Falls ich dem Handelsblatt (d. h. dessen Internet-Ausgabe) irgendwann meine langjährige Treue kündigen sollte (wovon die freilich wenig spüren werden, weil ich ohnehin nur noch die im Internet -gratis- publizierten Artikel lese) ist ganz sicher nicht die "Zensur" meines Meinungs-Blotts über Horst Seehofer (vgl. dort meinen Nachtrag vom 7.6.09) daran Schuld.
Vielmehr hatte ich in letzter Zeit mehr und mehr das Gefühl, mit der Financial Times Deutschland einen weiteren Blick auf die Welt zu erhalten, 'näher dran' zu sein an der weltwirtschaftlichen Entwicklung. Und mir gefällt die dezidierte Meinung Freunde der Kommentatoren, z. B. der ironische Kommentar "Normalisierung auf Englisch" (aus der Reihe "Das Kapital") vom 04.06.09:
"Die Angelsachsen bezeichnen die Vorgänge an den Finanzmärkten [z. B. die für die Regierungen - und die Steuerzahler - sehr unangenehmen Zinssteigerungen der Staatsanleihen] voller Selbstbewusstsein als Normalisierung. Da müssen sie mal wieder alles richtig gemacht haben."
Oder, aus der gleichen Reihe, vom 12.05.09: "Das Schlimmste in zehn Jahren":
"Selbst die Ökonomen haben sich von der Aktienrallye anstecken lassen. Aber wenn der Aktienmarkt tatsächlich das Potenzial der Wirtschaft vorwegnimmt, müssen die Anleger in Japan jahrzehntelang gepennt haben."
Oder den Kolumnenbeitrag vom 08.06.09: "Andreas Theyssen - Ich will nicht gerettet werden", wo Andreas Theyssen vehement die Rettung von Opel, und die zu erwartende Rettung von Arcandor (Karstadt usw.) mit Steuermitteln kritisiert.
Oder den "Leitartikel. Arcandors Ende nach Wahl" ebenfalls vom 08.06.09:
"Die Politik entscheidet, ob der Konzern Staatshilfe bekommt, oder in die Insolvenz geht. Doch egal, wie die Entscheidung ausfällt: In einem Jahr wird es den Konzern so nicht mehr geben."
Gewiss: in Sachen Opel und Arcandor berichtet auch das Handelsblatt sehr ausführlich. Aktuell vom 7.6.09 etwa: "Arcandor-Betriebsratschef „Die Insolvenz wäre eine Katastrophe“ ein Interview von David C. Lerch (allerdings offenbar eine Übernahme aus dem ebenfalls zur Holtzbrinck-Gruppe gehörenden Berliner Tagesspiegel) mit dem Arcandor-Betriebsratschef Hellmut Patzelt "über die Aussicht auf Staatshilfe, die Angst der Mitarbeiter und eine Fusion mit Kaufhof" sowie "Handels- und Touristikkonzern. Arcandor spielt mit der Insolvenz" von Sven Afhüppe und Christoph Schlautmann: "Dem angeschlagenen Handels- und Touristikkonzern Arcandor droht kurzfristig die Insolvenz. In einem Spitzengespräch mit Vertretern des Konkurrenten Metro gelang es am Sonntagnachmittag nicht, eine Einigung über die Bildung einer gemeinsamen Deutschen Warenhaus AG zu erzielen. Zudem spitzt sich der Nervenkrieg um einen Rettungskredit des Bundes zu.". Das Blatt hält auch mit seiner negativen Beurteilung der Staatshilfen für diese beiden Unternehmen nicht hinter dem Berge.
Aber z. B. bei der Geldmengenausweitung, oder bei den Gefahren steigender Rohstoffpreise, habe ich (ohne dass ich das jetzt im Detail belegen könnte) bei der FTD eher als beim Handelsblatt das Gefühl einer größeren Intensität der Berichterstattung, einer größeren "Schärfe" (im Sinne eine Fokussierung, nicht im Sinne einer politischen Tonlage.
