Mittwoch, 17. Oktober 2007

EVA HERMAN oder ALS ADOLF HITLER (DIE NAZIS? DIE 68er?) DAS ROSAROTE MUTTER-KANINCHEN STAHL

"Mit dem Nationalsozialismus wurden die anderen Parteien abgeschafft."

"Mit dem Nationalsozialismus wurden die Konzentrationslager abgeschafft."

Beide Sätze (falls Sie einen davon für falsch halten, möchte ich Sie bitten, Ihre Einschätzung zurück zu stellen; ich bin zuversichtlich, dass ich Ihre Meinung ändern kann) haben außer der grammatischen Struktur und beinahe allen Wörtern noch etwas ganz anderes gemeinsam: sie sind unvollständig.
Beides sind Aussagen zu historischen Vorgängen; die aber erfordern eine zeitliche Einordnung. Etwas transparenter wird der Grund unserer Verständnisprobleme mit diesen Sätzen vielleicht, wenn wir uns folgende Aussagen anschauen:

"Mit dem Kommunismus wurde das Privateigentum an Produktionsmitteln abgeschafft"
und
"Mit dem Kommunismus wurden die sicheren Arbeitsplätze abgeschafft".

Auch diese beiden Sätze sind ebenso richtig wie meine Eingangssätze: sie beziehen sich nämlich, genau wie die ersten beiden, auf zwei verschiedene Zeitpunkte.

Mit der Machtübernahme der Nazis wurden die anderen Parteien abgeschafft; (ungefähr) mit der Einführung des Bolschewismus das Privateigentum an Produktionsmitteln.

(Zusammen) mit der Auflösungder nationalsozialistischen Herrschaft wurden (auch) die Konzentrationslager aufgelöst; mit dem Zusammenbruch des Kommunismus war es dort vorbei mit sicheren Arbeitsplätzen.

Eva Herman (Link zur Wikipedia) jongliert auf ihrer Homepage in ihrer "Analyse der Fälschung" mit der Ambivalenz dieser unvollständigen Sätze. Sie tut das freilich unbewusst; die fehlende Konsistenz ihrer eigenen Argumentation wird ihr selbst kaum einleuchten.
Schauen wir uns zunächst an, was sie auf der Berliner Pressekonferenz am 06.09.2007 [hier ihre eigene Darstellung dazu] anlässlich der Präsentation ihres neuen Buches "Das Prinzip Arche Noah" gesagt hat:
“Wir müssen den Familien Entlastung und nicht Belastung zumuten und müssen auch ‘ne Gerechtigkeit schaffen zwischen kinderlosen und kinderreichen Familien.
Und wir müssen vor allem das Bild der Mutter in Deutschland auch wieder wertschätzen lernen, das leider ja mit dem Nationalsozialismus und der darauf folgenden 68er Bewegung abgeschafft wurde. Mit den 68er wurde damals praktisch alles das - alles, was wir an Werten hatten - es war ‘ne grausame Zeit, das war ein völlig durchgeknallter, hochgefährlicher Politiker, der das deutsche Volk ins Verderben geführt hat, das wissen wir alle - aber es ist damals eben auch das, was gut war - und das sind Werte, das sind Kinder, das sind Mütter, das sind Familien, das ist Zusammenhalt - das wurde abgeschafft. Es durfte nichts mehr stehen bleiben ...“
[Hervorhebungen von mir; Zitat von ihrer eigenen Webseite; so aber auch in dem FAZ-Artikel "Rausschmiss bei Kerner. Wie Eva Herman den Fernsehtod starb" von Jörg Thomann vom 10.10.2007, wo allerdings eine Quellenangabe für das Zitat fehlt.]

Das ist gewiss kein Loblied auf den Nationalsozialismus, gleichwohl hatte (auch) ich es zunächst für eine positive Bewertung der damaligen Familienideologie gehalten. Mittlerweile habe ich allerdings Zweifel, ob man das so sagen kann. Dem Wortlaut nach hat sie sich ja auf "Werte" bezogen, also gesellschaftliche Werte, die nicht zwangsläufig mit der politisch herrschenden Ideologie in Einklang stehen müssen. In diesem Falle und auf diesem Feld gab es zwar wohl eine weitgehende Identität. Dennoch müsste man korrekter Weise wohl sagen, dass sie die gesellschaftlichen Werte gelobt hat, die dann (wann und von wem auch immer) ihrer Meinung nach abgeschafft wurden.
Korrektur nach erneutem Überschlafen:
Über die gesellschaftliche, etwa von der offiziellen Ideologie abweichende Beurteilung von Mutterschaft und Familie in der damaligen Zeit wissen wir allerdings so gut wie nichts (außer dass die Kinderzahl schon damals nicht allzu hoch war - vgl. unten die Wikipedia-Information). Möglich, dass Historker oder historisch arbeitende Soziologen auch darüber Forschungen angestellt haben. Aber wenn man im breiten Diskurs das damalige Verständnis der Geschlechterrollen usw. anspricht, bezieht man sich zwangsläufig auf das, was noch heute der Öffentlichkeit allgemein bekannt ist. Und das ist eben die offizielle Familienideologie des Dritten Reiches, nicht ein heute für die breite Masse nur theoretisch davon zu trennendes möglicherweise abweichendes gesellschaftliches Wertesystem bezüglich Familie, Frauenrolle usw.

Einschub:
Meist liest man indes, dass Frau Hermann [nicht: Herrmann, Herrman oder Hermann!] die "Familienpolitik" der Nazis positiv bewertet habe. Das ist auf keinen Fall zutreffend, da sie von Werten sprach und vom "Bild der Mutter". Das Mutterbild haben freilich die Nazis hoch gehalten, wahrscheinlich weitaus höher, als selbst die damalige gesellschaftliche Bewertung. Insoweit ist es keineswegs abwegig, wenn man auf die Idee kommt, dass sie das damalige offizielle Mutterbild bewusst oder unbewusst im Hinterkopf hatte, als sie sich positiv über die damaligen Werte äußerte.

Wie war das überhaupt mit der nationalsozialistischen Familien"politik"?
In einem sehr ausführlichen und informativen Text u. d. T. "Famlie im Wandel" des Historischen Instituts der RWTH Aachen lesen wir dazu (ich gebe hier auch etwas vom größeren Textzusammenhang wieder):
"Die geringe Rolle der Familienpolitik in Deutschland vor 1933
Das stärker industrialisierte Deutschland [im Vergleich zu Frankreich] gilt mit den frühen Regelungen zur Unfall-, Kranken-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung als Maßnahmen der Integration der Arbeiter in den Staat als Vorreiter der staatlichen Sozialversicherung. Die Familienpolitik spielte dagegen angesichts der höheren Geburtenrate eine relativ geringe Rolle: Bis zum Ende des 1. Weltkrieges wurden von staatlicher Seite erste Schritte zur Steuerung der Verteilung innerhalb gleicher Einkommensschichten unternommen (Steuererleichterungen für Familien mit Kindern) und aus gesundheitspolitischen Gründen ein "Wöchnerinnenurlaub" eingeführt. Auch in der Weimarer Republik blieb die Familienpolitik auf Maßnahmen gegen die Berufstätigkeit von Frauen beschränkt, denn es sollte die Arbeitslosigkeit der Männer durch eine niedrige Frauenbeschäftigung verringert und die mütterliche Betreuung der Kinder gewährleistet werden.

Unterschiedliche Akzeptanz der Bevölkerungspolitik nach dem 2. Weltkrieg
Bevölkerungspolitik als wesentlicher Bestandteil der Familienpolitik in Deutschland
In Frankreich behielt die Vichy-Regierung die bisherigen, nicht zuletzt bevölkerungspolitisch ausgerichteten Gesetze zur Förderung der Familien bei und ergänzte sie anläßlich einer Kampagne zur Aufgabe der Berufstätigkeit durch die finanzielle Unterstützung nicht erwerbstätiger Mütter (eine Form des Müttergehalts). Nach dem 2. Weltkrieg wurden die verschiedenen Leistungen neu organisiert und vereinheitlicht. Bevölkerungspolitische Zielsetzungen standen dabei gleichberechtigt neben einer Förderung der Hausfrauenehe. Die Unterstützungsbedürftigkeit einer Familie, in der nur ein Elternteil arbeitet, wurde anerkannt – ein Grundstein für die Akzeptanz der arbeitenden Mutter.

Ausrichtung am Modell der "Idealfamilie" in Deutschland
In Deutschland waren während der nationalsozialistischen Diktatur zum ersten Mal in größerem Maße staatliche bevölkerungs- und familienpolitische Maßnahmen realisiert worden [leider erfahren wir hier nicht, auf welche Weise das Kinderkriegen konkret gefördert wurde], die stark von der rassistischen Ideologie des Regimes geprägt waren. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges galt die Bevölkerungspolitik damit als diskreditiert, alle darauf bezogenen Maßnahmen wurden gestrichen. Familie galt fortan als Privatangelegenheit. Das Grundgesetz (Schutz von Ehe und Familie) und die an Bedeutung gewinnende Familienpolitik wurden am Bild einer Hausfrauenfamilie als "Idealfamilie" ausgerichtet, die Ehe besonders gefördert (Ehegattensplitting).

Familienpolitische Neutralität und vorsichtige Reformen
Zunehmende Loslösung von der Tradition in Frankreich
In Frankreich gewannen Ende der 60er Jahre mit dem Aufkommen der Studentenbewegung und der Hinterfragung gesellschaftlicher Regeln sozial- und frauenpolitische Zielsetzungen an Bedeutung. Wichtige Maßnahmen bezogen sich auf die finanzielle Unterstützung für Familien mit geringem Einkommen - unabhängig vom Erwerbsstatus der Mutter -, die Ausweitung von Betreuungskapazitäten (unter anderem durch eine staatliche Ausbildung und Unterstützung für Tagesmütter und den Ausbau von Krippenplätzen) und auf gesetzliche Regelungen zu Erziehungsurlaub und Erziehungsgeld. Wichtig ist auch eine 1976 begründete spezielle Unterstützung für Alleinerziehende, die es in Deutschland bis heute nicht gibt.

Vorsichtige Reformen in Deutschland
In Deutschland wurde ebenso wie in Frankreich über die Konsequenzen einer veränderten gesellschaftlichen Situation diskutiert. Dabei blieben alte Leitbilder weiterhin gültig. Besonders deutlich wird das in der Einrichtung des Erziehungsurlaubs, der anders als in Frankreich zu einer der wichtigsten familienpolitischen Maßnahmen geworden ist. Dahinter steht die Vorstellung, daß zwar die Berufstätigkeit der Frauen gefördert werden soll, gleichzeitig aber eine Betreuung durch die Eltern (Mutter!) in den ersten Lebensjahren die Regel sein sollte. Nachdem in Deutschland lange Zeit das Modell der sequentiellen Vereinbarkeit von Beruf und Familie gegolten hatte, wird in der Diskussion der letzten Jahre von allen Parteien immer mehr anerkannt, daß auch verstärkt Möglichkeiten geschaffen werden sollten, Beruf und Familie grundsätzlich zu vereinbaren. Nur so kann verhindert werden, daß qualifizierte Frauen dazu gezwungen werden, sich zwischen Beruf und Familie zu entscheiden."
[Hervorhebungen von mir]

Hier gibt es eine Webseite über Frauen im Nationalsozialismus, aber zumindest auf die Schnelle finde ich dort keine Angaben über konkrete familienpolitische Maßnahmen der Nationalsozialisten; es interessiert wohl eher die Rolle von Frauen als Opfern (und Täterinnen).

Einen etwas substantielleren Einblick erhaschen wir Online in der Zusammenfassung eines Artikels u. d. T. "Nazi Family Policy: Securing Mass Loyalty" von Wolfgang Voegeli in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift. Dort erfahren wir:
"Nazi family policy is often seen solely as anti-feminist, racist, and eugenic, and the social policy elements are neglected. Indeed, it was part of a terrorist regime. At the same time, it was a constitutive element of the modern welfare state and instrumental for the preservation of mass loyalty. The introduction of family benefits and of income tax scales recognizing family burdens is an element of modern family policy originally introduced during the Nazi regime. Neither family ideology nor family policy was monolithic but rather diverse and contradictory expressions of a poly-centered system. The various bureaucracies involved in the implementation of this policy partly counteracted each other."

