Samstag, 30. Juni 2012

"Fiskalpakt und Geldvermögen: eine unheilige Ehe". Gedanken zum Posting im Blog "soffisticated"


Nein; ich kann nicht nur fremde Blog-Einträge nachposten: Manchmal kann ich sogar selber denken.  Es hilft aber dem Nachdenken sehr, wenn man einen guten Bezugstext hat. Denn wie schwer das Durchschauen selbst relativ einfacher Vorgänge selbst für Experten ist, hat ja beispielsweise die Target2-Debatte um die Ungleichgewichte der Salden bei den Länder-Zentralbanken der Eurozonen-Staaten gezeigt.

Den nachfolgenden Text habe ich heute als Leserkommentar in dem Wirtschaftsblog "soffisticated" gepostet, und zwar zu dem dortigen Eintrag "Fiskalpakt und Geldvermögen: eine unheilige Ehe" ('Must Read'!!). [Einen weiteren Text dieses Bloggers - Dr. Renée Menéndez - habe ich heute sogar vollumfänglich in meinem Blog nachgepostet: "Die Buddelkästen wirtschaftspolitischer Kommentatoren. "Nachdruck" des Blogpostings von Dr. Renée Menéndez (Blog "soffisticated")".]

Hier also mein Leserkommentar zu 'Fiskalpakt + Geldvermögen':

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Ich schlackere mit den Ohren: diese glaskaren Formulierungen der tieferen Problemstellung! Besonders:
"... die Vergrößerung von Aufsichts- und Kontrollproblemen kann nur dann erfolgreich sein, wenn das was kontrolliert und beaufsichtigt werden soll, auch kontrolliert und beaufsichtigt werden kann. Dies darf man nach allem, was im Verlauf der kurzen Geschichte des EURO vorgefallen ist massiv bezweifeln."
"... von einer Lösung müßte man erwarten können, daß sie alle Einzelaspekte, wenn schon nicht umfassend, so doch von der Tendenz her zu lösen geeignet ist." [Genau!]
"Die ... Erwartung, daß die Hypertrophierung von Kontroll- und Aufsichtsinstitutionen das ökonomische Problem lösen, wie das Geflecht interdependenter Schuldbeziehungen auf ein nachhaltiges Maß zurückgeführt werden kann, ist mehr als naiv".
"in der politischen Diskussion [werden] im wesentlichen nur Krisenerscheinungen diskutiert und nicht die originären Aspekte, welche das transnationale Schuldengeflecht zu einem Problem machen."
"der Fiskalpakt [löst] lediglich ein politisches Problem ..., die Verantwortung für die Entwicklung der nationalen staatlichen Schuldenstände auf ein supranationales Gremium zu verschieben, so daß nationale “Fehlentwicklungen” nicht mehr der jeweiligen Administration zurechenbar sind."

Trotzdem bin ich einerseits nicht ganz einverstanden und andererseits fehlt mir noch eine - m. E. entscheidende - Dimension.

Zitat: " ... Staatsschulden nicht Ausdruck sozialpolitisch motivierter Verschwendungssucht sind, sondern die Tendenz reflektieren, Geldvermögen in sicheren zinstragenden Titeln anzulegen. Man kann es drehen und wenden wie man will: Staatsschulden sind nichts anderes als der buchhalterische Gegenposten des privaten 'Sparens'."

Der zweite Satz ist natürlich richtig; das ist ja schlichte Saldenmechanik (von Ihnen hier insoweit vereinfacht, weil die privaten Investitionen fehlen, aber der aufmerksame Leser weiß, dass Sie diese natürlich mitdenken).
Mit dem ersten Satz habe ich indes ein Problem. Er etabliert eine Kausalitätsbeziehung (quasi: 'privates Sparen erzwingt Staatsschulden'), wo ich allenfalls eine Interdependenz sehen kann: Sozialstaatshypertrophie und Sparüberschüsse verschränken sich in einem sozusagen kollusiven Zusammenwirken zu einem problematischen Amalgam. Schließlich haben die deutschen Sparüberschüsse die griechische Regierung ja nicht zu ihrer klientelistischen Personalpolitik gezwungen.

Einen Kausalzusammenhang könnte man nach dem Systemzusammenbruch etablieren, in der Form, wie wir ihn in der Debatte ja auch tatsächlich vorfinden:
'Nachdem die Privaten ihr Geld nicht mehr verleihen, muss jetzt der Staat (oder gar: die Notenbank!) Geld verleihen und/oder verschenken, um die fehlende Nachfrage schaffen".

Ich denke aber, "that in discussing these financial flows, it is always useful to think about who is ultimately paying what to whom and for what"
(wie Nikos Tsafos vom Blog GreekDefaultWatch in Antwort auf einen Kommentar von mir so trefflich formulierte - http://www.greekdefaultwatch.com/2012/06/is-krugman-right-about-greece.html?showComment=1340540565743#c1308407082926272922)

Warum soll der Steuerzahler blechen, oder der Konsument (via Inflation), wenn das Problem doch die Geldsparer sind, bzw. genauer: die Unterkonsumtion.
Das deuten Sie m. E. auch selber an mit dem Satz:
"... wie [wenn nicht in Staatsanleihen] soll sich denn privates Geldvermögen sonst “sicher” anlegen lassen, wenn die privatwirtschaftliche Verschuldungsbereitschaft aufgrund der sinkenden Gewinne inzwischen sehr zu wünschen übrig läßt. "

Wir hätten es also mit dem schon von Keynes vorhergesehenen (aber vielleicht bereits zur Zeit der Great Depression, also schon zu seiner Zeit vorhandenen?) Missverhältnis zwischen (Geld-)Sparen und der Kapitalabsorptionsfähigkeit zu tun (das ich schon früher in meinem "Rentenreich" in der Debatte UV vs. KdV identifiziert hatte - http://www.beltwild.de/rentenreich.htm).

Ich sehe -3- mögliche Wege um dieses Kapitalvermögen sozusagen zu 'deleveragen':
- Teilenteignung durch Besteuerung (technisches Problem der vollständigen Erfassung und Verhinderung von Ausweichreaktionen; weiteres Problem: potentielle Behinderung notwendiger Investitionen)
- Inflation (extrem ungerecht, zumal die herrschende Lehre die Menschen ja ins Vorsorgesparen gejagt hat und bei der Pflegeversicherung noch immer diesen m. E. katastrophalen Kurs hält).
- Die privaten Gläubiger müssen die Verluste aus den Zusammenbrüchen der Schuldner voll tragen. (Gerechtigkeitsproblem: wie bei "Inflation").
- Für die Zukunft: Altersvorsorge weltweit vom Kapitaldeckungsverfahren (bei uns: "wieder") auf das Umlageverfahren umstellen.

Allerdings muss man bei diesen Lösungswegen im Auge behalten, was der Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser in seinem FTD-Artikel "Bankenkrise Vergesst den Vergleich mit 1931" (19.6.12 - http://www.ftd.de/politik/europa/:bankenkrise-vergesst-den-vergleich-mit-1931/70051842.html) so formuliert:
"Der historische Vergleich hinkt, wenn sich die Grundlagen geändert haben. Heute ist das Bankenproblem in eine umfassende Krise des Kapitalmarkts eingebettet, deren Akteure nur vordergründig die Banken sind. Tatsächlich dominieren institutionelle Anleger in den USA seit Langem die Regeln des Kapitalmarkts. Wer den Umsatz macht, bestimmt auch die Musik. Allein für den Aufbau privater Altersversorgung suchen sie Anlagen für rund 35.000 Mrd. Euro. In Deutschland betragen die Rentenanwartschaften rund 7000 Mrd. Euro, werden aber innerhalb des Sozialstaates am Kapitalmarkt vorbeigeführt."

Sofern man diese Darstellung der Dinge und meine 'moralische' Folgerung akzeptiert stellt sich die Frage, wie man 'die Großen' schwitzen kann ohne 'das Kleinvieh' zu rupfen, das aber andererseits doch auch einen großen - oder gar den größten? - Teil des umherfliegenden (nicht als 'Düngemittel' eingesetzten) Finanz'mists' produziert haben und noch produzieren.

Meinen Sie, dass wir damit den Kern des Problems fokussiert haben?
Wenn nicht, müssten wir weiter suchen, denn Ihr Text identifiziert die eigentlichen Wirkzusammenhänge (gewissermaßen die 'Letztkausalitäten') m. E. noch nicht mit letzter Schärfe.

Wie auch immer: Auf jeden Fall herzlichen Dank für die Anregung, die Ihr brillantes Posting mir für eine neue Formulierung meiner (alten) Gedanken geliefert hat. Ich werde diesen "Kommentar" wohl auch bei mir selbst als Posting einstellen.

