Sonntag, 26. Juni 2005

Magonza, da capo


Auch heute wieder ein Samstagsausflug nach Mainz; dieses Mal der Rosen wegen.
Südbahnhof ausgestiegen, das römische Theater von oben besichtigt (Zitadellenweg). "Das größte seiner Art" nördlich der Alpen. Bei derartig qualifizierenden Zusätzen werden ich immer misstrauisch: was heißt "seiner Art"? Gab es verschiedene Arten von römischen Theatern? Okay, außer den Theater gab es noch die Amphitheater. Wenn es davon ein größeres nördlich der Alpen gibt, ist das Mainzer Theater gleichwohl das größte nördlich der Alpen. Ein Amphitheater ist schließlich kein Theater, hatte eine ganz andere Funktion – oder? Warum also nicht einfach sagen: "das größte Theater nördlich der Alpen; Amphitheater ausgenommen?".
Na gut, jedenfalls war es für 11.000 Zuschauer, und das ist, für jene Zeiten, schon eine ganze Menge. Frage indes: wo war das römische Amphitheater in Mainz? Oder waren die Mainzelmännchen und -weibchen schon damals so kultiviert, dass sie die rohen Vergnügungen des Amphitheaterentertainments verschmähten?



Dann Straße "Am Rosengarten": eine Allee riesiger alter Platanen, Gründerzeitvillengesäumt. Mentales Lesezeichen im Stadtplan gemacht: für wenn es mal mit dem Jackpott klappt J.

Am Eingang zum Rosengarten ein Kulturschock: ein älterer Herr, der aus dem Volkspark herauskommt, grüßt uns. In einer Stadt mit fast 200.000 Einwohnern grüßt jemand völlig Unbekannte! (Kleiner Intelligenztest en passant: versuchen Sie mal, auf der Webseite der Stadtverwaltung so auf die Schnelle die Einwohnerzahl der Stadt herauszufinden!).

Freundlich ist auch jener Herr mit der großen Nase, der unter einer Überdachung auf einer Bank sitzt. Zwerg ist er nicht, sondern normal groß, aber sein Körper ließe sich werbewirksam vermarkten: "Bier macht dünn, hier ist der lebende Beweis." Würde ich ihm mein Übergewicht abgeben, hätte er vielleicht einen normalen Leibesumfang. Höflich: steht auf, als ich ihn anspreche. 26 Jahre Bund: so was prägt halt. Und was die Flasche neben ihm auf der Bank angeht, und jene gewisse olfaktorische Ausstrahlung: Dienst macht durstig; da ist er nicht der erste, welcher beim Bund das Saufen gelernt hat.

Ist aber kein Obdachloser; sondern heimatlich verwurzelt und erstklassige Auskunftsquelle über dieses und jenes im Mainz: "oral history". Ob das mit der Verbindung zum Bretzel-König stimmt, sei mal dahingestellt. War aber jedenfalls eine interessante Unterhaltung, während meine Frau fleißig Rosen fotografierte. Die Blumen freilich waren zum allergrößten Teil schon hinüber; hätten 2 Wochen eher kommen sollen!

Mainzer waren praktisch keine hier; waren wohl verreist (zum Rosarium nach Sangerhausen?). Jedenfalls: unser "nihil obstat" gewähren wir ihnen gerne, zum Verreisen. Die Volksleere im Rosengarten des Mainzer Volksparks ist nicht unangenehm.

Peter Wolf blickt mit marmorstarrer Zufriedenheit auf seinen Park. Hat er auch Grund dazu: die Bäume sind groß geworden, die ganze Anlage atmet Heiterkeit und Weite.