Selbst dann, wenn ich ihnen nicht zustimme, finde ich in letzter Zeit Anknüpfungspunkte häufig eher bei FTD-Artikeln als bei jenen im Handelsblatt.
Nehmen wir als Beispiel von Lucas Zeise die "Kolumne. Lucas Zeise - Das Inflationsgespenst" vom 26.05.09:
"Die staatliche Geldverteilung an Banken ist intransparent. Deshalb grassiert die Angst vor Geldentwertung."
Zunächst kritisiert er scharf die Tatsache, dass die Bürger zwar für die Banken zahlen sollen, über die Probleme dieser Banken aber nicht näher informiert werden [dieses Faktum müsste eigentlich für einen Dauerschrei im deutschen Medienwald sorgen; stattdessen herrscht insoweit weitestgehendes Schweigen im Walde]:
"Ist es schon sinnlos, viel Geld in die Banken zu stecken, so geschieht es auch noch auf wenig vertraueneinflößende Methode. Die Gründe, warum diese Bank dies, eine andere aber das und eine dritte gar nichts bekommt, bleiben geheim. Warum im Ursprungssündenfall so viel Geld in die kleine, unwichtige IKB gepumpt wurde, ist bis heute ein Staatsgeheimnis.
Ein Untersuchungsausschuss dazu kam nicht zustande. Den gibt es nun im Fall der Hypo Real Estate. Da die beiden Aufsichtsinstitutionen Bundesbank und BaFin jede Ausflucht nutzen, um den Parlamentariern möglichst wenig zu sagen, kann man nur Schlimmes vermuten.
Schließlich ist die große Banken Rettungsaktion so konstruiert, dass weder das Parlament noch die Öffentlichkeit erfahren, warum etwas geschieht. Beim Soffin, der über Unterstützungsmaßnahmen entscheidet, wird zwar ein politisches Aufsichtsgremium über die Entscheidungen informiert. Der Öffentlichkeit und dem Rest des Parlaments gegenüber sind die so informierten Parlamentarier aber zum Schweigen verpflichtet.
Welche schrecklichen Geschäftsgeheimnisse werden da vor uns verborgen? Welche Wahrheit will man uns nicht zumuten?"
Zeise sieht keine Inflationsgefahren; ich bin da anderer Meinung. Zur Inflationsangst meint er:
"Alle möglichen Theorien sprießen ins Kraut. Unter anderem die, es werde dank Geldvermehrung durch die Notenbanken zur Inflation kommen. ...
Ohne sehr viel Geld im Umlauf ist Inflation nicht zu erreichen. Nur haben die letzten Jahrzehnte bewiesen, dass sehr viel Geld in Umlauf gebracht werden kann und dennoch die Inflation gering bleibt und sich auf die Preise von Vermögenstiteln beschränkt. Die Notenbanken wissen, warum das so ist: Der kräftige Geldzuwachs bleibt in den Händen jener, die vorwiegend Vermögenstitel kaufen. Die anderen, die Geld für Dinge des täglichen Bedarfs ausgeben, bleiben auf Diät. Solange das so bleibt, kommt nachfrageinduzierte Inflation nicht auf.
Das viele Geld, das nun auf Kosten des Steuerzahlers in Richtung Banken geht, wird sicher nicht bei denen landen, die damit zu Aldi und Karstadt gehen. ... Einen Rat kann man umgekehrt jenen Zentralbankern geben, die effektive Mittel gegen die Deflation suchen. Der Rat lautet: Kauft keine Anleihen vom Staat oder von Banken. Nehmt Friedman wörtlich. Fed-Chef Ben Bernanke sollte den Hubschrauber besteigen und frisch gedruckte Banknoten über Stadt und Land gleichmäßig abwerfen."
