Dieser Blott setzt die Reihe meiner früheren, in Form von Offenen Briefen gehaltenen Texten, fort:
- "Offener Brief an MdB Gerhard Schick, finanzpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, zu seiner Forderung nach einer EZB-Finanzierung der ESM-Kredite seinem Interview "Es gibt keine bequeme Lösung" in der Saarbrücker Zeitung" vom 01.08.2012;
- "Offener Brief an EZB-Präsident Mario Draghi: Ihre neue, indirekte Griechenland-Hilfe (T-Bills) ermuntert die griechischen Banken zur Übernahme eines exorbitanten Insolvenzrisikos. Damit hat sich die Europäische Zentralbank als Trägerin einer europäischen Bankenaufsicht disqualifiziert!" vom 05.08.2012 und
- "Offener Brief an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages betr. ESM und Bankenhaftung (Bankenunion, Bankschuldenunion)" vom 12.08.2012.
Der Titel ist aber nicht in einer Weise Weidmann-kritisch gemeint, wie er zunächst klingt.
Sehr geehrter Herr Bundesbankpräsident,
man liest nichts darüber*, aber ich gehe wohl nicht fehl in der Annahme, dass die Bundesbank mit E-Mails und Briefen von Bundesbürgern geradezu überschwemmt werden, die Sie als (unter den herausragenden Amtsträgern) letzten in Deutschland Kämpfer für Kaufkraftstabilität feiern.
* Es wäre wünschenswert, dass Ihre Pressestelle Informationen darüber in die Öffentlichkeit bringt!
Auch ich gehöre insoweit zu Ihren Bewunderern; es ist daher nicht so negativ gemeint, wie es beim ersten Lesen erscheinen muss, wenn ich an Sie appelliere:
"Machen Sie sich ehrlich, Herr Weidmann!"
Dieser Satz bedeutet also NICHT, dass ich Sie bislang für verlogen halte.
Ich fürchte allerdings, dass Sie mit einer Illusion leben: Nämlich in dem Glauben, dass auch im Rahmen der Europäischen Währungsunion, also innerhalb der Eurozone, eine Stabilitätskultur nach dem Vorbild der Bundesbank möglich sei.
Die Wirtschaftswoche veröffentlichte am 23.08.2012 ein Interview mit Robert Halver, Leiter der Kapitalmarktanalyse der Baader Bank, unter der Überschrift "Anleihekäufer verdienen einen Orden".
Am 27.08.2012 hat HandelsblattOnline dieses Interview übernommen; dort lautet der Titel "Die Bundesbank würde den Euro in zwei Wochen zerlegen".
Halver schreibt (offenbar aus der Sicht eines Euro-Befürworters oder zumindest einer Person, die den Euro für irreversibel hält):
"Draghi ist die personifizierte Lebensversicherung von Euroland, ihr heimlicher Präsident. Was soll der Mann auch alternativ machen – darauf warten, dass ein mutloser, unkontrollierter euro-politischer Polit-Zirkus die Probleme löst, nachdem zweieinhalb Jahre keine nachhaltigen Lösungsschritte umgesetzt wurden? Er hat keine andere Wahl; seine geldpolitischen Künste sind gefragt, um die Eurozone vor ihrem Kollaps zu bewahren. Das sollten sich übrigens auch die vielen selbsternannten Stabilitätsapostel vor Augen führen. Auch ich habe nichts gegen eine Stabilitätspolitik gemäß der Deutschen Bundesbank. Mit dieser Politik hat Deutschland beste Erfahrungen gemacht. Aber Tatsache ist auch, dass eine EZB-Politik nach striktem Stabilitätsmuster der Deutschen Bundesbank die Eurozone in zwei Wochen zerlegen würde. Zwar denkt so mancher Politiker eher an die Sicherung seines nicht mehr so sicheren Wahlkreises. Ich nenne so etwas aber Stabilitätsheuchelei. Machen wir uns nichts vor – Herr Draghi füllt das Lösungs-Vakuum, das die Euro-Politik hinterlässt."
Ich selbst bin kein Wirtschaftswissenschaftler, habe mich aber als Leser und Blogger äußerst intensiv mit der Finanz- und anschließend mit der Eurokrise auseinander gesetzt. Und ich glaube, dass bei einem Fortbestand der Währungsunion in ihrer (im Wesentlichen) aktuellen Zusammensetzung eine Inflationspolitik unvermeidlich ist. Die Eurozone wird zu einer Transferunion werden, bzw. wird nicht funktionieren ohne eine Transferunion.