Manche der alten Bäume freilich sind mit Efeu überwachsen – oder sollte ich das Verb "überwuchert" verwenden? Das ist eine echte Gewissensfrage, denn Efeubäume sind schön fürs Auge, aber weniger angenehm für den Trägerbaum. Ich entschließe mich, die Frage nach zulässigen Verquickung von Biologie und Ästhetik offen zu lassen, und mir statt dessen einen Neologismus einzuprägen: Efeukultur. Welcher nicht gänzlich frei ist von Bezügen z. B. zu meinem Blog-Eintrag vom 17.05.05: "Renten sichern - Wehrfriedhofsmauer zerfallen lassen!" Doch wären insoweit auch andere Zusammenhänge denkbar. Glaube allerdings nicht, dass unsere Zivilisation schon eine Efeu-Kultur ist; eher eine Botrytis-Kultur (s. a. http://schimmel-schimmelpilze.de/schimmelpilz/botrytis-cinerea.html): "indes Europas Edelfäule, an Pau, Bayreuth und Epsom sog ... ." Heute ist sie noch um einiges reifer als zu Nietzsches, oder zu Benns, Zeiten.

Wo wir aber gerade beim Trinken sind: an diesem Wochenende wird das Johannisfest in Mainz gefeiert, weniger mit Trinken (dafür gibt es extra einen Weinmarkt, im Volkspark übrigens), sondern mehr mit Musik, Essen – und vor allem auch mit einem großen Büchermarkt. Zahllose Antiquariatsstände würden mir die Wahl zur Qual machen, wollte ich noch wie früher das Angebot gewissenhaft sichten. Doch bleibt es meist dasselbe, und vieles, was mich früher wenn nicht begeistert hätte, so doch kaufenswert erschienen wäre, lasse ich heute links liegen. Geänderte Maßstäbe, ein voller Bücherschrank, mit Bergen von noch zu lesender Literatur, und dezimeterhohe Stapel mit noch viel interessanteren Internetausdruck (ach ja, die 14 Wikipedia-Textseiten über Nietzsche sollte ich mir vielleicht auch mal rausziehen): da lockt Gene Bruckers illustrierte Geschichte von Florenz, 1138 - bis 1737, mein Portemonnaie auch nicht mehr aus der Hosentasche. Zumal 14,50 € eine stattliche Summe sind.


Und dennoch erwischt es mich noch: das Bücherlaster und die Trinkerei, und das ausgerechnet in der katholischen Bücherei in der Grebenstraße!
"H. E. Köhler, Unsere Ahnen, die Germanen. 45 Zeichnungen zu Tacitus 'Germania'."
Nachdem Tacitus die reichen Römer zunächst über die einfachen Speisen der Germanen informiert hat, fährt er fort: "Dem Durst gegenüber sind sie weniger maßvoll. Würde man ihrer Trunksucht entgegenkommen und ihnen das nötige Quantum verschaffen, könnte man sie ebenso leicht durch ihre eigenen Laster wie durch Waffen besiegen." Krieg mit Feuerwasser also, hier vorgeschlagen, 2.000 Jahre später praktiziert: Guns, Germs and Steel (http://en.wikipedia.org/wiki/Guns,_Germs_and_Steel) – und eben Feuerwasser. Und mit Tacitus' Beschreibung des deutschen Durstes kam wohl der "tedesco ubriaco" ins Standardrepertoire der italienischen Literatur. (Wir wehren uns verzweifelt: http://www.viaggio-in-germania.de/ubriac.html) Denn jener Prälatendiener, welcher dem Fiasco marketingwirksam sein "Est, est est" entgegenschleuderte, kann dieses Werk nicht vollbracht haben, und auch nicht (da war schon alles zu spät) Theodor Mommsen, der sich im Tagebuch seiner französisch-italienischen Reise von 1844/1845 rühmt, keinen Kater zu bekommen, egal wie viel Vino er abends konsumiert. (Wir wollen mal höflich unterstellen, dass Mommsens Tagebuchführungselan in Italien nicht wegen des Vino so schnell eingeschlummert ist. In Wirklichkeit war es sicherlich seine Epigraphenjagd, welche ihm für das Tagebuch keine Zeit mehr ließ. Oder?)