Da hat er sowohl Recht als auch Unrecht. Recht hat er, wenn er (implizit) der von Ben Bernanke geäußerten Behauptung (vgl. meinen Blott
"Finanzkrise (Finanzmarktkrise): Ist BEN BERNANKE BESCHEUERT oder ist Burkhardt Brinkmann blöd?") widerspricht, wonach der Kauf von Staatsanleihen einem Geldabwurf vom Hubschrauber gleich zu setzen sei. Allerdings sind meine Bedenken gegen die Bernanke-Meinung und die Bedenken von Zeise nicht identisch: Zeise bezweifelt wohl, dass diese Gelder beim 'Kleinen Mann' ankommen. Das tue ich nicht, denn: der Staat gibt das geliehene Geld aus, das landet zwangsläufig bei den arbeitenden Menschen - genau wie Geldscheinabwürfe aus dem Hubschrauber. Der für mich wesentliche Unterschied ist dagegen, dass die Steuerzahler die Fed-Anleihen für die Staatsanleihen irgendwann zurück zahlen müssen; Scheine, die vom Himmel auf sie hernieder kämen ('Geldabwurf vom Helikopter') dagegen nicht.
In anderer Hinsicht gehe ich zwar zum Teil mit Zeise konform: der Geldmengenzuwachs der letzten Jahre ist kaum in den Konsum geflossen; vielmehr ist er weitestgehend auf der 'Spielwiese' der Finanzwirtschaft geblieben (vgl. z. B. meine Blotts "WAS SIND DERIVATE oder HAT ES BEI IHNEN GEKLINGELT?" und "„Ceci n’est pas une inflation“ oder: Eine Inflation gibt es nicht!
"). Nur leider halt nicht vollständig: ein Teil sickert eben doch in die Realwirtschaft ein und wirkt dort preistreibend. Zum einen lokal (vgl. meinen Eintrag "DIE WELT WIRD CAPECODISIERT! (Kapiert?) ODER STARNBERGERISIERT?"); zum anderen in Form von Preisblasen: bei den Immobilien und bei den Rohstoffen.
Ohne die gewaltige Geldmengenausweitung, nicht nur in den USA, sondern auch in Europa, in den letzten Jahren wären die Preisanstiege bei beiden o. a. "Anlageklassen" nicht in diesem Ausmaß möglich gewesen. Im Rohstoffbereich waren die Preise ja nicht nur beim Erdöl exorbitant gestiegen, was man auf die geologische Verknappung zurück führen kann (bzw. m. E. muss, aber das ist schon seit längerem umstritten - bejahend z. B. hier einen Beitrag des Wirtschaftswissenschaftlers James Hamilton, bereits vom Oktober 2006, über "scarcity rent", also Knappheitsrente), sondern auch bei dem am weitesten verbreiteten Mineral überhaupt, dem Eisenerz.
Und bei den Rohstoffen geht es momentan schon wieder los, so zu sagen 'unter der Hand', ohne dass dies in der Öffentlichkeit groß wahrgenommen würde. FTD-Leser dürfen sich aber auch darüber gut informiert fühlen; der Sachverhalt wird dort mit der gebührenden Aufmerksamkeit kommentiert.
Z. B. von Tobias Bayer in seinem "Kommentar. Rohstoffe - Das böse Déjà-vu" vom 05.06.09:
"Die weltweite Rezession liegt hinter uns. So lautet jedenfalls das Fazit der Investoren, die hemmungslos in Rohstoffe investieren - und die Preise wie 2008 nach oben treiben. Um ein Déjà-vu zu verhindern, sollten Politik und Aufsichtsbehörden gegensteuern."
Und über die von der Geldmenge in die Höhe getriebenen Rohstoffpreise kommt es, was Zeise ausblendet, letztlich eben auch zu inflatorischen Entwicklungen bei Konsumgütern, wodurch, wie schon gehabt (Ölpreissteigerungen) die Zahlungsfähigkeit der Kreditschuldner beeinträchtigt und damit deren Rückzahlungsfähigkeit unterminiert wird. Auch das wäre ein Déja vu: die Ölpreissteigerungen haben vermutlich zur US-Immobilienkrise beigetragen, auch wenn sie wohl nicht die Hauptursache waren. (Vgl. dazu z. B. meinen Blott`"Finanzmarktkrise, Finanzkrise? Nein: Rohstoffkrise! Notenbanken, Geldpolitik und Konjunkturpakete sind deshalb am Ende").