Ein wenig konkreter wird es in einer Darstellung vom kommunistischen Standpunkt:
"Der neue Schwerpunkt lag auf der Familienförderung. Das Ehestandsdarlehen wurde schon erwähnt, hinzu kam die Verlängerung der Kinderzuschläge und Waisenrente im Rahmen der Sozialversicherungen bis zum 18. Lebensjahr der Betroffenen. ... Mit dem Winterhilfswerk wurde eine gigantische Wohlfahrtsorganisation geschaffen. Das Winterhilfswerk und die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt hatten 1939 11,9 Millionen Mitglieder. Erst sammelten sie für "notleidende Volksgenossen", später für die Versorgung der Soldaten. Kamen anfangs die Gelder armen Familien und Kindern zugute, wurden die Sammlungen später ein Mittel, um aus der Bevölkerung das Letzte für die Kriegsmobilisierung heraus zu pressen."

Ansonsten finde ich eher Wert-Debatten als konkrete Informationen.

Aber halt: recht versteckt (unter "Nationalsozialistisches Frauenbild") gibts auch in der Wikipedia Futter:
"Die NS-Frauenschaft und das Deutsche Frauenwerk waren die einzigen legalen Frauenorganisationen im „Dritten Reich“. Nachwuchsorganisation war der Bund Deutscher Mädel.
Abtreibungen von „erbgesunden deutschen Frauen“ waren nicht erwünscht. War hingegen eine „rassisch minderwertige Frau“ schwanger, wurde sie oft zur Abtreibung gedrängt.
Wohlfahrtsstaatliche Stabilisierung der Familien, die Kinder wünschten, wurde eingeführt. So wurden 1933 Ehestandsdarlehen an die Ehemänner ausgezahlt – mit der Bedingung, dass die zukünftige Ehefrau vor der Eheschließung berufstätig war und den Beruf aufgab. Die Abzahlung des Kredites verringerte sich um ein Viertel pro Geburt eines Kindes. Staatlich veranschlagtes Soll waren somit vier Kinder.
Im Gegensatz wurden die Steuern für Kinderlose erhöht.
Ein weiterer Anreiz waren die staatliche Kinderbeihilfe von zehn Reichsmark ab 1936.
Am 21. Mai 1939 wurde erstmals das Mutterkreuz verliehen. Am Muttertag erhalten Frauen mit „überdurchschnittlicher Gebärleistung“ erstmalig das Ehrenkreuz der deutschen Mutter. Für vier Kinder Bronze, ab sechs Kindern Silber und für acht und mehr Kinder das Ehrenkreuz in Gold. Dennoch entfallen 1939 auf eine Durchschnittsehe 1,3 Kinder."

In "Zeit des Nationalsozialismus" erfahren wir ergänzend:
"1941 wurde die Produktion von Verhütungsmitteln verboten. Auf Abtreibungen stand ab 1943 die Todesstrafe."

Summa summarum gewinne ich freilich den Eindruck, dass es mit einer eigentlichen Familienpolitik und Familienförderung der Nazis nicht gar so weit her war; es war wohl ähnlich wie später bei den pseudo-familienfreundlichen Polit-Christen: viel heiße Luft und wenig warmer Regen.

Also: lassen wir uns (nicht zuletzt auch mit einem Seitenblick auf aktuelle Debatten!) kein X für ein U vormachen und unterscheiden wir sorgfältig zwischen Familien-Ideologie und Familien-Politik!
Und von beidem sind wiederum die familienbezogenen Werte (Bewertungen) der Mutterrolle usw. in einer Gesellschaft zu unterscheiden.


