Montag, 9. Februar 2009

Der kleine Unterschied

Der Chefvolkswirt von Barclays befürchtet Hyperinflation. Das war mein erster Eindruck beim Lesen des Handelsblatt-Interviews Die Geldordnung muss reformiert werden von Jörg Hackhausen mit Thorsten Polleit (09.02.2009).

Barclays? War das nicht so eine riesige britische Bank? Aber richtig lesen: da steht nicht einfach "Barclays", sondern "Barclays Capital". Doch nicht die Bank? Erst ein Blick in die Wikipedia hilft weiter: "Barclays Capital is a leading global investment bank. It is the investment banking division of Barclays plc which has a balance sheet of over £1.2 trillion ... . Barclays Capital provides financing and risk management services to large companies, institutions and government clients."

Na gut: Immerhin doch ein bedeutender Zweig der Barclays plc. Da horcht man schon auf, wenn es heißt (meine Hervorhebungen):
"Weltweit pumpen die Staaten massiv Liquidität in den Wirtschaftskreislauf. Eine fataler Fehler, warnt Thorsten Polleit, Chefvolkswirt von Barclays Capital. Er befürchtet, dass unser Geld künftig deutlich an Wert verlieren wird. Wenn sich nichts ändert, drohe sogar eine Währungsreform."

Auch ich glaube, dass solche Befürchtungen über die aktuellen geldpolitischen Entwicklungen nicht unbegründet sind:
"Wenn die Gesellschaften meinen, Probleme lassen sich mit einem Ausweiten der Geldmenge lösen, wird diese Torheit mit Inflation, möglicherweise mit sehr, sehr hoher Inflation, zu bezahlen sein - und mit den damit verbundenen schmerzlichen ökonomischen und politischen Begleiterscheinungen."

Und gegenüber Konjunkturpaketen bin ich ebenfalls skeptisch.
Frage des Interviewers: "Ist es richtig, Konjunkturpakete durch hohe Verschuldung zu finanzieren?"
Antwort Polleit: "Mit dem Papiergeldsystem, in dem das Geld per Kredit geschaffen wird, scheinen sich die Volkswirtschaften in eine Überschuldungssituation manövriert zu haben. Das ist die gesellschaftliche Herausforderung, für die eine Lösung gefunden werden muss. Konjunkturprogramme, ob nun mit Steuern oder Schulden finanziert, helfen da nicht."

Auch wenn er auf die Frage "Es gibt bereits erste Stimmen, die vor einer drohenden Währungsreform warnen. Wie real ist eine solche Gefahr?" antwortet:
"Solange der Staat die Hoheit über die Geldmenge innehat, ist die Gefahr real", kann man ihm folgen.

Seine weiteren Überlegungen zum Privatisieren des Kredit- und Geldsystems und einer Wiederanbindung der Geldmenge an Edelmetall erscheinen mit etwas obskur ("Austrian" economist? Zum "free banking" vgl. z. B. den Eintrag auf der Homepage von George Selgin).

Aber diese Debatte und überhaupt ökonomische Fragen können hier letztlich dahingestellt bleiben. Mir geht es vielmehr um die Aufwertung, welche das Handelsblatt seinem Interviewpartner mit der einleitenden Bezeichnung als "Chefvolkswirt" zu Teil werden lässt.
Die ist nämlich geschummelt. Da muss doch jeder Leser denken, dass Hr. Polleit der Chef der Volkswirtschaftlichen Abteilung von Barclays Capital ist.
Erst am Ende des Artikels erfährt man, dass der Titel einen einschränkenden Zusatz hat (meine Hervorhebung):
Chief German Economist. Also wohl der Chefbeobachter (wenn nicht gar der einzige) der deutschen Volkswirtschaft. Das lässt ja durchaus Raum für weitere "Chef-"Volkswirte. So könnte es z. B. einen Chief ChineseEconomist geben, einen Chief IndianEconomist, den Chief BritishEconomist und den Chief AmericanEconomist. Und darüber natürlich den 'richtigen' Chefvolkswirt.