Hier einige weitere zeitnahe Artikel in der Financial Times Deutschland zur Preisentwicklung (und anderen Entwicklungen) bei Rohstoffen:
"Lückenhafte Kontrolle. Betrüger entdecken den Rohstoffhandel" von Tobias Bayer (05.06.09):
"Die CFTC kontrolliert den US-Terminmarkt. Weil sich beim physischen Handel mit Rohstoffen und Metallen die Betrügereien gegenüber Privatanlegern häufen, fordert sie nun neue Kompetenzen. Dagegen laufen Edelmetallverkäufer Sturm."
Vom gleichen Autor und gleichen Datum: "Rückkehr der Spekulanten. Hedge-Fonds entern Rohstoffmarkt":
"Sie sind wieder zurück: Hedge-Fonds haben in den vergangenen Monaten ihre Positionen auf dem Rohstoffmarkt deutlich ausgeweitet. Ihr Engagement ist derzeit so groß wie zu Hochzeiten des Booms 2008. Die Aufsicht ist beunruhigt."
Ebenfalls von Tobias Bayer ein Artikel vom 4.6.09 der Bericht "Goldman-Sachs-Prognose. Bank erwartet rasanten Ölpreisanstieg":
"Im Mai 2008 schockte Goldman Sachs die Welt mit der Ölpreisprognose von 200 $ bis Mitte 2010. Die weltweite Rezession machte das Szenario unwahrscheinlich. Jetzt lehnt sich das Wall-Street-Haus erneut aus dem Fenster - aber nicht mehr so stark."
3.6.09: "Wegen Ölpreisrekorden. US-Aufsicht geht auf Anti-Spekulanten-Kurs"
von Tobias Bayer:
"Sind kurzfristig orientierte Investoren Schuld an hohen Ölpreisen? Diese Frage beantwortete die Wall-Street-freundliche US-Terminmarktaufsicht CFTC bisher mit einem klaren Nein. Jetzt wird die Gangart unter dem neuen Chef Gensler deutlich härter. Er will Spekulanten bekämpfen – hat aber zu wenig Leute."
Am 12.05.09 las man: "Neue Ära bei Rohstoffen. Banken steigen in Eisenerzhandel ein" von Javier Blas (London):
"Beim Kauf und Verkauf von Zink, Kupfer, Aluminium und Stahl mischt die Finanzwelt bereits kräftig mit. Jetzt entdeckt sie ein neues Spielfeld: Den rasant wachsenden Markt für Eisenerz. Ihr kommt dabei der Streit zwischen Minenbetreibern und Stahlproduzenten zugute."
Es sind jedoch nicht nur die Finanzmärkte, welche die Rohstoffpreise derzeit, trotz immer noch lahmender Konjunktur, wieder anziehen lassen.
"Wettlauf um Rohstoffe. China und Japan horten Industriemetalle" titelte Tobias Bayer einen entsprechenden Bericht vom 25.03.09:
"Die Weltwirtschaft taumelt, doch der Kupferpreis legt zu: Hinter dem vermeintlichen Widerspruch stecken China und Japan, die sich mit Industriemetallen eindecken. Besonders die Volksrepublik geht aggressiv zu Werke."
Weil einerseits die Rohstoffe teilweise aufgrund unzureichender Aufschlussinvestitionen, teilweise aber auch aufgrund ihrer geologischen Erschöpfung knapp werden, und weil andererseits die Weltkonjunktur mit der Brechstange einer riesigen Primärgeldschöpfung ausgeweitet wird (letztlich in vergleichbarer Weise wie um 1600 durch die Münzfälscherei der Kipper und Wipper), stelle ich mir die Zukunft ziemlich duster vor.
