Man kann den Medien nicht vorwerfen, dass sie nicht genügend über die Eurettungspolitik im Allgemeinen und über den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) im Besonderen berichten würden. Und doch decken sie das Informationsinteresse der Bevölkerung nicht in vollem Umfang ab.
Ein Facebook-Freund hatte mich darauf
aufmerksam gemacht, dass ein sozusagen „Übersetzungsbedarf“ für Fachtexte
besteht: ein Bedürfnis für Sachverhaltsdarstellungen, die sich einerseits soweit
wie möglich an den originalen Rechtstexten orientieren, andererseits aber für
jene Menschen verständlich sind, die mit juristischer Sprache nicht vertraut
sind.
Bereits vor einiger Zeit hatte ich daher den
ESM-Vertragsinhalt in dieser Form darzustellen versucht: „Funktionsweise
und Risiken des ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus): Eine
leichtverständliche Übersicht“.
Heute präsentiere ich einen von mir (massiv)
bearbeiteten
Auszug aus dem (im Original 27-seitigen) Schriftsatz, den Professor Dr. iur.
Dietrich Murswiek (Wikipedia // Homepage) im Nachgang zu
seiner Verfassungsbeschwerde gegen den ESM unter dem 01.08.2012 verfasst und
beim Bundesverfassungsgericht eingereicht hat.
Prof. Murswiek ist der Prozessvertreter des
bekannten CSU-Bundestagsabgeordneten und „Eurorebellen“ Dr.
Peter Gauweiler (der übrigens selber Jurist ist).
Sowohl dieser Schriftsatz ("Ergänzende und vertiefende Ausführungen zur Begründetheit der
Verfassungsbeschwerde"), als auch eine
Reihe weiterer Anträge und insbesondere die Verfassungsbeschwerde selber sind hier für jedermann auf
der Homepage von MdB Dr. Gauweiler zugänglich.
Dieser Schriftsatz ist eine in meinen Augen derart brillante Darstellung der wirtschaftlichen Risiken und der verfassungsmäßigen Unzulässigkeit des ESM für Deutschland, dass ich seinen Inhalt einer möglichst breiten Öffentlichkeit zugänglich machen möchte, auch denjenigen, die mit anwaltlichen Schriftsätzen nicht so viel ‚am Hut haben‘.
Aus diesem Grunde habe ich mir die Mühe gemacht, den sozusagen „politökonomischen“ Teil des Textes herauszuziehen und für Sie in „Alltagssprache“ zu „übersetzen“.
Und auf diese Weise bekommen Sie, denke ich, zugleich einen in der Sache relativ authentischen Zugang zum Kern der juristischen Verfassungsdebatte.
Prof. Dr. Murswiek hat freundlicher Weise
zugestimmt, dass ich den Schriftsatz als Grundlage für eine eigene Umformulierung
verwenden darf.
Mein Text ist jedoch nicht autorisiert, und selbstverständlich trage ich die volle
Verantwortung für die vorliegende (verkürzte und in den Formulierungen teilweise
radikal veränderte) Textform.
(Hervorhebungen im Text von mir.)
--------------------------------------
Zum besseren Verständnis für meine
Leserinnen und Leser hier vorab die im Text von Prof. Dr. Murswiek behandelten
Paragraphen des „Vertrages über die
Arbeitsweise der EU“ (AEUV):
1.
Art. 125 AEUV (Dies ist das sog. „Bailoutverbot“,
d. h. das Verbot für die anderen Mitglieder, denjenigen Staaten zu helfen, die
aus eigenem Verschulden in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind. In
Wahrheit war dieses „Verbot“ natürlich als Schutz für die anderen Mitglieder -
die soliden oder solideren Länder - gegen Hilfeerpressungen der weniger solide
wirtschaftenden Mitgliedsländer gedacht):
(1) Die Union haftet nicht für die
Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften
oder anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des
öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen von Mitgliedstaaten und tritt
nicht für derartige Verbindlichkeiten ein; dies gilt unbeschadet der gegenseitigen
finanziellen Garantien für die gemeinsame Durchführung eines bestimmten
Vorhabens. Ein Mitgliedstaat haftet nicht für die Verbindlichkeiten der
Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder
anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des
öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen eines anderen Mitgliedstaats
und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein; dies gilt unbeschadet der
gegenseitigen finanziellen Garantien für die gemeinsame Durchführung eines
bestimmten Vorhabens.
(2) Der Rat kann erforderlichenfalls auf Vorschlag
der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments die Definitionen
für die Anwendung der in den Artikeln 123 und 124
sowie in diesem Artikel vorgesehenen Verbote näher bestimmen.
2.
Art. 136 AEUV Abs. 3, der jetzt neu eingefügt werden soll:
„Die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist,
können einen Stabilitätsmechanismus einrichten, der aktiviert wird, wenn dies
unabdingbar ist, um die Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt zu
wahren. Die Gewährung aller erforderlichen Finanzhilfen im Rahmen des
Mechanismus wird strengen Auflagen unterliegen.“
Rein formal kann man den Art. 125 anders lesen, und zweifellos
geht auch die offizielle Argumentation so:
·
„In Art. 125
steht ja gar nicht, dass Länder nicht haften dürfen; dort steht nur, dass sie nicht haften müssen. Das schließt aber nicht aus, dass sie sich - rein
freiwillig natürlich - dazu verpflichten dürfen,
für andere zu haften.“
·
„Weil wir
aber selber ganz genau wissen, dass der Art. 125 nach Sinn und Zweck eigentlich
als Haftungsausschluss zu verstehen
ist, fügen wir einfach einen weiteren Artikel ein, in dem das genaue Gegenteil
steht. Wenn alle Parlamente zugestimmt haben, kann sich hinterher niemand mehr darauf
berufen, dass in Art. 125 etwas anderes gemeint war.“
--------------------------------------------------
I.
