Donnerstag, 28. Juni 2012

Griechenmund tut Wahrheit kund! Zum WELT-Interview "Deutschland muss anführen oder den Stecker ziehen" mit den (auslands-)griechischen Ökonomen Costas Azariadis, Nicholas Economides und Michael Haliassos


Martin Greive und Sebastian Jost haben am 27.06.2012 auf WELT Online ein Sammel-Interview unter dem (Zitat-)Titel "Deutschland muss anführen oder den Stecker ziehen" veröffentlicht. In diesem Interview geht es um Lösungsmöglichkeiten für die Wirtschafts-, Staatsschulden- bzw. Schuldenkrise(n) allgemein in der Eurozone sowie speziell in Griechenland.

Gesprächspartner waren die im Ausland lehrenden griechischen Wirtschaftswissenschaftler
  •  Costas Azariadis, VWL-Professor an der Washington University at St. Louis (WUSTL);
  •  Nicholas Economides, Professor an der Stern Business School der New York University (NYU)
  • und Michael Haliassos (Professor für Makroökonomie an der Universität Frankfurt Uni Frankfurt)   [vgl. von diesem auch das FAZ-Interview Zu viel Druck kann den Patienten töten vom 25.10.2011]
Daraus zwei Auszüge (jeweils meine Hervorhebungen) mit Kommentaren von mir:


Azariadis: 
"Die deutsche Öffentlichkeit steht schon sehr bald vor einer großen Entscheidung: Führt sie endlich die Euro-Zone an – oder zieht sie den Stecker? Der schwache Euro verschafft der deutschen Exportwirtschaft große Wettbewerbsvorteile. Als Gegenleistung muss Deutschland sich verpflichten, die Finanzmärkte zu befriedigen, indem es den Südstaaten der Euro-Zone etwa über ein Jahrzehnt finanziell hilft. Diese Rettungsmaßnahmen werden mehrere Billionen Euro kosten – mehr als die deutsche Wiedervereinigung. Deutschland muss abwägen, ob diese Ausgaben im Vergleich zu den durch den Euro entstehenden Exporterfolgen angemessen sind. Sind sie es nicht, kann Deutschland den Stecker ziehen, indem es mit kleineren, finanzpolitisch konservativen Ländern wie Österreich, Finnland oder den Niederlanden einen kleinen eigenen Währungsraum gründet."

Mein Kommentar: 
Richtig ist, dass eine schwache Währung die Exporte verbilligt. Das ist zwar ein Vorteil für den Export, aber gerade KEIN Vorteil (sondern vielmehr ein gravierender Nachteil!) für den Wohlstand einer Exportnation. Wenn die ihre Waren zu billig verkauft, kann sie zwar mehr davon absetzen. Zugleich verschenkt sie aber Wohlstand. Billige Exporte bedeuten zwangsläufig immer auch teure Importe. Am konkreten Beispiel verdeutlicht:
Ist der Euro schwach, müssten (rein fiktives Beispiel) z. B. die Saudis einen Mercedes mit hundert Tonnen Rohöl bezahlen. Ist er stark, müssten sie beispielsweise 200 Tonnen Öl für das Auto hinlegen. Dass der Mercedes-Arbeiter lieber 200 als 100 Tonnen nimmt (d. h. lieber weniger als mehr für das Benzin bezahlt) liegt auf der Hand. Natürlich kann man das nicht übertreiben. Wie viel man gerade noch so für seine Güter verlangen kann, bestimmt der Markt (und zwar der Weltmarkt, nicht der europäische oder eurozonäre). Wird das Rohöl knapp, werden die Saudis uns keine 200 Tonnen für ein Auto geben, sondern nur 100. Und weil die Rohölpreise in US-Dollar abgerechnet werden, hängen die Benzinpreise bei uns u. a. auch davon ab, ob der Euro im Verhältnis zum Dollar stark ist (Preissenkung) oder schwach (Preiserhöhung). Also kurz: Die Behauptung "Der schwache Euro verschafft der deutschen Exportwirtschaft große Wettbewerbsvorteile" ist sachlich korrekt. Man darf sie nur nicht mit der Behauptung verwechseln, dass uns der schwache Euro automatisch große Wohlstandsvorteile verschafft!
Insoweit ist es ebenfalls sehr fair, dass Azariadis uns nicht die Schwindelpropaganda der Finanzlobbyisten aus den Reichen des angelsächsischen Verbriefungs-Bösen auftischt "Deutschland hat enorm vom Euro profitiert". Sondern sagt:
Deutschland muss abwägen, ob diese Ausgaben im Vergleich zu den durch den Euro entstehenden Exporterfolgen angemessen sind". (Noch genauer müsste er eigentlich sagen: '... ob diese Ausgaben im Verhältnis zu den durch den Euro entstehenden Wohlstandsgewinnen angemessen sind'.)
Fair ist es auch, dass er nicht drängt 'Ihr müsst für die anderen bezahlen' (um "Europa", oder gar die Welt/wirtschaft, zu retten), sondern uns die Alternative aufzeigt: 'Entweder ihr zahlt, oder ihr zieht den Stecker, das sollte für euch keine Frage von Krieg oder Frieden sein, sondern eine reine (langfristige) Kosten-Nutzen-Abwägung'.
Den von Olaf Henkel (als erstem erdachten? und jedenfalls von ihm vehement) propagierten "Nord-Euro" verteufelt der Wirtschaftswissenschaftler Costas Azariadis nicht, sondern stellt ihn völlig sachlich als eine sehr realistische Option für Deutschland dar.
Angesichts der weiteren (zutreffenden) Feststellung von Azaridis, dass Deutschland für einen Erhalt der Eurozone die Südeuropäer [mindestens] über 10 Jahre subventionieren müsste, und mit einem Aufwand in mehrfacher Billionenhöhe, kann wohl kein Zweifel daran bestehen, dass ein rascher Austritt zwar ebenfalls kostspielig für uns wäre, aber am Ende die bessere Lösung.
Danke, Prof. Azariadis, für diese aufrichtige Kosteneinschätzung!


Economides:
"Deutschland sollte sehr ernsthaft darüber nachdenken, ob es willens ist, die Euro-Zone überleben zu lassen. Falls ja, muss es folgende Schritte unternehmen: Die Garantien für den Rettungsschirm müssen verzehnfacht werden, um Italien und Spanien auffangen zu können. Zweitens muss Deutschland die Einführung von Euro-Bonds, also einer gemeinschaftliche Haftung, erlauben, etwa bis zu einer Schuldenquote bis zu 60 Prozent. Griechenland wird darüber hinaus einen weiteren Schuldenerlass benötigen."

Mein Kommentar:
Wenn uns die angelsächischen Desinformationshorden mit ihrer "Deutschland-muss-haften"-Missionierung überfallen, dann ist ein Satz wie "Deutschland sollte sehr ernsthaft darüber nachdenken, ob es willens ist, die Euro-Zone überleben zu lassen" gleichbedeutend mit: 'Deutschland muss im eigenen Interesse haften'.
Bei Economides dagegen scheint mir der Satz ernst gemeint, und in gleicher Weise zu deuten wie bei Azariadis: 'Deutschland muss selber eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufmachen. Und wenn es dann zu dem Schluss kommt, das die Vorteile der Eurozone die Nachteile einer Mitgliedschaft in dieser Währungsgemeinschaft nicht aufwiegen, dann muss es austreten'.
Im Zusammenhang  mit den von ihm (ähnlich wie bei Azariadis, und ebenfalls in der Dimension zutreffend) vorgelegten Kostenabschätzungen - Verzehnfachung des Rettungsschirms und gemeintschaftliche Haftungsübernahme für [vorerst!] 60% der Staatsschulden - lässt für mich auch Economides keinen Zweifel daran, welche Entscheidung die richtige ist:
Nix wie raus aus diesem moribunden Euro-Haus!


Die Ehrlichkeit dieser beiden griechischen Nationalökonomen hebt sich übrigens wohltuend ab von einem Schlitzohr wie dem gleichfalls griechischen Wirtschaftswissenschaftler (übrigens auch Blogger), Yanis Varoufakis, der die Nordeuropäer mit (nach meiner Einschätzung: bewusst) unvollständigen Scheinlösungen in die Haftungsfalle locken will.
(Dass Varoufakis in seinem Blog u. a. zum Brüsseler Think Tank "Eurointelligence" um Wolfgang Münchau + Co. verlinkt, sagt mir auch viel über die Seriosität dieses Instituts!)

Vor allem unterscheiden sich die Ökonomen von der Verlogenheit der (früheren) griechischen (PASOK)-Regierung. Die scherte sich einen Dreck um Verträge, die sie unterschrieben hatte, und stellte trotz gegenteiliger Vereinbarungen mit der Troika mal eben 70.000 Staatsdiener ein. Der Sachverhalt wurde übrigens in der bundesdeutschen Presse nur am Rande vermerkt; siehe aber z. B. den STERN-Artikel "Griechenland soll gegen Sparauflagen verstoßen haben" vom 24.06.2012.
(Dass sich die gegenwärtig in Griechenland herrschende Regierungskoalition anders verhalten wird, glaube ich persönlich NICHT!)


Nachtrag 29.06.2012
Auch der Focus hat über das WELT-Interview berichtet: "Deutschland soll die Euro-Zone retten. Ökonomen fordern Billionen für Euro-Rettung" (28.06.2012). Es mag ja sein, dass die beiden Wirtschaftswissenschaftler Azariadis und Economides in ihrem Herzen derartige Wünsche hegen. Dem Text ist das allerdings nicht so eindeutig zu entnehmen, wie es der Focus darstellt. Nach dem Wortlaut muss man (sofern man nicht Ironie oder Zynismus unterstellen will, wofür es zumindest keine Anhaltspunkte gibt) davon ausgehen, dass beide Deutschland zu einer nüchternen Abwägung der Kosten einer Erhaltung bzw. eines Zerfalls der Eurozone auffordern. Und gerade weil sie die Kosten so exorbitant (aber realistisch, bzw. wahrscheinlich kommt es noch dicker, weil nicht zu erkennen ist, auf welche Weise diese Transferunion jemals enden sollte!) hoch ansetzen, darf man davon ausgehen, dass sie keineswegs Deutschland zur Haftung auffordern, sondern vielleicht sogar im Gegenteil Deutschland (verklausuliert) zum schleunigen Verlassen dieser Schuldenunion raten wollten.



ceterum censeo
Zerschlagt die UdESFR, die Union der Europäischen Sozialistischen Falschgeldrepubliken!
Textstand vom 29.06.2012

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