Donnerstag, 7. Juni 2012

Wie George Soros in seinem Vortrag "Remarks at the Festival of Economics, Trento Italy" die Eurozone "rettet": Mit deutschem Geld - und einem logischen Trugschluss


Zitat aus: Johann Wolfgang von Goethe, Italienische Reise, Neapel (meine Hervorhebung):
"Auf Herders dritten Teil freu' ich mich seht. Hebet mir ihn auf, bis ich sagen kann, wo er mir begegnen soll. Er wird gewiß den schönen Traumwunsch der Menschheit, daß es dereinst besser mit ihr werden solle, trefflich ausgeführt haben. Auch, muß ich selbst sagen, halt' ich es für wahr, daß die Humanität endlich siegen wird, nur fürcht' ich, daß zu gleicher Zeit die Welt ein großes Hospital und einer des andern humaner Krankenwärter sein werde."

George Soros ist ein kluger Mann, und ich habe seinen berühmten Aufsatz "The capitalist threat" (den ich mit "Die Selbstbedrohung des Kapitalismus" übersetzen würde und der 1997 im Magazin "Atlantic" erschienen ist) schon häufiger zitiert. [Der Artikel ist auch anderweitig, z. B. hier, verfügbar.] Kern der Argumentation dort ist seine (aus meiner Sicht zutreffende!) Befürchtung:"I ..... fear that the untrammeled intensification of laissez-faire capitalism and the spread of market values into all areas of life is endangering our open and democratic society. The main enemy of the open society, I believe, is no longer the communist but the capitalist threat."

Gerade in der aktuellen Finanzkrise ist dieser Aufsatz brennend aktuell.
Außer dieser sachbezogenen Dimension enthält er eine ebenso wichtige erkenntnistheoretische Aussage: Sozialwissenschaften können niemals exakte Wissenschaften sein. Gewonnene Erkenntnisse gehen über eine Rückkoppelung wieder in unsere Praxis ein, und verändern die Lage in nicht vorhergesehener Weise.
(Beispiel, von mir: Ein Unternehmen hat durch eine "wissenschaftliche" Untersuchung entdeckt, dass man mit beispielsweise Geländewagen jede Menge Geld verdienen kann. Es nimmt also die Produktion auf und verdient tatsächlich klotzig. Aber schon im nächsten Jahr sind 10 Konkurrenten ebenfalls mit solchen Autos am Markt - und Schluss ist mit Geldverdienen.)


Soros' Rede vom 02.Juni 2012 "Remarks at the Festival of Economics, Trento Italy" (dieses Festival in Trient, Italien, hat schon eine Tradition und natürlich auch eine eigene Webseite) hatte ich eigentlich gar nicht lesen wollen, weil Soros uns bekanntlich ständig den 'wohlmeinenden' Rat erteilt, der deutsche Steuerzahler müsse (alternativlos, natürlich!) für die Eurozonenkrise bezahlen. Doch dann erhielt ich einen Hinweis auf den Aufsatz "Soros: Europe's Three-Month Window" eines gewissen Gary North, seines Zeichens "Tea Party Economist"
Ich bin kein Freund der Tea Party, die ich zumindest teilweise für eine Interessenorganisation der (US-)Begüterten halte (vgl. meinen Blott "Verblüffende Mesalliancen in Gesellschaft und Politik: Lazzaroni + Bourbonen, Tea-Party-Bewegung + Milliardäre, "Linke" + Kapitalbesitzer + Banken"). Andererseits ist nicht alles falsch, was von der (mehr oder weniger) 'libertären' Seite, bzw. von der damit eng verbandelten "Österreichischen" Schule der Wirtschaftswissenschaft (engl.: "Austrians") kommt. (An den Universitäten sind die "Austrians" Außenseiter, "fringe", aber in der US-Blogosphäre sind sie außerordentlich aktiv und lautstark).

Zu dieser Richtung bekennt sich sogar Thomas Mayer, früherer Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Und in seiner Rede (bzw. dem Artikel) "I'm an Austrian in Economics" (16.09.2011) kritisiert er genau wie George Soros die Fehlannahme, dass die Wirtschaftswissenschaften jemals in der gleichen Weise exakt sein können wie die Naturwissenschaften ("... economists should be more humble. For too long we have tried to be like natural scientists.").

Und wenn man als Kern der 'austrian-libertarian' Denkrichtung die Betonung der Eigenverwantwortung der Menschen bzw. Wirtschaftssubjekte versteht, könnte man sogar Johann Wolfgang von Goethe als Vorläufer nennen - vgl. das Eingangszitat, in welchem er eine Hypertrophie der "Humanität" voraussagt ("Österreicher" bzw. Libertäre würden statt "Humanität" sagen: "Sozialismus").