Nach diesem Einschub aber zurück zur Selbstverteidigung von Frau Hermann, welche sich als Opfer einer Medienkampagne wähnt. In einer "Analyse der Fälschung" gibt sie das o. a. Zitat wider und sieht sich als Opfer einer Verfälschung durch Verkürzung, einer Art Emser Depesche der Anti-Herman-Verschwörung:

"In den Medien wurde der obige Satz verstümmelt, indem der Satzanfang: "Mit den 68er wurde damals praktisch alles das, alles, was wir an Werten hatten" weggelassen wurde. Dadurch wurde die Parenthese zum Hauptsatz und "das was gut war" und das Wort "damals" bezogen sich plötzlich auf die Zeit des dritten Reiches. Dies ist eine bewusste Verfälschung und Umkehrung des Sinns, die durch die Verstümmelung des Originalsatzes entstand, die die Medien zu verantworten haben. .........
Dass die Fälschung plump ist, sieht man daran, dass meine vorherige Aussage, dass "das Bild der Mutter … leider ja mit dem Nationalsozialismus … abgeschafft wurde" im Gegensatz zu der Fälschung steht, die mir ein Lob der Familienpolitik des Nationalsozialismus unterschieben will. Aber das ist nicht möglich.

Mein Original zeigt ganz klar, dass ich von den Werten sprach, die wir – also die Menschen – schon vor dem dritten Reich, während des dritten Reiches und nach dem dritten Reich hatten, und die mit den 68ern abgeschafft wurden. Ich sprach nicht von den Werten der nationalsozialistischen Politik. Im Gegenteil: mein Einschub über die Zeit des dritten Reiches besagt ja, dass es richtig war, dass diese durch die 68er verurteilt wurden. Und auch vorher schon habe ich gesagt, dass das Bild der Mutter mit dem Nationalsozialismus abgeschafft wurde. .... Nur die Verstümmelung meines Satzes brachte die falsche Bedeutung, weil man dann "das was gut war" auf den Nationalsozialismus beziehen musste."
[Hervorhebungen von mir]

Frau Herman versucht hier, uns die Aussage "das Bild der Mutter wurde mit dem Nationalsozialismus abgeschafft" in der Bedeutung "das Bild der Mutter wurde im (oder 'während des', oder 'durch den') Nationalsozialismus abgeschafft" unterzujubeln. Dass sie das guten Glaubens tut, glaube ich gern, denn auch Jörg Thomann folgt in seinem bereits zitierten FAZ-Artikel "Rausschmiss bei Kerner. Wie Eva Herman den Fernsehtod starb" dieser Lesart im Anschluss an die Wiedergabe des Zitates:
"Der erste Teil dieses Wortwirrwarrs, von der Presse beim Zitieren mitunter weggelassen, steht im Widerspruch zum zweiten. Während im ersten Nazis und 68er gemeinsam das Mutterbild zerstörten, sind es im zweiten nur die 68er, die das, was auch unter den Nazis noch „gut war“, abschafften. Auf den ersten Teil setzt Herman bei ihrer Verteidigung ... ."
Auch wenn wir Frau Herman zu Gute halten müssen, dass nicht jeder in einer Pressekonferenz druckreife Sätze von sich geben kann und muss, kann auch der erste Teil ihrer Aussage nicht im Sinne einer Vernichtung des Mutterschaftsideals durch den Nationalsozialismus gedeutet werden. Denn sie sagt selbst:
"Wir hatten diese Werte, also das, was gut war, vor den 68ern, d.h. vor dem dritten Reich, während des dritten Reiches und nach dem dritten Reich. Das, was gut war, hat also mit der Politik des dritten Reiches nicht das Geringste zu tun."
Wenn aber die Werte (auch) während des Dritten Reiches bestanden und dieses sogar überdauert haben, dann sind sie nicht in dieser Zeit zerstört worden.
Eine Abschaffung des Mutterschaftsbegriffs (und der Familienförderung) könnte man dem Dritten Reich allenfalls in der Form anlasten, dass es ihn historisch diskreditiert hat (vgl. auch den o. a. Auszug aus der historischen Übersicht des Historischen Instituts der RWTH Aachen). Zu dieser Position steht es allerdings in einem kontradiktorischen Widerspruch, wenn man einen Fortbestand solcher Werte noch in der Zeit nach dem Nationalsozialismus postuliert.

