Donnerstag, 23. August 2012

Tuten und Blasen: Prof. Dr. Thomas Straubhaar, Direktor des HWWI, ventiliert wilde Börsenverschwörungstheorien. Aber nicht einmal zwischen Insiderhandel und Kursmanipulation kann er unterscheiden!


In der Schule waren es drei leichte Schläge auf den Hinterkopf; heute ist es ein Spaziergang (und sei es auch nur zum Supermarkt), der die geistige Verdauung fördert.
(Wollte ich meine Eingebung quasi verschwörungstheoretisch mystifizieren, könnte ich auch darauf verweisen, dass der besuchte Supermarkt nicht weit entfernt liegt von der Pilgerkirche für den Schein-Heiligen St. Coloman.)

Irgend etwas hatte mich gestört an jenem Artikel "Börsen und Weltwirtschaft. Der inszenierte Crash" vom 11.08.2011 im STERN, in welchem Prof. Dr. Thomas Straubhaar,  Direktor und Sprecher der Geschäftsführung des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI) und Universitätsprofessor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere internationale Wirtschaftsbeziehungen, an der Universität Hamburg, verkündet hatte:
"Der Börsen-Crash der letzten Tage hat mit tatsächlichen realen Veränderungen der Wirtschaft wenig bis gar nichts zu tun. ..... Weder Firmen, Maschinen, Anlagen noch die Infrastruktur sind zerstört worden. Genauso war, ist und bleibt die Staatsschuldenkrise eine bedrohliche Herausforderung. Sie kann mit Sicherheit eher bewältigt werden, wenn sich Medien, Öffentlichkeit und Politik von einem inszenierten Finanztheater nicht anstecken lassen".
Irgend ein Punkt, den auch Sebastian Hahn in seiner Kritik "Ahnungslos + Wirtschaftsprofessor = Verschwörungstheoretiker (=HWWI-Chef)" vom gleichen Tage bei Börsennews.de nicht angesprochen hatte.

Auf diesen Straubhaar-Artikel war ich überhaupt nur gekommen, weil mich mein Facebook-Freund Uwe Krahn im Zusammenhang mit meinem Blott "Heißluft aus Hamburg: 'Topökonom' Prof. Dr. Thomas Straubhaar kommentiert die Eurozonenkrise als VolkswiRRt" auf eine Kritik dazu hingewiesen hatte.
In diesem Blog-Eintrag hatte ich u. a. auf Widersprüche in seinen Interview-Äußerungen hingewiesen, auf Inkompatibilitäten mit wissenschaftlichen Forschungsergebnissen seines eigenen Forschungsinstituts sowie (anhand von Modellen) darauf, dass er sich über die praktischen Umsetzungsmöglichkeiten seiner Eurettungs-Ideen ganz offensichtlich keinerlei Gedanken gemacht hatte.

Ich hatte also die Links zum Straubhaar-Stern-Artikel und zu seinem Kritiker an meinen o. a. Blott angehängt mit der pauschalen Bemerkung, dass Straubhaar wohl Verschwörungstheorien zugeneigt sei.

Die Realität ist allerdings noch viel schlimmer: In seinem Stern-Artikel schwätzt der Mann über die Börsen in einer Weise, wie das auch Tante Emma hinter der Ladentheke tun könnte. Wobei es freilich bei Tante Emma leichter wäre, ihr ein konkretes (falsches) Verständnis der Finanzmärkte zuzuschreiben als bei Prof. Straubhaar: Dessen Argumentation ist nämlich eher noch konfuser als es jede Narrative von Tante Emma sein könnte. Versuchen wir trotzdem, den Ariadnefaden im Labyrinth seiner Gedanken zu greifen.


1) "Wie lange eigentlich lassen sich Medien, Öffentlichkeit und damit Politik und Regierungen noch von den Finanzmärkten durch den Ring führen? Da stuft die Ratingagentur Standard & Poor's die Kreditwürdigkeit der USA leicht herunter und prompt reagieren die Börsenkurse wie erwartet: Sie brechen ein. Optimismus verschwindet, Pessimismus gedeiht. Die Medien sind aufgescheucht, die Politik ist alarmiert."

Das kommt öfter vor: sowohl, dass Ratingagenturen Staaten herabstufen, also auch, dass Börsen einbrechen. Oder haussieren. Manchmal im Zusammenhang mit Ratingentscheidungen; häufiger wohl aus anderen Gründen. Ganz generell wollen wir festhalten, dass die Kursbewegungen an den Finanzmärkten zeitweise eher geglättet verlaufen, und zu anderen Zeiten sich eher in einer Weise bewegen, die wir als sprunghaft empfinden. Geht es nach oben, regt sich niemand darüber auf. Geht es nach unten, sind IMMER die Medien aufgescheucht, und geben einige Politiker ihren Senf dazu. Insoweit ist es völlig unerheblich, ob der Kurssprung (nach unten) im (zumindest zeitlichen) Zusammenhang mit einer Kreditratingentscheidung erfolgt ist oder nicht. Worüber regt sich Straubhaar also auf?


2) "Die amerikanische Schuldenkrise kam nicht aus dem Nichts. Sie folgte einer langen Ankündigung. Wieso bedurften kluge, gut informierte und selbstständig agierende Finanzmarktanalysten einer leichten Korrektur der amerikanischen Kreditwürdigkeit, um ihre Portfolios in derart fundamentaler Art umzuschichten? Wieso hatten sie nicht lange vorher erkannt, dass weltweit Schulden aufgetürmt wurden, die früher oder später zur Lawine werden mussten?"

Gute Frage, lieber Meister Straubhaar. Aber wenn Sie als Wissenschaftler tiefer schürfen wollen als Tante Emma hinter der Ladentheke, dann schauen Sie sich doch einmal meinen Blott "Lässt Klingklax sich klaglos beklauen? Keine Euro-Anleihen zur Rettung der Mittelmeer-Länder! Keine deutschen Steuergelder gen Süden senden!" an. Der datiert vom 20.02.2009 und behandelte damals einen von mir befürchtete Entwicklung, die erst über ein Jahr später eintrat, nämlich mit dem Griechenland-Bailout im Mai 2010. Was aber nicht bedeutet, dass ich Hellseher bin. Vielmehr waren schon damals (!) die Schuldenprobleme der heutigen Krisenländer in der Diskussion. Aber dann hat es noch über ein ganzes Jahr lang gedauert, bis die Finanzmärkte davon Kenntnis genommen, bzw. darauf (mit einen Käuferstreik für griechische Anleihen) reagiert haben.

Aber als es dann im Mai 2010 richtig losging, ging eine Ratingherabstufung voraus: "Gesenkte Kreditwürdigkeit. Rating-Riese verramscht Griechenland" meldete Spiegel Online am 27.04.2010. Auch damals waren die griechischen Probleme lange vorher im Gespräch. Aber so ist das nun einmal an der Börse: Manche Informationen werden von den Börsenteilnehmern nicht verarbeitet; es kommt, wie Straubhaar selbst so treffend schreibt, zu "Herdenverhalten, Eigendynamik, emotionale[r] Panik und automatisierte[n] Verhaltensregeln". Ganz normale Vorgänge an der Börse und nichts, hinter dem man eine Verschwörung vermuten könnte oder müsste.
Schreibt Straubhaar auch selber so: "Finanzmärkte sind offenbar nicht so effizient, wie es das Lehrbuch sie erscheinen lässt. Vielmehr folgen Entscheidungen der Finanzmarktakteure einem Eigenleben und Eigeninteressen. Viele Händler und Vermögensverwalter haben an einem starken Auf und Ab der Börsenkurse Interesse, weil sie an jeder einzelnen Transaktion mitverdienen. Volatilität ist dann eine gerne genutzte Rechtfertigung, Portfolios umzuschichten, zu kaufen oder zu verkaufen und damit Provisionen oder Gebühren einzustreichen".
Das ist vielleicht kein besonders nettes Verhalten der Börsenprofis, aber weder kriminell noch ein doloses (schädigendes) Zusammenwirken zweier Parteien zu Lasten eines Dritten.