Die 'Herabstufung im Rang' sagt natürlich nichts über die Qualität von Polleits Meinungen aus. Für einen Beobachter des öffentlichen Diskurses macht es dennoch einen riesigen Unterschied, ob der Chefvolkswirt einer Bank öffentlich die Befürchtung einen weltweiten Inflation äußert, oder nur deren volkswirtschaftlicher Deutschland-Beobachter. Genau so wie es einen gewaltigen Unterschied machen würde, ob ein Sparkassenchef die Geldversorgung der Europäischen Zentralbank für übertrieben erklärt, oder ob Josef Ackermann sagt, 'die EZB tut genau das Richtige'.
Durchaus möglich, dass der Sparkassenchef richtig liegen würde und Ackermann nicht; dennoch würde die Meinung des Ersteren wenige berühren; die des Letzteren vielleicht Märkte bewegen.
[That is, of course, the same reason why only few people read my blog ;-)]

Jedenfalls gehört es für mich zur Seriosität und erwarte ich vom Handelsblatt als Deutschlands wohl führender Wirtschaftszeitung, dass sie den Rang ihrer Gesprächspartner gegenüber dem Leser von vornherein richtig verortet, und nicht erst versteckt im (gewissermaßen) Kleingedruckten am Schluss!


Tatsächlich: der "Chefvolkswirt" geistert schon durch die Medien. In der "Zeitong" heißt es:
"dts Deutsche Textservice Nachrichtenagentur GmbH - Am Morgen war noch bekannt geworden, dass die britische Großbank Barclays 2008 trotz der Finanzkrise einen Milliardengewinn erwirtschaftet hat. Jetzt hat der Chefvolkswirt von Barclays Capital die westlichen Staaten vor einer Hyperinflation gewarnt."


Nachtrag 13.02.09:
Thorsten Polleit, in dem Artikel "Wirtschaftskrise. Industriestaaten verspielen ihr Kapital" vom 12.02.09 von Michael Brackmann, Jens Münchrath und Christoph Sandt nunmehr korrekt als "Deutschland-Chefvolkswirt" der britischen Bank Barclays Capital apostrophiert, wird langsam zum Kronzeugen der Handelsblatt-Journalisten.
In diesem Beitrag wird er mit der Warnung zitiert: „Der fatale Kreditboom wird schlichtweg mit anderen Mitteln fortgesetzt. Die Regierungen führen das Auftürmen der Schuldenpyramide verstärkt fort“, sagte Polleit. Die Gefahr hoher Inflationsraten sei akut. Die Teuerung könnte sogar stärker ausfallen als noch in den 70er-Jahren. Damals lag die Rate bei gut zehn Prozent."
Und in dem Text des ersten der vier (lesenswerten) Kästchen erfahren wir:
"Thorsten Polleit, Deutschland-Chefvolkswirt von Barclays Capital, hält in den USA und anderen Staaten sogar Inflationsraten von mehr als zehn Prozent für wahrscheinlich. Viele Zentralbanken seien bereit, die Geldmenge nahezu ungehemmt auszuweiten und die Zinsen auf null zu setzen. „Deshalb könnte die Zerstörung des Geldwerts sogar noch stärker ausfallen als in den 70er-Jahren“."
Eine solche Entwicklung würde mich in der Tat nicht überraschen; das Statement scheint mir allerdings in einem gewissen Widerspruch zu stehen zu seiner Einschätzung der Wechselkursentwicklung des US-Dollars (im Text des 3. Kästchens - mit dem Dollar-Symbol):
"Thorsten Polleit, Deutschland-Chefvolkswirt von Barclays Capital, plädiert zwar für die Rückkehr zum Goldstandard. Er vermutet aber, dass der Dollar sogar gestärkt aus der Krise hervorgeht, weil die USA „relativ besser“ mit der Krise umgehen".

Wenn man freilich den Passus über die Geldmengenentwicklung liest:
"Viele amerikanische Banken sind nur deshalb noch am Markt, weil die Notenbank sie großzügig mit frischem Kapital versorgt und als Sicherheit zweifelhafte Wertpapiere akzeptiert. Auf mehr als 2,2 Bill. Dollar hat sich die Bilanz der Fed mittlerweile durch den Aufkauf von Schrottpapieren aufgebläht. Mit allen Mitteln will Fed-Chef Ben Bernanke einen Zusammenbruch des Finanzsystems verhindern. Auch die Geldmenge ist in den USA, aber auch in Europa in den vergangenen Monaten um die Hälfte angewachsen – eine dramatische Entwicklung'"
kommen einem schon Bedenken, ob hier nicht die Notenbanken langsam die Funktion der Kipper und Wipper im Deutschland um 1600 (insbesondere in den Anfangsjahren des 30jährigen Krieges) übernehmen?



Textstand vom 13.02.2009. Auf meiner Webseite
http://www.beltwild.de/drusenreich_eins.htm
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