Und diese Entwicklungen finde ich in der FTD mit schärfen Konturen gezeichnet als im Handelsblatt, dessen Artikel mich seit Jahrzehnten begleitet und ökonomisch belehrt haben. Dieses ist mir letztendlich im Vergleich doch allzu Deutschlandbezogenen, und, wie soll ich sagen - ein wenig zu 'gemütlich'?. Es zeigt einfach weniger "Biss" als die Financial Times Deutschland. Schade.
(Erg. 13.6.09) Was allerdings die 'technische' Dimension angeht, ist der Internet-Auftritt des Handelsblatts weitaus leserfreundlicher als derjenige der Financial Times Deutschland:
- Seitengliederung 2-spaltig (breite linke Spalte = Artikeltext, schmale rechte Spalte = Werbung, Hinweise, diverse Links), Artikelspalte breiter als Randspalte. Dagegen 3-spaltige Gliederung der FTD-Webseite, wobei die Textspalte etwa gleich groß ist wie die (schmale) linke und die (breitere) rechte Spalte zusammen. Dadurch im Handelsblatt mehr Text auf einer Seite.
- Die Handelsblatt-Webseite bietet (unterhalb des Textes) die Auswahlmöglichkeit an, Artikel vollständig auf einer Seite zu lesen; bei der FTD ist das nicht möglich.
- Außerdem führt das HB unten die Gesamtzahl der Seiten auf. Die FTD verweist auf der ersten Seite lediglich auf eine evtl. Folgeseite; erst dort erscheint eine Information über die gesamte Anzahl der Seiten, auf die der Artikeltext verteilt wurde. Vgl. als Beispiel das 4-seitige "Dossier" "Wir leben noch!" (über eine Kaufhauskette in Holzminden u. a. Kleinstädten). Allerdings sind noch längere Artikel i. d. R. aufgeteilt und schon auf der 1. Seite mit einer Art "Inhaltsverzeichnis" versehen. Das ist nicht schlecht, wenn man gezielt nur eine Information herauspicken will. Ein Beispiel für einen solchen Textaufbau bietet der auf 7 (großtenteils allerdings recht kurze) Seiten aufgeteilte Artikel "Gefährliche VW-Optionen. Das Porsche-Dilemma" vom 16.06.09.
- Das Artikeldatum erscheint im Handelsblatt oberhalb des Textes; bei der Financial Times Deutschland erst tief unten, noch unterhalb von einigen Werbeeinblendungen. Das finde ich ausgesprochen ärgerlich.
Ergänzung 03.09.2009: Nanu? Spionieren die FTDler etwa in meinem Blog? Plötzlich ist das Artikeldatum dort nämlich rechts oben! Der Fortschritt ist eben nicht aufzuhalten! ;-)
- Die FTD bietet gefühlt mehr Links zu einschlägigen eigenen Artikeln als das Handelsblatt; das Datum der Erstveröffentlichung dieser Artikel geben allerdings beide (und auch andere: z. B. die ZEIT) nicht an. Da erhofft man sich u. U. weitere aktuelle Informationen und landet stattdessen manchmal bei alten Artikeln mit überholtem Informationsstand.
Nachträge 03.09.09
Originell im Ansatz ist der heutige Artikel "Fairness für Wiedeking" von Thomas Steinmann:
"Porsche wollte die Macht bei VW - jetzt braucht der Luxushersteller Stütze vom Staat. Hohn und Spott sind Konzernchef Wendelin Wiedeking dafür auch aus der Politik sicher. Dabei ist die an Porsches Unfall nicht unbeteiligt - nur sagt das keiner."
