Montag, 17. Oktober 2005

DISKURS ÜBER DIE GRAVITATION DES GELDES oder TRICKLE DOWN ECONOMY FUNKTIONIERT DOCH!


Die Reichen behaupten und die Armen glauben, dass das Geld nach unten durchrieselt.
Recht haben sie!
Man muss nur die gedachte Sickerstruktur gewissermaßen einer Karl-Marx-Transformation unterziehen, d. h. man muss sie vom Kopf auf die Füße stellen.

Unten ist, wo die Füße sind. Die Füße sind unten, weil die Schwerkraft sie dort festhält, bzw., wenn der Mensch Luftsprünge macht, weil die Gravitation sie nach unten zieht.
Auch das Geld, bzw. die Arbeitsleistung, wenn sie in Geld verwandelt ist, unterliegt dem Gesetz der Schwerkraft, dem Gesetz der sozialen Gravitation, könnte man es auch nennen. Deshalb muss das Geld ebenfalls nach unten fallen bzw., soweit es am freien Fall gehindert ist, dennoch unaufhaltsam nach unten durchsickern.

Aus der Tatsache, dass sich das Geld immer bei den Reichen sammelt und dass jene, die viel Geld haben, sogar nach biblischen Grundsätzen immer mehr bekommen ("Wer hat, dem wird gegeben werden, und er wird Überfluss haben"), während der Arme entsprechend erleichtert wird ("Wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen werden, was er hat"), folgt logisch zwingend, dass wir es hier nicht mit einer sozialen Pyramide zu tun haben, sondern mit einem sozialen Trichter, in welchem die Reichen dort stehen, wo die Liquidität unaufhörlich hinabtropft und sich sammelt, gleichwie das Sickerwasser in einer Sinterhöhle, nämlich am Boden unserer Gesellschaft.
Dies war zweifellos auch der Grund, weshalb Dante sein Höllenloch trichterförmig aufgebaut hat. Unten sitzen die Reichen, die ja bekanntlich eher durch ein Nadelöhr gehen, als ins Himmelreich kommen. "Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme."

So vereinigen sich biblische Weisheit und zeitgenössische Angebotsökonomie zu der Einsicht, dass die Trickle-Down-Economy quasi ein Naturgesetz ist.

Nur unser Sprichwort vom Teufel und dem größten Haufen, das müssen wir dahingehend modifizieren, dass der Teufel seine Stoffwechselprodukte immer in den tiefsten Trichter fallen lässt.


Nachtrag 07.11.2008:

Dem oben geschilderten Versickern des Geldes in die Taschen der Wohlhabenden verdankte ("arguably", wie man im Englischen sagen würde, also: umstritten) die Welt ihre Weltwirtschaftskrise ("Great Depression") am Ende der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts und m. E. auch die aktuelle Krise, die vielleicht noch schrecklicher werden wird (weil die Heilkräuter der Finanzwirtschaft sich wegen der Erschöpfung der natürlichen Ressourcen als fauler Zauber entpuppen werden).
Die englischsprachige Wikipedia zitiert in dem Stichwort "Great Depression" unter dem Zwischentitel "Inequality of wealth and income" einen gewissen Marriner Stoddard Eccles zitiert. Der Mann war immerhin Vorsitzender der Amerikanischen Notenbank ("served as Franklin D. Roosevelt's Chairman of the Federal Reserve from November 1934 to February 1948" heißt es in der Wikipedia) und hat in seinen Memoiren "Beckoning Frontiers" (New York, Alfred A. Knopf, 1951) auf S. 24 die Gründe für den ökonomischen Zusammenbruch dort gesehen, wo auch ich sie heute (zum großen Teil) vermute (meine Hervorhebungen):

"As mass production has to be accompanied by mass consumption, mass consumption, in turn, implies a distribution of wealth -- not of existing wealth, but of wealth as it is currently produced -- to provide men with buying power equal to the amount of goods and services offered by the nation's economic machinery.
Instead of achieving that kind of distribution, a giant suction pump had by 1929-30 drawn into a few hands an increasing portion of currently produced wealth. [Ich würde statt von Saugpumpe eher von einer Trickle-Down-Wirtschaft sprechen: richtig herum betrachtet.] This served them as capital accumulations. But by taking purchasing power out of the hands of mass consumers, the savers denied to themselves the kind of effective demand for their products that would justify a reinvestment of their capital accumulations in new plants. In consequence, as in a poker game where the chips were concentrated in fewer and fewer hands, the other fellows could stay in the game only by borrowing. When their credit ran out, the game stopped.
That is what happened to us in the twenties
."

Nur leider brächte uns eine Expropriation der Expropriateure die erschöpften Rohstoffvorkommen nicht zurück und könnte sogar zu einem noch schnelleren Umweltverbrauch führen.


Nachtrag 28.02.09

Meine eher gefühlte Beschreibung der Geldversickerungsmaschinerie unterlegt der Blogger Heribert Genreith in seinem Eintrag "Die Mutter aller Blasen: Warum diese Krise keine normale Blase ist" vom 20.02.09 mit Fakten, Fakten, Fakten. Das ist (zwangsläufig, wenn man präzise sein will) sehr mathematisch und darum für mich in den Einzelheiten kaum wirklich verständlich, aber sein Fazit begreife auch ich:
"Etwa ab der Jahrtausendgrenze übersteigen allein die Zinsforderungen aus dem Zuwachs(!) der Aktiva den gesamten noch möglichen Zuwachs aus BIP. Was dies für den Durchschnittsbürger bedeutet, hat man in den fetten Aufschwungsjahren nach 2000 gut sehen können: Der Aufschwung kam nicht mehr beim Arbeiter und Angestellten an. Und das trotz aller Verzichte und Rücknahme von Sozialleistungen. Denn ab dem Break 2000 streiten sich Vermögen und Schaffende um den Zuwachs aus dem BIP. Da die Banken aber definitiv am längeren Hebel sitzen, kam der Aufschwung nicht mehr unten an, weil er über Finanztricks aller Art abgeschöpft wurde."
Die Zinsen scheinen mir freilich mit 7,5% und 10% recht hoch angesetzt. Insbesondere bei den Derivaten dürfte außerdem wegen der Hin- und Her-Handelei ein ziemlicher Anteil der Zinsen in Form von Löhnen, Gehältern, Boni (!) und sonstigen Kosten wieder dem Konsum zugeführt werden, also in der Realwirtschaft landen.

In abstrakterer Form, unter Verwendung variabler Annahmen (und für sogar mich, trotz mathematischer Unbelecktheit, auch einigermaßen nachvollziehbar), behandelt Genreith das 'Trickle-Down-Problem' auf seiner (auch sonst interessanten) Homepage auf der Seite "Wirtschaftskrisen".


Textstand vom 29.07.2019

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