Bei einer Beschränkung der Analyse auf die Regeln der diskursiven Konsistenz bleibt es unverständlich, weshalb Frau Herman überhaupt den Nationalsozialismus ins Spiel gebracht hat. Hier muss (worauf auch ihre verworrene Formulierung hindeutet, die gleich im Anschluss an das 12jährige Tausendjährige Reich die 68er-Bewegung folgen lässt und die 22 zwischendrin liegenden Jahre - 1945-1967 - der Bundesrepublik bzw. der Nicht-Nazi-Zeit einfach ignoriert) etwas anderes im Spiel sein: Mechanismen des Unterbewussten nämlich.
"La lingua batte dove il dente duole" sagt ein italienisches Sprichwort; sinngemäß: "Die Zunge ziehts zum schmerzenden Zahn". Was könnte Frau Herman in diesem Zusammenhang Schmerzen bereiten?

Zum einen vielleicht der Umstand, dass einige Leute sie schon seit der Veröffentlichung ihres Buches "Das Eva-Prinzip. Für eine neue Weiblichkeit" in die rechte Ecke rücken wollen. Gut möglich, dass da auch ein wenig Trotz aufgekommen ist, wie man ihn recht häufig in der privaten Diskussion antrifft: "Damals war ja auch nicht alles schlecht". (Andere gängige Elemente dieser Ent-Schuldungs-Strategie sind z. B. "Die anderen haben ja auch Verbrechen begangen" -Dresden, Vertreibung- und, drastischer, das Leugnen oder doch Herunterspielen des Außmaßes des Holocaust).
Wir kennen einen anderen vielleicht hier wirksamen Mechanismus z. B. aus Hexenprozessen im Mittelalter, wo Frauen am Ende selbst von ihrer Hexen-Eigenschaft überzeugt waren: die Gesellschaft drückt uns eine Rolle auf, und Frau Herman hat sich hier vielleicht ein klein wenig in die Rolle derjenigen drücken lassen, die einen gängigen privaten Diskurs auf die Ebene des öffentliches Diskurses hebt (und damit wieder einmal ins Bewusstsein rückt).
Überhaupt bin ich der Meinung und bedaure ich es, wenn in Deutschland Patrioten (zu denen man wohl auch Frau Herman und definitiv mich rechnen darf) sich von den Nicht-Patrioten auf dem Nazi-Turnierplatz positionieren lassen (ich natürlich nicht). Warum kann man nicht sagen (und eigentlich müsste man das ja gerade nach einem rechten Weltbild, wo ein Mann zu "seinen" Taten steht, tun): "Jawoll, wir haben damals Scheiße gebaut. Dennoch liebe ich mein Land und dennoch bin ich stolz, ein Deutscher zu sein." Und wenn man anschließend noch einen kurzen Blick auf einen Globus wirft, sollte man eigentlich auch die Notwendigkeit erkennen, nicht nur deutscher, sondern auch europäischer und in bestimmten Situationen auch "westlicher" Patriot zu sein (das habe ich an anderen Stellen schon des öfteren thematisiert).

Wie auch immer: es gibt noch eine ganz andere, und durchaus plausible, Möglichkeit, aus Eva Hermans wirren Sätzen Sinn zu machen. Diese Perspektive hatte ich mir in einem etwas mühseligen Prozess der Textexegese bereits erarbeitet (im Sinne einer möglichen, nicht zwingenden, Lesart) als ich sie, bass erstaunt, in dem TAZ-Artikel "Kerner wirft Eva Herman raus" vom 10.10.07 als ganz selbstverständliche Deutung las. Dort wird nämlich am Schluss der Inhalt des Herman-Zitats wie folgt zusammengefasst:
"Der Entnazifizierung durch die 68er als Folgereaktion sei auch die Wertschätzung für die Familie weitgehend zum Opfer gefallen." Diese Lesart gewinnt dadurch an Plausibilität, dass sie einerseits aus der Perspektive einer Position wie derjenigen von Frau Hermann Sinn macht. Zum anderen schimmert sie in ihrer "Analyse einer Fälschung" durch, ohne jedoch (was sie wieder zweifelhaft machen würde) explizit zu werden. Die Autorin sagt dort u. a.:
"Natürlich wurde von den 68ern auch der Nationalsozialismus verurteilt. Deshalb in Parenthese der Einschub:
'– es war ‘ne grausame Zeit, das war ein völlig durchgeknallter, hochgefährlicher Politiker, der das deutsche Volk ins Verderben geführt hat, das wissen wir alle –'
das heißt also: diese Verurteilung ist richtig, aber es blieben dabei auch Werte auf der Strecke, die die Menschen schon vorher besaßen, völlig unabhängig von den Nationalsozialisten."
[Hervorhebung von mir] Und später noch einmal:
"... mein Einschub über die Zeit des dritten Reiches besagt ja, dass es richtig war, dass diese durch die 68er verurteilt wurden."