Zu Art. 136 Abs. 3 AEUV
1. Das
Bail-out-Verbot als notwendige rechtliche Vorkehrung zur Sicherung der demokratischen
Haushaltsautonomie
Die Eurozone ist eine Währungsunion aus
verschiedenen Staaten, die in ihrer Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitisch weitgehend
selbständig und für ihre nationalen Haushalte selbst verantwortlich sind. Diese
Währungsunion bildet nach allgemeiner Auffassung kein optimales Währungsgebiet.
Damit sie überhaupt in dieser Form funktionieren kann, und damit die
Mitgliedsländer die Hoheit über ihre jeweiligen nationalen Haushaltsentscheidungen
behalten, ist ein ganz spezieller rechtlicher Rahmen erforderlich.
[Erg. 19.8.12: Um Ihnen ein Beispiel für die (Juristen-)Sprache des Schriftsatzes zu geben, hier die Formulierung aus dem Originaltext , die ich vorstehend in drei Sätze zerlegt habe:
"Eine Währungsunion zwischen verschiedenen, in ihrer Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitisch weitgehend autonomen und für ihre nationalen Haushalte selbst verantwortlichen Staaten, die – wie dies bei den Euro-Staaten nach allgemeiner Auffassung der Fall ist – kein optimales Währungsgebiet bilden, erfordert ein institutionelles Arrangement, das zum einen ihre ökonomischen Funktionsbedingungen sichert und zum anderen gewährleistet, dass die realen Bedingungen eigenverantwortlicher Entscheidungen über den jeweiligen nationalen Haushalt gewahrt bleiben."]
[Erg. 19.8.12: Um Ihnen ein Beispiel für die (Juristen-)Sprache des Schriftsatzes zu geben, hier die Formulierung aus dem Originaltext , die ich vorstehend in drei Sätze zerlegt habe:
"Eine Währungsunion zwischen verschiedenen, in ihrer Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitisch weitgehend autonomen und für ihre nationalen Haushalte selbst verantwortlichen Staaten, die – wie dies bei den Euro-Staaten nach allgemeiner Auffassung der Fall ist – kein optimales Währungsgebiet bilden, erfordert ein institutionelles Arrangement, das zum einen ihre ökonomischen Funktionsbedingungen sichert und zum anderen gewährleistet, dass die realen Bedingungen eigenverantwortlicher Entscheidungen über den jeweiligen nationalen Haushalt gewahrt bleiben."]
Genau diesen Rechtsrahmen hatten die EU-Staaten
mit dem Vertrag von Maastricht geschaffen. Der Vertrag begründet die
Währungsunion als eine Stabilitätsunion,
die sich auf 3 Säulen stützt:
·
Erstens auf dauerhaft einzuhaltende Stabilitätskriterien
(die im Stabilitäts- und Wachstumspakt separat geregelt sind)
·
zweitens auf die Unabhängigkeit der Zentralbank und
insbesondere die Pflicht für die Zentralbank, mit ihrer Geldpolitik vorrangig für
Preisstabilität zu sorgen
·
drittens auf das Verbot der Staatsfinanzierung
durch die Zentralbank sowie auf das Bailout-Verbot. Das Bundesverfassungsgericht hat selber diese institutionellen Merkmale
der Stabilitätsunion wiederholt als grundlegend hervorgehoben.
Das
Verbot finanzieller Hilfeleistungen an Euro-Staaten ist unerlässlich, um die Haushaltsautonomie
der Mitgliedstaaten zu wahren.
Ohne
das Bail-out-Verbot wäre der Vertrag von Maastricht daher verfassungswidrig.
Hätte man die Währungsunion von vornherein in
der Form angelegt, zu der man sie jetzt umbauen will, hätte die Bundesrepublik
Deutschland ihr überhaupt nicht beitreten dürfen.
Denn unter dem ESM-Vertrag kann und wird es
dazu kommen, dass einige Staaten einen riesigen politischen Druck auf den
deutschen Haushaltsgesetzgeber ausüben, ihnen „freiwillige“ Finanzhilfen aus
deutschen Steuermitteln zu gewähren. Wie man schon jetzt vielfach erkennen kann
ist dieser Druck derart gewaltig, dass Bundesregierung und Bundestag ihm nicht
mehr standhalten können.
Die vom Grundgesetz zwingend vorgeschriebene
Haushaltsautonomie wird zerstört, wenn Deutschland einen Vertrag abschließt,
bei dem es für andere Mitgliedstaaten hohe Milliardentransfers leisten muss - obwohl
diese Länder aus eigenem Verschulden in Schwierigkeiten gekommen sind.
Dabei ist es völlig gleichgültig, ob ein
solcher Zwang im Vertrag ausdrücklich rechtlich festgeschrieben wird, oder ob
der Bundestag aufgrund politischer Zwänge gar nicht anders kann, als Haushaltsmittel
in Höhe von -zig oder gar hunderten Milliarden € für andere Staaten zur
Verfügung zu stellen.
[Zum Vergleich: Der Bundeshaushalt umfasst
ca. 300 Mrd. €!]
In jedem Falle wäre die Haushaltsautonomie,
also die Entscheidungsfreiheit Deutschlands und seines Parlaments, futsch.