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Nicht Bestandteil dieses Leserkommentars war natürlich meine obligater Blott-Schlussformel:


ceterum censeo
Zerschlagt die UdESFR, die Union der Europäischen Sozialistischen Falschgeldrepubliken!
Textstand vom 30.06.2012

4 Kommentare:

  1. Sie haben natürlich Recht damit, daß diese Formulierung "erzwingt" so nicht ganz korrekt ist. Denn schließlich gehören zu einer sozialen Relation - und ein Kreditvertrag ist eine soziale Relation - immer zwei Parteien. Ist wie im richtigen Leben! Es ist schon so wie Sie es beschreiben, was man auf die literarische Formel bringen kann: "Halb zog sie ihn, halb sank er hin." Wobei der Staat bei diesem "problematischen Amalgam" schon ganz schön nachgeholfen hat, indem er quasi sich selbst zu einer mündelsicheren Anlage erklärt hat um dann z.B. Lebensversicherern vorzuschreiben, einen bestimmten Prozentsatz ihrer Finanzanlagen in ebensolchen Papieren zu halten. Heißt: niemand ist gezwungen, aber was soll man alternativ machen?

    Beim Sparer wiederum gilt das natürlich auch, denn es gibt ja kein in Stein gemeißeltes Gesetz, daß Sparer für ihr Erspartes auch Zinsen zu beanspruchen hätten. Auch hier ist ja Sparen zwar eine einseitige Entscheidung und die Tatsache, daß Zinsen gezahlt werden wiederum aus der sozialen Relation "Kreditverhältnis" entstanden. Bei Wachstumsraten um die Nulllinie ist es jedoch keineswegs mehr selbstverständlich, daß eine solche Vorstellung auch ihre Entsprechung findet, denn inzwischen können sich Banken bei der EZB billiger mit Geld eindecken als mit anspruchsvollen und nörgeligen Kunden, die auch noch unberechenbar sind. Und überhaupt, machen wir uns nichts vor: die Sache mit den Zinsen wird doch immer noch nach den Kriterien von Ricardos Kornökonomie behandelt, obwohl Marx mit der Frage nach der Versilberung des Mehrwerts genau die virulente Frage des Kreditgeldkapitalismus gestellt hat. Die naive Vorstellung, daß sich Geld vermehrt oder "arbeitet" steht noch immer für die aktuelle 'mainstream'-Geldtheorie Pate. Das ist ein epistemologisches Desaster sondergleichen!

    Zu Ihren Lösungswegen: Umlageverfahren, na selbstverständlich. Finanzanlagen sind nämlich nur so werthaltig, wie die Zahlungsströme regelmäßig eintrudeln. Bleiben die aus ist auch ein Finanztitel nichts mehr wert. Besteuerung? Kaum noch durchsetzbar, wird selbst einem Hollande plus Parlamentsmehrheit nicht wirklich gelingen. Inflation? Ist nur eine Frage der Wachstumsraten von Geldvermögen, die Zinsreagibilität ist einfach zu hoch.

    Mein Vorschlag wäre ja, die Absetzbarkeit von Zinsaufwendungen zu kippen, weil das einen ungerechtfertigten Steuervorteil zugunsten der Fremdfinanzierung bedeutet. Witzigerweise steht sowas ja sogar im aktuellen Koalitionsvertrag - und wahrscheinlich in früheren auch schon. Fängt man erst einmal an darüber nachzudenken, sind die Konsequenzen durchaus beträchtlich:

    http://soffisticated.wordpress.com/schulden/

    Es ist alles nicht so hoffnungslos wie es scheint!

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  2. "Die naive Vorstellung, daß sich Geld vermehrt oder "arbeitet" steht noch immer für die aktuelle 'mainstream'-Geldtheorie Pate. Das ist ein epistemologisches Desaster sondergleichen!"
    In der Tat; genau diese Vorstellung (von Prof. Dr. Hans-Werner Sinn - dessen aktuellen Einsatz gegen den Eurettungsirrsinn ich jedoch schätze - und anderen Mainstream-Ökonomen) habe ich schon in meinem "Rentenreich" (http://www.beltwild.de/rentenreich.htm) kritisiert.
    Wobei diese Ökonomen natürlich nicht unmittelbar glauben, dass "Geld arbeitet"; die wissen schon, dass es dafür zunächst in der Realwirtschaft investiert werden muss.
    Der Denkfehler der Mainstream-Wirtschaftswissenschaft liegt m. E. in der Überschätzung der Kapitalabsorptionsfähigkeit unserer Gesellschaft für realwirtschaftliche Investitionen. Dem steht indes eine gewisse Sättigung entgegen, aber auch Umweltschutz-Regelungen usw. (alles in meinem "Rentenreich" erörtert).

    "Inflation? Ist nur eine Frage der Wachstumsraten von Geldvermögen, die Zinsreagibilität ist einfach zu hoch."
    In diesem Satz enteilt Ihr Abstraktionsniveau ein wenig meinem Wissenshorizont. Meinen Sie damit, dass 'die Reichen' (bzw. auch die reichen Kollektive: Pensionsfonds, Versicherungen) immer Wege finden, um eine Verzinsung oberhalb der Inflationsrate aus der Realwirtschaft herauszuquetschen?
    Dann müsste man sich natürlich fragen, auf welchen Wegen das geschieht, und überlegen, ob und wie man diese Abflusslöcher unseres gemeinsamen Wohlstands verstopfen kann. Ich habe ja schon den Verdacht geäußert (http://beltwild.blogspot.de/2009/01/die-credit-default-swaps-als.html), dass es die mark-to-market-Buchungsmethode vielleicht ermöglicht, in der Finanz"industrie" Scheingewinne zu generieren, die dann die Notenbank ex post wieder mit Zentralbankgeld unterfüttern "muss". Um das zu verifizieren, müssten aber natürlich die genauen Wirkzusammenhänge identifiziert werden.
    Erklärungsbedürftig ist auf jeden Fall der starke Zuwachs von Zentralbankgeld, schon vor der Finanzkrise. Insbesondere im Hinblick auf die Grundfrage:
    - wurden damit die Finanzmärkte gefüttert oder
    - wurden damit die Abflüsse von Geld in die Finanzmärkte ausgeglichen, damit die Realwirtschaft weiter funktionieren kann? Und wenn ja, auf welche Weise geschah das und beinhaltet oder führt auch diese Form der Geldversorgung wieder (zu) Kapitalakkumulation bei den Reichen? (Also etwa so, dass die Notenbank Kredite an die "Armen" ausgereicht hat (indirekt natürlich) oder gar ausreichen musste (weil 'die Kapitalisten' ihr Geld 'veruntreut' haben, indem sie es der Realwirtschaft entzogen und dem Finanzcasino zugeführt haben) und die Finanzindustrie und die Reichen sich auch daran wieder bereichert haben.

    Wie auch immer: Wir sind, glaube ich, darin einig, dass die aktuelle 'Rettungsdebatte' insofern inadäquat ist (und möglicher Weise sogar kontraproduktiv), als sie die tieferen Hintergründe der gegenwärtigen Schieflage des Finanzsystems nicht sieht (oder gar mehr oder weniger bewusst ausblendet)?

    Falls doch irgendwo diese Hintergrunddebatte geführt wird: für einschlägige Linkhinweise bin ich immer dankbar!

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  3. Sorry, Ihr letzter Absatz war bei meinem Kommentar zunächst untergegangen. Dabei ist er doch eigentlich der Wichtigste.
    Ihr Blog-Eintrag "Schulden" (http://soffisticated.wordpress.com/schulden/) mit dem Hinweis, dass die steuerrechtliche Begünstigung von Fremdkapital im Widerspruch steht zu den finanztechnischen Erfordernissen der Krisenbewältigung, ist großartig: Ein "Must read" für alle einschlägig Interessierten!
    Schon vor längerer Zeit hatte, glaube ich, der seinerzeitige hessische Finanzminister Weimar (der freilich in der Steuerfahnder-Affäre eine dubiose Rolle gespielt hat - http://de.wikipedia.org/wiki/Karlheinz_Weimar) auf die Notwendigkeit hingewiesen, systemische Begünstigung der Fremdfinanzierung abzuschaffen.
    Darüber müsste in der Tat eine breite Debatte angestoßen werden.

    In der empirischen Dimension stellt sich dann allerdings die Frage, ob es derartige Fehlanreize auch in anderen Ländern gibt. Wenn nicht, wäre der Erklärungswert, bzw. der 'Heilnutzen' dieser Maßnahme für die Finanzkrise natürlich begrenzt.

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