3) So weit, so gut. Doch dann findet Straubhaar unvermittelt den Dreh zur Verschwörung (meine Hervorhebung): "Dramatischer aber ist, dass heute geltende Regulierungen zu Insidergeschäften und Absprachen geradezu einladen, um auf fallende Börsenkurse zu wetten. Wenn das Urteil einzelner Ratingagenturen in der Lage ist, einen Börsen-Crash auszulösen, dann muss die Versuchung groß sein, mit dem Wissen einer Bonitätsänderung und einem geschickt inszenierten Finanztheater prächtig Geld zu verdienen. Dabei sieht das Drehbuch folgenden Ablauf vor: Bevor auf dem weiten Parkett der Weltbörsen eine große Aufführung geboten wird, treffen sich hinter der Bühne still und heimlich ein Bonitätswächter und ein Spekulant. Der Bonitätswächter kündigt an, ein Land in der Kreditwürdigkeit herabzustufen. Daraufhin verkauft der Spekulant blitzartig große Pakete der betroffenen Staatsanleihen "leer". Das heißt, er verkauft heute zu hohen Kursen Staatsanleihen, die er noch gar nicht besitzt, die er später, wenn die Kurse gefallen sein werden, zu günstigen Preisen kaufen wird."

Mit der Steigerungsform (Komparativ) "dramatischer" impliziert eine vergleichende Gewichtung. Die Hinterzimmerabsprache wird in ihrer Bedeutung für die Kursschwankungen verglichen mit den irrationalen Faktoren (Herdentrieb usw.). Und weil erstere in ihrer Wirkung angeblich "dramatischer" ist, folgt zwingend, dass Straubhaar die ungewöhnlich starken Kursschwankungen den von ihm geschilderten Absprachen zuschreibt.

Dass Märkte (heute wie früher, Finanzmärkte wie Gütermärkte) dazu einladen, aus exklusiven Informationen einen Nutzen zu ziehen, ist nun wirklich keine dramatische Erkenntnis von Prof. Straubhaar. Die im vorliegenden Zusammenhang wesentlichen Fragen wären vielmehr
a) HABEN solche Vorgänge tatsächlich stattgefunden und (wenn ja)
b) haben sie die Kursstürze verursacht oder verschärft?


4) Prof. Straubhaar stellt diese Fragen nicht, und beantworten tut er sie noch weniger. Vielmehr serviert er dem verschwörungsgierigen Kleinbürger ein Szenario, das tatsächlich so stattgefunden haben KÖNNTE, für dessen Realität er jedoch nicht einen einzigen Anhaltspunkt vorträgt:
"Dann öffnet sich der Vorhang, es folgt der erste Akt. Nun gibt der Bonitätswächter einem gebannt zuhörenden Weltpublikum die Herabstufung der Kreditwürdigkeit eines Landes öffentlich bekannt. Der zweite Akt ist durch allgemeine Hektik und Panik geprägt. Er beginnt mit der Erwartung fallender Kurse und endet mit einer Selbsterfüllung genau dieser Prognose. Im dritten Akt kauft der Spekulant zu günstigen Kursen jene Staatspapiere, die er vor Vorstellungsbeginn bereits weiterverkauft hatte. Im Epilog treffen sich - wiederum außerhalb des Scheinwerferlichts - Bonitätswächter und Spekulant und freuen sich diebisch über den Gewinn, der durch die erfolgreiche Wette auf Kursverluste, die sie selber angeheizt hatten, möglich wurde."

Sein Kritiker Sebastian Hahn sagt dazu: "Natürlich sind solche Absprachen nicht per se auszuschließen, allerdings ist die Realität ein bisschen komplexer". Das ist richtig. Nur: Im Zusammenhang mit dem, worauf Straubhaar hinaus will, kommt es überhaupt nicht darauf an, ob ein solches Hinterzimmertreffen stattgefunden hat oder nicht. Denn nun kommen wir zum Zentrum seiner Argumentation, wo er eine Börsenmanipulation ausdrücklich behauptet (meine Hervorhebung):


5) "Der Börsen-Crash der letzten Tage hat mit tatsächlichen realen Veränderungen der Wirtschaft wenig bis gar nichts zu tun. ..... In der realen Wirtschaft finden die Chaostage der Finanzmärkte jedoch kein Spiegelbild: Weder Firmen, Maschinen, Anlagen noch die Infrastruktur sind zerstört worden. Genauso war, ist und bleibt die Staatsschuldenkrise eine bedrohliche Herausforderung. Sie kann mit Sicherheit eher bewältigt werden, wenn sich Medien, Öffentlichkeit und Politik von einem inszenierten Finanztheater nicht anstecken lassen."

Was er oben mit dem Wort "dramatischer" implizit bereits behauptet hatte, nämlich das Wirken finsterer Mächte, wiederholt er hier ausdrücklich, indem er von  "inszeniertem Finanztheater" spricht.
Das Problem ist nur: Jenes Hinterzimmer-Szenario, das Straubhaar oben so beredt geschildert hatte und auf das sich sein Terminus "inszeniertes Finanztheater" bezieht, ist von seiner Natur her für eine "Inszenierung" von irgend etwas (also vorliegend konkret: für eine Manipulation der Kurse) völlig ungeeignet. 
Vor allem zielt es von vornherein überhaupt nicht auf eine Kursmanipulation ab.
Natürlich kann man sich auch eine Kombination von Insiderhandel und Kursmanipulation vorstellen. Das läge beispielsweise dann vor, wenn hier der Investor den Rating-Entscheider für seine Herabstufung der USA bestochen hätte. Das unterstellt Straubhaar jedoch nicht, und das wäre auch abenteuerlich. Umso mehr, als die objektiven Verhältnisse - jahrelange und immer noch unbereinigte Schuldenkrise usw. - seinerzeit ja auch tatsächlich für eine Herabstufung gesprochen haben.
Straubhaar schildert einen reinen Insider-Handel, sonst nichts.

Wenn der überhaupt überhaupt irgend einen Effekt auf die Kurse hat, dann allenfalls einen glättenden, und damit genau den gegenteiligen, wie Straubhaar ihn unterstellt.
Wenn nämlich der vorinformierte Investor zu viele Leerverkäufe tätigt, dann treibt er selbst die Kurse runter. Der Kursverfall nach Veröffentlichung der Rating-Entscheidung könnte dann geringer sein als normal. Und wenn er zu viele Wertpapiere anschließend kauft (kaufen muss, weil er für seine Leerverkäufe jetzt ja Papiere liefern muss!), dann treibt er selber die Kurse wieder hoch.
Für einen Insider-Händler ist es also rational, unauffällig als Fisch unter Fischen zu schwimmen, und den Markt mit seinen Transaktionen möglichst wenig zu beeinflussen.


Wenn also tatsächlich, wie Straubhaar impliziert, die Kurse im großen Stil manipuliert worden sein sollten, dann wäre jedenfalls der von ihm geschilderte (reine) Insiderhandel (vorausgesetzt, er wäre überhaupt vorgefallen!) das absolut ungeeignete Mittel dafür. Reiner Insiderhandel manipuliert nicht die Kurse; der antizipiert vielmehr Kursbewegungen aufgrund eines Informationsvorsprungs.


Straubhaars Story entpuppt sich damit als Tante-Emma-Tratsch über die Finanzmärkte. Von deren Wirkmechanismen versteht er offenbar weniger, als man nach seiner Ausbildung voraussetzen dürfte.
Damit ist, für mich jedenfalls, auch klar, wie ich die Forderungen eines solchen "Experten" nach Eurobonds, Bankschuldenunion und unbegrenzter EZB-Finanzierung des ESM einzustufen habe: Als Dilettantenmeinung!



ceterum censeo
Auf dem Brüsseler Gipfel 28./29.06.2012 hat Bundeskanzlerin Angela Merkel folgende Änderungen des ESM-Vertrages zugesagt:
a) Auflagenerleichterungen für Länder, die Finanzhilfen des ESM erhalten und
b) eine Entlassung der Staaten aus der Haftung bei der Sanierung von Banken in ihren Ländern. Damit finanzieren deutsche Steuerzahler Bankschulden in anderen Ländern, z. B. Spanien, Irland, Zypern, Slowenien.
Diese weitere a) Aufweichung und b) Ausweitung des ESM zu unseren Lasten, die nach meiner Einschätzung im Herbst 2012 und jedenfalls vor Jahresende vor den Bundestag kommt, müssen wir verhindern. WIR sind das Volk! Schreibt massenhaft in Foren, Leserbriefen und vor allem an die Bundestagsabgeordneten, dass sie eine bankschuldenunion ablehnen sollen! (Und eine Auflagenaufweichung natürlich ebenso.)

Textstand vom 30.12.2015. Gesamtübersicht der Blog-Einträge (Blotts) auf meiner Webseite http://www.beltwild.de/drusenreich_eins.htm.
Eine vorzügliche, laufend aktualisierte Übersicht über die Internet-Debatte zur Eurozonenkrise bietet der Blog von Robert M. Wuner. Für diesen „Service“ ihm herzlichen Dank!
Für Paperblog-Leser: Die Original-Artikel in meinem Blog werden später z. T. aktualisiert bzw. geändert.

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