Dabei wollte das Bail-out-Verbot auch solche
faktischen Zwänge ausschließen. Denn nur deshalb hat man ja zusammen mit der
Einführung der Währungsunion überhaupt eine solche Regelung geschaffen. Die von
den Völkern gewählten nationalen Parlamente sollten die alleinige Verfügungsgewalt
über die Verwendung der Steuermittel ihrer Bürger behalten, und nicht nur
rechtlich, sondern auch tatsächlich die volle Entscheidungsfreiheit haben. Das ist
die „demokratiesichernde Funktion“ des Art. 125 AEUV
Wer diesen Art. 125 AEUV jetzt so auslegt,
dass die Mitgliedstaaten zu Hilfeleistungen zwar nicht verpflichtet sind, aber
andererseits Hilfeleistungen trotzdem zulässig sind, der leugnet nicht nur die finanz-
und haushaltspolitischen Eigenverantwortlichkeit der Euro-Staaten. Vielmehr legt
er die Vorschrift in einer Weise aus, die dem Demokratieprinzip widerspricht. Dieses
Prinzip verlangt eine uneingeschränkte Haushaltssouveränität der gewählten
Parlamente, die auch nicht durch tatsächliche Zwänge, wie sie der ESM mit sich
bringt (siehe unten) eingeschränkt werden darf.
Die Behauptung der Prozessvertreter des
Bundestages, nach einverständlicher Auffassung der Mitgliedstaaten der EU stehe
Art. 125 AEUV der freiwilligen
Hilfegewährung nicht entgegen, ist nachweislich unwahr.
Insbesondere die Bundesregierung hat immer
die Auffassung vertreten, dass Art. 125 Abs. 1 AEUV Hilfeleistungen
grundsätzlich verbietet. Um das Griechenland-Rettungspaket und den
„Euro-Rettungsschirm“ dennoch zu rechtfertigen, hat sie sich vielmehr mit „übergesetzlichem
Notstand“ rausgeredet, und aus diesem Grunde hat sie auch den EFSF auf drei
Jahre begrenzt.
Ebenso hat die französische Regierung zu
erkennen gegeben, dass sie den „Euro-Rettungsschirm“ für europarechtswidrig
hält, und auch die Deutsche Bundesbank teilt diese Ansicht.
Auch in der gesamten Öffentlichkeit, unter
Wirtschaftswissenschaftlern wie unter Politikern, ist man sich darin einig,
dass Art. 125 Abs. 1 AEUV als Hilfeleistungsverbot
zu verstehen ist. Das erkennt man auch daran, dass diese Regelung allgemein als
„Bail-out-Verbot“ bezeichnet wird, und dem entsprechend wurde auch bereits die
Griechenland-Rettung in der Wirtschaftspublizistik als Tabubruch bezeichnet.
Vor
allem aber hat das Bundesverfassungsgericht selber den Art. 125 Abs. 1 AEUV
bisher immer als ein Hilfeleistungsverbot
verstanden.
Wie die geplante De-facto-Beseitigung des
Bail-out-Verbots die Haushaltssouveränität als Grundlage der Demokratie vernichtet,
bestätigt sogar der eigene Schriftsatz des Bundestages. Dort heißt es nämlich
auf S. 78:
»Der Deutsche
Bundestag ist der Auffassung, dass ein Auseinanderbrechen der Euro-Zone sich nicht
auf den engen Bereich der Wirtschafts- und Währungsunion begrenzen ließe und
weitreichende Folgen für die Integration insgesamt hätte. Man mag es für
unrichtig oder verfehlt halten, dass sich in weiten Kreisen der Bevölkerungen anderer
Mitgliedstaaten die Einschätzung herausgebildet hat, in Deutschland würde über
die Zukunft des Euro (positiv oder negativ) entschieden. Im Falle eines
Auseinanderbrechens entstünde für die „nächste Generation“ angesichts dieser
Rollenzuweisung ein Schaden, der die Mitglieder dieser Generation auf lange
Zeit belasten dürfte.«
Die Vertreter des Bundestages argumentieren
also, Deutschland müsse im Rahmen eines
Bailout-Mechanismus wie des ESM Finanzhilfen an andere Staaten leisten,
weil es andernfalls von anderen Staaten beziehungsweise deren Bevölkerungen für
ein Auseinanderbrechen der Währungsunion und als deren Folge für ein
Auseinanderbrechen der EU verantwortlich gemacht würde.
Und wenn man derzeit die Presse liest sieht
man ja, dass in den anderen Staaten schon ganz allgemein, auch auf
Regierungsebene, deutsche Zahlungen wie selbstverständlich beansprucht werden. Es
geht also längst nicht mehr nur um Einschätzungen, die sich in weiten Kreisen
der Bevölkerungen anderer Mitgliedstaaten herausgebildet haben. Wir erleben
mittlerweile bereits massive und aggressive Äußerungen von Regierungsmitgliedern
anderer Mitgliedstaaten, die gegenüber Deutschland mit einer derartigen Anspruchshaltung
auftreten. Für den Fall, dass Deutschland nicht zahlt, wird man uns sogar für
fremde Staatsinsolvenzen verantwortlich machen.
Klar, dass die Politiker dabei durch
Vertreter des internationalen Großkapitals unterstützt werden, z. B. durch den
Großspekulanten George Soros. Die würden natürlich gerne ihre Milliardenrisiken
durch die Hintertür auf den deutschen Steuerzahler abwälzen.
Ein Teil der Presse in den Problemstaaten
betreibt regelrechte Kampagnen gegen Deutschland, beispielsweise durch die
Abbildung von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Naziuniform in einer
griechischen Zeitung. Jeder Versuch der Begrenzung finanzieller Hilfeleistungen,
und sogar schon jede Verknüpfung der Hilfen mit ökonomischen Auflagen, wird
dort als deutsche Aggression und als diktatorische Einmischung dargestellt.