Was bringen wir sonst noch vom Tacitus (nur Ziff. 1 – 27 sind in diesem Büchlein abgedruckt) in unsere Bildungsscheuer ein? "Kinderlosigkeit bringt keinen Vorteil" – bei den Germanen. Also hat man das bei den Römern, in der Oberschicht jedenfalls, offenbar anders gesehen. Schon damals anscheinend im alten Rom Geburtenkontrolle: "Die Zahl der Kinder zu beschränken oder ein nachgeborenes Kind zu töten gilt als Schande, und gute Sitten vermögen dort [d. h. in Germanien] mehr als anderswo [im Rom?] gute Gesetze." Muss ich mir mal merken, für mein "Rentenreich".
Und dass die Germanenfrauen in den Kriegen der Germanen logistische und medizinische Aufgaben hatten. Vor allem aber im Krieg die richtigen "incentives" zu gebrauchen wussten (eine "incentive tour" war, wie wir aus einer anderen Stelle erschließen, schon der Krieg selbst). Aus dem Tritt gekommene Heere brachten die Frauen durch Entblößen der Brüste zum Stehen (http://mitglied.lycos.de/elmarsonline/uebersetzungen/tacitus/frauen.htm; s. z. B. auch http://philognosie.net/index.php/article/articleview/113/7/). Welches uns nun zu verschiedenen weiteren Erkenntnissen führt. Z. B. den Mythos von der natürlichen Friedlichkeit des Weibes als einen wahrheitswidrigen entlarvt (ja, ja, Fritjof Capra, glaub du nur dran, dass der Feminismus die "Zeitwende" zum friedlich-freundlichen Zusammenleben der Menschen bringt: du hast zwar vieles gelesen, aber offenbar weder die "Germania" des Tacitus, noch die "Geschichte vom weisen Njal"!). Oder eine neue Deutung entsprechender Verhaltensweisen in der Realität und in Darstellungen der Kunst aus der Zeit der französischen Revolution ermöglicht. Nicht um Emanzipation ging es dabei, vielmehr zeigten die Frauen ihre Brüste, um ihre Männer zu motivieren, den Tyrannen die Zähne zu zeigen (nachdem die Tyrannen von den anderen Dingern speziell im 18. Jh. ja auch genug zu sehen gekriegt hatten)! Und wenn es derzeit blank auf allen Titelblättern blitzt, dann sind jene optischen Reize synästhesierend als Klänge von Luren (http://www.pe.tu-clausthal.de/AGBalck/vorlesung/server/musik2003/m07/imh_0052.htm) zu deuten, luring us into the wars of economic competition.

Also, mehr konnte ich aus dem Tacitus wirklich nicht rausholen, und wende mich desderwegen nun jenem Druckwerk zu, das zu den überflüssigsten Zellstoffverschlingern der gesamten Buchgeschichte gehört: Hans Peter Duerr, Gänge und Untergänge, edition Suhrkamp 1999. Ein armes Schwein, (kann nicht sein) der dafür 16,80 DM oder 8,50 € ausgegeben hat! 1,99 € fürs Remittendenexemplar lässt sich gerade noch vertreten, für eine erste Bekanntschaft mit dem Anthropologen Hans Peter Duerr. Über den lässt sich im Internet wohl deshalb nur schwer etwas in Erfahrung bringen , weil er sich den lexikalischen Locus mit dem Physiker und engagierten Umweltschützer gleichen Namens (schreibt sich allerdings mit "ü") teilen muss. Der Buchpreis ist eine Wohlthat (drei dieser Remittendenbuchläden verdienen ihr Geld in Mainz, welches dadurch nicht nur ein hohes kulturelles Niveau beweist – "richtige" Buchläden gibt es daneben natürlich auch noch- , sondern auch einen relativen Mangel an Antiquariaten, verglichen mit Frankfurt a. M., locker ausgleicht).

Der Inhalt – na ja, man hat ihn auf der Heimfahrt rasch durchgelesen, was nicht nur über den Umfang des Buches, sondern auch über den Gehalt manches sagt. Eines freilich kann man nicht sagen: dass es langweilig wäre. Ein origineller und humorvoller Kopf ist dieser Duerr, und dass ich sein vierbändiges Opus Magnum "Der Mythos vom Zivilisationsprozess" nicht gelesen habe, spricht gegen mich, nicht gegen ihn. (Tatsächlich war es die häufige Begegnung mit diesen – mittlerweile auch remittierten – Büchern, die mich bewog, bei dem Anthropologen Duerr mal lateral über "Gänge ..." einzusteigen.) Doch ist es etwas mühsam, sich aus indirekten Billardballspielen seine Thesen über die Lage des 1362 sturmgefluteten Küstenortes Rungholt herauszupuhlen (oder –pulen, wie ist es richtig?). Und die Phantasie, so scheint es, überflutet bei ihm manchmal den festen Boden der Wahrscheinlichkeit. Auf einen (möglichen) Hausfund und auf ein (mögliches) Kirchenfundament lässt sich wohl noch kein reiches Rungholt gründen, so imponierend auch die Fundstücke des Wissens sind, die er dafür anführt.