Da eine Finanzierung der dafür benötigten gigantischen Transferzahlungen aus Steuermitteln weder politisch durchsetzbar, noch fiskalisch überhaupt möglich wäre, werden diese Transfers durch Gelddrucken der Europäischen Zentralbank (EZB), also durch Kaufkraftverluste und mithin aus einer "Inflationssteuer" bezahlt werden.
Für die einschlägigen Szenarien beziehe ich mich beispielhaft auf das o. a. Halver-Interview (dessen Prognosen auch deshalb besondere Aufmerksamkeit und Glaubwürdigkeit verdienen, weil sie ja nicht aus dem Munde eines Euro-Gegners kommen), sowie auf
- den Handelsblatt-Artikel "Euro-Zone drohen italienische Verhältnisse... und kaum einer denkt an den Kater", (28.08.2012) der im Wesentlichen auf einer Analyse der Commerzbank-Ökonomen unter dem Chefvolkswirt Jörg Krämer aufbaut oder
- einer Reihe von Interviews mit dem Schweizer Vermögensverwalter Felix Zulauf; z. B. "Unendliches Leid über Europa" vom 30.05.12 in der Wirtschaftwoche und "Europa zahlt für den Euro mit viel Leid" vom (25.08.12; FAZ.net).
Besonders deutlich wird aber Torsten Riecke in seinem Handelsblatt-Kommentar "Streit der Notenbanken. EZB und Bundesbank verspielen Vertrauen" vom 22.08.2012. Ich teile zwar nicht seine Kritik, dass man Streit vermeiden müsse; denn noch mehr als Streit verspielt man Vertrauen, wenn man im Hinterzimmer kungelt und die Öffentlichkeit über seine Positionen im Unklaren lässt. Von dieser Methode ist unsere Politik, und ganz besonders die Eurettungspolitik, voll, und davon hat unser Volk die Schnauze voll. Gültig bleiben aber die von Riecke aufgezeigten Alternativen:
"..... die Bundesbank leistet in ihrer jetzigen Rolle als Gralshüterin einer untergegangenen Währungsordnung kaum einen konstruktiven Beitrag zur Lösung der Krise. Die Währungsordnung von Maastricht gibt es nicht mehr, und sie lässt sich deshalb auch nicht retten. Die von der Bundesbank immer wieder geforderte Rückkehr zur „Nichtbeistands-Klausel“ der Verträge von Maastricht würde nicht reichen, um das tiefe Misstrauen der Finanzmärkte gegenüber dem Euro zu zerstreuen.
Die Investoren verlangen mehr: entweder eine Solidaritätserklärung, die letztendlich nur in einer Politischen Union machbar ist. Oder aber eine Beschränkung der Euro-Zone auf jene Länder, die finanzpolitisch diszipliniert und wirtschaftlich stark genug sind, um sich an die Spielregeln einer Währungsunion zu halten. Für das eine gibt es keine Mehrheit, das andere bedeutet das Ende des Euros, wie wir ihn kennen."
Mir persönlich, und sicherlich zahllosen Deutschen, kann eine Inflationsunion gestohlen bleiben.
Aber Sie und die Bundesbank haben sich auch nach meinem Eindruck bisher um diese klare Alternative herumgedrückt:
Wollen Sie die Eurozone, ggf. auch mit Inflationspolitik, oder wollen Sie sie nicht, wenn sie nur um den Preis massiver Kaufkraftverluste zu haben ist?
Anders gesagt:
- Haben Sie den Mut uns zu sagen, dass Sie die Eurozone in ihrer gegenwärtigen Zusammensetzung ablehnen, weil sie nur durch inflationäre Geldpolitik in dieser Form zusammengehalten werden kann!
- Oder treten Sie Mario Draghis wundersamer Geldvermehrung mit einem Papier Ihrer volkswirtschaftlichen Abteilung entgegen, in welchem Sie aufzeigen, dass die Eurozone im Wesentlichen im vorliegenden Umfang erhalten werden kann, ohne dass die EZB Staatsanleihen kauft, und auch ohne dass sie weiterhin massiv ganze Länder von anderen kreditiert ("Target 2"), wenn Sie wirklich glauben, dass das funktioniert.