Bereits bisher ist die deutsche
Rettungspolitik immer wieder Schritt für Schritt vor diesem Druck zurückgewichen;
und genau so wird das zukünftig weitergehen.
Hier zeigt sich, wohin es führt, wenn das
Bail-out-Verbot außer Kraft gesetzt wird: Dann gibt es kein Halten mehr. Es
wird eine Schleuse geöffnet, die man nie mehr zu bekommt.
Hätte
sich die Bundesregierung gleich am Anfang auf das Bail-out-Verbot berufen und
Hilfe verweigert, hätte sie uns das alles erspart.
Die Insolvenz Griechenlands wäre hart
gewesen, aber auch Griechenland wäre vieles erspart geblieben. Weil man damals
nicht „nein“ gesagt hat, wurden die Begehrlichkeiten ständig größer. Und jetzt
wird es ständig schwieriger, solche Zumutungen zurückzuweisen.
Heute noch – vor Inkrafttreten des Art. 136
Abs. 3 AEUV – hätte die Bundesregierung sich hinstellen können und sich auf die
Geltung des Rechts berufen. Das wäre politisch sehr schwer, aber möglich gewesen.
Seit die Bundesregierung der Änderung des AEUV zugestimmt und den ESM-Vertrag
unterschrieben hat, ist es politisch völlig unmöglich.
Jetzt
kann nur noch das Bundesverfassungsgericht die Schleuse wieder schließen.
Wenn man Finanzhilfen für Staaten, die aufgrund
unsolider Haushaltspolitik überschuldet sind, erst einmal als rechtlich
zulässig akzeptiert hat, dann wird der faktische Druck so groß, dass von einer
freien Willensbildung der Abgeordneten nicht mehr die Rede sein kann.
Das bestätigt ja sogar der Bundestag selber,
wenn er in seinem eigenen Schriftsatz [der eigentlich den ESM verteidigen soll]
sagt: Leistet Deutschland nicht, dann
wird es von den anderen Staaten für alles Unheil Europas verantwortlich gemacht.
Und das, so die weitere Folgerung, könne man um der Zukunft Deutschlands und
seiner künftigen Generationen auf keinen Fall hinnehmen.
Die
Aufhebung des Bail-out-Verbots schafft also faktische Zwänge, aus denen es kein
Entrinnen mehr gibt. Statt eigenverantwortlicher Entscheidung des Gesetzgebers über
die Verwendung der Haushaltsmittel herrscht dann der politische Zwang, den
Erwartungen der anderen Staaten zu entsprechen.
Demokratie kann im Rahmen der Zusammenarbeit
in übernationalen Organisationen nur dann funktionieren, wenn die rechtlichen
Voraussetzungen sicherstellen, dass die Parlamente auch tatsächlich frei
entscheiden können.
Genau diese Bedingung für Demokratie wird
aber durch den Art. 136 Abs. 3 AEUV zerstört. Indem er eine Hilfeleistung unter
den Mitgliedern der Eurozone als scheinbar freiwillige Entscheidung zulässt,
nimmt dieser Artikel dem Bundestag den Schutz jenes institutionellen Gehäuses
[Bailoutverbot nach Art. 125] welches eine Haushaltsautonomie überhaupt erst
ermöglicht.
Ohne diesen Schutz wird die Entscheidungsfreiheit
des Bundestages erdrückt von der Last der Erwartungen, die von allen Seiten an
ihn herangetragenen werden: Dass er nämlich Milliardenzahlungen aus deutschen
Steuergeldern bewilligen müsse, angeblich um den Euro und die Europäische Union
vor dem Scheitern bewahren.
Und damit nicht genug, wird sogar die Gefahr
eines Krieges heraufbeschworen, falls Deutschland nicht bereit wäre, für andere
Eurozonen-Länder zu zahlen!
Das sind natürlich samt und sonders falsche
Behauptungen.
Weder
der Frieden in Europa noch der Bestand der Europäischen Union hängen von der Existenz
des Euro ab. Weder der Frieden noch der Binnenmarkt brauchen den Euro.
Das
genaue Gegenteil ist richtig: In ihrer jetzigen Zusammensetzung aus ökonomisch nicht
zusammenpassenden Staaten ist die Währungsunion ein Sprengsatz für Europa!
Nichts
hat seit Gründung der Europäischen Gemeinschaften so viel Unfrieden und
Missverständnisse zwischen den europäischen Völkern gestiftet wie der Euro
beziehungsweise die „Euro-Rettungspolitik“.
Daher ist es auch belanglos, dass Art. 136
Abs. 3 AEUV die Staaten lediglich ermächtigt, nicht aber verpflichtet, einen
Stabilisierungsmechanismus zu etablieren. Wenn dieser Artikel in Kraft tritt,
sind sie faktisch dazu gezwungen. Man stelle sich vor, die Bundesregierung
hätte erst der Einfügung des Art. 136 Abs. 3 AEUV zugestimmt und anschließend
den ESM-Vertrag abgelehnt! Das ist politisch völlig unmöglich. Die Regierung
hätte dann Deutschland in der EU total isoliert und genau jene Situation
herbeigeführt, die es nach ihrer eigenen Einschätzung unter allen Umständen zu
vermeiden gilt.
Dass
Art. 136 Abs. 3 AEUV zur Schaffung des Stabilitätsmechanismus nicht rechtlich verpflichtet
und dass dieser Mechanismus nicht unmittelbar im Rahmen des AEUV geregelt wird,
lässt sich nur damit erklären, dass man auf dem Papier die
Entscheidungsfreiheit der Staaten wahren wollte. Zweck dieser
Scheinsouveränität ist einzig und allein, die Hürden verfassungsgerichtlicher
Kontrolle zu überwinden.