Tatsächlich haben ja die "Antiautoritären" der 68er-Bewegung die Gesellschaft der Bundesrepublik als faschistisch gesehen und beschimpft. Insoweit kann man logisch korrekt (unabhängig davon, ob bzw. inwieweit das historisch zutreffend ist) formulieren, dass die Wert der Familie damals als faschistisch diskreditiert und dadurch zerstört wurden.
Nur muss man dann in einem auch nur halbwegs durchdachten Diskurs die Nazis bzw. die Nazizeit selbst außen vor lassen; dass Frau Herman diese jedoch einbezogen hat, lässt sich nicht allein mit der 'Hitze des Gefechts' in einer Pressekonferenz erklären. Mir scheint, da schimmert in einer Negativ-Reaktion doch auch das verletzte Selbstwertgefühl unseres Volkes als einem "symbolischen Volk der Täter" durch, wie C. K. Williams die uns geschichtlich zugewachsene Rolle so eindringlich in einem Zeit-Artikel aus dem Jahr 2002 beschrieben hat.
(Was uns nicht hindert, den Angehörigen anderer Nationen ähnliche Rollen zuzuweisen; Amerikaner und Amerikanerinnen können vermutlich ein Lied davon singen; vgl. auch meinen Bild-Blott "Schwäbisch Hall: Besucher aus aller Welt freuen sich immer ...".)

Es ließe sich noch vieles sagen (weiter ausgreifend könnte man z. B. auch einen Kommentar zu einer Meinungsäußerung wie "Why the Japanese Internment Still Matters" von Daniel Pipes einflechten), doch muss nun leida der Blogga in die Heia.

Also dann, liebe Lesergemeinde, bis demnächst mal wieder!


Aber vorher noch schnell ein paar Links zu einigen bemerkenswerten Bemerkungen zum Thema Herman eingestellt:

Mut zur (treffenden) Meinung hat Harald Martenstein: "Talk und Trampel".

"Familienpolitik. Eine Last, die keiner sieht" (FAZ) von Sibylle Tönnies habe ich noch nicht gelesen, scheint aber interessant. (Frau Tönnies war mir bereits zum Afghanistan-Totenschädel-"Skandal" mit einem klugen und mutigen Kommentar aufgefallen.)

"Zu kaum einer Geschichte haben wir derart viel Leserpost bekommen - online wie offline - wie zu Eva Herman. Übertroffen wird das nur von dem Echo auf unsere Serie zur GEZ (siehe: FAZ.NET-Spezial: Die Methoden der GEZ). Und viele denken tatsächlich, dass Eva Herman nichts Falsches gesagt hat oder nur falsch verstanden wurde. Wenn sie es richtig und geschickt anstellt, wird sie sich mit einigem Abstand vielleicht als Opfer einer Medien-Verschwörung hinstellen können, auch wenn sie niemand gezwungen hat, beim Thema Familie derart unsäglich von der Zeit des Nationalsozialismus zu faseln" heißt es in dem FAZ-Artikel "FAZ.NET-Fernsehkritik. Eva Herman? Schwamm drüber!" von Michael Hanfeld.

Zu schade zum Vergessen finde ich auch die folgende Passage:
"Am wunden Punkt der Familienpolitik ändert sich nichts.
Was hat Eva Herman nur für Kritik auf sich gezogen: Feministinnen und kinderlose Karrierefrauen haben ihr den Gefallen getan, sie in eben jener schrillen Weise anzugiften, die Eva Herman ihnen als Grundhaltung attestiert. Nicht zu vergessen die verwegenen Exegeten, die sie als Präzeptorin eines neuen völkischen Schwenks nach rechts sahen und sich nun bestätigt sehen dürfen. Doch sollte man eines nicht vergessen: Die hiesige familienpolitische Debatte hat die Hohlheit dieses Disputs nie verdient. Der Punkt, an den Eva Herman rührt, den sie ausbeutet und gefährlich rückwärtsgewandt missdeutet, ist nämlich der wunde: Die Entfremdung von Frauen wie Männern von ihren Familien, der vollständige, wenn nicht totalitäre Anspruch der Arbeitswelt im Zeitalter des globalen Finanzkapitalismus. Mit den Achtundsechzigern hat das nur am Rande zu tun
" aus -wiederum- einem FAZ-Beitrag, und ebenfalls von Michael Hanfeld; Titel "NDR entlässt Eva Herman. Vertreibung aus dem Paradies"

Henryk M. Broder ist nicht gerade mein Leib-und-Magen-Meinungsmacher. Aber Respekt demjenigen, der respektheischende Leistung bringt: seine Spiegel-Kolumne "Der programmierte Eklat" ist eine reife Leistung die mir wieder einmal zeigt, dass es doch wahrhaftig Leute gibt, die noch besser schreiben können als ich ;-).

Wenn Bettina Tietjen in der "Welt" ("Eva Herman ist kein Neo-Nazi") sagt: "Einige ihrer Äußerungen sind aber völlig inakzeptabel, das habe ich ihr schon immer gesagt“, dann hätte man bei diesen Äußerungen gern mal Mäuschen gespielt: ob damit einfach Frau Hermans recht konservatives Frauen-Rollen-Bild gemeint ist, oder ob sie sich im privaten Umfeld über das Familienbild der Nazis geäußert hat.

Im Polit-Magazin "Cicero" können wir einen längeren Artikel von Eva Herman selbst lesen: "Die Emanzipation – ein Irrtum?" vom Mai 2006.


Nachtrag 28.10.07:
Auf einer Webseite der "Evangelische Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe" (ts, ts, was es alles so an Bildungseinrichtungen gibt ...) findet man auf einer Seite von Prof. Dr. Ursula Henke ein Angebot "Familie in der NS-Zeit" (im Rahmen einer Reihe "virtuelle Übungen") die ebenfalls einige interessante Infos für unser Thema bringt.
[Auszug:
"Also versuchte der Staat, 'den Willen zu Ehe und Kind zu stärken'. Methoden dafür waren z.B.:
Ledigensteuer,
Ehestandsdarlehen mit Geburtenrabatt
(Heiratswillige Paare bekamen Darlehen und mußten weniger Geld zurückzahlen, je mehr Kinder sie bekamen),
Strafsteuern für Ehepaare, die nach fünf Jahren noch keinen Nachwuchs vorweisen konnten.
Tatsächlich hielt aber der Trend zur Kleinfamilie an!
Scheidungszahlen stiegen in den Jahren 1929 bis 1939 aufs Doppelte an!"
]


Nachtrag 12.01.2011
Bei (umzugsbedingten) Aufräumarbeiten fiel mir heute der emanzipationskritische FAZ-Artikel "Produktion und Reproduktion. Über die Entheiligung der klassischen Familie im rot-grünen Zeitalter" des Berliner Soziologen Professor Dr. Norbert Bolz vom 22.02.2003 in die Hände. Im vorliegenden Kontext von Interesse  ist, dass hier sogar ein Soziologe (im Grunde ähnlich wie Eva Hermann) die Emanzipation, an der rot-grünen Koalition festmacht. Ich halte das für verfehlt, weil die Emanzipation (egal, wie man sie bewertet) aus meiner Sicht eine gesellschaftliche Tiefenentwicklung darstellt, während Regierungen doch eher gesellschaftliche Oberflächenerscheinungen sind.




Textstand vom 12.01.2011. Auf meiner Webseite
http://www.beltwild.de/drusenreich_eins.htm
finden Sie eine Gesamtübersicht meiner Blog-Einträge (Blotts).
Soweit die Blotts Bilder enthalten, können diese durch Anklicken vergrößert werden.

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