Doch zurück zu North. Der kritisiert Soros' Standpunkt in einem ironisierenden Tonfall (die von ihm eingeflochtenen Zitate aus der Soros-Rede hier in anderer Schriftart):
" 'The heavily indebted countries need relief on their financing costs. There are various ways to provide it but they all need the active support of the Bundesbank and the German government.' All roads lead to Berlin. It's bailout time!
German voters say no. "That is where the blockage is." Got that? Blockage! People hanging onto their wallets! Why, the short-sighted fools! It's time to bail out the PIIGS again. Time is running out. It will never stop running out. Germany must suck it up and fork it over. Again. .....
Soros is a Keynesian mercantilist. They all are. "So Germany is likely to do what is necessary to preserve the euro – but nothing more. That would result in a eurozone dominated by Germany. . . ."
There must not be budget cutting. There must not be austerity. There must be spending, spending, spending – all at Germany's expense."

Recht hat er; auch ich glaube nicht, dass die Zerstörung der deutschen (relativen) Haushaltssolidität und letztlich des deutschen Wohlstands (wie ich sie bei einer Fortsetzung der gegenwärtigen Eurettungspolitik erwarte, und North zweifellos ebenso) die Eurozone letztlich retten werden.
Jedenfalls habe ich dann doch auch die Soros-Rede gelesen (schon um sicherzugehen, dass North Soros' Position nicht fehlerhaft darstellt). Und dabei fiel mir auf, dass das ganze Gedankengebäude von Soros (und nicht nur von ihm, sondern von mehr oder weniger sämtlichen Eurettungsfetischisten) mindestens auf einem logischen Fehlschluss, einem Trugschluss beruht (wahrscheinlich aber auch auf einer von vornherein falschen Annahme).


Der ganze erste Teil (ca. 1/3) von Soros' Rede vom 02.Juni 2012 "Remarks at the Festival of Economics, Trento Italy" dreht sich um die Erkenntnisproblematik (die uns hier nicht weiter interessiert.) Erst im 2. der beiden folgenden Absätze wendet sich Soros der Eurozonenkrise zu (die auch er - durch Verkürzung irreführend - als "euro crisis" bezeichnet) (meine Hervorhebung):

"Until recently, my interpretation of financial markets was either ignored or dismissed by academic economists. All this has changed since the crash of 2008. Reflexivity became recognized but, with the exception of Imperfect Knowledge Economics, the foundations of economic theory have not been subjected to the profound rethinking that I consider necessary. Reflexivity has been accommodated by speaking of multiple equilibria instead of a single one. But that is not enough. The fallibility of market participants, regulators, and economists must also be recognized. A truly dynamic situation cannot be understood by studying multiple equilibria. We need to study the process of change.

The euro crisis is particularly instructive in this regard. It demonstrates the role of misconceptions and a lack of understanding in shaping the course of history. The authorities didn’t understand the nature of the euro crisis; they thought it is a fiscal problem while it is more of a banking problem and a problem of competitiveness. And they applied the wrong remedy: you cannot reduce the debt burden by shrinking the economy, only by growing your way out of it. The crisis is still growing because of a failure to understand the dynamics of social change; policy measures that could have worked at one point in time were no longer sufficient by the time they were applied."

Kern seiner Eurokrisen-Diagnose [jetzt habe auch ich verkürzt, denn richtig müsste es heißen: Eurozonen-Krisen-Diagnose!] ist der Satz: 
 And they applied the wrong remedy: you cannot reduce the debt burden by shrinking the economy, only by growing your way out of it.
Dass der Satz schon für sich genommen schlicht und einfach falsch ist (bzw. jedenfalls keine allgemeine Gültigkeit beanspruchen kann), zeigt bereits ein Blick nach Lettland, das sich tatsächlich aus der Wirtschaftskrise der Jahre 2009 ff. herausgespart hat.
Über die damaligen Maßnahmen berichtete seinerzeit (12.03.09) der in Lettland lebende, wohl deutsche, Verwaltungswissenschaftler Dozent für Politikwissenschaft Axel Reetz in seinem Blog sehr ausführlich unter "Die Krise in Lettland, ihre Ursachen und ihre Folgen":
"Wo andere Regierungen im Westen Konjunkturprogramme auflegen, letztlich also Geld drucken, ja sogar Steuern senken (wollen) und die Menschen zum Konsum aufrufen, geschieht in Lettland das Gegenteil. ..... Der Staat wäre ... ohne die Hilfe Europas und des IWF zahlungsunfähig. Die ersten Gegenmaßnahmen wurden getroffen, die Mehrwertsteuer zum 1. Januar um drei Prozent erhöht und die Einkommen für alle Staatsbediensteten gekürzt. Viele Mitarbeiter wurden sogar entlassen. Das gilt selbstverständlich auch für die Privatwirtschaft." 
Was die Resultate angeht, finde ich bei Reetz kein aktuelles Blogposting darüber. Nach verschiedenen Zeitungsmeldungen scheint die Therapie jedoch angeschlagen zu haben:
 
Selbst aber dann, wenn Soros' Annahme zutreffen sollte, dass sich eine Volkswirtschaft (für einzelne Wirtschaftssubjekten trifft das natürlich ohnehin nicht zu), nur durch Wachstum entschulden kann, steht hinter seiner Forderung, die zurückbleibenden Länder mit tüchtigen Geldspritzen (aus deutschen Steuermitteln oder frisch aus der Notenbankpresse der europäischen Zentralbank?) wieder in Schwung zu bringen, ein krasser Denkfehler. Dass den nicht nur Soros macht, sondern auch viele andere, auch Wirtschaftswissenschaftler (und gar Nobelpreisträger wie Joseph Stiglitz und Paul Krugman), auch in Deutschland (z. B. Heiner Flassbeck, Gustav Horn, Thomas Fricke), ändert nichts daran, dass es sich um einen logischen Fehlschluss handelt. (Eine Art "fallacy of comsuption", wie sie leider auch in den USA gang und gäbe ist.)

Denn diese Kurbelkönige unterstellen (selten ausgesprochen, meist implizit), dass man Soros' Satz
"You cannot reduce the debt burden by shrinking the economy, only by growing your way out of it"
umkehren kann zu dem Dogma:
"By expanding the economy, the debt burden will automatically be reduced".
Das jedoch ist ein Trugschluss.

Zunächst einmal setzt die von Soros u. a. gedachte Expansion im Süden die Zufuhr weiterer Kredite von außen, und damit zumindest anfänglich noch eine weitere Steigerung der Schulden voraus.
Und diese Kredite können überhaupt nur dann (später) in der erhofften Weise wirken, wenn sie investiert werden. Und zwar müssen sie produktiv investiert werden, nicht bloß irgendwo ausgegeben, wo es statistisch als "Investition" zählt. (Genau so sehen das auch die "Österreicher", und auch wenn sie gelegentlich etwas sektiererisch erscheinen: wo sie Recht haben, haben sie Recht).
Aber zum einen ist die Gefahr groß, dass unser Geld im Süden, und ganz besonders in Griechenland, weiterhin lieber verkonsumiert wird, anstatt investiert. Für einen größeren Exportsektor fehlt dem Land bislang die produktive Basis. Griechenland war und ist noch immer (und vermutlich gilt das auch für Portugal), sozusagen eine "Mondwirtschaft", die sich allzu sehr an der (Kredit-)Wärme fremder Sonnenökonomien gelabt hat. 
Wenn wohltätige Spender (deutsche Steuerzahler!) dem Land eine schmerzhafte Austeritätskur ersparen, ist nicht damit zu rechnen, dass sich daran etwas ändert. Die Kuckuckskinder werden ihr Schnäbel nur immer weiter aufsperren, so wie sie das schon bisher in einer geradezu unverschämten Weise getan haben. (Der griechische Wirtschaftswissenschaftler Yanis Varoufakis z. B. wirft der deutschen Regierung "fiskal waterboarding" vor - als ob Griechenland einen Rechtsanspruch auf Geldflüsse in der jeweils gewünschten Höhe hätte. Sparmaßnahmen lehnt Varoufakis aktuell ab, Reformen hält er für wünschenswert, aber momentan entbehrlich!).
Und zum anderen waren die Investitionshemmnisse in der Vergangenheit ja gerade nicht fehlendes Geld, sondern fehlende Ertraugsaussichten (insbesondere in Griechenland, aber auch in den anderen Mittelmeerländern). Im vergangenen Jahr lag das Land auf Platz 100 einer von der Weltbank erstellten internationalen Rangliste der Wirtschaftsfreundlichkeit.

Wenn man die Investitionshindernisse nicht beseitigt, aber dennoch öffentliche Wirtschaftsorgane (etwa die Europäische Investitionsbank) zwingt, dort Geld zu investieren, dann ist das ein "Fahren mit angezogener Handbremse", also rausgeworfenes Geld.
Diese Problemdimension adressieren Leute wie Soros nicht.