Weitaus wichtiger ist aber der (nicht gezeichnete) FTD-Kommentar "Zeit für eine richtige Krise" aus der Reihe "Das Kapital", ebenfalls vom 08.06.2009. Diese Meinungskolumne wirkt auf mich beinahe so, als ob der Autor meinen vorliegenden Blott gelesen und sich dann hingesetzt hätte, um meine positive Einschätzung noch einmal besonders eindrucksvoll zu bestätigen. Obwohl doch eigentlich ein Wirtschaftsblatt, geht die Zeitung (sicherlich nicht immer, aber jedenfalls in diesem Kommentar) mit einer Prägnanz und Schärfe, wie man sie kaum in der TAZ oder der ZEIT finden wird, und im Handelsblatt noch weniger, auf kritische Distanz zu unserer aktuellen Wirtschaftsweise. Nachfolgende Auszüge mögen, als "Appetithappen", meine Leserinnen und Lesern zur Lektüre verlocken; ich jedenfalls lege Ihnen diesen Kommentar herzlich ans Herz (meine Hervorhebungen):
"Man mag bedauern, dass aus dieser Krise nichts gelernt wird. Andererseits wird der Rückfall entsprechend heftig, so dass die Welt dann um einen Wandel nicht mehr herumkommt.
So wie es aussieht, versucht die Weltgemeinschaft schon wieder so schnell aus dem Krankenbett zu springen, dass mit einem Rückschlag gerechnet werden muss. Denn vielen Äußerungen und Kommentaren zum Trotz ist bisher kaum festzustellen, dass Lehren aus dieser Krise gezogen würden, sich das Verhalten nachhaltig ändern würde. ... dafür, dass wir derzeit trotz Krise auf der Stelle treten, spricht einiges.
Seien es Politiker wie Steinmeier, Koch und Konsorten, die in der Hoffnung auf dummes Stimmvieh in unverantwortlicher Art und Weise Steuergelder, Arbeitsplätze und notwendige Marktmechanismen aufs Spiel setzen. Seien es die Anleger, ... [die] die aktuelle Bärenmarktrally beflügeln. Seien es die Banken, die, wenn sie ihren Oberleuchten schon keine Boni mehr zahlen dürfen, jetzt deren Fixgehälter hochschrauben. ... Seien es aber auch die Regulatoren und Regierungen, die mithilfe von Staatsgeldern, Bad Banks und aufgeweichten Bilanzregeln dafür sorgen, dass die Banken auf dem Papier schon wieder Gewinne schreiben können, ... . Sei es, ... dass die schmerzlichen Folgen von quasi freiwilligem kreditfinanzierten Überkonsum nun per gesetzlich verordnetem kredit- und steuerfinanzierten Überkonsum kuriert werden sollen.
So schnell kriegt man es halt aus den Köpfen der Menschen nicht raus, was sie über die vergangenen Jahrzehnte gelernt haben: den Wert von allem, wirklich allem, nur noch in Geld auszudrücken. Sei es Kunst, Sport oder Bildung,... . Auch wird man den Menschen den Irrglauben, dass Gesellschaften nur bei wirtschaftlichem Wachstum prosperieren können, so schnell nicht austreiben können. Es scheint alles in allem der Welt, vor allem dem Westen, halt noch nicht schlecht genug zu gehen, damit ein nachhaltiges Umdenken einsetzt.
Muss man jetzt als vernünftiger Mensch sich in Zynismus flüchten oder verzweifeln? Nein. Man muss nur einsehen, dass die Welt für den richtigen Wandel noch nicht bereit ist. Es muss erst noch eine größere Krise her. Ein Alkoholiker wird schließlich auch nicht nach einem üblen Kater, sondern erst nach einem veritablen Absturz über seine Trinkgewohnheiten nachdenken.
Dass eine Mäßigung alleine im Sinne der Ressourcenschonung erforderlich ist, zeigen die Dimensionen: ... Wenn etwa Indien so haushalten würde wie Amerika, verbrauchte dieses Land ... jetzt schon das 22-Fache an Energie.
Selbst im Fall revolutionärer Fortschritte in der Energie- und Umwelttechnik scheint die Hoffnung auf ein ungehemmtes Wachstum der Weltwirtschaft da verwegen - zumal die Rohstoffe generell begrenzt sind. Fast noch schlimmer ist allerdings ein geistiger Aspekt: Vielen ist die Steigerung der Produktivität der wichtigste Lebensinhalt geworden, auf dass morgen noch mehr Güter gekauft werden können, die kein Mensch braucht".