Anders
gesagt: Die Regierungen wollen mit Regelung die Verfassungsgerichte bewusst austricksen.
Sie täuschen auf dem Papier Freiwilligkeit vor obwohl sie in Wahrheit wissen,
dass sich kein Land dem „freiwilligen“ Zwang entziehen kann. Und genau das ist
ja auch beabsichtigt.
Indem sie der Änderung des AEUV und dem
dadurch ermöglichten ESM zustimmen, treiben unsere eigene Regierung und unser
eigenes Parlament Deutschland in ein Haftungsnetz, das von anderen Staaten und
Interessenvertretern geknüpft wurde.
Aus
diesem Netz gibt es keine Befreiung mehr.
Der Schriftsatz des Bundestages zeigt selbst
am besten, dass die Abgeordneten dieses Denkmuster bereits verinnerlicht haben
und dass dem Bundestag von seinen eigenen politischen Annahmen her nichts
anderes übrig bleibt, als prompt zu zahlen, sobald ein anderes Land die
deutsche Verantwortung für den Bestand der Euro-Zone einfordert.
Denn genau diese Erwartungshaltung wird ja
durch den Art. 136 Abs. 3 AEUV und seine Vorgeschichte in der
„Euro-Rettungspolitik“ geweckt.
2.
„Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Wiederherstellung der Stabilität“
Die Prozessvertreter des Bundestages
versuchen, den Art. 136 Abs. 3 AEUV u. a. mit einem angeblichen Verfassungsgrundsatz
zu rechtfertigen, der zur Wahrung beziehungsweise Wiederherstellung der
Stabilität verpflichten soll. Das ist ein Winkelzug und nichts als der Versuch,
aus der Mehrdeutigkeit des Begriffs „Stabilität“ Kapital zu schlagen. Rechtliches
Gewicht kommt einer solchen semantischen Spielerei nicht zu.
Zwar ist in der Tat nach der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts die Wahrung der Stabilität eine verfassungsrechtliches
Gebot für die Währungsunion, und ohne die Gewähr einer solchen Stabilität hätte
sich Deutschland überhaupt nicht daran beteiligen dürfen.
Damit meint das Bundesverfassungsgericht aber
die Preis- und Geldwertstabilität, vielleicht auch die Stabilität der Währung
nach außen.
Nicht gemeint ist jedoch, dass die Politik allen
Ländern, die einmal der Eurozone beigetreten sind, um jeden Preis (für die
Steuerzahler) einen Verbleib in dieser Währungsunion ermöglichen müsse oder
auch nur ermöglichen dürfe.
Stabilität
der Währungsunion und Geldwertstabilität sind völlig verschiedene Dinge.
Wenn die Stabilität des Mitgliedsbestandes der
Eurozone aktuell dadurch gefährdet wird, dass große ökonomische beziehungsweise
haushaltspolitische Ungleichgewichte zwischen den Euro-Staaten entstanden sind,
ist das verfassungsrechtlich unbeachtlich.
Das Bundesverfassungsgericht hat im
Maastricht-Urteil entschieden, dass die Bundesrepublik Deutschland notfalls die
Währungsunion verlassen kann (und nach dem Zusammenhang darf man ergänzen:
verlassen muss), wenn die
diesbezüglichen institutionellen Vorgaben scheitern und wenn das
Stabilitätsziel (d. h. die
Geldwertstabilität) nicht dauerhaft erreicht werden kann.
Wenn also das Bundesverfassungsgericht (im
äußersten Notfall) sogar einen Austritt Deutschlands aus der Währungsunion zur
Wahrung der Kaufkraftstabilität für zulässig hält, dann kann die „Stabilität“ im
Sinne der Rettungspolitik, d. h. der Verbleib aller derzeitigen Mitgliedstaaten
in der Währungsunion, gerade KEIN „Stabilitätsziel“ im Sinne dieser
Rechtsprechung sein.
Ein derartiges ‚Kompletterhaltungsziel‘ für
die Währungsunion wäre auch in keiner Weise aus dem Grundgesetz ableitbar.
Im Sinne der Rettungspolitiker würde ein
Austritt Griechenlands aus der Währungsunion die Stabilität der Währungsunion erschüttern.
Im Interesse der Geldwertstabilität, auf die es dem Verfassungsgericht ankommt, wäre
er dagegen sogar wünschenswert.
(Zwar ist das hier rechtlich unerheblich,
aber ein Austritt Griechenlands würde auch der Stabilität der Währungsunion
dienen. Denn die kann dauerhaft nur überleben, wenn sie aus einigermaßen gleich
wettbewerbsfähigen und haushaltspolitisch annähernd gleich soliden Staaten
besteht.)
Verfassungsrechtlich
geboten ist also ausschließlich die Sicherung der Geldwertstabilität, nicht hingegen
der Mitgliederstabilität der Währungsunion.
Schon gar nicht darf die nationale
Haushaltsautonomie, die eine Voraussetzung für ein Funktionieren der Demokratie
ist, einem Ziel wie der „Stabilität der Währungsunion“ geopfert werden. Die
Mitgliederstabilität der Währungsunion ist wünschenswert und europarechtlich
betrachtet auch anzustreben. Doch müssen sich die dafür verwendeten Mittel immer
im Rahmen des Rechts bewegen und dürfen keinesfalls auf Kosten der Demokratie
gehen.
3.