Schon gar nicht kann man Geheimgänge aus Südfrankreich einfach nach Heidelberg verpflanzen; zu unwahrscheinlich ist es, von der Frage der technologischen Realisierbarkeit im Mittelalter ganz abgesehen, dass damals ein Fürst einen Gang, zumal durch Granitfels, hätte bauen lassen, damit ihn sein Leibarzt schneller erreichen konnte. Für solche kostspieligen Scherze mit wenig transparentem Nutzen hätte der Hof wohl nicht einmal im Absolutismus Verständnis gehabt. Militärische Überlegungen könnten da schon ein anderes Gewicht haben.

Überzeugend ist Duerrs Replik ("Ideologiekritik als Mode") gegen Enzensbergers Kritik. Und auch in dem Spiegel-Interview "Wissenschaft und Esoterik" weiß Duerr, dass "All diese existentiellen Ängste und Konflikte, die unser heutiges Leben beherrschen, damals [d. h. vor der Sesshaftwerdung der Menschheit in den Agrargesellschaften] längst nicht so ausgeprägt" waren. [Aha, stimmt also anscheinend, was Jared Diamond behauptet hat (zumindest steht dieser damit nicht allein auf weiter Flur), dass die Menschen durch den Übergang zur Agrargesellschaft individuell keineswegs glücklicher geworden sind (vgl. Blog vom 10.05.05, "Der größte Fehler in der Menschheitsgeschichte?")].
"Doch diese Welt ist für uns unwiderbringlich verloren. Und selbst wenn nicht, wir würden uns nicht mehr wohl fühlen. Das verkennen viele Romantiker." Sagt Duerr, aber so ganz falsch liegt Enzensberger mit seiner Lesart von Duerrs Meinungen nun auch wieder nicht. Die rhetorische Frage "Wird der Untergang unserer Zivilisation nur Nachteile für die Menschen haben" zeigt schon als solche Duerrs Tendenz: "Nein". Nach dem Crash der Ressourcenerschöpfung wird die Gesellschaft (insoweit zitiert er; behauptet dieses Szenario auch nicht als sichere Erwartung, sondern nur als Möglichkeit) zunächst auf das technische Niveau des 18. Jh. zurücksinken und sich langfristig auf dem der mittelalterlichen Agrarwirtschaft einpendeln. Wenn es die Umweltsituation zulässt, "werden die Überlebenden [das ist jetzt allerdings wirklich seine eigene Überzeugung] in kleinen, relativ 'entdifferenzierten' Gemeinschaften eine neue, einfachere und ruhigere Zivilisation aufbauen, mit niedrigem materiellen Lebensstandard zwar, doch sie werden vermutlich ein sinnvolleres und erfüllteres, wenn auch härteres Leben führen als ihre Vorfahren" (d. h. als wir).
Da darf man Zweifel gleich aus mehreren Gründen anmelden:
1) Ein "sinnvolles" Leben setzt einen Sinngeber voraus. Einen solchen unterstellt: woher wollen wir wissen, was dem sinnvoll erscheint oder nicht? Die "Demut", ein von Duerr mehrfach gebrauchter Begriff, gebietet, nicht darüber zu rechten, ob das Leben des Knechts, Reisigen oder Räubers im Mittelalter sinnvoller war als jenes des Programmierers, Handelsvertreters oder Lkw-Fahrers heute (Ladies sind natürlich einbegriffen).
2) Wie immer man es anstellt, gerät die Sinngeber-Konstruktion nicht nur per se schon anthropomorphistisch. Vielmehr wird zusätzlich noch unterstellt, der Sinngeber sei uns Menschlein wohlgewogen und wolle, dass wir glücklich sind. Ja, wieso denn eigentlich? Vielleicht will er mal ausprobieren, wie wir die Welt kaputt kriegen? Da könnte man gar nicht sinnhafter leben, als wir das in der Moderne tun!
3) Kleine Gemeinschaften? Na ja, gar so monadische Gesellschaftskörper waren die vorindustriellen Zivilisationen auch nicht gerade.
4) Aufbauen? Wird mühsam sein; hauptsächlich werden die sich mit dem Abbauen herumschlagen müssen.
Nachtrag vom 08.02.07: Für den Zustand unserer Gesellschaft im Stadium der Erschöpfung der nicht-erneuerbaren Ressourcen möchte ich einen Neologismus vorschlagen: "Ruderal-Zivilisation" (oder: Ruderalzivilisation). Dies in Anlehnung an den Begriff "Ruderalpflanzen", welche auf Schutthalden besonders gut gedeihen.
Schon in der Vergangenheit haben Menschen im Schutt früherer (oder zeitweise auch ihrer eigenen) Zivilisation(en) gelebt. Das gilt z. B. für die Städte der Indus-Zivilisation nach deren Niedergang, für die Maya-Städte und natürlich, allerdings nur mehr oder weniger kurzzeitig, für Kriegs- und Katastrophenzeiten.
Dass sich wahrscheinlich unsere Nachkommen weltweit in den Hinterlassenschaften ihrer Ahnen einhausen müssen, wird allerdings eine neue Erfahrung für die Menschheit sein. Wäre interessant, die Ruderal-Bewohner zu beobachten, ob und wie sie damit klar kommen.

