"Warum fließt so viel Geld um die Welt?" fragt die Sonntagszeitung der FAZ (Catherine Hoffmann) in ihrer Reihe "Erklär mir die Welt".
Was habe ich dazu zu sagen, anzumerken oder zu meckern?
Als erstes Selbstkritik: Ein Mathematikgenie war ich nie.
Als zweites etwas Eigenlob: Mit den Grundrechenarten komme ich einigermaßen klar. Vor allen Dingen habe ich ein relativ ausgeprägtes 'Dimensionsverständnis'; das Zählen hört bei mir nicht bei einer Million auf: auch Billionen kann ich noch irgendwie gedanklich einordnen.
Und deshalb bin ich auch in der Lage, den Stellenwert einiger Zahlenangaben des Artikels (deren Richtigkeit ich nicht anzweifele und für deren Mitteilung ich dankbar bin) kritisch zu hinterfragen.
"Der Wert des globalen Finanzvermögens wuchs im Jahr 2006 um beinahe ein Fünftel auf 167 Billionen Dollar" berichtet die Autorin und setzt das in Bezug zum weltweiten Bruttoinlandsprodukt, das sie mit 48,3 Billionen Dollar angibt.
Gerundet steht also einem Bruttoinlandsprodukt für die gesamte Welt i. H. v. ca. 50 Billionen Dollar ein globales Finanzvermögen i. H. v. ca. 170 Billionen Dollar gegenüber. Über die historische Entwicklung dieser beiden Kennziffern erfahren wir: "1980 noch lagen beide gleichauf - und betrugen wenig mehr als zehn Billionen Dollar".
Als Erklärungstheorien der Wirtschaftswissenschaft nennt sie
- einerseits "die These von der 'kollektiven Sparwut' (savings glut)", nach welcher die Finanzüberschüsse der Erdöl exportierenden Länder und die wachsenden Ersparnisse in den Schwellenländern (China usw.) den Kapitalüberschuss generieren.
- Von anderen wird dieser Überschuss mit einer "Theorie von der 'Geldschwemme' (money glut)" erklärt, wonach im wesentlichen der Nachfrageüberhang der USA, der nicht mit Waren, sondern nur mit grün bedruckten Papier bezahlt wird [diese Wendung ist eine etwas polemische, aber m. E. zutreffende Zusammenfassung des im Artikel mit anderen Worten geschilderten Sachverhalts] die weltweite Geldschwemme erzeugt.
Im Zusammenhang mit letzterer Theorie wird auf die Devisenreserven der chinesischen und japanischen Notenbank hingewiesen, die sich jeweils im "Eintausend-Milliarden-Dollar-Bereich" bewegen. Das hört sich phantastisch an, relativiert sich aber und lässt sich in Beziehung zu den anderen Zahlenangaben setzen, wenn man dafür einfach "eine Billion" sagt.
Die Notenbanken Chinas und Japans halten zusammen also Devisenreserven i. H. v. zwei Billionen Dollar: das ist relativ wenig im Verhältnis zum 'Geldüberhang' [sage ich mal, da ich den korrekten wirtschaftswissenschaftlichen Terminus nicht kenne] i. H. v. 120 Bio. Dollar (170 Bio. Finanzvermögen minus 50 Bio. Bruttoinlandsprodukt der Welt).
Auch im Verhältnis zum Wachstum des Finanzvermögens um 20% in einem Jahr (!), also ca. 28 oder (wegen der besseren Merkbarkeit) grob gerundet 30 Bio. Dollar, ist das eigentlich ein Klacks. Und diese Relationen zeigen, dass der Shopping Spree des US-Konsumenten nicht die alleinige und nicht einmal die hauptsächliche Ursache für diesen Finanzüberhang gewesen sein kann, und auch nicht die Einnahmeüberschüsse der Ölländer. Ebensowenig die Ersparnisse in den Schwellenländern. Alle diese Faktoren zusammen reichen nicht aus, um zu erklären, wie sich aus einem weltweiten Bruttoinlandsprodukt von 'nur' 50 Bio. Dollar Finanzkapital i. H. v. 30 Bio. Dollar 'herausgequetscht' werden konnte.
Man muss annehmen, dass der Finanzmarkt selbst dieses Geld schafft, im Wesentlichen wohl durch die "Giralgeldschöpfung" oder "Buchgeldschöpfung". (Vgl. zu diesen Begriffen ausführlicher das Wikipedia-Stichwort "Geldschöpfung" sowie einen Informationstext der Bundesbank unter dem treffenden Titel "Geld, das man nicht sehen kann". (Ergänzend und erläuternd könnte man auch formulieren: "Geld, dessen Entstehung man nicht sehen kann").
Ein Problem für dieses Erklärungsmodell bildet allerdings der Umstand, dass es bis 1980 kein Missverhältnis zwischen Finanzkapital und Sozialprodukt gab, obwohl Giralgeld schon lange existiert.
Jedenfalls ist Geld immer auch ein Anrecht auf eine Lieferung von Waren oder Leistungen. Die Zahlen, die der Artikel nennt, erhärten meine Überzeugung, dass die starke Ausweitung des Derivatemarktes eine 'List der (Markt-)Vernunft' (aber keineswegs der Vernunft der Marktteilnehmer!) war, um den Geldüberhang abzuschöpfen und nicht inflationstreibend wirken zu lassen [siehe Eintrag "WAS SIND DERIVATE oder HAT ES BEI IHNEN GEKLINGELT?"].
Dieses Spiel wird allerdings kaum auf Dauer funktionieren.
Im übrigen bestätigen die Zahlen meine bereits in meiner Studie zur Rentenfinanzierung durch das Kapitaldeckungsverfahrens (vgl. meine Webpage "Rentenreich") vorgetragene Überzeugung, dass es einen Überschuss an Geldkapital auf der Welt gibt (womit der naive Glaube meines Bielefelder 'Landsmannes' Prof. Dr. Hans-Werner Sinn und seiner Gesinnungsgenossen widerlegt ist, dass man durch Sparen für die Rente letztlich den verteilbaren "Kuchen" für spätere Zeiten vergrößern könne, indem dadurch vermeintlich zusätzliche Investitionen in die Realwirtschaft erfolgen, die das Wirtschaftswachstum steigern).
Das will ich aber an dieser Stelle nicht weiter vertiefen. Hier geht es um Welterklärung, wenigstens Erklärung der ökonomischen Welt. Insoweit hat mich der Artikel letztlich nicht schlauer gemacht.
Aber, um fair zu bleiben: es wäre von den journalistischen Mitarbeitern der FAZ wohl zu viel verlangt, ihren Lesern Zusammenhänge zu erklären, welche ganz offenkundig nicht einmal die Wirtschaftswissenschaftler selbst verstehen.
Erklären wir uns die Geld-Welt also selbst: Mit der Vermutung, dass die Menschheit die Schwelle zwischen einem Zeitalter der Blüte in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts und einer Zeit der Blüten bereits überschritten hat.
Textstand vom 13.03.2024
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