Der Haftungsautomatismus des Target-Systems
Wenn man die Änderung von Art. 136 AEUV
sowie den ESM-Vertrag überhaupt akzeptieren wollte, dann müsste zumindest der
verfassungswidrige Target-Automatismus gestoppt und eine rechtsverbindliche
Strategie zur Rückführung der bereits aufgelaufenen Target-Salden verabschiedet
werden.
Solange das nicht geschieht, darf Deutschland
sich auf gar keinen Fall durch die Einfügung von Art. 136 Abs. 3 in den AEUV und
durch den ESM-Vertrag noch stärker an einem System beteiligen, das schon jetzt wegen
der Risiken aus den Kreditmechanismen der Europäischen Zentralbank offenkundig
verfassungswidrig geworden ist.
Diese Kredite sind seit der Formulierung der
Verfassungsbeschwerde dramatisch angewachsen. In der Verfassungsbeschwerdeschrift
war die Höhe der Target-Salden noch mit 671 Mrd. Euro angegeben. Inzwischen sind
sie bereits auf 1.147 Mrd. Euro angewachsen.
Das deutsche Haftungsrisiko – mindestens 27%
– ist somit innerhalb kürzester Zeit von mindestens 181 Mrd. Euro auf
mindestens fast 310 Mrd. Euro gestiegen. Und dieses Risiko wurde dem deutschen
Steuerzahler aufgebürdet, ohne dass die für den deutschen Bundeshaushalt
verantwortlichen Staatsorgane darauf überhaupt irgendeinen Einfluss gehabt
hätten.
Es ist die Folge eines Haftungsautomatismus,
der allein durch die Handlungen anderer Staaten, ihrer Wirtschaftssubjekte und ihrer
nationalen Zentralbanken in Gang gesetzt wurde.
Nicht nur die Zahlen als solche, sondern
mehr noch die erschreckende Geschwindigkeit, mit der die Target-Forderungen
anwachsen, fordern unmittelbare Maßnahmen, um einem weiteren Anwachsen dieser –
verfassungswidrig entstehenden – Haushaltsrisiken entgegenzuwirken.
Eine andere Möglichkeit, diesen Wahnsinn zu
stoppen, als jede Beteiligung an Veränderungen der Wirtschafts- und Währungsunion
hiervon abhängig zu machen, gibt es nicht.
Deutschland hat jetzt mit den zur
Ratifikation anstehenden Gesetzen den Hebel, um eine Änderung des Target-Systems
und die Herstellung eines verfassungsgemäßen Zustands durchzusetzen. Sind Art.
136 Abs. 3 AEUV und der ESM-Vertrag erst einmal in Kraft, kann eine Änderung mit
dem Ziel der Beseitigung des Target-Automatismus nicht mehr durchgesetzt
werden, denn das ist nur mit Zustimmung aller EU-Staaten möglich.
Die Beteiligung an einem gegen das
Demokratieprinzip verstoßenden Haftungsautomatismus ist mit dem Grundgesetz,
insbesondere mit Art. 23 Abs. 1 GG und mit Art. 38 Abs. 1 und 2 GG, unvereinbar.
Deshalb ist die Bundesregierung nicht nur verpflichtet, auf die Beseitigung des
verfassungswidrigen Zustandes hinzuwirken. Den Staatsorganen ist es sogar
verfassungsrechtlich verboten, sich an der rechtlichen Fortentwicklung eines
verfassungswidrig gewordenen Systems zu beteiligen, ohne dass zuvor die
Verfassungswidrigkeit behoben wird.
II.
ESM-Vertrag und ESM-Finanzierungsgesetz
1.
Der ESM-Vertrag als „Fass ohne Boden“
In der mündlichen Verhandlung hat der
Sachverständige Prof. Dr. Hans-Werner Sinn eindrucksvoll gezeigt, dass die
„Schaufenster-Theorie“ nicht funktioniert: Die Vorstellung der
Rettungspolitiker, man müsse nur eine große Menge Geld für Rettungsaktionen
bereitstellen („ins Schaufenster legen“),
dann würden sich die Märkte schon beruhigen und wirkliche Zahlungen seien gar
nicht notwendig, ist von der Entwicklung der letzten zwei Jahre ad absurdum
geführt worden.
Dennoch wird sie in der politischen und
rechtlichen Argumentation immer wieder vorgebracht, so auch jetzt im
Schriftsatz des Bundestages. Vielleicht meinen die Rettungspolitiker, man müsse
die Summe nur immer größer machen, dann werde sie irgendwann die gewünschte
Wirkung zeigen.
Die Praxis zeigt, dass dies nicht der Fall
ist, und in der mündlichen Verhandlung wurde gezeigt, warum es nicht der Fall
sein kann. Wäre die sog. „Eurokrise“ eine bloße Liquiditätskrise, könnte man
sie durch Garantien überbrücken. Weil
aber die Krisenursache in strukturellen Defiziten und in mangelnder Wettbewerbsfähigkeit
der Problemstaaten liegt, werden alle Rettungsgelder in ein „Fass ohne Boden“
geschüttet.
Die Rettungspolitik und damit auch der ESM können
überhaupt nur solange funktionieren, wie immer neues Geld hineingeschüttet
wird. Daher die ständigen, hektischen Erhöhungen der Rettungspakete seit der
ersten Griechenland-Rettungsaktion. Kaum war die eine Erhöhung beschlossen,
wurde bereits die nächste gefordert.
Innerhalb
von nur drei Wochen nachdem das Bundesverfassungsgericht in seinem „Rettungsschirm“-Urteil
vom 7. September 2011 die deutschen Verpflichtungen im Rahmen der EFSF als
„noch“ hinnehmbar bezeichnet hatte, stimmte der Bundestag schon einer Erhöhung
der Haftungssumme der EFSF zu, die fast zu einer Verdoppelung des deutschen
Gewährleistungsvolumens führte. Von ursprünglich knapp 150 Mrd. € wurde die
Gewährleistungsermächtigung auf über 250 Mrd. Euro erhöht.