5) Ruhiger? Das nun wohl absolut nicht. Hauen und Stechen wird da sein um jene Ressourcen, welche wir denen als Müll hinterlassen haben. (Aus dem Boden kann man dann nicht mehr viel holen: was mit mittelalterlicher Montantechnologie abgebaut werden kann haben wir, in unseren Breiten jedenfalls, längst ausgebuddelt.)

Zum Wiederauffinden eines Textes, den ich im Internet (hier? http://www.wsu.edu/~converse/MP.html) gelesen hatte, und sicherlich auch irgendwo lesezeichengespeichert habe, jedoch ums Verrecken nicht mehr wiederfand, half mir der Interviewer von "Facts" ("Die Wahrheit in der Ethnologie") mit seiner Erwähnung des Anthropologen Turnbull und der Iks. Alles erstunken und erlogen also? Überrascht mich nicht sonderlich; die Geschichte (Excerpt 4) von "Adupa Locked up in Home to Die" kam mir sowieso "fishy" vor. Wer kann denn eine Schilderung glauben: "Even worse, she thought parents were for loving, for giving as well as receiving. Her parents were not given to fantansies, and they had two other children, a boy and a girl who were perfectly normal, so they ignored Adupa, except when she brought them food that she had scrounged from somewhere. They snatched that quickly enough. But when she came for shelter they drove her out, and when she came because she was hungry they laughed that Icien laugh, as if she had made them happy." Nicht dass die Eltern unsentimental sind, ist unglaubhaft: das sind die Erzeuger der Scugnizzi in Neapel auch. Weil es eben unter solchen Verhältnissen nicht zu vermeiden ist. Aber das "she thought parents were for loving", das klingt doch allzu sehr nach glücklicher Familienidylle der affluenten viktorianischen Bourgeoisie. Fehlen nur noch ein paar Illustrationen von Ludwig Richter zu der ganzen Story. Das ist viel zu lyrisch-literarisch, jenes höllische ikische Gelächter z. B., um als glaubhafte anthropologische Beobachtung durchgehen zu können. Trotzdem: hätte ich hier nicht ausdrücklich gelesen, dass Turnbull unglaubwürdig ist, hätte ich zumindest der Tendenz nach die Schilderung der Ik für bare Münze genommen. Insoweit habe ich für 1,99 € doch eine nützliche Aufklärung erhalten. Und insgesamt eine muntere Lektüre für die Bahnfahrt.

Was wohl die nächste Mainzfahrt bringen mag?


Nachtrag 16.05.08:
Nicht eine Mainzreise (die steht freilich, mit Flohmarktbesuch und Spargel'hamstern'* auf dem Wochenmarkt, schon für morgen wieder an) brachte mir neue und aufregende Erkenntnisse über Hans Peter Duerr, oder genauer: über dessen Meinungen zur Ressourcenverknappung und zur zivilisationsgeschichtlichen Funktion des Feminismus, die weitestgehend mit meinen identisch sind. Sondern sein Spiegel-Interview "Von herzlosen Hedonisten zum sozialen Kollaps" (den Hinweis "Quelle: DER SPIEGEL 49 / 2000 / 188 ff" entnehme ich einem anderen 'Abdruck' des Interviews auf dieser Seite, die freilich im Kommentar reichlich merkwürdige Ansichten enthüllt) auf der Webseite "Anarchie heute", welches ich heute bei Nachverfolgung eines Suchzugriffs auf meine Seiten entdeckte.
Genau wie ich ist Duerr ein Ressourcenpessimist (wie oben schon dargelegt; zusätzlich ist er allerdings ein Umweltpessimist und Gesellschaftspessimist; in diesen beiden Punkten bin ich weniger skeptisch). Außerdem hinterfragt er den Feminismus auf seine möglichen sozialökonomischen Funktionen (und leitet dessen Entstehung, darf man wohl vermuten, ebenso wie ich aus eben diesen Zusammenhängen, und nicht etwa - wie das die eigene Narrative dieser Bewegung tut - aus einer Entwicklung "zum Guten" oder "zum Fortschritt" her). Hier die einschlägigen Textpassagen (Hervorhebungen von mir):

"SPIEGEL: Herr Professor Duerr, unter Fachkollegen gelten Sie als eingefleischter Fortschritts‑Pessimist. Trifft das zu?
Duerr: So ziemlich. Optimisten müssen ein sonniges Gemüt haben. Das leiste ich mir nur privat.
SPIEGEL: Was stimmt den Ethnologen so skeptisch?
Duerr: Ich sehe drei ernste Bedrohungen für die Zivilisation: den sozialen und den ökologischen Kollaps und das Ende der Energiereserven.
...
Duerr: ...Immer stellt sich diesen Leuten die Frage: Was bringt mir das?
SPIEGEL: Nach dieser Logik sind alle individualistischen Bewegungen modernistische Erzübel. Ist das nicht arg übertrieben?
Duerr: Leider überhaupt nicht. Der Feminismus zum Beispiel stößt deshalb allenthalben auf so viel Zustimmung, weil der Markt die unabhängige, selbständige Konsumentin braucht und eben nicht die sich aufopfernde Frau als Geliebte und Mutter. ..........
SPIEGEL: Sie behaupten, der Feminismus sei eine reaktionäre Ideologie?
Duerr: Es liegt eine gewisse Tragik darin, dass Emanzipations-Freunde immer wieder erkennen müssen, dass sie im Grunde Erfüllungsgehilfen der modernen Marktgesellschaft gewesen sind. Denken Sie an die 68er mit ihren Forderungen nach hemmungsloser Bedürfnisbefriedigung. Ohne es zu wissen, waren sie damit die Avantgarde des Kapitalismus.
.........
SPIEGEL: Irgendwann muss diese Lebenslust [unserer individualistischen Spaßgesellschaft] an ihre Grenzen stoßen. Wann ist Schluss mit lustig?
Duerr: Die Grenzen sind die natürlichen Ressourcen dieses Planeten, und sie sind erkennbar, weil der Kapitalismus ihre hemmungslose Ausbeutung betreibt. Und offensichtlich gibt es keine Möglichkeit, die Gewinn‑Gier zu durchkreuzen. Mich überzeugen die Prognosen, nach denen die in absehbarer Zeit versiegenden fossilen Energieträger nur in sehr geringem Maße durch alternative ersetzt werden können. Vom Öko‑Crash, der Erderwärmung, Unwettern und Ozon will ich gar nicht reden. Ich glaube, all das wird zu unlösbaren Problemen führen.
SPIEGEL: Ein Teil der Mensch­heit hat den Ernst der Lage er­kannt.
Duerr: Aber sie tut letztlich so gut wie nichts. ... Fast alle wollen sich für Umwelt engagieren, Flug‑ und Autover­kehr jedoch nehmen zu. Die Haushalte verbrauchen immer mehr Energie. ...
SPIEGEL: Und was blüht den Erdlingen?
Duerr: Ich halte für realistisch, was viele Experten glauben: Schon Mitte dieses Jahrhunderts [Mein Einwurf: "Wirklich erst dann"?] wird es ‑ unter den dann mögli­cherweise zwölf Milliarden Menschen ‑ zu erbitterten Kämpfen um Ressourcen, um Land, Süßwasser, Nahrung und fossile Energieträger kommen. Die staatlichen Infrastrukturen werden sich auflösen, Städte veröden, die Überlebenden müssen aufs Land ziehen, wo sie auf dem wirtschaftlichen und sozialen Niveau des Mittelalters in Dorfgemeinschaften zusammenleben werden.
.........
SPIEGEL: Vielleicht entwickelt der Homo sapiens doch noch revo­lutionäre Überlebensstrategien, die alle finsteren Prognosen Lügen strafen.
.........
Duerr: Wie spricht der Futurologe? Pro­gnosen sind unsicher, besonders wenn sie die Zukunft betreffen. Natürlich kann und will ich nichts ausschließen. So ist es durchaus möglich, dass der liebe Gott in seiner Güte in die Geschichte eingreift und das Steuer herumwirft. Ich halte es aller­dings für unvernünftig, allzu sehr damit zu rechnen.
"