Ohnehin verdächtige ich Soros, wie auch andere angelsächsische Wirtschafts"weise", mit seinen/ihren Ratschlägen angelsächsische Interessen an einer Schwächung des Euro und Deutschlands zu verfolgen, damit die eigene Gelddruckerei weltweit keine solide Währungskonkurrenz mehr hat. 
Schließlich ist die "Seigniorage" (Münzgewinn, Schlagschatz) eine hervorragende Einnahmequelle, um so mehr, wenn man sie Ausländern abknöpfen kann!).
[Zur Interessendimension auch scheinbar "wissenschaftlicher" Ratschläge vgl. z. B. Jean-Uwe Heuser, "Wirtschaftspolitik. Der Glaubenskrieg", S. 2: Wie immer im Glaubenskrieg geht es um mehr als die reine Lehre. Dahinter stehen Interessen und Institutionen. New York und London sind die Finanzhauptstädte der Welt. Dort sitzen nicht bloß die führenden Banken des Westens, sondern auch die meisten Spekulationsfonds der Welt. Mehr als ein Drittel aller neuen Wertschöpfung hat die amerikanische Finanzindustrie mit gerade einmal fünf Prozent aller Arbeitnehmer im Boom vor der Krise an sich gezogen. Sie ist ein gigantischer Geld- und Machtfaktor in den Vereinigten Staaten, dem eine vergleichsweise kleine Industrie und ein kleiner Exportsektor gegenüberstehen. In Großbritannien sieht es kaum anders aus." oder Gerald Braunberger, "Geschichte einer Währung. Die Macht des Dollar".]
Es gilt also, dass man zwar ohne Wirtschaftswachstum die Schulden nur schwer abbauen kann. Aber ebenso trifft der Satz zu:
"You cannot grow your way out of the crisis by consuming other peoples' savings!"
Und den sollte man sämtlichen monetären Kurbelkönigen dieser Welt ins Stammbuch schreiben!
Ansonsten (bzw. weil das wohl nicht geschehen wird) werden wir den Eurettungsfetischismus unserer politischen Klasse extrem teuer bezahlen!


Die Investitionsproblematik, bzw. überhaupt die Frage, wie man die südeuropäischen Wirtschaften wieder zum Wachsen bringen kann, ist übrigens auch Gegenstand einer aktuellen Debatte in den Blogs Kantoos Economics (deutscher Volkswirt) und Yanis Varoufakis (griechischer Ökonom).
Varoufakis hat hier einen Geldbeschaffungsplan vorgelegt, der für mich in seinen erhofften Wirkungsmechanismen äußerst fragwürdig ist.
(Diese Diskussion kommentiere ich als Leser Cangrande bzw. Canabbaia.)


Nachtrag 10.06.2012
Letztlich zur gleichen Bewertung von Soros' "freundlichen" Empfehlungen wie ich kommt der österreichische Blogger Klaus Kastner, der in seinem Blog die Staatsschuldenkrise der Eurozone und insbesondere die griechische Misere sehr intensiv (und informiert, insbesondere auch - allgemeinverständlich - zahlenunterfüttert!) beobachtet. Vgl. seinen Eintrag "Beware of brilliant minds! George Soros maybe?" vom 09.06.2012.


Nachtrag 19.06.2012
Ich bin nicht der einzige Deutsche, der die angelsächsischen Nachtigallen, unter der Stabführung von George Soros, trappsen hört. Und wenn (wie zu vermuten) meine Leser das Zetern des kleinen Bloggers Cangrande gegen den großen weißen Ritter Georg bislang für etwas exzentrisch gehalten haben, sollten sie heute auf der Webseite der Financial Times Deutschland mal den Artikel "Bankenkrise. Vergesst den Vergleich mit 1931" des [natürlich! :-) ] Bielefelder Wirtschaftshistorikers Prof. Werner Abelshauser lesen. Der  macht aus seinem Herzen wahrhaftig keine Mördergrube:
"Während das politische Management der Euro-Zone auf seiner Flucht nach vorn immer größere Risiken in Kauf nimmt, gehen die Kapitalmärkte in die mediale Offensive: An der Spitze marschiert George Soros, einer ihrer berüchtigten Repräsentanten, der Europa nur mehr eine Frist von drei Monaten gab, um allen Anforderungen der "Märkte" zu entsprechen. Die Bankenlobby hörte das Signal - und folgte mit Schreckensszenarien, die die Alternativlosigkeit des politischen und finanziellen Vabanquespiels der Euro-Rettung belegen sollen. Dahinter trotten jetzt auch US-Ökonomen, die uns in der Rolle nützlicher Idioten auffordern, aus der Geschichte zu lernen: "Denkt an 1933", meinte etwa Nouriel Roubini in einem FTD-Gastkommentar."
Und das in der Financial Times Deutschland! [Da hat denen ihr Boss Thomas Fricke aber nicht aufgepasst, sonst wäre so etwas nicht passiert ;-) ] 


ceterum censeo
Europa ja, Albtraum nein!
Euro ja, Fremdschulden nein!
Freunde ja, Kostgänger nein!
Textstand vom 19.06.2012

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