Freitag, 29. Mai 2009

Inflation auf dem Sennefriedhof Bielefeld: Und jetzt wird wieder Radieschen geguckt / das steigert das Bruttosozialprodukt!

Eigentlich wollte ich schon gestern über die Inflation auf dem Friedhof bloggen, aber da kreuzten ein paar durchgeknallte Reflationisten (Inflationisten) meinen Weg und lenkten meinen Zorn von der Verteuerung der Gräber ab.


Anno 1935 kostete ein Doppelgrab 200,- RM, also Reichsmark.
Anno 2009 kostet ein Reihengrab 806,- € (Position 4.112 der Gebührensatzung), derer zwei nach Adam Riese also 1.612,- € = ca. 3.200,- DM.
Damit hat sich der Preis für die Erstbelegung versechzehnfacht, wenn man Reichsmark = DM setzt! Nur: zum alten Preis gab es 35 Jahre; heute haben die Toten (bzw. haben die Erben) nur noch 20 Jahre lang ihre Ruhe (§ 9 Abs. 1 der Friedhofssatzung).


1956, beim Tod meiner Großmutter, haben meine Eltern die Nutzungsrechte für 10 Jahre Belegungszeit nachgekauft. Das hat, wie man sieht, 110,- DM gekostet. Heute kostet es pro Grabstelle 51,- € (Position 3.1 der Gebührentabelle). Für 2 Grabestellen macht das 102,- €; ergibt für 10 Jahre 1.020,- €, umgerechnet ca. 2.000,- DM. Das entspricht etwa dem 18-fachen Preis, aber in diesem Falle nicht dem 18-fachen von 1935, sondern von 1956. Anders gesagt: in gut 50 Jahren wurde diese Gebühr um den Faktor 18 erhöht!

Über die Gründe für solche Inflationsraten kann man spekulieren. Schließt man aus, dass die Stadt Bielefeld damit ihren Haushalt saniert, d. h. wenn man unterstellt, dass diese Gebühren tatsächlich nur die für die Friedhofserhaltung anfallenden Kosten abdecken, dann müssen diese gewaltig gestiegen sein (Zusatzannahme ist, dass die Gebühren auch früher schon kostendeckend waren, also nicht etwa damals der Friedhof teilweise aus dem Steuertopf bezahlt wurde).

Nun ist es ja nachvollziehbar, dass der Rationalisierungsspielraum für Friedhofsarbeiten begrenzt ist. Es handelt sich schließlich nicht um Fließbandproduktion. Andererseits: wenn man unten auf der Ankaufsurkunde liest "Einnahmebuch 1935, Nr. 842, Kartenverzeichnis 4209" dann kann man sich vorstellen, welcher Verwaltungsaufwand, welche 'Pinselei' mit derartigen Buchungsvorgängen verbunden war. Das alles ist im Computerzeitalter weggefallen, und natürlich wurden z. B. auch Wegebauarbeiten und anderes bis zu einem gewissen Grade rationalisiert.
Wieso also derartige Kostensteigerungen? Ich könnte mir vorstellen, dass ein gut Teil daher rührt, dass der Friedhof jetzt "luxuriöser" gestaltet ist als früher. Zwar werden die Wege nicht gerade aus Marmor sein (ich war schon seit langen Zeiten nicht mehr dort), aber es wäre denkbar, dass sie jetzt z. B. asphaltiert sind und es früher nicht waren. Vielleicht werden sie auch häufiger gereinigt usw.
Durchaus möglich also, dass es auch die Ansprüche und Erwartungen der Bürger selbst sind, welche die Kosten in die Höhe getrieben haben.
Dennoch sind solche Ausgabensteigerungen erschreckend. Sie mehren vermutlich statistische Konstrukt wie das BIP (Bruttoinlandsprodukt); unserem persönlichen Wohlergehen helfen sie aber nicht weiter. Statistisch wird man uns vorrechnen, wie unser Wohlstand wieder einmal gestiegen ist; in Wirklichkeit haben uns diese Kostensteigerungen in keiner Weise bereichert; quantitativ gar nicht und "hedonisch" allenfalls minimal.

Wir stehen hier also erneut vor einem jener Sachverhalte, den ich in anderen Blotts ("IN FLAGRANTI"; "BALLA BALLA oder DIE PRODUKTIVITÄTSFORTSCHRITTSDIEBE DER ÖFFENTLICH-RECHTLICHEN SAU(G)NÄPFE"; "KEIN "HAPPY END" FÜR DIE HAUSHALTSKASSE oder "WER STIEHLT UNS DEN PRODUKTIVITÄTSFORTSCHRITT BEIM TOILETTENPAPIER?" und "Margarinefigürchen oder wer stiehlt uns den Produktivitätsfortschritt?") als Diebstahl des Produktivitätsfortschritts gebrandmarkt habe.
Also: Haltet den Dieb!
Nur: Wer ist der Dieb, bzw. wo versteckt er sich???


Hier noch einige Informationslinks zum Bielefelder Sennefriedhof:

Der ist der drittgrößte Deutschlands, schreibt die Wikipedia, der er immerhin einen eigenen Artikel wert war.