Erg. 17.6.09: Vom gleichen Kaliber ist der Meinungsbeitrag "Das Kapital. Payback- und Party Time in New York" vom 12.06.09 (meine Hervorhebung):
"Die US-Banken wollen der Staatsknute entkommen. Sie wissen, wie kaputt ihre Branche ist. .....
Beunruhigend ist ..., dass scheinbar der ganze Markt strukturell so kaputt und ineffizient ist, dass es sich als Bank überhaupt lohnt, die hohen Gehälter zu bezahlen. Dass in der Finanzwelt so überhöhte Preise für Produkte und Dienstleistungen bezahlt werden, dass diese notorisch hohen Margen überhaupt möglich sind - das ist das wahre Übel."
Nachtrag 12.06.2009
Tobias Bayer bleibt dran, an der Ölpreisentwicklung. Und anderen FTD-Autoren ebenfalls.
"Ölpreisrekord. Der rote Bernie geht auf Spekulantenjagd" titelt Bayer am 11.06.09:
"So lang wie Bernie Sanders saß noch kein Parteiunabhängiger im US-Kongress. Der bekennende Sozialist gewinnt zunehmend an Einfluss. Jetzt macht er gegen die Ölspekulanten mobil: Er will mehr Transparenz - und fordert in Notfällen sogar Handelsstopps."
Ein nicht namentlich gezeichneter Leitartikel der Financial Times Deutschland vom 12.06.09 u. d. T. "Schranken für Öl-Spekulanten" setzt nach:
"Grund für den jüngsten Anstieg des Ölpreises ist nicht etwa ein Aufschwung der Wirtschaft, sondern reine Spekulation. Um die einzudämmen braucht es vor allem mehr Transparenz."
In der Kolumne von Thomas Fricke "Neidgesellschaft im Stresstest" geht es eigentlich um etwas anderes, nämlich darum, Staatshilfe nach Kriterien des größtmöglichen ökonomischen Nutzens zu verteilen, anstatt nach vermeintlichen Gerechtigkeitskriterien:
"Wenn es um Staatshilfen für Unternehmen geht, sind in Deutschland Ordnungspolitiker und Tante Erna auf einer Linie: Dass irgendwer mehr kriegt, geht gar nicht. Dabei kann das ökonomisch für alle das Beste sein."
Aber auch auf den Ölpreis kommt Fricke zu sprechen, mit einer Information, welche die (u. a.:) von mir schon frühere geäußerte Vermutung über einen Zusammenhang zwischen Ölpreisanstieg und Konjunkturkrise stützt:
"Nach einer Studie des US-Ökonomen James Hamilton wäre die US-Wirtschaft Anfang 2008 nicht in eine Rezession gerutscht, wenn die Ölmärkte nicht verrückt gespielt hätten und der Preis nicht auf 145 $ pro Barrel geschossen wäre - was sich in diesem Ausmaß nicht ernsthaft als sinnvolles Marktsignal zurechtlegen lässt."
Fricke geht es letztlich darum, die staatliche Hilfe für Opel zu rechtfertigen, denn im folgenden Satz fährt er fort:
"Ist es ökonomisch effizient, wenn unter solchen Extremumständen Unternehmen verschwinden, die sonst zumindest noch eine Chance zur Neuaufstellung hätten? Die Unternehmen kommen ja nicht einfach zurück."
Diese Argumentation pro Staatshilfen für Automobilunternehmen erscheint mir äußerst fragwürdig, da ich von einer (letztendlich) knappheitsbedingten Verteuerung ausgehe. Aber nicht um diesen Aspekt geht es mir hier, sondern darum, wie intensiv (zumindest einige) FTD-Autoren über den Ölpreis nachdenken bzw. die einschlägigen Informationen rezipieren. Fricke kommt noch einmal auf die Hamilton-Studie zurück:
"Hamilton zufolge hätte die US-Regierung das Schlimmste "noch verhindern können, wenn sie in der Frühphase 2008 Öl verkauft und das spekulative Momentum nicht hätte aufkommen lassen"."
Egal, ob der Ölpreisanstieg Anfang/Mitte 2008 rein spekulativer Natur war oder knappheitsbedingt: in jedem Falle sehe ich darin eine Stütze für die in meinem Blott "Finanzmarktkrise, Finanzkrise? Nein: Rohstoffkrise! Notenbanken, Geldpolitik und Konjunkturpakete sind deshalb am Ende" geäußerte Meinung, wonach der Ölpreisanstieg eine wesentliche (Mit-)Ursache der aktuellen Weltwirtschaftskrise II war. Für den Hinweis bin ich dankbar; in meinem zitierten Blott habe ich ihn jetzt etwas detaillierter ausgewertet.
Auch im Handelsblatt vom 12.06.2009 findet sich ein Bericht über den Ölpreisanstieg:
"Rohstoffe. Ölpreis auf Sieben-Monats-Hoch" von Stefan Menzel:
"Der Anstieg des Ölpreises setzt sich fort. Aktuell kostet der Rohstoff mehr als 72 Dollar pro Barrel - so viel wie seit sieben Monaten nicht mehr. Der rasante Anstieg überrascht selbst Experten. Einige sehen den Ölpreis im nächsten Frühjahr schon bei 100 Dollar. Was Anleger und Konsumenten wissen sollten."
Die aktuelle Einschätzung der zukünftigen Preisentwicklung beschreibt der Autor so:
"Die Grenze von 100 Dollar könnte nach Expertenmeinung im Frühjahr 2010 durchbrochen werden. Verantwortlich seien dafür auch die großen weltweit verfügbaren Liquiditätsbestände. Investoren legen ihr Geld in Öl-basierte Finanzprodukte an, weil sie mit einem weiteren Anstieg des Ölpreises rechnen."
Was uns die Frage nahe legt, aus welchem Grund die Investoren (oder richtiger: Spekulanten?) weitere Ölpreisanstiege erwarten: verknappungsbedingt, oder, dank Dollarverfall, inflationsbedingt?
Nachtrag 13.06.09
Eine gewichtige Stimme aus der Praxis bei der Ursachenforschung nach den Gründen der Ölpreisanstiege ist zweifellos diejenige des Chefs einer großen Fluglinie. Ein Interview der Financial Times Deutschland (Jennifer Lachman) vom 10.06.09 mit Wolfgang Mayrhuber, Vorstandsvorsitzender der Lufthansa AG, u. d. T. "Lufthansa will Schutz vor Ölspekulanten" gibt dessen Sicht der Ölpreisentwicklung wider (meine Hervorhebung):
"Lufthansa-Chef Wolfgang Mayrhuber gibt Finanzmarktjongleuren eine Mitschuld am erneut steigenden Ölpreis. Er fordert deshalb strengere Regeln, die Spekulationsgeschäften am Kapitalmarkt Einhalt gebieten."
Nachtrag 02.12.2010
Es scheint so, als wolle das Handelsblatt, nach dem Vorbild der FTD, nunmehr ebenfalls mehr opinionated werden. Mag. Dr. Stephan Schulmeister vom Austrian Institute of Economic Research (WIFO) und einst als Gastautor öfter mal in der Frankfurter Rundschau anzutreffen, durfte nun im Handelsblatt vom 26.11.2010 einen Gastkommentar publizieren. Unter der Überschrift "Exportüberschüsse: Deutschland verbrennt sein Vermögen im Ausland" informiert er die Handelsblatt-Lesergemeinde:
"Fast eine Billion Euro an Vermögen haben deutsche Unternehmen seit 2003 im Ausland angehäuft. Die Hälfte davon hat sich verflüchtigt."
Textstand vom 02.12.2010. Auf meiner Webseite
http://www.beltwild.de/drusenreich_eins.htm
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