Noch bevor diese Erhöhung beschlossen worden
war, setzten bereits Diskussionen darüber ein, dass sie nicht ausreichte und
dass man das Haftungsvolumen „hebeln“ müsse, um genügend Mittel zur Verfügung
zu haben.
Nicht einmal die 700 Mrd. Euro Eigenkapital
des ESM haben die ständigen Erhöhungsdebatten beendet. Auch hier haben
Politiker und Interessenvertreter schon weitaus höhere Summen gefordert, die
man angeblich benötigt, um einen „Befreiungsschlag“ zu führen und „endgültig“ für
Ruhe an den Finanzmärkten zu sorgen.
Aber natürlich sind die Großbanken und Großspekulanten
erst dann „endgültig beruhigt“, wenn sie sämtliche Risiken den Steuerzahlern der
Euro-Staaten aufgebürdet haben. Und das wären nach Ausfall der jetzigen
Problemstaaten und ggf. auch Frankreichs im Wesentlichen die deutschen
Steuerzahler.
Aktuell versucht man die Haftungssumme
dadurch zu steigern, dass man dem ESM eine Banklizenz verleihen will. Dann
hätte er, wie es so schön heißt, eine der Höhe nach unbegrenzte „Feuerkraft“. Einzelne
Ökonomen hatte das schon im vergangenen Jahr vorgeschlagen; jetzt haben sich Frankreich
und Italien diese Forderung zu eigen gemacht.
Wenn das umgesetzt wird, kann sich der ESM
zum Ankauf von Staatsanleihen der Problemländer in unbegrenzter Höhe Kredit bei
der EZB beschaffen. Diese aktuelle politische Diskussion und der entsprechende
Druck, der in diese Richtung von anderen Ländern auf die Bundesregierung
ausgeübt wird, machen deutlich, wie groß die Hoffnungen auf eine Steigerung des
Rettungsvolumens des ESM sind.
Bleibt die Bundesregierung hier standhaft
und lehnt eine Finanzierung des ESM durch die EZB ab, weil das eindeutig gegen
europäisches Recht verstößt, dann wird der politische Druck entsprechend
größer, Kapitalerhöhungen des ESM zuzustimmen.
In welcher Höhe Forderungen nach Krediten schon
in nächster Zeit auf den ESM zukommen könnten, zeigt eine Übersicht über den Refinanzierungsbedarf
von Italien und Spanien in den Jahren 2012-2014.
Allein für diese beiden Länder zusammen ist folgender
Refinanzierungsbedarf zu erwarten:
·
2012 = ca. 770 Mrd. € (also bereits 10% mehr als
das ESM-Stammkapital und über 50% mehr als das Ausleihevolumen!),
·
2013 = ca. 610 Mrd. und
·
2014 = ebenfalls ca. 610 Mrd. €.
Es ist somit absehbar, dass schon bald eine Kapitalerhöhung
notwendig würde, falls Spanien und Italien vom Kapitalmarkt abgeschnitten wären.
Zur „Beruhigung der Kapitalmärkte“ wäre eine
Kapitalerhöhung sogar vorher notwendig, noch ehe die Ressourcen des ESM durch
Ausleihungen an die Problemländer erschöpft sind.
Die Rettungspolitik ist bereits von ihrer
eigenen Logik her so angelegt, dass das haftende Kapital ständig erhöht werden
muss. Deswegen ist es politisch völlig illusionär, wenn beispielsweise der
Bundestag in seinem Schriftsatz einwendet, dass er ja jeder Erhöhung des
Stammkapitals zustimmen muss und dass dadurch die Souveränität und insbesondere
die Haushaltsautonomie gewahrt bleibt.
Und auch rechtlich ist das unerheblich.
Der ESM ist politisch-faktisch ein „Fass
ohne Boden“. Hat man ihn erst einmal eingerichtet, kann das ganze Euro-System überhaupt
nicht mehr ohne ihn funktionieren. Denn alle Beteiligten – die Euro-Staaten und
die Finanzmärkte – werden sich in ihrem Verhalten auf die Existenz dieses Haftungsfonds
einstellen. Das gesamte Marktvertrauen wird darauf beruhen, dass der ESM zur
Rettung von Problemstaaten und von Problembanken bereitsteht.
Sobald das Eigenkapital nicht mehr ausreicht
(wenn es durch Verluste weitgehend aufgezehrt oder für die „Rettung“ großer
Staaten oder ihrer Banken nicht groß genug ist), sind die Mitgliedstaaten
gezwungen, neues Kapital aus ihren Steuermitteln nachzuschießen. Würden sie
sich weigern, käme es zu einem Zusammenbruch des ESM, und der hätte unabsehbare
Folgen für die Euro-Staaten und vor allem für die Banken.
Das alles zeigt:
Der ESM ist Kein „Rettungsschirm“, ER IST eine
finanzielle Atombombe!
Anstatt die Risiken für das Euro-System zu
bewältigen, multipliziert er diese Risiken sogar noch, indem er die
Euro-Staaten in Abhängigkeit bringt. Sie könnten es sich nicht mehr leisten,
den ESM zu beenden oder ihm neues Kapital zu verweigern, denn dann würden die
Folgen noch schlimmer. Der ESM ist ein Monster, das durch ständige neue
Kapitalzufuhr genährt werden muss.
Der
politisch-reale Zwang hierzu ist so überwältigend, dass von Haushaltsautonomie und
freier Entscheidung der nationalen Parlamente keine Rede mehr sein kann.
Der ESM ist das Instrument zur Rettung des Euro
„um jeden Preis“.
Weigert sich Deutschland, ständig mehr Geld
einzuzahlen, dann steht es so da, wie es der Bundestag in seinem Schriftsatz
selber zum Ausdruck bringt: als verantwortlich für das Scheitern Europas. Das ist
etwas, was auf jeden Fall vermieden werden muss. Jede zur Wahrung der
Funktionsfähigkeit des ESM als notwendig erscheinende Kapitalerhöhung ist auch
aus diesem Grunde in der politischen Wirklichkeit „alternativlos“.
Außer diesem faktischen Zwang zur Einzahlung
von neuem Kapital aus Steuermitteln ist der ESM aber auch rein rechtlich ein
„Fass ohne Boden“. Es besteht eine Rechtspflicht der Vertragsstaaten, Kapitalerhöhungen
beziehungsweise Rekapitalisierungen zuzustimmen, wenn diese zur Wahrung der
Funktionsfähigkeit des ESM erforderlich sind.
Der Bundestag könnte eine Kapitalerhöhung nur
ablehnen, wenn es lediglich darum geht, dem ESM noch zusätzliche Reserven zu
verschaffen, obwohl diese zur Bewältigung anstehender Probleme nicht benötigt
werden. Also beispielsweise dann, wenn noch mehr Geld „ins Schaufenster gelegt“
werden soll, um die Märkte noch mehr zu beruhigen, ohne dass aber Staaten oder Banken
zu dieser Zeit ernsthafte Refinanzierungsprobleme haben.
Wenn jedoch eine Kapitalerhöhung
beziehungsweise eine Rekapitalisierung notwendig wird um Verluste
auszugleichen, oder wenn der ESM aus anderen Gründen seine Aufgaben ohne Kapitalerhöhung
nicht mehr erfüllen kann, darf der Bundestag das auch rein rechtlich nicht
ablehnen. Schon bei Teilverlusten dürfte eine Pflicht zum Ausgleich durch
Kapitalnachschüsse bestehen. Denn um die Finanzmärkte weiterhin zu beruhigen -
was ja Sinn und Zweck des ESM ist - muss das volle Volumen zur Verfügung
stehen.
Der ESM ist also sowohl politisch-faktisch
als auch rechtlich ein Haftungsmechanismus, der die Bundesrepublik Deutschland
zu immer neuen, der Höhe nach unbegrenzten Zahlungen in Anspruch nehmen kann.
Auf dem Papier muss der Bundestag zwar zustimmen, aber das ist keine
„konstitutive Zustimmung“.
Denn politisch-faktisch hat Parlament ohnehin
keine andere Wahl, und bei bestimmten Fallgestaltungen ist es sogar
völkerrechtlich zur Zustimmung verpflichtet.
Dieser
Zustimmungszwang verstößt in krasser und offenkundiger Weise gegen den
Grundsatz der Haushaltsautonomie und das Demokratieprinzip.
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Die Argumentation von Prof. Dr. Murswiek
habe ich in meiner o. a. „Übersetzung“ an einigen Stellen durchaus zugespitzt.
Ich glaube jedoch nicht, dass ich sie
verfälscht dargestellt habe. Das kann aber jeder durch einen Vergleich mit dem
Originaltext ("Ergänzende und vertiefende Ausführungen ...") selber nachprüfen.
Die hier (sowie in den verschiedenen
Verfassungsbeschwerden, auch der anderen Kläger) vorgetragenen Gründe, dass und
warum die Zustimmung zum ESM-Vertrag (und natürlich auch die ‚Aufhebung des
Bailoutverbots‘ im Unionsvertrag) gegen jene Form der Demokratie verstoßen, wie
sie unser Grundgesetz unumstößlich festlegt („Ewigkeitsgarantie“), überzeugen
mich ganz und gar.
Ich persönlich kann mir keine Begründung
vorstellen, mit welcher das Bundesverfassungsgericht die Änderung des
Unionsvertrages und den Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus
billigen könnte ohne Rechtsbeugung zu begehen.
ceterum censeo
Auf dem Brüsseler Gipfel
28./29.06.2012 hat Bundeskanzlerin Angela Merkel folgende Änderungen des
ESM-Vertrages zugesagt:
a)
Auflagenerleichterungen für Länder, die Finanzhilfen des ESM erhalten und
b) eine Entlassung der Staaten
aus der Haftung bei der Sanierung von Banken in ihren Ländern. Damit
finanzieren deutsche Steuerzahler Bankschulden in anderen Ländern, z. B.
Spanien, Irland, Zypern, Slowenien.
Diese weitere a)
Aufweichung und b) Ausweitung des ESM zu unseren Lasten, die nach meiner
Einschätzung in 2 - 3 Monaten vor den Bundestag kommt, müssen wir verhindern.
WIR sind das Volk! Schreibt massenhaft in Foren, Leserbriefen und vor allem an
die Bundestagsabgeordneten, dass sie
eine bankschuldenunion ablehnen sollen!
Textstand
vom 31.08.2012.
Gesamtübersicht der Blog-Einträge (Blotts)
auf meiner Webseite http://www.beltwild.de/drusenreich_eins.htm.
Eine
vorzügliche, laufend aktualisierte Übersicht über die Internet-Debatte zur
Eurozonenkrise bietet der
Blog von Robert M. Wuner. Für diesen „Service“ ihm herzlichen Dank!
Hinweis
für Paperblog-Leser: Die Original-Artikel in meinem Blog werden teilweise
aktualisiert bzw. geändert.
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