandenem Geld vergeben und heißen daher in diesem Zusammenhang "Sekundärkredite".

Zusammenfassend:
Es ist nicht falsch, Geld als einen Schuldschein der Banken zu bezeichnen. ABER das gilt
a) lediglich für die von den Geschäftsbanken emittierte Geldform, also das Buch- oder Bankengeld und geht
b) am Kern der Geldfrage, nämlich dem Zusammenhang von Geldschöpfung und Anspruch auf Güter ("Kaufkraft"), vorbei. (Abstrakt formuliert geht es um das "Schnittstellenproblem" oder um die Verschränkung/Verzahnung von Geld- und Güterwirtschaft.)
Diese Kopplung zwischen Geld- und Güterwirtschaft (und deren alles in allem doch eigentlich erstaunlich reibungsloses Zusammenspiel) ist die zentrale Dimension der, salopp gesprochen, "Geldfrage"

Und die lässt sich eben nur dadurch verstehen, dass man das (Fiat-)Geld als einen sozusagen "GÜTER-Schuldschein" begreift. (Wohlgemerkt: Nur des "Erstgeldempfängers"; alle nachfolgenden Scheinbesitzer in der Kette haben ja Güter hingegeben, um "diesen" Geldschein "einzutauschen".) "Güter-Schuldscheine" kann eine Bank gar nicht emittieren, weil sie keine Güter liefern kann. Folglich muss man den jeweiligen Kreditnehmer als "Emittenten" dieses Güter-Schuldscheins begreifen: DER entnimmt dem Markt ein Gut "auf Pump" und DER muss "dieses" Gut wieder "in den Topf zurücklegen". Auch wenn er der Vermittlung einer Bank bedarf ("Kredit" im gängigen Sinne), um von der Realwirtschaft einen "Güterkredit" zu bekommen*.
In der REALWIRTSCHAFTLICHEN Dimension wird auch die Unterscheidung zwischen Banken- oder Basisgeld bedeutungslos; BEIDE Geldformen sind "Güter-Schuldscheine"; wer immer damit "dem Markt" "ein Gut entnimmt", muss "dieses" Gut (plus Zinsen) wieder "zurück legen".

* Natürlich kann ein Schuldner auch direkt einen Schuldschein ausgeben. Praktisch geschieht das etwa in Form einer Anleihe bei Geldbesitzern oder durch Ausstellung eines Wechsels. Diese Schuldscheine sind kein "Geld". Allerdings können sie in ihrer Verwendung dem "richtigen" Geld ziemlich nahe kommen. Das gilt z. B. für Wechsel. Historisch bekannt (berühmt-berüchtigt) ist insoweit der Trick des 3. Reiches, den Staatskredit - und damit faktisch auch die Geldmenge - durch sog. "Mefo-Wechsel" auszuweiten.


ceterum censeo
Wer alle Immiggressoren der Welt in sein Land lässt, der ist nicht "weltoffen":
Der hat den A.... offen!
Textstand vom 09.01.2023

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