Dienstag, 21. Juni 2005

Von wohltemperierten Madonnen und eiskalten Energieverschwendern

(Vorsicht: Dieser Text ist eingefroren! Sperrfrist für das Auftauen mindestens 10 Jahre!)

Vor einigen Jahre wurde ein gotisches Madonnengemälde aus der Kirche eines größeren Dorfes, welches selbst wiederum Ortsteil einer kleinen Stadt ist, zur Restaurierung gegeben. Die Kosten wurden mischfinanziert, d. h. neben der Kirchengemeinde bzw. Diözese steuerte auch die Stadt zu den Restaurierungskosten bei.

So etwa 600 Jahre, schätze ich, hat die Madonna durchgehalten, aber der Zahn der Zeit macht auch vor ihr nicht halt, und um das Ergebnis der aufwändigen restauratorischen Mühen nicht zu gefährden, musste man ihr den Aufenthalt in der Kirche angenehmer gestalten. Gesehen habe ich sie nicht (so ziemlich das einzige, was ich - außer den wasserspeienden Ungeheuern natürlich - von der Gotik mag, sind die Netzgewölbe, besonders jene der englischen Kathedralen), doch las ich, dass sie in einem klimatisierten Glasgehäuse untergebracht ist.

Die Klimatisierung wird nicht sehr viel Strom benötigen, wahrscheinlich weniger als die Gefriertruhe im Supermarkt. Wenn aber das Energieangebot in kurzer Zeit drastisch knapper werden und die Gesellschaft zur Bewirtschaftung (Rationierung, Zuteilung) übergehen sollte (weil der Marktmechanismus derartige Mangelerscheinungen nicht zum Wohle und zur Zufriedenheit der großen Mehrheit bewältigen kann), wird sich in vielen Bereichen, so z. B. auch hier, die Prioritätsfrage in verschärfter Form stellen.

("Mach doch bitte mal den Ventilator aus. Es ist zwar heiß heute, aber irgendwie stört der mich beim Nachdenken.")

Die Kryonik (http://www.transhumanismus.de/Dokumente/Kryonik.htm) ist, vermute ich mal, eine Wachstumsbranche. Jedenfalls sind schon gigantische Grabkammergebäude in der Planung (http://timeship.org/). Wer möchte schließlich nicht gern länger, gern auch ewig, leben? Und mit der beschleunigten Umverteilung der gesellschaftlich erarbeiteten ökonomischen Ressourcen von unten nach oben haben ja auch immer mehr Menschen genügend Mittel, um ihre toten Körper in Erwartung einer künftig ggf. möglichen Reanimation tiefgefrieren zu lassen.

Wenn aber die Gesellschaft zur Energiebewirtschaftung übergehen muss, kann ich mir gut vorstellen, dass sie dort (eher als am Temperaturstabiliserungsschrein der gotischen Madonna) zuerst den Stecker rausziehen wird. Abgestorbene Energieverbraucher, die den Lebenden eiskalt den Saft wegsaugen, würden sich in Notsituationen kaum einer politischen Lobby erfreuen. Nur Zeiten einer herbstlichen Fülle dulden eine derartige Ressourcenver(sch)wendung.

Mit ihrem hinterlassenen Geld könnte man ja Seelenmessen für die dann zunächst endgültig Toten lesen lassen.
Die Kirche garantiert, im Gegensatz zur Kryonik, die Auferstehung, sogar "des Fleisches". Rücknahmegarantien bei Diskrepanzen zwischen Werbeversprechen und Leistung gibt es dort allerdings auch nicht.

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