Samstag, 7. Februar 2009

Botec oder Bieder? Die "Back-of-the-envelope calculation" ist eine Bierdeckelrechnung!


Wolfgang Münchau, meinungsfreudiger Kolumnist der Financial Times Deutschland, hatte sich in der FT vom 24.09.2008 äußerst kritisch über die damalige US-Politik der Finanzkrisenbekämpfung geäußert. U. a. schrieb er (meine Hervorhebungen):

"Zweitens verzögert diese Aktion [d. h. die Bankenrettungsaktion des US-Finanzministers Hank Paulson in ihrer damals geplante Form] den absolut notwendigen Schrumpfungsprozess des amerikanischen Finanzsektors und behindert die Anpassung der aufgeblasenen Wertpapierpreise. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs ist in den USA der Anteil des Finanzsektors von zwei Prozent auf nahezu acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gestiegen. ..... Nur hängt das amerikanische Establishment leider immer noch an der Idee, dass der Finanzsektor auf Biegen und Brechen in seiner jetzigen Größe erhalten werden muss."
Und später:
"Ich schätze, die USA werden am Ende den vermeintlich weichen Weg der Geldentwertung gehen. Der politische Druck auf die Notenbank wird zunehmen, die jetzigen und zukünftigen Steuerzahler zu entlasten, indem man einen Teil der Schulden durch das vermehrte Drucken neuen Geldes finanziert. Zur Kasse gebeten werden dann die Investoren, also die Überschussländer wie China, die einen sehr großen Anteil ihrer Reserven in Dollar-Anleihen investiert haben. ..... Die Finanzierungsbedingungen für die USA werden sich drastisch verschlechtern, die amerikanischen Marktzinsen werden steigen, und die Notenbank wird irgendwann einmal gezwungen sein, die permanente Niedrigzinspolitik aufzugeben. Es ist das Ende des "exorbitanten Privilegs": des Rechtes, für immer und ewig über seine Verhältnisse zu leben.
Die Ratingagentur Moody's schrieb diese Woche, das "AAA"-Rating der USA sei nicht in Gefahr, denn die USA seien eine dynamische Wirtschaft mit guter Wirtschaftspolitik und starken Bilanzen. Das las sich fast wie ein Witz ..... . Die Qualität der Staatsbilanzen wird sich in den nächsten Jahren dramatisch verschlechtern, und das wiederum wird auch die Dynamik der Volkswirtschaft beeinträchtigen."

Diese Meinungen Münchaus, die ich teile, halte ich hier mal für spätere Vergleiche mit der tatsächlichen Entwicklung fest.


Eigentlich geht es mir im vorliegenden Blott jedoch um einen störenden Anglizismus in Münchaus Text:

In dem Satz "Hier ein paar Rechnungen auf dem Rücken eines Briefumschlags: ... "
hat Münchau das in der anglophonen ökonomischen Diskussion gängige Bild von einer "Back-of-the-envelope calculation" einfach wörtlich ins Deutsche übertragen.
Das ist schade, denn wir haben (ausnahmsweise) dafür eine Wendung, die ebenso prägnant, aber deutlich kürzer ist, indem sie mit einem einzigen Wort auskommt: "Bierdeckelrechnung"!

Schade, wenn die anglophone Überformung in unseren Köpfen so weit geht, dass wir sogar bessere deutsche Begriffe wegwerfen.


Sie meinen, hier spricht ein Glashausbewohner?
Recht haben Sie; mir geht es freilich nicht darum, Steine auf Münchau zu werfen. Vielmehr will ich mit diesem Eintrag auch mein eigenes Rückgrat stärken. Auf dass meine Ausdrucksweise nicht unter der Last der fremden Sprache kollabiere.

Denn schließlich sind wir ja keine Steinzeitkultur, welche sich von Völkern mit bierdeckelrechnenden Finanzinstituten das Licht einer höheren Zivilisation holen müssten.


Nachtrag 22.03.09
Ich dacht' erst, ich wär' in Afrika, als ich hier " im Kommentar von "Ketzerisch" (wieder einmal) dem Begriff "afaik" begegnete. [Den kannte ich zwar schon, aber die Schnellinfo-Funktion im neuen Microsoft Internet Explorer 8 (IE8) lässt einen kurzen Klick auf die Google-Suche verlockend erscheinen.] Warum machen wir nicht mit ein "sowiw" draus? Soweit ich weiß, hat ein klein wenig Selbstbewusstsein (Ekwesebu) noch keiner Sprachgemeinschaft geschadet?

Textstand vom 22.03.2009

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen