Mittwoch, 15. August 2012

Die "Lutherbibel" der ESM-Apokalypse: Auszug aus dem Schriftsatz von Prof. Dr. Dietrich Murswiek (für MdB Dr. Peter Gauweiler) v. 01.08.2012 an das Bundesverfassungsgericht von mir allgemeinverständlich umformuliert!


Man kann den Medien nicht vorwerfen, dass sie nicht genügend über die Eurettungspolitik im Allgemeinen und über den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) im Besonderen berichten würden. Und doch decken sie das Informationsinteresse der Bevölkerung nicht in vollem Umfang ab.
Ein Facebook-Freund hatte mich darauf aufmerksam gemacht, dass ein sozusagen „Übersetzungsbedarf“ für Fachtexte besteht: ein Bedürfnis für Sachverhaltsdarstellungen, die sich einerseits soweit wie möglich an den originalen Rechtstexten orientieren, andererseits aber für jene Menschen verständlich sind, die mit juristischer Sprache nicht vertraut sind.
Bereits vor einiger Zeit hatte ich daher den ESM-Vertragsinhalt in dieser Form darzustellen versucht: Funktionsweise und Risiken des ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus): Eine leichtverständliche Übersicht.

Heute präsentiere ich einen von mir (massiv) bearbeiteten Auszug aus dem (im Original 27-seitigen) Schriftsatz, den Professor Dr. iur. Dietrich Murswiek (Wikipedia // Homepage) im Nachgang zu seiner Verfassungsbeschwerde gegen den ESM unter dem 01.08.2012 verfasst und beim Bundesverfassungsgericht eingereicht hat.
Prof. Murswiek ist der Prozessvertreter des bekannten CSU-Bundestagsabgeordneten und „Eurorebellen“ Dr. Peter Gauweiler (der übrigens selber Jurist ist).
Sowohl dieser Schriftsatz ("Ergänzende und vertiefende  Ausführungen zur Begründetheit der Verfassungsbeschwerde"), als auch eine Reihe weiterer Anträge und insbesondere die Verfassungsbeschwerde selber sind hier für jedermann auf der Homepage von MdB Dr. Gauweiler zugänglich.

Dieser Schriftsatz ist eine in meinen Augen derart brillante Darstellung der wirtschaftlichen Risiken und der verfassungsmäßigen Unzulässigkeit des ESM für Deutschland, dass ich seinen Inhalt einer möglichst breiten Öffentlichkeit zugänglich machen möchte, auch denjenigen, die mit anwaltlichen Schriftsätzen nicht so viel ‚am Hut haben‘.
Aus diesem Grunde habe ich mir die Mühe gemacht, den sozusagen „politökonomischen“ Teil des Textes herauszuziehen und für Sie in „Alltagssprache“ zu „übersetzen“.
Und auf diese Weise bekommen Sie, denke ich, zugleich einen in der Sache relativ authentischen Zugang zum Kern der juristischen Verfassungsdebatte.

Prof. Dr. Murswiek hat freundlicher Weise zugestimmt, dass ich den Schriftsatz als Grundlage für eine eigene Umformulierung verwenden darf.
Mein Text ist jedoch nicht autorisiert, und selbstverständlich trage ich die volle Verantwortung für die vorliegende (verkürzte und in den Formulierungen teilweise radikal veränderte) Textform.
(Hervorhebungen im Text von mir.)

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Zum besseren Verständnis für meine Leserinnen und Leser hier vorab die im Text von Prof. Dr. Murswiek behandelten Paragraphen des „Vertrages über die Arbeitsweise der EU“ (AEUV):

1.     Art. 125 AEUV (Dies ist das sog. „Bailoutverbot“, d. h. das Verbot für die anderen Mitglieder, denjenigen Staaten zu helfen, die aus eigenem Verschulden in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind. In Wahrheit war dieses „Verbot“ natürlich als Schutz für die anderen Mitglieder - die soliden oder solideren Länder - gegen Hilfeerpressungen der weniger solide wirtschaftenden Mitgliedsländer gedacht):
(1) Die Union haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen von Mitgliedstaaten und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein; dies gilt unbeschadet der gegenseitigen finanziellen Garantien für die gemeinsame Durchführung eines bestimmten Vorhabens. Ein Mitgliedstaat haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen eines anderen Mitgliedstaats und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein; dies gilt unbeschadet der gegenseitigen finanziellen Garantien für die gemeinsame Durchführung eines bestimmten Vorhabens.
(2) Der Rat kann erforderlichenfalls auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments die Definitionen für die Anwendung der in den Artikeln 123 und 124 sowie in diesem Artikel vorgesehenen Verbote näher bestimmen.

2.     Art. 136 AEUV Abs. 3, der jetzt neu eingefügt werden soll:
„Die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, können einen Stabilitätsmechanismus einrichten, der aktiviert wird, wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt zu wahren. Die Gewährung aller erforderlichen Finanzhilfen im Rahmen des Mechanismus wird strengen Auflagen unterliegen.“

Rein formal kann man den Art. 125 anders lesen, und zweifellos geht auch die offizielle Argumentation so:
·        In Art. 125 steht ja gar nicht, dass Länder nicht haften dürfen; dort steht nur, dass sie nicht haften müssen. Das schließt aber nicht aus, dass sie sich - rein freiwillig natürlich - dazu verpflichten dürfen, für andere zu haften.
·        Weil wir aber selber ganz genau wissen, dass der Art. 125 nach Sinn und Zweck eigentlich als Haftungsausschluss zu verstehen ist, fügen wir einfach einen weiteren Artikel ein, in dem das genaue Gegenteil steht. Wenn alle Parlamente zugestimmt haben, kann sich hinterher niemand mehr darauf berufen, dass in Art. 125 etwas anderes gemeint war.“
 
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I. Zu Art. 136 Abs. 3 AEUV

1. Das Bail-out-Verbot als notwendige rechtliche Vorkehrung zur Sicherung der demokratischen Haushaltsautonomie

Die Eurozone ist eine Währungsunion aus verschiedenen Staaten, die in ihrer Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitisch weitgehend selbständig und für ihre nationalen Haushalte selbst verantwortlich sind. Diese Währungsunion bildet nach allgemeiner Auffassung kein optimales Währungsgebiet. Damit sie überhaupt in dieser Form funktionieren kann, und damit die Mitgliedsländer die Hoheit über ihre jeweiligen nationalen Haushaltsentscheidungen behalten, ist ein ganz spezieller rechtlicher Rahmen erforderlich.
[Erg. 19.8.12: Um Ihnen ein Beispiel für die (Juristen-)Sprache des Schriftsatzes zu geben, hier die Formulierung aus dem Originaltext , die ich vorstehend in drei Sätze zerlegt habe: 
"Eine Währungsunion zwischen verschiedenen, in ihrer Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitisch  weitgehend  autonomen  und  für  ihre  nationalen  Haushalte  selbst  verantwortlichen Staaten, die – wie dies bei den Euro-Staaten nach allgemeiner Auffassung der Fall ist – kein optimales Währungsgebiet bilden, erfordert ein institutionelles Arrangement, das zum einen  ihre  ökonomischen  Funktionsbedingungen  sichert  und  zum  anderen  gewährleistet, dass  die  realen  Bedingungen  eigenverantwortlicher  Entscheidungen  über  den  jeweiligen nationalen Haushalt gewahrt bleiben."]

Genau diesen Rechtsrahmen hatten die EU-Staaten mit dem Vertrag von Maastricht geschaffen. Der Vertrag begründet die Währungsunion als eine Stabilitätsunion, die sich auf 3 Säulen stützt:

·        Erstens auf dauerhaft einzuhaltende Stabilitätskriterien (die im Stabilitäts- und Wachstumspakt separat geregelt sind)
·        zweitens auf die Unabhängigkeit der Zentralbank und insbesondere die Pflicht für die Zentralbank, mit ihrer Geldpolitik vorrangig für Preisstabilität zu sorgen
·        drittens auf das Verbot der Staatsfinanzierung durch die Zentralbank sowie auf das Bailout-Verbot. Das Bundesverfassungsgericht hat selber diese institutionellen Merkmale der Stabilitätsunion wiederholt als grundlegend hervorgehoben.

Das Verbot finanzieller Hilfeleistungen an Euro-Staaten ist unerlässlich, um die Haushaltsautonomie der Mitgliedstaaten zu wahren.
Ohne das Bail-out-Verbot wäre der Vertrag von Maastricht daher verfassungswidrig.

Hätte man die Währungsunion von vornherein in der Form angelegt, zu der man sie jetzt umbauen will, hätte die Bundesrepublik Deutschland ihr überhaupt nicht beitreten dürfen.
Denn unter dem ESM-Vertrag kann und wird es dazu kommen, dass einige Staaten einen riesigen politischen Druck auf den deutschen Haushaltsgesetzgeber ausüben, ihnen „freiwillige“ Finanzhilfen aus deutschen Steuermitteln zu gewähren. Wie man schon jetzt vielfach erkennen kann ist dieser Druck derart gewaltig, dass Bundesregierung und Bundestag ihm nicht mehr standhalten können.

Die vom Grundgesetz zwingend vorgeschriebene Haushaltsautonomie wird zerstört, wenn Deutschland einen Vertrag abschließt, bei dem es für andere Mitgliedstaaten hohe Milliardentransfers leisten muss - obwohl diese Länder aus eigenem Verschulden in Schwierigkeiten gekommen sind.
Dabei ist es völlig gleichgültig, ob ein solcher Zwang im Vertrag ausdrücklich rechtlich festgeschrieben wird, oder ob der Bundestag aufgrund politischer Zwänge gar nicht anders kann, als Haushaltsmittel in Höhe von -zig oder gar hunderten Milliarden € für andere Staaten zur Verfügung zu stellen.
[Zum Vergleich: Der Bundeshaushalt umfasst ca. 300 Mrd. €!]
In jedem Falle wäre die Haushaltsautonomie, also die Entscheidungsfreiheit Deutschlands und seines Parlaments, futsch.

Dabei wollte das Bail-out-Verbot auch solche faktischen Zwänge ausschließen. Denn nur deshalb hat man ja zusammen mit der Einführung der Währungsunion überhaupt eine solche Regelung geschaffen. Die von den Völkern gewählten nationalen Parlamente sollten die alleinige Verfügungsgewalt über die Verwendung der Steuermittel ihrer Bürger behalten, und nicht nur rechtlich, sondern auch tatsächlich die volle Entscheidungsfreiheit haben. Das ist die „demokratiesichernde Funktion“ des Art. 125 AEUV

Wer diesen Art. 125 AEUV jetzt so auslegt, dass die Mitgliedstaaten zu Hilfeleistungen zwar nicht verpflichtet sind, aber andererseits Hilfeleistungen trotzdem zulässig sind, der leugnet nicht nur die finanz- und haushaltspolitischen Eigenverantwortlichkeit der Euro-Staaten. Vielmehr legt er die Vorschrift in einer Weise aus, die dem Demokratieprinzip widerspricht. Dieses Prinzip verlangt eine uneingeschränkte Haushaltssouveränität der gewählten Parlamente, die auch nicht durch tatsächliche Zwänge, wie sie der ESM mit sich bringt (siehe unten) eingeschränkt werden darf.

Die Behauptung der Prozessvertreter des Bundestages, nach einverständlicher Auffassung der Mitgliedstaaten der EU stehe Art. 125 AEUV der freiwilligen Hilfegewährung nicht entgegen, ist nachweislich unwahr.

Insbesondere die Bundesregierung hat immer die Auffassung vertreten, dass Art. 125 Abs. 1 AEUV Hilfeleistungen grundsätzlich verbietet. Um das Griechenland-Rettungspaket und den „Euro-Rettungsschirm“ dennoch zu rechtfertigen, hat sie sich vielmehr mit „übergesetzlichem Notstand“ rausgeredet, und aus diesem Grunde hat sie auch den EFSF auf drei Jahre begrenzt.
Ebenso hat die französische Regierung zu erkennen gegeben, dass sie den „Euro-Rettungsschirm“ für europarechtswidrig hält, und auch die Deutsche Bundesbank teilt diese Ansicht.
Auch in der gesamten Öffentlichkeit, unter Wirtschaftswissenschaftlern wie unter Politikern, ist man sich darin einig, dass Art. 125 Abs. 1 AEUV als Hilfeleistungsverbot zu verstehen ist. Das erkennt man auch daran, dass diese Regelung allgemein als „Bail-out-Verbot“ bezeichnet wird, und dem entsprechend wurde auch bereits die Griechenland-Rettung in der Wirtschaftspublizistik als Tabubruch bezeichnet.

Vor allem aber hat das Bundesverfassungsgericht selber den Art. 125 Abs. 1 AEUV bisher immer als ein Hilfeleistungsverbot verstanden.

Wie die geplante De-facto-Beseitigung des Bail-out-Verbots die Haushaltssouveränität als Grundlage der Demokratie vernichtet, bestätigt sogar der eigene Schriftsatz des Bundestages. Dort heißt es nämlich auf S. 78:
»Der Deutsche Bundestag ist der Auffassung, dass ein Auseinanderbrechen der Euro-Zone sich nicht auf den engen Bereich der Wirtschafts- und Währungsunion begrenzen ließe und weitreichende Folgen für die Integration insgesamt hätte. Man mag es für unrichtig oder verfehlt halten, dass sich in weiten Kreisen der Bevölkerungen anderer Mitgliedstaaten die Einschätzung herausgebildet hat, in Deutschland würde über die Zukunft des Euro (positiv oder negativ) entschieden. Im Falle eines Auseinanderbrechens entstünde für die „nächste Generation“ angesichts dieser Rollenzuweisung ein Schaden, der die Mitglieder dieser Generation auf lange Zeit belasten dürfte
Die Vertreter des Bundestages argumentieren also, Deutschland müsse im Rahmen eines Bailout-Mechanismus wie des ESM Finanzhilfen an andere Staaten leisten, weil es andernfalls von anderen Staaten beziehungsweise deren Bevölkerungen für ein Auseinanderbrechen der Währungsunion und als deren Folge für ein Auseinanderbrechen der EU verantwortlich gemacht würde.

Und wenn man derzeit die Presse liest sieht man ja, dass in den anderen Staaten schon ganz allgemein, auch auf Regierungsebene, deutsche Zahlungen wie selbstverständlich beansprucht werden. Es geht also längst nicht mehr nur um Einschätzungen, die sich in weiten Kreisen der Bevölkerungen anderer Mitgliedstaaten herausgebildet haben. Wir erleben mittlerweile bereits massive und aggressive Äußerungen von Regierungsmitgliedern anderer Mitgliedstaaten, die gegenüber Deutschland mit einer derartigen Anspruchshaltung auftreten. Für den Fall, dass Deutschland nicht zahlt, wird man uns sogar für fremde Staatsinsolvenzen verantwortlich machen.
Klar, dass die Politiker dabei durch Vertreter des internationalen Großkapitals unterstützt werden, z. B. durch den Großspekulanten George Soros. Die würden natürlich gerne ihre Milliardenrisiken durch die Hintertür auf den deutschen Steuerzahler abwälzen.

Ein Teil der Presse in den Problemstaaten betreibt regelrechte Kampagnen gegen Deutschland, beispielsweise durch die Abbildung von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Naziuniform in einer griechischen Zeitung. Jeder Versuch der Begrenzung finanzieller Hilfeleistungen, und sogar schon jede Verknüpfung der Hilfen mit ökonomischen Auflagen, wird dort als deutsche Aggression und als diktatorische Einmischung dargestellt.
Bereits bisher ist die deutsche Rettungspolitik immer wieder Schritt für Schritt vor diesem Druck zurückgewichen; und genau so wird das zukünftig weitergehen.

Hier zeigt sich, wohin es führt, wenn das Bail-out-Verbot außer Kraft gesetzt wird: Dann gibt es kein Halten mehr. Es wird eine Schleuse geöffnet, die man nie mehr zu bekommt.
Hätte sich die Bundesregierung gleich am Anfang auf das Bail-out-Verbot berufen und Hilfe verweigert, hätte sie uns das alles erspart.
Die Insolvenz Griechenlands wäre hart gewesen, aber auch Griechenland wäre vieles erspart geblieben. Weil man damals nicht „nein“ gesagt hat, wurden die Begehrlichkeiten ständig größer. Und jetzt wird es ständig schwieriger, solche Zumutungen zurückzuweisen.

Heute noch – vor Inkrafttreten des Art. 136 Abs. 3 AEUV – hätte die Bundesregierung sich hinstellen können und sich auf die Geltung des Rechts berufen. Das wäre politisch sehr schwer, aber möglich gewesen. Seit die Bundesregierung der Änderung des AEUV zugestimmt und den ESM-Vertrag unterschrieben hat, ist es politisch völlig unmöglich.
Jetzt kann nur noch das Bundesverfassungsgericht die Schleuse wieder schließen.

Wenn man Finanzhilfen für Staaten, die aufgrund unsolider Haushaltspolitik überschuldet sind, erst einmal als rechtlich zulässig akzeptiert hat, dann wird der faktische Druck so groß, dass von einer freien Willensbildung der Abgeordneten nicht mehr die Rede sein kann.

Das bestätigt ja sogar der Bundestag selber, wenn er in seinem eigenen Schriftsatz [der eigentlich den ESM verteidigen soll] sagt: Leistet Deutschland nicht, dann wird es von den anderen Staaten für alles Unheil Europas verantwortlich gemacht. Und das, so die weitere Folgerung, könne man um der Zukunft Deutschlands und seiner künftigen Generationen auf keinen Fall hinnehmen.

Die Aufhebung des Bail-out-Verbots schafft also faktische Zwänge, aus denen es kein Entrinnen mehr gibt. Statt eigenverantwortlicher Entscheidung des Gesetzgebers über die Verwendung der Haushaltsmittel herrscht dann der politische Zwang, den Erwartungen der anderen Staaten zu entsprechen.

Demokratie kann im Rahmen der Zusammenarbeit in übernationalen Organisationen nur dann funktionieren, wenn die rechtlichen Voraussetzungen sicherstellen, dass die Parlamente auch tatsächlich frei entscheiden können.
Genau diese Bedingung für Demokratie wird aber durch den Art. 136 Abs. 3 AEUV zerstört. Indem er eine Hilfeleistung unter den Mitgliedern der Eurozone als scheinbar freiwillige Entscheidung zulässt, nimmt dieser Artikel dem Bundestag den Schutz jenes institutionellen Gehäuses [Bailoutverbot nach Art. 125] welches eine Haushaltsautonomie überhaupt erst ermöglicht.
Ohne diesen Schutz wird die Entscheidungsfreiheit des Bundestages erdrückt von der Last der Erwartungen, die von allen Seiten an ihn herangetragenen werden: Dass er nämlich Milliardenzahlungen aus deutschen Steuergeldern bewilligen müsse, angeblich um den Euro und die Europäische Union vor dem Scheitern bewahren.
Und damit nicht genug, wird sogar die Gefahr eines Krieges heraufbeschworen, falls Deutschland nicht bereit wäre, für andere Eurozonen-Länder zu zahlen!

Das sind natürlich samt und sonders falsche Behauptungen.
Weder der Frieden in Europa noch der Bestand der Europäischen Union hängen von der Existenz des Euro ab. Weder der Frieden noch der Binnenmarkt brauchen den Euro.
Das genaue Gegenteil ist richtig: In ihrer jetzigen Zusammensetzung aus ökonomisch nicht zusammenpassenden Staaten ist die Währungsunion ein Sprengsatz für Europa!
Nichts hat seit Gründung der Europäischen Gemeinschaften so viel Unfrieden und Missverständnisse zwischen den europäischen Völkern gestiftet wie der Euro beziehungsweise die „Euro-Rettungspolitik“.

Daher ist es auch belanglos, dass Art. 136 Abs. 3 AEUV die Staaten lediglich ermächtigt, nicht aber verpflichtet, einen Stabilisierungsmechanismus zu etablieren. Wenn dieser Artikel in Kraft tritt, sind sie faktisch dazu gezwungen. Man stelle sich vor, die Bundesregierung hätte erst der Einfügung des Art. 136 Abs. 3 AEUV zugestimmt und anschließend den ESM-Vertrag abgelehnt! Das ist politisch völlig unmöglich. Die Regierung hätte dann Deutschland in der EU total isoliert und genau jene Situation herbeigeführt, die es nach ihrer eigenen Einschätzung unter allen Umständen zu vermeiden gilt.
Dass Art. 136 Abs. 3 AEUV zur Schaffung des Stabilitätsmechanismus nicht rechtlich verpflichtet und dass dieser Mechanismus nicht unmittelbar im Rahmen des AEUV geregelt wird, lässt sich nur damit erklären, dass man auf dem Papier die Entscheidungsfreiheit der Staaten wahren wollte. Zweck dieser Scheinsouveränität ist einzig und allein, die Hürden verfassungsgerichtlicher Kontrolle zu überwinden.
Anders gesagt: Die Regierungen wollen mit Regelung die Verfassungsgerichte bewusst austricksen. Sie täuschen auf dem Papier Freiwilligkeit vor obwohl sie in Wahrheit wissen, dass sich kein Land dem „freiwilligen“ Zwang entziehen kann. Und genau das ist ja auch beabsichtigt.

Indem sie der Änderung des AEUV und dem dadurch ermöglichten ESM zustimmen, treiben unsere eigene Regierung und unser eigenes Parlament Deutschland in ein Haftungsnetz, das von anderen Staaten und Interessenvertretern geknüpft wurde.
Aus diesem Netz gibt es keine Befreiung mehr.

Der Schriftsatz des Bundestages zeigt selbst am besten, dass die Abgeordneten dieses Denkmuster bereits verinnerlicht haben und dass dem Bundestag von seinen eigenen politischen Annahmen her nichts anderes übrig bleibt, als prompt zu zahlen, sobald ein anderes Land die deutsche Verantwortung für den Bestand der Euro-Zone einfordert.
Denn genau diese Erwartungshaltung wird ja durch den Art. 136 Abs. 3 AEUV und seine Vorgeschichte in der „Euro-Rettungspolitik“ geweckt.


2. „Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Wiederherstellung der Stabilität“

Die Prozessvertreter des Bundestages versuchen, den Art. 136 Abs. 3 AEUV u. a. mit einem angeblichen Verfassungsgrundsatz zu rechtfertigen, der zur Wahrung beziehungsweise Wiederherstellung der Stabilität verpflichten soll. Das ist ein Winkelzug und nichts als der Versuch, aus der Mehrdeutigkeit des Begriffs „Stabilität“ Kapital zu schlagen. Rechtliches Gewicht kommt einer solchen semantischen Spielerei nicht zu.

Zwar ist in der Tat nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Wahrung der Stabilität eine verfassungsrechtliches Gebot für die Währungsunion, und ohne die Gewähr einer solchen Stabilität hätte sich Deutschland überhaupt nicht daran beteiligen dürfen.
Damit meint das Bundesverfassungsgericht aber die Preis- und Geldwertstabilität, vielleicht auch die Stabilität der Währung nach außen.
Nicht gemeint ist jedoch, dass die Politik allen Ländern, die einmal der Eurozone beigetreten sind, um jeden Preis (für die Steuerzahler) einen Verbleib in dieser Währungsunion ermöglichen müsse oder auch nur ermöglichen dürfe.
Stabilität der Währungsunion und Geldwertstabilität sind völlig verschiedene Dinge.
Wenn die Stabilität des Mitgliedsbestandes der Eurozone aktuell dadurch gefährdet wird, dass große ökonomische beziehungsweise haushaltspolitische Ungleichgewichte zwischen den Euro-Staaten entstanden sind, ist das verfassungsrechtlich unbeachtlich.

Das Bundesverfassungsgericht hat im Maastricht-Urteil entschieden, dass die Bundesrepublik Deutschland notfalls die Währungsunion verlassen kann (und nach dem Zusammenhang darf man ergänzen: verlassen muss), wenn die diesbezüglichen institutionellen Vorgaben scheitern und wenn das Stabilitätsziel (d. h. die Geldwertstabilität) nicht dauerhaft erreicht werden kann.

Wenn also das Bundesverfassungsgericht (im äußersten Notfall) sogar einen Austritt Deutschlands aus der Währungsunion zur Wahrung der Kaufkraftstabilität für zulässig hält, dann kann die „Stabilität“ im Sinne der Rettungspolitik, d. h. der Verbleib aller derzeitigen Mitgliedstaaten in der Währungsunion, gerade KEIN „Stabilitätsziel“ im Sinne dieser Rechtsprechung sein.
Ein derartiges ‚Kompletterhaltungsziel‘ für die Währungsunion wäre auch in keiner Weise aus dem Grundgesetz ableitbar.

Im Sinne der Rettungspolitiker würde ein Austritt Griechenlands aus der Währungsunion die Stabilität der Währungsunion erschüttern.
Im Interesse der Geldwertstabilität, auf die es dem Verfassungsgericht ankommt, wäre er dagegen sogar wünschenswert.
(Zwar ist das hier rechtlich unerheblich, aber ein Austritt Griechenlands würde auch der Stabilität der Währungsunion dienen. Denn die kann dauerhaft nur überleben, wenn sie aus einigermaßen gleich wettbewerbsfähigen und haushaltspolitisch annähernd gleich soliden Staaten besteht.)

Verfassungsrechtlich geboten ist also ausschließlich die Sicherung der Geldwertstabilität, nicht hingegen der Mitgliederstabilität der Währungsunion.
Schon gar nicht darf die nationale Haushaltsautonomie, die eine Voraussetzung für ein Funktionieren der Demokratie ist, einem Ziel wie der „Stabilität der Währungsunion“ geopfert werden. Die Mitgliederstabilität der Währungsunion ist wünschenswert und europarechtlich betrachtet auch anzustreben. Doch müssen sich die dafür verwendeten Mittel immer im Rahmen des Rechts bewegen und dürfen keinesfalls auf Kosten der Demokratie gehen.


3. Der Haftungsautomatismus des Target-Systems

Wenn man die Änderung von Art. 136 AEUV sowie den ESM-Vertrag überhaupt akzeptieren wollte, dann müsste zumindest der verfassungswidrige Target-Automatismus gestoppt und eine rechtsverbindliche Strategie zur Rückführung der bereits aufgelaufenen Target-Salden verabschiedet werden.

