Schon früher hatte ich, damals unter dem Titel "In flagranti" mit der Bande der Pharma-Räuber (die noch schlimmer ist als Räuber Winfried) beschäftigt (und beiläufig auch in dem Eintrag "Avere un Santo in der Zeitungsredaktion"). Außerdem habe ich an verschiedenen Stellen in meinem 'opus magnum' "Das Ende des Wei(s)sen Mannes. Polit-Plädoyer ohne Leidenschaft" beiläufig die interessenpolitischen Konstellationen beleuchtet, welche der Pharma-Wirtschaft ihre Räuber-Wirtschaft ermöglicht.
Jetzt liefert mir ein Interview der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (Interviewer Georg Meck) mit Werner Wenning, Vorstandsvorsitzender der Bayer AG mit der Überschrift „Bald werden die Menschen 100 Jahre alt“ erneut einen "Blog-Katalysator" zu diesem Thema. Und beiläufig auch Grund zum Staunen: die alte FAZ-Tante, die ich gelegentlich schon als "Zentralorgan der parasitären Bourgoisie" apostrophiert hatte, hat hier ganz schön kritische Fragen gestellt und bei ausweichenden Antworten beharrlich nachgebohrt [Hervorhebungen jeweils von mir]:
Frage: "Die Politik kontert, dass es Ihnen nicht um den Patienten geht, sondern um den Profit. Sie investieren in die Werbung mehr als in die Forschung."
(Ausweichende) Antwort: "Wir als Bayer haben das größte Forschungsbudget in der deutschen chemisch-pharmazeutischen Industrie, 2,8 Milliarden Euro geben wir dafür jährlich aus. Zwei Drittel der Krankheiten können immer noch nicht oder nicht ausreichend behandelt werden. Da ahnen Sie die Herausforderungen. Kein erfolgversprechendes Projekt wird an der Finanzierung der Forschung scheitern."
Knallhartes Nachfassen: "Wie hoch ist der Anteil der Forschung am Umsatz und wie hoch derjenige des Marketings?"
Antwort: "Ins Marketing fließen etwa 30 Prozent, in die Forschung zwischen 15 und 17 Prozent - aber dieser Vergleich ist mir zu pauschal. Bei Medikamenten gibt es einen hohen Erklärungsbedarf in Bezug auf die Wirkungsweise eines Präparats. Das gilt insbesondere bei der Markteinführung von neuen Produkten. Zum Marketing gehören außerdem nicht nur die klassischen Vertriebsaufwendungen, sondern beispielsweise auch Kosten für weitere Arzneimittelstudien nach der Zulassung . Zudem gibt es besondere Programme zur Unterstützung von Patienten und zur Beratung von Familienangehörigen - etwa durch die Ausbildung von speziellen Betaferon-Krankenschwestern und Kinderbücher über multiple Sklerose, damit Kinder verstehen, was mit ihren Eltern geschieht." [Meine 'Zwischenfrage': Wieso werden Kosten für Arzneimittelstudien nach Zulassung dem Marketing-Budget zugerechnet, bzw. stimmt diese Behauptung tatsächlich?] [Zum Verhältnis Forschungskosten zu Werbekosten in den USA -ebenfalls ca. 1 : 2- vgl. den Hinweis auf die Handelsblatt-Meldung "Lieber werben als forschen" vom 3.1.08 in meinem Blott "KEIN "HAPPY END" FÜR DIE HAUSHALTSKASSE oder "WER STIEHLT UNS DEN PRO-DUKTIVITÄTSFORTSCHRITT BEIM TOILETTENPAPIER?".]
Frage: "Und wie viel Gewinn bleibt von jedem Euro, den Sie einnehmen?"
Antwort: "2007 lag das Ziel bei 25 Prozent im Health-Care-Bereich - bezogen auf das bereinigte Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda). Bis zum Jahr 2009 streben wir 28 Prozent Marge an".
Meine erste Reaktion war: "Insgesamt fließen also bald 60% der Einnahmen von Bayer (und bei den anderen großen Pharmakonzernen wird das nicht ander sein) in Gewinn und Marketing!"
Aber das ist natürlich irreführend (und die Antwort von Werner Wenning ungeschickt). Zinsen, Steuern und Abschreibungen muss man natürlich abziehen um jenes Ergebnis zu erhalten, welches man im gesellschaftlichen Diskurs sinnvoll als "Gewinn" ansprechen kann. Wie hoch der bei Bayer ist, weiß ich nicht, aber ein Ansatz von 10% dürfte nicht unrealistisch sein. Also Marketingkosten + Gewinn = 40%: auch das ist immer noch viel zu viel.
Aufschrecken sollte uns als Beitragszahler zur gesetzlichen Krankenversicherung aber auch die geplante Gewinnsteigerung: von 25% auf 28%, also um 3 Prozentpunkte = 12% in 2 Jahren: das ist happig. Bekommen Sie innerhalb von 2 Jahren 12% Lohnerhöhung? Ich jedenfalls nicht!
Derartige Betrachtungen könnten mich glatt zum Wähler der Linkspartei werden lassen - wenn ich nicht wüsste, bzw. befürchten müsste, dass linke Politik uns ebenfalls überflüssige Kosten, durch Ineffizienzen anderer Art (Bürokratie usw.), aufbürden würde.
Die gesellschaftlichen Standorte und die Motivationen der Linkswähler hat die Sonntagszeitung der FAZ ebenfalls in einem interessanten Bericht analysiert. Von dem ist online nur die Zusammenfassung allgemein zugänglich:
Titel: "Links ist, wenn die Reichen zahlen."
Untertitel: "Profit ist schlimm. Und der Staat soll es richten. So denken gebildete Leute und sind für die Linkspartei. Eine Forschungsreise zum Wähler."
Inhaltsangabe: "Aus Sicht der Demoskopen sind die Wahlsieger gut erforscht. Der typische Wähler der Linken ist männlich, ein Angestellter zwischen 45 und 59 Jahren, der weniger als 2500 Euro im Monat verdient und Abitur hat."
Vielleicht bin ich einfach deshalb nicht links, weil mich die Unternehmer mit ihrer Gratis-Postille "Heim und Werk" schon im zarten Kindesalter einer Gehirnwäsche unterzogen haben? (Und korrumpiert haben die mich auch - im Urlaubsheim der Firma: vgl. Blott "Lohn der Angst").
Nur leider spricht der "Erfolg" des Sozialismus auch nicht gerade für diesen.
Der aalglatte Gregor Gysi und der wieselgesichtige Oskar Lafontaine wollen natürlich nicht in die Fußstapfen der DDR treten. Aber Populismus üben sie schon mal kräftig. Und für die Einführung der Demokratur in Deutschland kämpfen sie bereits (vgl. Blott "Sensationell: Quellcode der Linkspartei enthüllt! Oskar Lafontaine plant Squeeze-Out der Formaldemokratie durch Demokratur des Proletariats!").
Immerhin mag die wachsende Präsenz der Linkspartei insoweit nützlich sein, als sie die Anmaßungen des Kapitals ein wenig in die Schranken weisen könnte.
Und falls es (wie ich befürchte) in gar nicht so langer Zeit zu einer drastischen Verknappung des Erdöls (und später auch anderer nicht-erneuerbarer Ressourcen) kommen sollte, ist die Marktwirtschaft ohnehin am Ende. Ich konstatiere das, trotz scharfer Kritik z. B. an der Pharmaindustrie, ohne Hohn und würde das bedauern, aber zur "Bewältigung" von Krisensituationen wie Krieg und Rohstoffknappheit ist unsere -relativ- freie Marktwirtschaft gänzlich ungeeignet.
Jedenfalls könnten wir (uns) dann sagen, dass wir in einer Blütezeit gelebt haben.
Und wenn ich mir das Thema dieses Blotts anschaue, bekomme ich den Eindruck, dass die Blütezeit mit einer Blüten-Zeit zu Ende gehen könnte.
Nachtrag 26.02.08:
Weitere interessante Informationen über die Machenschaften der Pharmaindustrie bringt auch der Wiener Blogger Alexander Schatten (auch in anderen Zusammenhängen ein Denkender von radikaler Konsequenz, der auch die eigenen Positionen kritisch hinterfragt) u. d. T. "Kapitalistische Interssenkonflikte".
Nachtrag 01.04.2008 (aber kein Aprilscherz!):
Markus Grill hat ein Buch über die Geschäftspraktiken der Pharma-Industrie verfasst u. d. T. "Kranke Geschäfte - Wie die Pharmaindustrie uns manipuliert". Auf der Webseite des Deutschlandfunks steht eine Rezension von Johannes Kaiser. Und hier findet man die Amazon-Kundenrezensionen.
Einen Auszug aus Grills Buch hat der Tagesspiegel veröffentlicht.
Und im Stern-Blog "Pharmablog" gibt der Autor eine Fülle weiterer Informationen.
Das Buch von Grill und einige andere stellt "Remlocks Blog" vor.
Auf einem Stern-Aufsatz von Grill baut auch die Webseite "Wissenswerkstatt" einige kritische Ausführungen über die Marketing-Praktiken der Pharma-Industrie auf.
Nachtrag 30.11.08:
Wo es Räuber gibt, ist auch (von Somalia einmal abgesehen) die Polizei nicht weit. Das Handelsblatt vom 28.11.08 berichtet, dass nun die Europäische Union gegen die Pharma-Preis-Piraten vorgehen will:
"Zu hohe Kosten. EU attackiert Pharmasektor"
"Der Wettbewerb in der Pharmabranche der Europäischen Union funktioniert nach Ansicht der EU-Kommission "nicht ordnungsgemäß". Das geht aus einem entsprechenden Bericht hervor, den EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes am Freitag in Brüssel vorlegte."
Nachtrag 19.08.2009
In der ZEIT vom 23.10.2008 erläutert Jutta Hoffritz "warum es den Krankenkassen oft nicht gelingt, der Pharmaindustrie geringere Preise für Medikamente abzutrotzen": "Pharmaindustrie. Der Pillenkampf".
Das ist recht informativ, bleibt aber auf der technischen Ebene. Der tiefere Grund für die ökonomische Macht der Pharmaindustrie dürfte das Interessenkartell von Arbeitgebern und Arbeitnehmern dieser Branche sein. Das sorgt wahrscheinlich, jedes auf seiner organisatorischen und politischen Seite, dafür, dass die Pillendreher uns weitgehend ungeschoren weiterhin ausrauben können:
"Deutschland war für Arzneihersteller immer ein ganz besonderer Markt. Immer lagen die Pillenpreise höher als etwa im Nachbarland Frankreich oder in Spanien. Insgesamt, das zeigt eine aktuelle Erhebung der OECD, zahlen die Deutschen rund ein Drittel mehr als der Durchschnitt der EU-Bürger. Vergleichbare Summen bringen sonst nur Amerikaner und Kanadier auf – allerdings wird dort seit Langem um den Preis jeder einzelnen Arznei gerungen."
Nachtrag 14.03.2010
Siehe zum Thema jetzt auch in der Wirtschaftswoche:
"Klinikdirektor Arnold Ganser im Interview "Der Zusatznutzen für den Patienten ist oft null" (von Susanne Kutter, 13.03.2010). In dem zusammenfassenden Bericht " Pharmaindustrie. "Viele Medikamente sind völlig überteuert" " über das Interview heißt es u. a.:
"Der Mediziner Arnold Ganser, Chef der Klinik für Hämatologie und Onkologie an der Medizinischen Hochschule Hannover, kritisiert im Interview mit der WirtschaftsWoche, dass sich die Preise der Medikamente in Deutschland „ausschließlich an der hohen Kaufkraft der Menschen“ orientieren, nicht aber an den Kosten.
„Wir haben zum Beispiel sehr alte Medikamente wie das Thalidomid, das in den Sechzigerjahren unter dem Namen Contergan als Schlafmittel zu trauriger Berühmtheit kam. Es ist jetzt erneut als Krebsmedikament zugelassen. Aber es ist weder neu noch teuer in der Herstellung.
Dennoch bezahlt der Patient etwa 5.000 Euro pro Monat dafür.“ Als weiteres Beispiel nennt Ganser das Leukämiemedikament Arsentrioxid. „Es kostet Pfennigbeträge in der Herstellung, aber 25.000 Euro im Behandlungszyklus.“ Bei der der Neuzulassung eines bewährten und nur leicht veränderten Medikaments könne sich „der Preis von vorher 200 bis 300 Euro monatlich im Extremfall auf das 20- bis 30-Fache erhöhen“, so Professor Ganser.
Der Mediziner sieht keine Nachteile auf die Patienten zukommen, sollte die Bundesregierung die Medikamentenpreise reduzieren. „Nein, in der Regel nicht. Natürlich müssen wirklich neue und innovative Medikamente auch einen gewissen Preis haben, der das Risiko, mit einer Entwicklung zu scheitern, genauso abdeckt wie die hohen Kosten, die durch die Sicherheitsvorgaben der Behörden für Tests am Menschen entstehen. Doch das rechtfertigt nicht jeden Traumpreis.
Und es gibt jede Menge Scheininnovationen.“
Nachtrag 07.05.2010
Vgl. jetzt auch den FAZ.net-Bericht "Forschung. Medizin am langen Arm der Krankheitsindustrie" von Martina Lenzen-Schulte vom 06.05.2010:
"Die forschenden Arzneimittelhersteller haben noch immer erheblichen Einfluss auf klinische Studien. Mehr als die Hälfte der von der Pharmaindustrie finanzierten Studien werden schlicht nicht veröffentlicht."
Textstand vom 17.07.2011. Auf meiner Webseite
http://www.beltwild.de/drusenreich_eins.htm
finden Sie eine Gesamtübersicht meiner Blog-Einträge (Blotts).
Soweit die Blotts Bilder enthalten, können diese durch Anklicken vergrößert werden.
Hallo,
AntwortenLöschenich war dieses Jahr auf dem Internistenkongress in Wiesbaden und habe dort einige Interessante Meinungen zu hören bekommen.
Evtl. ist dies ja auch für Ihre Leser interessant.
http://blog.imedo.de/2008/04/01/internistenkongress-2008-in-wiesbaden/