* (Nachtrag vom Samstag, 17.05.08, zu dem oben erwähnten "hamstern" von Spargel in Mainz: "Oder würden Sie nicht hamstern, wenn Ihnen guter Spargel in dicken Stangen zum Kilopreis von 2,- € angeboten wird? Das ist übrigens der gleiche Preis, zu dem wir schon im Jahre 2006 eingekauft haben: vgl. Blott "MAGGIO DI MAGONZA oder VOR DEM DOM DAS PARADIES").

Nachtrag 19.05.08:
Die Google-Suche nach Hans Peter Duerr brachte mir jetzt auch die Einsicht, wie sehr doch offenbar (jedenfalls wenn man die Berichterstattung dieses Artikel als charakteristisch für das Fakten, Fakten, Fakten-Blatt ansehen darf) das Nachrichtenmagazin "Focus" ein sensationalistisches Käseblatt ist. Was beim Spiegel an selbstverliebten Wortspielen und barockem Informationsschwulst zu viel ist, hat anscheinend das konkurrierende Wochenmagazin "Focus" an kritischer Distanz zu wenig. Dort verbreitete nämlich der FOCUS-Redakteur Werner Siefer in der Ausgabe 12/2008 unter der Überschrift "Kretas Hochkultur im Watt" die Behauptung: "Nach jahrelangen Forschungen legt Ethnologe Hans Peter Duerr sensationelle Ergebnisse vor: Die Minoer entdeckten Deutschland". Keinerlei Zweifel werden in dem Artikel laut und keine Gegenmeinung wird eruiert.
Fachleute sehen die Sache dagegen äußerst skeptisch. In der Zeitschrift "epoc" kommentiert Joachim Schüring unter dem Titel "Frühe Seefahrt. Eine unendliche Geschichte" Duerrs angebliche Funde äußerst distanziert: "Im nordfriesischen Watt will der Ethnologe Hans Peter Duerr die Hinterlassenschaften von Minoern gefunden haben. Aber auch wenn es neue Analysenergebnisse gibt, kann die Sensation keine sein." Vielleicht sollten die Journalisten von Focus beim Time Magazine, das sie sich im Hinblick auf die Kürze der Artikel offenkundig zum Vorbild genommen haben, auch hinsichtlich der inhaltlichen Darstellung noch einmal in die Lehre gehen, gell Helmut Markwort? (Wie die durchgängig zweifelnden Kommentare zeigen, sind die Focus-Leser aber doch nicht alle dumm.)


Textstand vom 19.05.2008. Auf meiner Webseite
http://www.beltwild.de/drusenreich_eins.htm
finden Sie eine Gesamtübersicht meiner Blog-Einträge.

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