Solange das nicht geschieht, darf Deutschland sich auf gar keinen Fall durch die Einfügung von Art. 136 Abs. 3 in den AEUV und durch den ESM-Vertrag noch stärker an einem System beteiligen, das schon jetzt wegen der Risiken aus den Kreditmechanismen der Europäischen Zentralbank offenkundig verfassungswidrig geworden ist.

Diese Kredite sind seit der Formulierung der Verfassungsbeschwerde dramatisch angewachsen. In der Verfassungsbeschwerdeschrift war die Höhe der Target-Salden noch mit 671 Mrd. Euro angegeben. Inzwischen sind sie bereits auf 1.147 Mrd. Euro angewachsen.
Das deutsche Haftungsrisiko – mindestens 27% – ist somit innerhalb kürzester Zeit von mindestens 181 Mrd. Euro auf mindestens fast 310 Mrd. Euro gestiegen. Und dieses Risiko wurde dem deutschen Steuerzahler aufgebürdet, ohne dass die für den deutschen Bundeshaushalt verantwortlichen Staatsorgane darauf überhaupt irgendeinen Einfluss gehabt hätten.
Es ist die Folge eines Haftungsautomatismus, der allein durch die Handlungen anderer Staaten, ihrer Wirtschaftssubjekte und ihrer nationalen Zentralbanken in Gang gesetzt wurde.
Nicht nur die Zahlen als solche, sondern mehr noch die erschreckende Geschwindigkeit, mit der die Target-Forderungen anwachsen, fordern unmittelbare Maßnahmen, um einem weiteren Anwachsen dieser – verfassungswidrig entstehenden – Haushaltsrisiken entgegenzuwirken.

Eine andere Möglichkeit, diesen Wahnsinn zu stoppen, als jede Beteiligung an Veränderungen der Wirtschafts- und Währungsunion hiervon abhängig zu machen, gibt es nicht.
Deutschland hat jetzt mit den zur Ratifikation anstehenden Gesetzen den Hebel, um eine Änderung des Target-Systems und die Herstellung eines verfassungsgemäßen Zustands durchzusetzen. Sind Art. 136 Abs. 3 AEUV und der ESM-Vertrag erst einmal in Kraft, kann eine Änderung mit dem Ziel der Beseitigung des Target-Automatismus nicht mehr durchgesetzt werden, denn das ist nur mit Zustimmung aller EU-Staaten möglich.

Die Beteiligung an einem gegen das Demokratieprinzip verstoßenden Haftungsautomatismus ist mit dem Grundgesetz, insbesondere mit Art. 23 Abs. 1 GG und mit Art. 38 Abs. 1 und 2 GG, unvereinbar. Deshalb ist die Bundesregierung nicht nur verpflichtet, auf die Beseitigung des verfassungswidrigen Zustandes hinzuwirken. Den Staatsorganen ist es sogar verfassungsrechtlich verboten, sich an der rechtlichen Fortentwicklung eines verfassungswidrig gewordenen Systems zu beteiligen, ohne dass zuvor die Verfassungswidrigkeit behoben wird.


II. ESM-Vertrag und ESM-Finanzierungsgesetz

1. Der ESM-Vertrag als „Fass ohne Boden“

In der mündlichen Verhandlung hat der Sachverständige Prof. Dr. Hans-Werner Sinn eindrucksvoll gezeigt, dass die „Schaufenster-Theorie“ nicht funktioniert: Die Vorstellung der Rettungspolitiker, man müsse nur eine große Menge Geld für Rettungsaktionen bereitstellen („ins Schaufenster legen“), dann würden sich die Märkte schon beruhigen und wirkliche Zahlungen seien gar nicht notwendig, ist von der Entwicklung der letzten zwei Jahre ad absurdum geführt worden.
Dennoch wird sie in der politischen und rechtlichen Argumentation immer wieder vorgebracht, so auch jetzt im Schriftsatz des Bundestages. Vielleicht meinen die Rettungspolitiker, man müsse die Summe nur immer größer machen, dann werde sie irgendwann die gewünschte Wirkung zeigen.

Die Praxis zeigt, dass dies nicht der Fall ist, und in der mündlichen Verhandlung wurde gezeigt, warum es nicht der Fall sein kann. Wäre die sog. „Eurokrise“ eine bloße Liquiditätskrise, könnte man sie durch Garantien überbrücken. Weil aber die Krisenursache in strukturellen Defiziten und in mangelnder Wettbewerbsfähigkeit der Problemstaaten liegt, werden alle Rettungsgelder in ein „Fass ohne Boden“ geschüttet.

Die Rettungspolitik und damit auch der ESM können überhaupt nur solange funktionieren, wie immer neues Geld hineingeschüttet wird. Daher die ständigen, hektischen Erhöhungen der Rettungspakete seit der ersten Griechenland-Rettungsaktion. Kaum war die eine Erhöhung beschlossen, wurde bereits die nächste gefordert.
Innerhalb von nur drei Wochen nachdem das Bundesverfassungsgericht in seinem „Rettungsschirm“-Urteil vom 7. September 2011 die deutschen Verpflichtungen im Rahmen der EFSF als „noch“ hinnehmbar bezeichnet hatte, stimmte der Bundestag schon einer Erhöhung der Haftungssumme der EFSF zu, die fast zu einer Verdoppelung des deutschen Gewährleistungsvolumens führte. Von ursprünglich knapp 150 Mrd. € wurde die Gewährleistungsermächtigung auf über 250 Mrd. Euro erhöht.
Noch bevor diese Erhöhung beschlossen worden war, setzten bereits Diskussionen darüber ein, dass sie nicht ausreichte und dass man das Haftungsvolumen „hebeln“ müsse, um genügend Mittel zur Verfügung zu haben.

Nicht einmal die 700 Mrd. Euro Eigenkapital des ESM haben die ständigen Erhöhungsdebatten beendet. Auch hier haben Politiker und Interessenvertreter schon weitaus höhere Summen gefordert, die man angeblich benötigt, um einen „Befreiungsschlag“ zu führen und „endgültig“ für Ruhe an den Finanzmärkten zu sorgen.
Aber natürlich sind die Großbanken und Großspekulanten erst dann „endgültig beruhigt“, wenn sie sämtliche Risiken den Steuerzahlern der Euro-Staaten aufgebürdet haben. Und das wären nach Ausfall der jetzigen Problemstaaten und ggf. auch Frankreichs im Wesentlichen die deutschen Steuerzahler.

Aktuell versucht man die Haftungssumme dadurch zu steigern, dass man dem ESM eine Banklizenz verleihen will. Dann hätte er, wie es so schön heißt, eine der Höhe nach unbegrenzte „Feuerkraft“. Einzelne Ökonomen hatte das schon im vergangenen Jahr vorgeschlagen; jetzt haben sich Frankreich und Italien diese Forderung zu eigen gemacht.

Wenn das umgesetzt wird, kann sich der ESM zum Ankauf von Staatsanleihen der Problemländer in unbegrenzter Höhe Kredit bei der EZB beschaffen. Diese aktuelle politische Diskussion und der entsprechende Druck, der in diese Richtung von anderen Ländern auf die Bundesregierung ausgeübt wird, machen deutlich, wie groß die Hoffnungen auf eine Steigerung des Rettungsvolumens des ESM sind.
Bleibt die Bundesregierung hier standhaft und lehnt eine Finanzierung des ESM durch die EZB ab, weil das eindeutig gegen europäisches Recht verstößt, dann wird der politische Druck entsprechend größer, Kapitalerhöhungen des ESM zuzustimmen.

In welcher Höhe Forderungen nach Krediten schon in nächster Zeit auf den ESM zukommen könnten, zeigt eine Übersicht über den Refinanzierungsbedarf von Italien und Spanien in den Jahren 2012-2014.

Allein für diese beiden Länder zusammen ist folgender Refinanzierungsbedarf zu erwarten:
·        2012 = ca. 770 Mrd. € (also bereits 10% mehr als das ESM-Stammkapital und über 50% mehr als das Ausleihevolumen!),
·        2013 = ca. 610 Mrd. und
·        2014 = ebenfalls ca. 610 Mrd. €.

Es ist somit absehbar, dass schon bald eine Kapitalerhöhung notwendig würde, falls Spanien und Italien vom Kapitalmarkt abgeschnitten wären.
Zur „Beruhigung der Kapitalmärkte“ wäre eine Kapitalerhöhung sogar vorher notwendig, noch ehe die Ressourcen des ESM durch Ausleihungen an die Problemländer erschöpft sind.

Die Rettungspolitik ist bereits von ihrer eigenen Logik her so angelegt, dass das haftende Kapital ständig erhöht werden muss. Deswegen ist es politisch völlig illusionär, wenn beispielsweise der Bundestag in seinem Schriftsatz einwendet, dass er ja jeder Erhöhung des Stammkapitals zustimmen muss und dass dadurch die Souveränität und insbesondere die Haushaltsautonomie gewahrt bleibt.
Und auch rechtlich ist das unerheblich.

Der ESM ist politisch-faktisch ein „Fass ohne Boden“. Hat man ihn erst einmal eingerichtet, kann das ganze Euro-System überhaupt nicht mehr ohne ihn funktionieren. Denn alle Beteiligten – die Euro-Staaten und die Finanzmärkte – werden sich in ihrem Verhalten auf die Existenz dieses Haftungsfonds einstellen. Das gesamte Marktvertrauen wird darauf beruhen, dass der ESM zur Rettung von Problemstaaten und von Problembanken bereitsteht.
Sobald das Eigenkapital nicht mehr ausreicht (wenn es durch Verluste weitgehend aufgezehrt oder für die „Rettung“ großer Staaten oder ihrer Banken nicht groß genug ist), sind die Mitgliedstaaten gezwungen, neues Kapital aus ihren Steuermitteln nachzuschießen. Würden sie sich weigern, käme es zu einem Zusammenbruch des ESM, und der hätte unabsehbare Folgen für die Euro-Staaten und vor allem für die Banken.

Das alles zeigt:
Der ESM ist Kein „Rettungsschirm“, ER IST eine finanzielle Atombombe!

Anstatt die Risiken für das Euro-System zu bewältigen, multipliziert er diese Risiken sogar noch, indem er die Euro-Staaten in Abhängigkeit bringt. Sie könnten es sich nicht mehr leisten, den ESM zu beenden oder ihm neues Kapital zu verweigern, denn dann würden die Folgen noch schlimmer. Der ESM ist ein Monster, das durch ständige neue Kapitalzufuhr genährt werden muss.
Der politisch-reale Zwang hierzu ist so überwältigend, dass von Haushaltsautonomie und freier Entscheidung der nationalen Parlamente keine Rede mehr sein kann.
Der ESM ist das Instrument zur Rettung des Euro „um jeden Preis“.
 
