Samstag, 11. Juni 2005

Armes Deutschland


Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen vom 22.05.2005 ist schon einige Zeit vorbei. Urlaubsbedingt hole ich hier den Eintrag zu der von Bundeskanzler Schröder an diesem Tag verkündeten Entscheidung nach, Neuwahlen herbeizuführen (durch Stellung der Vertrauensfrage).

Die Kommentare, die ich dazu in der Presse las, waren beschämend. Endlich einmal beweist ein Politiker historische Größe, indem er die Macht in der sicheren Gewissheit aufgibt, nicht wiedergewählt zu werden. Und was fällt den Kommentatoren dazu ein? Nur die übliche Suche nach taktischen Winkelzügen. Eine beschämende "Dietrologia" (wie man in Italien sagen würde)der Meinungsmacher, die viel über deren eigene Geistesart verrät, sowie natürlich auch über Politik im allgemeinen.
Nur eben der geschichtlichen Entscheidung Schröders wird derartiges Wortgeklingel in keiner Weise gerecht .

Nicht immer hat das Volk die Politiker, die es verdient.
Manchmal ist der eine oder andere besser, als das Volk eigentlich verdient hätte.

(Rein abstrakt sprechend, müsste ich hier natürlich auch die feminine Form einfügen. Doch das könnte als positive Bewertung der Kotau-Kanzlerin Angelika Merkel verstanden werden. Welche wohl trotz ihres Kotaus in Washington - und ihrer innenpolitischen Präferenz für größtenteils sehr fragwürdige Reformen - zur Kanzlerin gewählt werden wird. Che peccato!)


Nachtrag vom 03.07.05:

Man muss das "Revolverblatt" nicht lieben, aber die Art, wie in der Ausgabe vom 01.07 05 die (bei Redaktionsschluss erst noch bevorstehende) Misstrauensfrage Gerhard Schröders vom gleichen Tag kommentiert wird, hat Anstand, Logik und Stil. "Danke, Kanzler!" balkt die Bild-Zeitung und im Text darunter heißt es u. a. "Man muss Gerhard Schröder nicht lieben - und auch nicht seine Partei. Aber der Kanzler hat in schwierigen Zeiten gehandelt wie ein Mann - und wie ein Patriot". Auf S. 2 geht Peter Boenisch auf die Behauptung der Kritiker ein, dass Schröder das Grundgesetz mit dieser Vertrauensfrage missbraucht. "Wieso Missbrauch?" "Was ist daran undemokratisch?" "Ihr Seid das Volk - ihr bestimmt den Kurs - diese Botschaft des Kanzlers ...". "Zu Recht kann man deshalb wie Bild dem Kanzler dankbar sein." "Es ist eine gute patriotische Tat, jetzt vor aller Welt zu zeigen, dass [in Deutschland wirklich der Wille des Volkes regiert]".
Es ist eine gute, patriotische Tat, in jenen seltenen Momenten, wo ein Politiker Größe zeigt, dies zu würdigen, ihm zu danken und nicht ihn in den Hintern zu treten. Danke, Bild-Zeitung!

"Gerechtigkeit für Schröder" titelt "Die Zeit" vom 30.06.05 (http://www.zeit.de/2005/27/01___leit_1_27). Untertitel: "Der Kanzler hat sich gegen die eigene Macht, für das Wohl des Volkes entschieden". Bernd Ulrich u. a. "Aber so egozentrisch, dass er nur für das Dranbleiben die Interessen des Landes verletzen würde, ist er eben nicht. Seine Entscheidung ... hat eine einfache Logik: Die Regierung muss wechseln, damit die Agenda [2010] fortgesetzt werden kann. Dass der Kanzler sich am Freitag das Misstrauensvotum holt, ist seine vierte patriotische Tat. ... Gerhard Schröder hat also im Interesse des Gemeinwohls gehandelt."

Nur Bernd Ziesemer (
http://www.handelsblatt.com/pshb?fn=tt&sfn=go&id=1061416
), Chefredakteur des Handelsblattes, hat die Dreistigkeit, für seine schwarzen Gesinnungsgenossen noch etwas Wahl-gerechter eine noch größere Selbstdemütigung Schröders einzufordern:
"Dass der Bundeskanzler den Weg frei macht, ist also gut. Aber muss man den Schritt Gerhard Schröders deshalb zur „patriotischen Tat“ stilisieren, wie es die „Zeit“ heute in ihrem Leitartikel tut? Das Gegenteil ist wahr: Wollte sich der Bundeskanzler wenigstens in seinem Abgang als Staatsmann mit Verantwortungsgefühl erweisen, dann wäre er am Tag nach der NRW-Wahl zurückgetreten. Stattdessen versuchte der politische Spieler, der Schröder immer war, eine allerletzte Partie. ... Letztlich macht Schröder „den Lafontaine“: Er schmeißt die Brocken hin, ohne Rücksicht auf Verfassung und politische Langzeitfolgen."

Fies, mies, kleinkariert: Düsseldorfer Provinzperspektive halt. Vielleicht sollte man das "Handelsblatt" nach Hamburg verlegen; da könnte sich Herr Ziesemer bei seinen Kollegen aus den großen Pressehäusern ein wenig Nachhilfe in Sachen der "feinen englischen Art" holen!

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