Auf einer Webseite der Stadt Bielefeld erfahren wir:
"Mit knapp 100 Hektar Größe gehört der über die Stadtgrenzen Bielefelds hinaus bekannte Sennefriedhof zu den drei größten Ruhestätten Deutschlands. Er erstreckt sich von Nord nach Süd auf einer Länge von rund 2.000 Metern. Lediglich in Hamburg-Ohlsdorf, Berlin-Stahnsdorf und München finden sich vergleichbare Friedhöfe.
Seine einzigartige Lage als typischer Waldfriedhof in der Heidelandschaft der Senne verschafft dem Besucher der Anlage großzügigen Raum in einer angenehm ruhigen Atmosphäre. Der Friedhof wird gerne auch zur Erholung und als Ort zur inneren Einkehr aufgesucht. Zudem bietet der Sennefriedhof zahlreiche natur- und kulturhistorisch bedeutende Objekte.
"

In der Friedhofssatzung ist alles genau geregelt, z. B. auch die Sarggröße (§ 7 Abs. 3):
"Die Särge sollen höchstens 2,15 m lang, 0,70 m hoch und 0,70 m breit sein. Sind in Ausnahmefällen größere Särge erforderlich, ist die Zustimmung der Friedhofsverwaltung bei der Anmeldung der Bestattung einzuholen."
Sofern Sie länger sind, tun Sie der Vorschrift doch bitte den Gefallen und krümmen Sie sich, z. B. mit Osteoporose, um Ihre Körperlänge Normkonform zu reduzieren.
Auch von mir wurde Konformität erbeten. Die Friedhofsverwaltung wollte das Gräberfeld "M" umwidmen zu einem Grasfeld, weil dort nur noch wenige Grabstätten liegen würden. Ich hätte nichts dagegen, meine Eltern umzubetten. Die Bürokraten erwarten jedoch allen Ernstes, dass die Leute das auch noch selbst bezahlen, wenn sie denen einen Gefallen tun.[Ich habe allerdings den diesbezüglichen Vordruck inzwischen entsorgt und meine mich zu erinern, dass 'nur' die Verlagerung einer evtl. vorhandenen Grabeinfassung und eines Grabsteins zu bezahlen gewesen wäre - dennoch eine Zumutung!] Wie lange muss man im Öffentlichen Dienst tätig gewesen sein, um ein derart deformiertes Denken zu entwickeln? Ich selbst hocke nun schon bald 35 Jahre in einer Amtsstube; auf eine solche Idee wäre ich allerdings nicht gekommen.

Einigermaßen rätselhaft ist für mich die Bestimmung § 7 Abs. 2:
"Die Särge müssen fest verfugt und so abgedichtet sein, dass jedes Durchsickern von Feuchtigkeit ausgeschlossen ist. Särge, Sargausstattungen, Leichenwäsche und Sargabdichtungen dürfen nicht aus Kunststoffen oder sonstigen schwer verrottbaren Werkstoffen hergestellt sein, ausgenommen sind Zinksärge, wenn überführte Leichen mit Zustimmung der Friedhofsverwaltung in diesen bestattet werden sollen."
Wie dichtet man Särge sickerfest ab, ohne Kunststoff zu verwenden? Und wozu eigentlich, wenn sie doch eh' verrottbar sein müssen?

Falls Sie den Friedhof mal besichtigen möchten (um z. B. im Rahmen einer Führung "Frühlingsblüten und Vogelgezwitscher auf dem Sennefriedhof" zu genießen), können Sie sich hier ein vierseitiges Faltblatt des Umweltbetriebes der Stadt Bielefeld mit Plan runterladen.
Auf dem Stadtplan sieht man die Anlage hier. Den "Heimtierfriedhof" oben auf der Karte werte ich als abendländisches Dekadenzsymptom im Sinne der Geschichtszyklentheorie von Oswald Spengler ["Der Untergang des Abendlandes" - begraben wird es auf dem Bielefelder Heimtierfriedhof ;-) ]. Nur dass ich keine weiteren Zyklen mehr erwarte: dazu ist unsere Umwelt zu ausgelaugt. Daran tragen die Heimtierfriedhöfe natürlich am wenigsten Schuld.

"Have it your way" könnte man die zahlreichen möglichen Bestattungsarten bewerben, welche in diesem Faltblatt geschildert werden. (Da ist doch bestimmt auch für Sie etwas dabei?)

Die Gebührensatzung (5 S.) und die Friedhofssatzung (35 S. - wie viele Seiten mag die anno 35 gehabt haben?)

Eine Kurzinfo zur Friedhofsgeschichte hier verlinkt auch zu einer 10-seitigen Chronik.

Und wer sich schließlich noch die anderen Friedhöfe anschauen will, und einige weitere vom Bielefelder Umweltbetrieb betreute Sachen (Biotonnen usw.) findet hier ein Florilegium von Broschüren zum Download.


Gute Nacht, schlafen Sie gut und träumen Sie süß; die Hyperinflation kommt ja erst noch. Da arbeiten gerade die Notenbanken dran.



Textstand vom 20.06.2009. Auf meiner Webseite
http://www.beltwild.de/drusenreich_eins.htm
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