Weigert sich Deutschland, ständig mehr Geld einzuzahlen, dann steht es so da, wie es der Bundestag in seinem Schriftsatz selber zum Ausdruck bringt: als verantwortlich für das Scheitern Europas. Das ist etwas, was auf jeden Fall vermieden werden muss. Jede zur Wahrung der Funktionsfähigkeit des ESM als notwendig erscheinende Kapitalerhöhung ist auch aus diesem Grunde in der politischen Wirklichkeit „alternativlos“.
Außer diesem faktischen Zwang zur Einzahlung von neuem Kapital aus Steuermitteln ist der ESM aber auch rein rechtlich ein „Fass ohne Boden“. Es besteht eine Rechtspflicht der Vertragsstaaten, Kapitalerhöhungen beziehungsweise Rekapitalisierungen zuzustimmen, wenn diese zur Wahrung der Funktionsfähigkeit des ESM erforderlich sind.

Der Bundestag könnte eine Kapitalerhöhung nur ablehnen, wenn es lediglich darum geht, dem ESM noch zusätzliche Reserven zu verschaffen, obwohl diese zur Bewältigung anstehender Probleme nicht benötigt werden. Also beispielsweise dann, wenn noch mehr Geld „ins Schaufenster gelegt“ werden soll, um die Märkte noch mehr zu beruhigen, ohne dass aber Staaten oder Banken zu dieser Zeit ernsthafte Refinanzierungsprobleme haben.

Wenn jedoch eine Kapitalerhöhung beziehungsweise eine Rekapitalisierung notwendig wird um Verluste auszugleichen, oder wenn der ESM aus anderen Gründen seine Aufgaben ohne Kapitalerhöhung nicht mehr erfüllen kann, darf der Bundestag das auch rein rechtlich nicht ablehnen. Schon bei Teilverlusten dürfte eine Pflicht zum Ausgleich durch Kapitalnachschüsse bestehen. Denn um die Finanzmärkte weiterhin zu beruhigen - was ja Sinn und Zweck des ESM ist - muss das volle Volumen zur Verfügung stehen.
 
Der ESM ist also sowohl politisch-faktisch als auch rechtlich ein Haftungsmechanismus, der die Bundesrepublik Deutschland zu immer neuen, der Höhe nach unbegrenzten Zahlungen in Anspruch nehmen kann. Auf dem Papier muss der Bundestag zwar zustimmen, aber das ist keine „konstitutive Zustimmung“.
Denn politisch-faktisch hat Parlament ohnehin keine andere Wahl, und bei bestimmten Fallgestaltungen ist es sogar völkerrechtlich zur Zustimmung verpflichtet.

Dieser Zustimmungszwang verstößt in krasser und offenkundiger Weise gegen den Grundsatz der Haushaltsautonomie und das Demokratieprinzip.

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Die Argumentation von Prof. Dr. Murswiek habe ich in meiner o. a. „Übersetzung“ an einigen Stellen durchaus zugespitzt.
Ich glaube jedoch nicht, dass ich sie verfälscht dargestellt habe. Das kann aber jeder durch einen Vergleich mit dem Originaltext ("Ergänzende und vertiefende Ausführungen ...") selber nachprüfen.

Die hier (sowie in den verschiedenen Verfassungsbeschwerden, auch der anderen Kläger) vorgetragenen Gründe, dass und warum die Zustimmung zum ESM-Vertrag (und natürlich auch die ‚Aufhebung des Bailoutverbots‘ im Unionsvertrag) gegen jene Form der Demokratie verstoßen, wie sie unser Grundgesetz unumstößlich festlegt („Ewigkeitsgarantie“), überzeugen mich ganz und gar.

Ich persönlich kann mir keine Begründung vorstellen, mit welcher das Bundesverfassungsgericht die Änderung des Unionsvertrages und den Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus billigen könnte ohne Rechtsbeugung zu begehen.


 
ceterum censeo
Auf dem Brüsseler Gipfel 28./29.06.2012 hat Bundeskanzlerin Angela Merkel folgende Änderungen des ESM-Vertrages zugesagt:
a) Auflagenerleichterungen für Länder, die Finanzhilfen des ESM erhalten und
b) eine Entlassung der Staaten aus der Haftung bei der Sanierung von Banken in ihren Ländern. Damit finanzieren deutsche Steuerzahler Bankschulden in anderen Ländern, z. B. Spanien, Irland, Zypern, Slowenien.
Diese weitere a) Aufweichung und b) Ausweitung des ESM zu unseren Lasten, die nach meiner Einschätzung in 2 - 3 Monaten vor den Bundestag kommt, müssen wir verhindern. WIR sind das Volk! Schreibt massenhaft in Foren, Leserbriefen und vor allem an die Bundestagsabgeordneten, dass sie eine bankschuldenunion ablehnen sollen!

Textstand vom 31.08.2012. Gesamtübersicht der Blog-Einträge (Blotts) auf meiner Webseite http://www.beltwild.de/drusenreich_eins.htm.
Eine vorzügliche, laufend aktualisierte Übersicht über die Internet-Debatte zur Eurozonenkrise bietet der Blog von Robert M. Wuner. Für diesen „Service“ ihm herzlichen Dank!
Hinweis für Paperblog-Leser: Die Original-Artikel in meinem Blog werden teilweise aktualisiert bzw. geändert.

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