Damit wir Ihren Kampf nicht für ein "Schattenboxen mit der EZB" (Olaf Henkel, Handelsblatt 27.08.12) halten müssen. Oder jener zynische Beurteilung folgen, die Norbert Häring in seinem Handelsblatt-Artikel "Widersacher und heimliche Koalitionäre" vom 21.08.12 so formuliert (meine Hervorhebungen):
"Die Deutsche Bundesbank unter Jens Weidmann und die Europäische Zentralbank (EZB) unter dem Italiener Mario Draghi haben sich in ihrer Gegnerschaft eingerichtet. Weidmann spricht sich gegen all das aus, was die EZB sich einfallen lässt, um die Euro-Krise unter Kontrolle zu halten und ein Auseinanderbrechen der Währungsunion zu verhindern. Anleihekäufe durch die EZB, Lockerung der Standards für Kreditsicherheiten, längerfristige Kredite an die Banken, all das bezeichnet Weidmann als übermäßige Dehnung des Mandats der Notenbank oder als unerlaubte Staatsfinanzierung, stimmt dagegen - und lässt es geschehen.
Draghi tut, was er für nötig hält, und erklärt mit der gesammelten juristischen Spitzfindigkeit seiner großen Rechtsabteilung im Hintergrund, warum Anleihekäufe keine verbotene Staatsfinanzierung sind, sondern rein geldpolitische Ziele verfolgen. Das deutsche Publikum glaubt das überwiegend nicht, aber die meisten anderen Länder sind zufrieden damit.
Beide Seiten können gut damit leben. Gegenvorschläge hat Weidmann nicht zu bieten. Die Bundesbank weiß sicherlich, dass ein Festhalten an der von ihr propagierten reinen Lehre schon längst zu einem Konkurs nationaler Bankensysteme und in der Folge zu einem Auseinanderbrechen des Euros geführt hätte. Totengräber des Euros kann er nicht spielen. Deshalb belässt Weidmann es dabei, sein Unbehagen kundzutun und seine Skepsis, dass es funktionieren wird. Wenn es schiefgeht, steht die Bundesbank in den Augen der Öffentlichkeit gut da. Ebenso, wenn es gerade noch gutgeht, aber uns viel kostet."
Mit erwartungsvollen Grüßen
Burkhardt Brinkmann
Nachträge 31.08.2012
Ich bin gewiss kein Fan von Thomas Fricke und seiner Financial Times Deutschland. Aber zu Kritik wie z. B. Frickes heutigem Kommentar "Wer ist der wahre Stabilitätspapst?" müsste sich Weidmann bzw. die Bundesbank schon detailliert erklären.
Zu Jens Weidmann vgl. auch heutigen FAZ-Bericht "Bundesbankchef Weidmann hat Rücktritt erwogen" sowie dem Kommentar "Rückgrat ohne Rückhalt" von Holger Steltzner: "Der dritte Rücktritt des Vertreters der deutschen Interessen im Rat der EZB wäre ein Erfolg für diejenigen, die die Zentralbank zum Büttel der Staatsfinanzierung machen möchten. Das hätten die Schuldenpolitiker aus Südeuropa gern, die sich Strukturreformen sparen und das Leben auf Pump vom Norden bezahlen lassen wollen. Gleichwohl ist verständlich, dass Bundesbankpräsident Jens Weidmann über einen Rücktritt nachgedacht hat. Schließlich fühlt er sich nicht nur von der Bundesregierung verlassen - sondern er ist es auch."
Nachtrag 17.09.2012
In anderer Weise treibt Malte Fischer, Chefvolkswirt der Wirtschaftswoche, Weidmann in seinem Artikel "Weidmann muss seinen Worten Taten folgen lassen" von heute in die Enge. Er fordert ihn auf, die Bundesbank bei evtl. Staatsanleihen-Kaufaktionen der Bundesbank außen vor zu lassen.
ceterum censeo
Wer die Währungsunion nicht scheitern lässt, wird Europa scheitern lassen!
Textstand
vom 17.09.2012.
Gesamtübersicht der Blog-Einträge (Blotts)
auf meiner Webseite http://www.beltwild.de/drusenreich_eins.htm.
Eine
vorzügliche, laufend aktualisierte Übersicht über die Internet-Debatte zur
Eurozonenkrise bietet der
Blog von Robert M. Wuner. Für diesen „Service“ ihm herzlichen Dank!
Für
Paperblog-Leser: Die Original-Artikel in meinem Blog werden später z. T. aktualisiert
bzw. geändert.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen